15. »Asiaten sind genauso atemberaubend wie Russen.«


Im Newsfeed der Bibliothek der Schande der Ritter der Kotz-Kuss-Nuss erschien gestern die Benachrichtigung, dass ein eigentlich schon abgeschlossenes Musterwerk der schlechten Badboy-Literatur (»Touch me – Now #Wattys2016«, falls es jemanden interessiert) um ein weiteres Kapitel mit dem Titel »!Einfach mal an alle!« ergänzt wurde. Da fühlte ich mich direkt mal angesprochen und las herein – und stieß auf Erschreckendes.

Bei dem... Sachtext der Autorin lovejomi, auf den ich stieß, handelt es sich um eine vom Buch unabhängige Meinungsäußerung zum Thema Toleranz, obwohl dieses Stichwort kein einziges Mal fällt, was auch schon eine Kunst für sich ist. Leider spiegelt das Geschriebene etwas gänzlich anderes wider und hätte genauso gut von Donald Trump stammen können.

Zunächst merkt die Autorin an, dass sie ihre hohen Leserzahlen nicht missbrauchen will, um möglichst vielen ihre Gedanken nahezubringen, aber sie es trotzdem in diesem speziellen Fall für angebracht hielte, da ihr Buch auch die Menschlichkeit schätzen würde. Ich habe es leider nicht gelesen, aber falls jemand sich schon eine Meinung zu bilden konnte, immer her damit. Nun stellt sich mir zuerst die Frage, wozu sind hohe Leserzahlen sonst gut? Wenn ich mich einer breiten Masse mitteilen möchte und schon Adressaten habe, wieso sollte ich diese dann nicht nutzen? Das ist doch das einzige Prinzip nach dem Social Media und eigentlich auch jede andere Art der Öffentlichkeitsarbeit funktioniert. Man baut sich ein Netzwerk auf, nutzt dieses und erweitert es nach und nach. Ich kann nicht sagen, wieso sich die Verfasserin an dieser Stelle rechtfertigt, aber der Verdacht liegt nahe, dass so mehr Zuspruch generiert werden soll. Das nenne ich unlautere Mittel. Aber nun gut, die Einleitung hat noch nicht mal angefangen, also sollte ich mich wohl noch nicht direkt auf 180 bringen.

Wobei... Eine Einleitung ist bis auf den ersten Satz eigentlich nicht vorhanden. Die großen ach so großen Veränderungen im Internet werden angesprochen. Curvy Models werden in der Werbung für die breite Masse eingesetzt (pun not intended), Sexismus ist ein großes Thema auf Youtube und... Halt Stopp! Hier muss ich intervenieren. Inwiefern ist Sexismus ein Thema? Wird er geduldet? Wird gegen ihn vorgegangen? Ich brauche Infos, sonst kann ich mir leider keine Meinung bilden und muss mich auf das verlassen, was die Autorin mir hier vorbetet. Das ist allerdings keine angemessene Argumentationsstruktur. Auch in der Schule kriegt man es häufig mit Texten zu tun, die wild Dinge behaupten, aber dennoch sollte man in der Lage sein zu begreifen, was den Aufbau einer Erörterung etc. ausmacht. So ist das völliger Murks.

Aber anscheinend muss ich ihr auch so glauben, dass im Internet eine »kleine Revolution« losgetreten wurde. Wieso nur im Internet? Wahrscheinlich, weil wir uns gerade in eben diesem befinden und Fernsehen oder gar die Tageszeitung zu altmodisch sind. Das sind aber nur Spekulationen meinerseits, denn konkrete Informationen bleiben einem hier verwehrt.

