Kapitel 28 - Zeit für Klartext

"Mir tut nichts weh", flüsterte ich.

"Sie stehen unter Schock. Die Schmerzen kommen vielleicht erst später. Was hat er mit Ihnen gemacht?"

Ich sah, wie der Mann von Constance und Timo abgeführt wurde. Er schrie und wandte sich, doch meine Kollegen hatten ihn im Griff. Es war gut, dass sie ihn aus meiner Sichtweite entfernten.

"Er hat mich gegen das Regal gepresst, mir die Hand vor den Mund gehalten und mir in den Unterleib getreten", berichtete ich. "Und ich habe irgendwas eingeatmet, dass mich schläfrig macht. Vielleicht Chloroform. Ich weiß es nicht."

Ich fasste mit meiner Hand an die Stelle, wo die Schraube gedrückt hatte. Als ich wieder wegnahm und mir meine Finger ansah, waren diese blutig.

Auch Herr Wagens nahm das wahr.
"Lassen Sie mal sehen!"

Ich beugte mich nach vorne, sodass er eine gute Sicht hatte. Vorsichtig tasteten sich seine Finger durch meine Haare.

"Die Wunde ist nicht groß, aber muss eventuell trotzdem genäht werden. Ich bringe zum Arzt. Der soll Sie genau durchchecken." Dann fiel sein Blick auf meine Handgelenke, die errötet waren und begannen an einigen Stellen eine blaue Färbung anzunehmen. "Er hat sie wirklich grob behandelt."

Grob behandelt? Der Typ wollte mich umbringen!

Ich sagte jedoch nichts und nickte nur.

"Es tut mir so leid", entschuldigte er sich mit bedrückter Miene. "Das hätte nicht geschehen dürfen. Und schon gar nicht hier. In einer Polizeiwache."

Herr Wagens half mir beim Aufstehen und merkte schnell, dass ich nicht in der Lage war allein zu gehen.

"Ist Ihnen schwindelig?", fragte er sofort und sah mich besorgt an.

"Ja."

"Können Sie laufen?"

"Ja, aber langsam bitte."

Er stützte mich bei jedem Schritt, als wir den Flur entlangliefen. Ich sah, wie sich dabei seine Unterarme anspannten. Er gab wirklich sein Bestes, um mich zu unterstützen.

"Es tut mir leid, dass ich Sie wegen des Kaktus angefahren habe", murmelte er beschämt, als wir an seinem Büro vorbeigingen.

"Schon vergessen", versicherte ich ihm und meinte es ernst. Meine Gedanken waren gerade überall, aber sicherlich nicht bei einem blöden Kaktus.

Ich sah trotzdem Schuldgefühle in seinem Gesicht, als er mich zum Ausgang des Gebäudes führte.

Herr Wagens half mir mit der größtmöglichen Fürsorge ins Auto und fuhr mich zum Betriebsarzt. Kaum saß ich im Auto, schloss ich meine Augen. Die Müdigkeit überkam mich.

"Schlafen Sie bitte nicht ein. Lassen Sie bitte die Augen offen, damit ich weiß, dass es Ihnen gut geht. Ich habe nämlich keine Ahnung, womit er Sie betäubt hat."

Seine Stimme klang leicht panisch.

"Ich kann nicht", ließ ich ihn, während meine Augen schon geschlossen waren.

"Frau Maguschka, bitte! Es sind nur ein paar Minuten Fahrt. Bleiben Sie wach."

Meine Augenlider senkten sich.

"Frau Maguschka?"

Ich hörte ihn noch, aber ich war plötzlich so unfassbar müde.

"Lotta!"

Er rüttelte an meiner Schulter, doch ich hatte keine Kraft mehr meine Augen zu öffnen und verabschiedete mich in meinen Dornröschenschlaf.

Ich wachte erst in der Praxis wieder auf. Er musste mich reingetragen haben. Der Arzt war bereits bei mir.

"Da ist sie ja wieder", sprach dieser gelassen als ich meine Augen öffnete. Er schien um meinen Gesundheitszustand nicht ernsthaft besorgt zu sein.

Verwirrt sah ich mich um. Herr Wagens sah mich mit deutlich unruhiger Miene an.

"Ich übernehme ab hier. Sie können im Wartezimmer Platz nehmen", wies der Arzt Erik Wagens an.

Dieser nickte, streichelte kurz über meinen Handrücken, murmelte "Alles wird wieder gut." und verließ dann den Raum. Er wirkte mitgenommen. Ich konnte mir gut vorstellen, wie beängstigend es für ihn gewesen sein musste, als ich das Bewusstsein verloren hatte.

"Und? Ist alles in Ordnung?", fragte er, als ich das Behandlungszimmer verlassen hatte, er mich erblickte und sich sofort vom Stuhl im Wartebereich erhob.

"Ja, es geht mir gut", sagte ich mittlerweile deutlich gefasster. "Die Wunde am Kopf hat er geklebt. Sie ist nicht groß. Ich habe ein paar Hämatome, die er rechtsmedizinisch dokumentiert hat, aber ansonsten geht es mir gut. Die Blutprobe wird zeigen, was mir verabreicht wurde, aber die Wirkung hat schon wieder nachgelassen."

Er legte seine Hand auf meinen Oberarm. Es war, als würde er direkt in meine Seele sehen.
"Es tut mir wirklich leid, dass das passiert ist. Aber ich bin auch froh, dass die Verletzungen nicht schwerwiegend sind. Das war wohl Glück im Unglück." Der Körperkontakt zu ihm vernebelte mir wieder den Verstand. Er zog die Hand zurück. "Dann fahr ich Sie mal Hause."

"Das müssen Sie nicht", ließ ich ihn wissen. "Ich bestell' mir ein Taxi."

"Das glauben Sie doch wohl selbst nicht. Selbstverständlich fahre ich Sie nach Hause. Außerdem möchte ich Sie morgen unter keinen Umständen auf Arbeit sehen. Ruhen Sie sich bitte aus!"

Er sah nicht so aus, als würde er Widerworte dulden, also sagte ich nur "Danke".

Er ließ mich nicht eine Sekunde aus den Augen, während wir zum Auto gingen. Einerseits genoss ich seine Aufmerksamkeit und seine Fürsorglichkeit, doch andererseits überforderte es mich auch.

Die Autofahrt war schweigsam. Ich hörte den Songs aus dem Radio zu, die ausschließlich den 80ern zuzuordnen waren. Mein Kopf dröhnte noch immer und ich wartete auf die Wirkung der Schmerzmittel.

"Sie mögen 80er, oder?", fragte ich unverfänglich.

Er warf mir ein leichtes Lächeln zu.

"Ja, meine Mutter liebt die 80er und irgendwie habe ich den Musikgeschmack von ihr übernommen." Dann hielt er inne und sah mich mit großen Augen an. Er sollte seinen Blick lieber auf der Straße lassen. "Moment mal, Sie wohnen doch auch gegenüber von meinem Badezimmer. Hören Sie mich etwa auch manchmal singen?"

Er fragte es so unschuldig. Noch immer hatte er keine Ahnung, dass ich die geheimnisvolle Unbekannte war.

"Sie sind das also!", sagte ich lachend und hielt meine wahre Identität noch immer zurück. "Sie sind der Duschsänger!" Seine Wangen erröteten leicht. "Keine Sorge", beruhigte ich ihn. "Sie singen gut."

Er mied meinen Blickkontakt und wirkte auf einmal schüchtern. Nie zuvor hatte ich diese Art von Unsicherheit bei ihm wahrgenommen.

Dann bog er in meine Straße ein und hielt an.

"Ich bringe Sie noch nach oben", informierte er mich und stieg aus, um mir die Tür zu öffnen.

Er reichte mir die Hand, als ich mich aus dem Fahrzeug erhob. Wieder durchfuhr dieses Kribbeln durch meinen Körper.

Wir stiegen die Treppen nach oben. Noch immer hatte er stets ein Auge auf mich. Als würde er befürchten, dass ich jederzeit umkippen konnte.

Dann schloss ich meine Tür auf. Er folgte mir ungefragt in die Wohnung.

"Kann ich irgendetwas für Sie tun?", erkundigte er sich und sah sich um. Ich war dankbar dafür, dass ich erst gestern einen Haushaltstag eingelegt hatte, sodass die Wohnung so ordentlich wie selten war. "Soll ich Ihnen etwas vom Imbiss holen oder einen Tee machen?"

Seine Eltern hatten ihn wirklich gut erzogen. Ich konnte die Männer aus meinem Leben, die ähnlich gute Manieren hatten, an einer Hand abzählen.

"Nein, es geht mir gut. Sie könnten wirklich zurück ins Büro fahren."

Kritisch sah er mich an.
"Sie haben Furchtbares erlebt. Ich kann auch bei Ihnen bleiben, falls Sie sich unsicher fühlen. Ich kann mir angesichts der Umstände wirklich nicht vorstellen, dass es Ihnen gut geht."

Am liebsten würde ich dieses Angebot annehmen. Der Schock saß noch tief und er gab mir tatsächlich ein Gefühl der Sicherheit. Doch ich traute mich nicht dieses Angebot anzunehmen.

Plötzlich hob er mein Kinn mit seinem Finger an und zwang mich somit ihm in die blauen Augen zu sehen.
"Es ist wirklich kein Problem für mich bei Ihnen zu bleiben", beteuerte er, während in meinem Körper ein Hormonchaos ausgelöst wurde.

Das war definitiv nicht mehr normal für einen Chef. Kein Chef dieser Welt hob das Gesicht seiner Sekretärin mit einer sanfter Berührung an, sodass die Nasenspitzen sich fast berührten.

Ich spürte seinen Atmen auf meiner Haut.

Irgendetwas muss er für mich fühlen, sonst würde er sich nicht so verhalten. Also traf ich eine Entscheidung.

"Wissen Sie was? Sie haben Recht. Ich würde mich wirklich freuen, wenn Sie hier bleiben, denn ich würde Ihnen gern etwas sagen."

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