Kapitel 16 - Das erste Treffen
Hallo Unbekannter,
ich würde mich tatsächlich sehr freuen, wenn wir uns persönlich kennenlernen könnten. Das Café im Hauptmanngässchen kenne ich zwar nicht, aber es hört sich großartig an. Samstag 15 Uhr passt mir sehr gut. Ich freue mich schon, endlich ein Gesicht zur Stimme zu haben. Du erkennst mich daran, dass ich einen blauen Rock und eine weiße Bluse trage.
Liebe Grüße
Nachdem ich diese Nachricht an seine Nummer geschickt hatte, war es unmöglich gewesen in den Tiefschlaf zu verfallen. Zu groß war meine Nervosität und die Angst vor seiner Reaktion.
Kurz vor Mitternacht folgte seine Antwort.
Perfekt! Ich freue mich auf morgen!
Die Nachricht hatte einen kurzen Nervenzusammenbruch in mir ausgelöst. Warum tat ich mir das an? Das konnte nicht gut enden.
Den gesamten Samstagvormittag verbrachte ich damit, mich hübsch zu machen. Ich glättete meine Haare, schminkte mich und rasierte mich an jeder erdenklichen Körperstelle. Man konnte schließlich nie wissen. Ich legte mein teuersten Parfüm auf und bügelte sogar meine Kleidung.
Immer wieder überlegte ich, ob ich nicht doch einen Rückzieher machen sollte. Hatte ich wirklich den Mut meine Identität zu offenbaren?
Schließlich stand ich doch im Hauptmanngässchen und strich ein letztes Mal meine Bluse glatt. Mein Herz schlug stärker als je zuvor. Ich hatte Angst, aber ich war auch ein bisschen stolz auf mich und meinen Mut. Vielleicht konnten wir uns zumindest nett unterhalten. Die Situation im Fahrstuhl hatte uns meiner Meinung nach auf eine neue Ebene gehoben. Wir waren das erste Mal auf einer privaten, emotionalen Ebene gewesen. Vielleicht war das ein gutes Zeichen. Ein bisschen Hoffnung schlummerte noch immer in mir.
Zwar regnete es heute nicht, doch der Himmel war bedrohlich zugezogen. Der Wind umwehte meine nackten Waden. Vorausschauend hatte ich mir bei diesem Wetter die Haare hochgesteckt. Nur zwei Strähnen hingen locker in mein Gesicht, um es schmaler wirken zu lassen.
Mit langsamen Schritten über das Kopfsteinpflaster näherte ich mich dem Café mit dem Namen "Comino". Es war ein verträumtes kleines Café, an dessen Wänden die Rosen zum Dach hinaufkletterten. Man würde es eher in Frankreich vermuten. Auf den Tischen lagen weiße Tischdecken und Lichterketten schwangen sich von der einer Straßenseite zur anderen.
Ich war fünf Minuten zu früh.
Ich erblickte Herr Wagens im selben Moment wie er mich. Mein Herz sprang mir förmlich aus der Kehle.
Er sah mich einen Moment lang irritiert an.
"Was machen Sie hier?", fragte er und wirkte sichtlich nervös.
Auch er hatte sich hübsch gemacht und die Hilfe des Bügeleisens in Anspruch genommen. Er trug ein schneeweißen Hemd und eine dunkelgrüne Cordhose. Es sah fantastisch aus
"Ähm", murmelte ich unsicher. "Ich bin verabredet."
Erwartungsvoll sah ich ihn an. Doch es schien bei mir nicht Klick zu machen. Dabei trug ich den blauen Rock und die weiße Bluse. So, wie ich es ihm beschrieben hatte.
Er lächelte mir flüchtig zu, sah dann jedoch wieder in alle Richtungen. Ich begriff, dass es für ihn viel zu abwegig war, dass ich sein Date sein könnte. Seine Erwartungen waren offensichtlich deutlich größer. Mein Herz zog sich zusammen, als würde es von einem schwarzen Loch eingesaugt werden.
"Okay, dann wünsche ich Ihnen viel Spaß. Ich warte tatsächlich auch gerade auf jemanden", informierte er mich und ich konnte die Ungeduld in seiner Stimme hören.
Ich biss mir auf die Unterlippe. Mein Mut hatte mich verlassen. Ein schwerer Stein lag in meinem Magen. Ich sollte es ihm sagen, doch ich konnte nicht.
"Danke, Ihnen auch", was alles, was ich über meine Lippen brachte.
Ich schaffte es nur mit viel Mühe meinen Schmerz zu verbergen. Doch noch größer wäre meine Qual, wenn ich die Enttäuschung in seinem Gesicht sehen würde, wenn ich ihm die Wahrheit sagen würde.
Ich sah ihn ein letztes Mal an. Er hatte sich frisch rasiert, war vermutlich sogar beim Friseur gewesen und hatte die Schuhe geputzt. Ihm war dieses Treffen offenbar wirklich wichtig. Doch anstatt seiner vermeintlichen Traumfrau war nur ich aufgetaucht. Und ich war nicht genug.
Mit gesenktem Kopf verschwand ich hinter der nächsten Ecke. Mein Herzschmerz drückte sich nun in den Tränen aus, die über meine Wangen liefen. Ich presste meinen Kiefer zusammen, um nicht laut zu schluchzen.
Dann zückte ich mein Handy und schrieb:
Lieber Unbekannte, ich muss mich bei dir entschuldigen, aber mir ist etwas dazwischen gekommen. Ich weiß, dass meine Absage viel zu spät kommt. Es tut mir wirklich unglaublich leid. Ich habe mich wirklich auf unser Treffen gefreut, doch es sollte einfach nicht sein. Bitte verzeih mir!
Ich schickte die Nachricht ab und lugte um die Ecke herum, um seine Reaktion zu sehen. Er sah auf sein Handy, las die Nachricht und ließ dann seine Schultern fallen. Mehr Tränen rollten aus meinen Augen.
Man konnte ihm die Enttäuschung selbst aus der Entfernung aus ansehen. Er legte für einen Moment seinen Kopf in den Nacken und spannte seinen Kiefermuskel an. Dann sah er jedoch wieder auf das Handy und begann zu tippen.
Gespannt wartete dich auf seine Antwort und wischte mir über die Wangen.
Das ist wirklich schade. :( Ich hatte mich so sehr gefreut, dich endlich kennenzulernen. Wann können wir das Treffen nachholen?
Es würde kein Treffen mehr geben. Ganz offensichtlich hatte er kein Interesse an mir. Zumindest nicht im romantischen oder gar sexuellem Sinn. Ein Treffen wäre reine Zeitverschwendung. Und doch brach mir die Vorstellung nicht mehr mit ihm in Kontakt zu stehen das Herz.
Ich war noch nicht soweit, den Kontakt komplett abzubrechen. Es hatte mir so gut getan seine Briefe zu lesen.
Ich starrte eine Weile auf seine Nachricht ehe ich antwortete:
Bitte gib mir noch ein wenig Zeit. Können wir es vorerst beim Schreiben belassen?
Dieses Mal wagte ich es nicht noch einmal um die Ecke zu schauen, um seine Reaktion zu sein.
Gar kein Problem, antwortete er schneller, als ich erwartet hätte.
Das brach mir im Prinzip noch mehr das Herz. Denn nun machte er sich Hoffnungen, die ich leider nicht erfüllen konnte. Es war egoistisch von mir weiter an dem Kontakt festzuhalten. Wieso hatte ich das geschrieben?
Es war nicht richtig.
Ich hielt an etwas fest, das keine Perspektive hatte.
Auf dem Heimweg überkam mich immer mehr das schlechte Gewissen. Er war ein so netter Mann. Ich sollte ihn nicht noch mehr hinhalten, als ich es eh schon getan hatte. Das hatte er wirklich nicht verdient.
Also entschied ich mich am Abend für einen radikalen Schritt: Er hatte die Wahrheit verdient. Ich war zwar nicht in der Lage gewesen es ihm direkt ins Gesicht zu sagen, doch ich würde es ihm schreiben. So war es vermutlich auch angenehmer für ihn. Denn auf diese Art und Weise musste er keine Fassung nach außen bewahren, während er innerlich vermutlich gegen die blanke Enttäuschung ankämpfen würde.
Lieber Unbekannte,
ich muss gestehen, dass du für mich gar kein Unbekannter bist. Ich habe es erst im Laufe unseres Briefaustausches erfahren. Genau genommen, als Sie mir auf Arbeit fälschlicherweise einen Brief überreicht haben. Ich bin Lotta Maguschka. Ihre Sekretärin, die zufällig auch gegenüber ihrer Wohnung wohnt. Ich war heute beim Treffen und Sie dachten, ich wäre zufällig auch da. Doch das war nicht der Fall. Ich war da, weil ich mit Ihnen verabredet war. Ich bin die Unbekannte. Es tut mir leid, dass ich nicht den Mut hatte, Ihnen sofort die Wahrheit zu sagen. Ich hatte einfach das Gefühl, dass Sie eine ganz andere Vorstellung hatten.
Ich fand unseren Briefaustausch wirklich schön, doch ich glaube mehr wird daraus auch nicht werden. Sie sind schließlich mein Chef.
Ich hoffe, dass wir weiterhin hervorragend miteinander arbeiten können. Vielleicht tun wir am besten so, als hätte wäre das alles nie passiert.
Es war trotzdem sehr nett, Sie auf diese Art und Weise kennenzulernen.
Liebe Grüße
Lotta Maguschka
Ich brauchte 1 Stunde bis ich auf "Senden" klicken konnte und es brach mir das Herz. Gleichzeitig ging mein Puls wieder in die Höhe. Ich hatte Angst vor seiner Reaktion. Ich wusste, dass er kein böses Wort schreiben würde, denn das entsprach nicht seinem Charakter. Doch er musste trotzdem in einer gewissen Art und Weise Stellung zu dem beziehen, dass ich ihm geschrieben hatte.
Den gesamten Abend lang wartete ich auf seine Reaktion. Doch es kam nichts.
Auch am Sonntag erhielt ich nicht eine einzige Nachricht von ihm.
Ich wusste genau, dass er zuhause war, denn ich konnte ihn wie immer singen hören und er musste genau wissen, dass ich ihn hören konnte. Doch selbst seine Songauswahl ließ auf nichts schließen. Er sang "Beat it" von Michael Jackson und "I love Rock'n Roll" von Joan Jett.
Enttäuschung machte sich in mir breit. Er hielt es nicht einmal für nötig auf diese Art von Nachricht zu antworten.
Es war als würde er auf den Scherben meines Herzen einen Tanz aufführen und den Schmerz um ein vielfaches verschlimmern.
Vielleicht war er doch nicht so toll, wie ich ihn eingeschätzt hatte. Je länger er mir jedoch nicht antwortete, desto mehr Bammel bekam ich vor Montag. Denn dann würde ich ihn im Büro antreffen und ich hatte keine Ahnung, wie ich mit dieser Situation umgehen sollte.
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