Sinnabschnitte scheinen übrigens ebenso überbewertet zu sein, denn jetzt kommt Fräulein Autorin ganz plötzlich mit ihrer eigenen Meinung an, die da wäre: »Was ich oft nicht richtig finde, ist das Frauen oft ihr eigenes Geschlecht runter machen und sagen, dass Frauen Kurven haben müssen und andere sagen, dass Frauen dünn sein müssen.«

Das Wort »Frauen« kam hier ziemlich oft vor, also scheint es sich um das weibliche Geschlecht zu gehen. Die zweimalige Verwendung von »müssen« lässt auf einen Zwang schließen. Die Verfasserin findet von anderen aufgezwungene Frauenbilder also scheiße. Allerdings erschließt sich mir nicht, wieso das automatisch heißt, dass dadurch das eigene Geschlecht runtergemacht wird. Kommt die Erniedrigung daher, dass keine einheitliche Meinung vorherrscht, sondern jede Person individuelle Ansichten hat, die sich auf einer Skala zwischen zwei Extrema bewegt? Sollen wir eine homogene Masse sein, die nur die eine perfekte Meinung vertritt?

Da ich hier nur mit Ungewissheit konfrontiert werde, gehe ich zum nächsten Punkt über. Die Autorin findet es nämlich auch ganz schlimm, wie manche Leute andere kritisieren. Woraus dieses »wie« besteht, wird natürlich nicht weiter erläutert. Wozu auch? Wahrscheinlich ist Kritik im Allgemeinen ein großes Unding und sollte schleunigst unterbunden werden, denn wenn nichts angemerkt wird, kann es auch keine Fehler geben. Oder so ähnlich.

Da eine weitere Ausführung des Standpunkts ja mit eigenständigem Denken verbunden wäre, wird nun davon gefaselt, dass alle Menschen gleich schön sind. Hierbei werden die klischeehaften, »gegensätzlichen« Paarungen genannt: »Dünne und dicke Menschen«, »Dunkelhäutige und Weiße«, »Asiaten sind genauso atemberaubend wie Russen«. Das Übliche halt. Aber – Moment. Ich hatte irgendwann in der Grundschule mal Erdkunde und habe die Erdteile auswendig gelernt. Deswegen meine ich mich mit dem vagen Wissen, das ich besitze, daran zu erinnern, dass Russland zumindest mit großen Teilen in Asien liegt und sich von West nach Ost bis hin zum Beringmeer ausdehnt. Demnach sind viele Russen, insofern man diese alle in eine Schublade stecke kann, was ja auch schon kritisch ist, rein geografisch gesehen Asiaten. Mal davon abgesehen, dass es völliger verallgemeinernder Humbug ist, die Bürger eines Landes mit denen eines ganzen Kontinents zu vergleichen, in dem es so viele verschiedenen Kulturen gibt, die sich nicht im Geringsten ähneln, ist dieses Beispiel aufgrund seiner Fälschlichkeit absolut invalid, aber da es sowieso keine These gibt, die es stützen könnte, ist das wahrscheinlich auch egal.

Kleine Zwischeninfo: Ich befinde mich immer noch im zweiten Absatz. Der ist auch noch nicht zu Ende, denn jetzt wird auch noch völlig aus dem Zusammenhang gerissen die Ausländer-Keule ausgepackt. Nun, gleichzeitig wird auch ein völlig verständlicher und korrekter Satz gesagt, aber der geht im ganzen Rest leider unter. Dieser sagt aus, dass wir, wenn in ein anderes Land fahren ebenfalls Ausländer sind. Allerdings wird dieser winzig kleine Ansatz nicht ausgebaut und stattdessen wird die rhetorische Frage aufgeworfen, weswegen Sexismus in der ganzen Welt herrscht.

Wo ist da der Zusammenhang? Wird hier etwa wieder auf die Übergriffe in der Silvesternacht angespielt? Das würde allerdings heißen, dass hier manchen dieser »Ausländer« unterstellt wird, sexistisch zu sein, wahrscheinlich, weil sie Ausländer sind. Das spräche zwar gegen die bisherige... Aussage des Texts, aber wer weiß, was in den Wirren des Kopfes der Autorin vor sich geht?

Denn jetzt geht es auf einmal um Homosexualität, denn Männer, die gerne Madonna hören und Frauen mit kurzen Haaren, die Bier trinken sind allesamt vom anderen Ufer. Zumindest wenn es nach der Meinung der Allgemeinheit geht. Die Verfasserin käme ja niemals auf die Idee, dass solche Stereotype stimmen könnten? Allerdings frage ich mich auch, wie sie überhaupt darauf kommt.

Um mal meine autobiografischen Erfahrungen einzubringen: Unter dem Einfluss von zu viel Bier gerate ich gerne mal in Flirtlaune und quatsche dann gerne mal ausgelassener mit Männern. Ich wurde aber noch von niemandem wie ein wandelndes Paradoxon angesehen, weil das so ist.

Aber bevor ich hier zu vorschnell Urteile, weiter geht's mit dem deepen Shit, denn die Autorin fragt sich: »Wer sagt uns, was männlich und was weiblich ist«? Unsere Chromosomensätze, ist wahrscheinlich nicht die Antwort, die hier beabsichtigt ist, deswegen sage ich, dass es die Gesellschaft ist. Die Gesellschaft, die wir selbst mitbilden und deren Teil wir sind. Aber das hat anscheinend keine weitere Relevanz für die Argumentation, denn jetzt wird inhaltlich nochmal das eben Erwähnte wiederholt, um mit der Frage abzuschließen: »Habe ich jetzt kein Recht mehr auf mein Geschlecht?«

Natürlich hast du dieses Recht. Wer sagt denn, dass dir dieses Recht aberkannt wirst, wenn du Dinge tust, die allgemein eher Männern zugeordnet werden? Das sind Stereotypen, die existieren, aber diese eine Bedeutung für dein Leben haben, entscheidest doch nur du. Das predigst du doch hier die ganze Zeit über vor. Allein, dass sich so verzweifelt an den Vorurteilen festgeklammert wird, zeigt doch, dass die Autorin noch in dem Denken, das sie »kritisiert« gefangen ist. Sie sagt zwar mit ein paar leeren Phrasen, dass sie etwas ändern will, aber dem ist nicht so. Wie soll sich etwas ändern, wenn sich immer nur auf ganz konkrete Fälle bezogen wird, die nicht repräsentativ für alle stehen können?

Die Antworten auf die angesprochenen Probleme lauten Toleranz und Selbstreflexion. Beides wurde nicht einmal ansatzweise in diesem Text erwähnt. Das ist wirklich sehr traurig und zeugt davon, dass die Autorin ebenso engstirnig ist wie jene, die sie an den Pranger stellt.

Ach ja, Kommentare zu löschen gehört übrigens auch zu ihren weltverändernden Methoden. Es ist ja Kritik von mir gewesen, anzumerken, dass Russland in Asien liegt und da diese ja grundsätzlich zu verurteilen ist, wurde das natürlich sofort aus der Welt geschafft. DAS ist Toleranz, meine Freunde. Das Dulden der eigenen Beschränktheit.

»Merkt ihr wie lächerlich sowas ist?«

Ja, liebe lovejomi, das tun wir. Und ich gucke mir die Welt auch genauer an und stemple nicht jeden alles und jeden ab. Ich denke vorher drüber nach. Stichwort Reflexion

Und da war der Text auch schon zu Ende. Mein Argumente-Zähler zeigt auf null. Das ist wirklich eine schwache Leistung und ich frage mich echt wie es so viele »Endlich sagt's mal einer«-Kommentare gab, die diese Strukturlosigkeit in den Himmel gelobt haben.

Kritikunfähigkeit gepaart mit Ignoranz macht mich wütend, deswegen wurde der Soundtrack zum Schreiben meiner Antwort, die wahrscheinlich dreimal so lang ist, wie der Text auf dem sie basiert, gestellt von Bring Me The Horizon: Pray for Plagues. