18. Darmausgang mit Leidenschaft
In einer Zeit, in der Wattpad noch am Anfang stand, wurde ein Buch geschrieben, zu großen Teilen eingetippt in ein Smartphone, das anscheinend keine Rechtschreibprüfung besaß (I'm not »exhagerating«), welches leider viel zu viele Leute begeistern sollte und deswegen verlegt wurde. Ich spreche hier natürlich von »After« (zu deutsch »After passion«), geschrieben von Anna Todd, die im Internet meistens den Usernamen imaginator1D trägt.
Dieser gibt auch schon Aufschluss darüber wovon das Werk, dessen Titel im deutschen Sprachraum eher auf eine Geschichte über Hämorrhoiden deuten lässt, handelt, nämlich von der britischen Boyband »One Direction«, die ins Leben gerufen wurde, um kleinen Mädchen das Geld aus der Tasche zu ziehen. Da trifft es sich doch ausgezeichnet, diesen Trend zu nutzen, um denselben kleinen Mädchen noch mehr Geld aus der Tasche zu ziehen, indem man ihnen ein Buch über eine zutiefst missbräuchliche Beziehung verkauft, das auch noch reich an Sexszenen ist.
Die Mutter aller Boyband-Fanfictions, die diese Seuche verbreitet hat wie ein Pilz, der Sporen ausstößt, erzählt die Geschichte der achtzehnjährigen Tessa, die zwar pro forma volljährig ist, zumindest, was die wichtigen Belange des Lebens angeht, geistig aber noch in anderen Sphären schwebt und unter der Fuchtel ihrer mit permanent zwei Ausrufezeichen schreienden Mutter steht (ich beziehe mich hier auf die unüberarbeitete Wattpad-Version der Geschichte, für alle, die noch nicht selbst draufgekommen sind), welche uns in der obligatorischen Aufwachszene zu Anfang vorstellig gemacht wird.
Desweiteren erfahren wir im ersten Kapitel, dass sie in der Lage ist, eine Dusche zu nutzen und einen festen Freund namens Noah hat, welcher aber durch seinen Kleidungsstil gekennzeichnet (Cardigan und so) die Prüderie in Person ist, weswegen zwischen den beiden nichts weiter als keusche Küsse und ein paar Umarmungen ausgetauscht wurden, genaue Gründe werden dafür nicht genannt und es scheint der Wille beider Beteiligten zu sein, was mich kurzzeitig zu dem Gedanken führt, ob die beiden nicht Versuchsobjektive bei einer Feldstudie für Hormontabletten sind.
Er spielt aber erstmal eh keine Rolle mehr, denn für Tessa geht es jetzt an die Washington State University, die zwei Stunden von ihrer Heimat entfernt liegt, weswegen sie in ein Wohnheim auf den Campus zieht, wo es nur so wimmelt von unanständigen Leuten, die Piercings und Tattoos haben und auch Alkohol trinken (gut, das ist in den USA wirklich illegal, zumindest für unsere Protagonistin, aber man kann's auch übertreiben). Die Schlimmsten der Schlimmsten mit Schulabschluss also, die auch noch aus einem Umfeld kommen, das gut genug ist, sodass die horrenden amerikanischen Schulgebühren gezahlt werden können.
So lernt die treudoofe Tessa durch ihre Mitbewohnerin Steph einen jungen Mann kennen, dessen Beschreibung mir augenblicklich verrät, dass es sich um Harry Styles handelt, weil ich vorher meine Recherche betrieben habe, um diesen Text anständig schreiben zu können. Jedoch ist er in dieser Geschichte kein Sänger, sondern der rebellische Sohn des Universitätspräsidenten oder wie auch immer die Oberbossbezeichnung dafür lautet.
Nun, Harrys Charakter zu beschreiben, ist recht einfach. Er hat haufenweise Tattoos trägt immer weiße T-Shirts, durch die diese durchscheinen, er grinst bzw. schmunzelt (»smirk«, ihr wisst schon, dieser anzüglich guckenden Emoji) ausgesprochen oft (etwa in jedem zweiten Beisatz), vögelt alles, was nicht bei drei auf dem Baum ist und das sind alles keine Persönlichkeitseigenschaften, was der Autorin anscheinend vollkommen egal ist. Hauptsache, er ist durch seinen Namen gebrandmarkt.
Aber nicht nur der böse Bube hat optisch ein reales Vorbild, denn unsere Protagonistin soll so aussehen wie die Schauspielerin Indiana Evans, die mir zum einen aus der Kinderserie »Snobs« bekannt ist, zum anderen aus »H2O – Plötzlich Meerjungfrau«, wo sie eine Nixe mit der unfassbar unnötigen Fähigkeit spielt, Wasser in Glibber zu verwandeln.
Doch mir bleibt keine Zeit, mich über zerstörte Kindheitserinnerungen aufzuregen, denn das Buch legt mit wirklich verstörendem Content nach, welcher die Party zu Anfang des Buches, die einzig dazu dient, weitere Statisten einzuführen sowie ein zweites potenzielles Love Interest mit dem Namen Zayn (da ich ihn später nicht mehr erwähnen werde: die beiden treffen sich ein paar Mal, er steht auf sie und sie auch auf ihn, aber er ist nicht Harry, also wird er irgendwann abgeschossen), noch harmlos erscheinen lässt.
Die nächste Party im Haus von Harrys Bruderschaft verläuft nämlich deutlich weniger glimpflich, denn Tessa wird beinahe vergewaltigt, flüchtet sich aber rechtzeitig ins Zimmer des einzigen Kerls, der sie wie ein Stück Dreck behandeln darf, doch wer »Sturmhöhe« zum Non-plus-ultra der Liebesgeschichten zählt (und das als Literaturstudentin), dem ist wohl nicht mehr zu helfen.
Und als Dank dafür, dass er sie so ehrenhaft beschützt hat, küsst sie ihn dann auch, obwohl sie das kurz zuvor beim Wahrheit oder Pflicht spielen kategorisch abgelehnt hat und immer noch in einer Beziehung mit einem Pappaufsteller ist.
Aber wer braucht den schon, wenn Hairy Stylisch den eigenen Namen atemzugt (»he breaths«)? Vor allem, wenn man dann plötzlich türmt, weil einen doch noch das schlechte Gewissen plagt, man beschämt nach Hause läuft und ihn dann auf seinem Bett sitzend vorfindet, weil er mit dem Auto deutlich schneller war und zudem mit der Ausrede aufwartet, er hätte einen nicht allein nach Hause laufen lassen wollen.
Und weil dieses offensichtliche Stalking noch nicht genug ist, steht Mutti samt No-ahhhh (kein Stöhnen, ihr wisst schon) auch noch mitten in der Nacht vor der Tür, weil ihre volljährige Tochter nicht sofort auf ihre SMS geantwortet hat. Klingt absolut plausibel und nicht danach, nur geschehen zu sein, um dem jämmerlichen Häufchen an Geschehnissen, das sich Plot nennen will, etwas künstliches Drama beizufügen. Ist ja nicht so als würde eine Beinahe-Vergewaltigung nach der Tessa sich einem Typen an den Hals schmeißt, weil sie seine Tattoos so heiß findet, obwohl er noch kein einziges nettes Wort zu ihr gesagt hat, nicht ausreichen.
Nein, nein tut es nicht und die kurze Intervention der Mutter ist anscheinend auch nicht genug, denn nach ein bisschen weiterem Hin und Her schafft Harry es, das naive Protaleinchen zu einer Art Date einzuladen, bei dem die beiden zu einem See fahren. Sie weiß vorher allerdings nichts von dieser Destination, geht aber trotz fehlender Badekleidung mit ihm schwimmen, wo die beiden sich erneut körperlich näherkommen. Nach einiger Zeit wird dann beschlossen, dass es besser wäre, an Land fortzufahren und eng umschlungen verlassen sie das Wasser.
Indiana Evans' Rolle kann anscheinend nicht nur in »H2O« Wasser in Glibber umwandeln, denn zumindest kriegt sie es hier mit ihrem körpereigenen Vorrat hin, schließlich ist sie nicht nur vom Baden feucht. Ein Glück, dass Harry da gerne Abhilfe verschafft und sie mithilfe seiner Zunge du seiner Finger trocknen will, um es mal kinderfreundlich auszudrücken.
Und damit wären wir bei der Reihe ausführlich geschilderter sexueller Aktivitäten angekommen, die in etwa alle fünfzehn bis zwanzig Kapitel auftauchen, um die Leser bei der Stange zu halten, denn an Handlung passiert nicht mehr sonderlich viel Neues.
Mal mögen sie sich, mal mögen sie sich nicht. Mal kommt er seinem Vater näher, mal beschimpft er ihn wüst. Mal trägt er ein weißes Shirt, was Tessa so unglaublich sexy findet, mal trägt er gar keins, was sie genauso toll findet. Und genau auf diese Weise kann man drei Bücher mit einer Länge von je 700 Seiten füllen.
Na gut, dazwischen passieren auch noch jede Menge andere Sachen, die mit Sicherheit alle mindestens zwei Kapitel im Voraus geplant wurden. Beispielsweise sucht Tessa sich einen Job und wird prompt von einem riesigen Verlag als Praktikantin im Lektorat angenommen, weil der Boss ein Freund von Harrys Vater ist (Spoiler: Es ist in Wirklichkeit sein leiblicher Vater, aber dieses überaus geheime Geheimnis wird erst im dritten Teil aufgerollt und es weiß auch niemand darüber außer Harrys Mutter und sein Erzeuger, wahrscheinlich, weil der Plan auch erst im Laufe des Schreibens des letzten Bandes aufkam). Auf jeden Fall ist der gute Herr Verleger so generös und zahlt ein echt gutes Gehalt. Für eine Praktikantin. Und sie kriegt ein eigenes Büro. Als Praktikantin. Es gibt Leute, die können froh sein, wenn sie als Festangestellte ein eigenes Büro haben. Und dann hat sie auch noch total flexible Arbeitszeiten und kann tun und lassen, was sie will. Dieselbe Frau, die denkt, dass »Sturmhöhe« ein Liebesroman ist!
Während ihr Job ein permanenter Rage-Faktor für mich als denkenden Leser ist, übertrifft die Beziehung zu Harry das aber immer und immer wieder. Immerhin macht Tessa irgendwann im letzten Drittel des ersten Teils mit No-ahhh Schluss, nachdem sie ihn schon ziemlich lang betrogen hat und sich sicher ist, dass es mit ihm »no ahhh« geben wird.
Der Heuchlerin ist das aber ziemlich egal, denn endlich ist sie in der missbräuchlichen Beziehung, nach der sie sich wahrscheinlich ihr ganzes Leben lang gesehnt hat (kann man das noch durch das Fehlen einer Vaterfigur oder der dominanten Rolle der Mutter begründen?), wie es erscheint und dann kommt es in ihrem Wohnheimzimmer zum ersten Mal, das eigentlich gar nicht so besonders sein sollte, wenn man bedenkt, wie oft sie es vorher schon per Hand und Mund getan haben. Natürlich ist es sofort supertoll und danach dauert es auch nicht mehr lang, bis die beiden einfach mal so beschließen zusammenzuziehen.
Dass das urplötzlich kommt, liegt übrigens nicht daran, dass ich versuche, die Handlung so kurz wie möglich zusammenzufassen, sondern daran, dass es wirklich so übereilt ist und ich die Lieblosigkeit gegenüber des Schreibhandwerks, mit der das gesamte Buch auf Papier gebannt ist, eins zu eins übermitteln möchte.
Lieblos ist aber nicht nur die Manier, in der »After« verfasst wurde, sondern auch Harry, welcher irgendwann während einer der ersten Partys, die es in diesem Werk gibt, eine Wette mit seinen Freunden abgeschlossen hat, die beinhaltete, Tessa ins Bett zu bekommen. Blöderweise kommt das dann doch ans Licht, inklusive der Info, dass das Laken vom Tag ihrer Entjungferung ein Beweisstück war, was sie anscheinend auch ordentlich vollgeblutet hatte.
Geht es noch frauenverachtender?
Ja, denn nach Beginn des nächsten Bandes dauert es nur ca. zweihundert Seiten, bis sie ihm verziehen hat und die beiden wieder ein Paar werden, nur um sich dann irgendwann erneut zu trennen, weil er wieder eine absolut unverzeihbare Scheiße abgezogen hat, was ihr grundsätzlich von vornherein hätte klar sein müssen.
Aber nein, die Liebe zwischen Tessa und Harry ist ja die Art, welche sich die Autorin für alle Mädchen auf der Welt wünscht. Wenn das so ist, rate ich ihr dringend, in einen anderen Kulturkreis auszuwandern. Andererseits kommt sie aus Texas, was vielleicht auch einiges erklären könnte. Oder sie hat zu viel Wüste zu Abend gegessen, denn die gehört offenbar zu einem guten Dinner dazu (Tessa fragt in einem Kapitel im Haus von Harrys Vater, ob sie sich um die »desert« kümmern soll, mehrfach, das ist also kein Tippfehler).
Vielleicht ist die Wüste aber auch einfach eine Metapher dafür, dass es noch ein Leben ohne Harry für sie gibt, also in dem sie staubtrocken ist, das aber trotzdem süß wie ein Dessert schmeckt.
Ich will in dieses Phänomen der Popkultur aber nicht zu viel hineininterpretieren, denn schließlich besteht die Zielgruppe aus kleinen Mädchen ohne große Lebenserfahrung, um es noch einmal zu wiederholen und die Autorin gehört mental wahrscheinlich dazu. Ihr von Parataxen geprägter Schreibstil und ihr Wortschatz, der schätzungsweise fünfhundert Wörter umfasst, sprechen dafür.
Wer sich selbst von meinen Eindrücken überzeugen will, kann das auf Wattpad kostenlos tun, wer die von einer Richtung und Rechtschreibfehlern bereinigte Version lesen will, sollte sich in die örtliche Buchhandlung oder doch lieber Bibliothek begeben.
»After« ist ein Buch, bei dem man nicht mal sagen kann, dass Geschmäcker verschieden sind, wie zum Beispiel bei Nicholas Sparks. Es ist einfach nur schlampig geplottet, schlampig geschrieben und neunzig Prozent der handelnden Pappaufsteller mit dramatischer Hintergrundgeschichte sind auch noch Schlampen (Was erwartet ihr denn? Das sind Studenten, die räumen nicht auf.).
Man kann und sollte wirklich keine Qualität, Logik oder wirkliche Liebesgeschichte suchen, denn der Titel verrät ja schon, wofür das Buch ist, nämlich für'n Arsch.
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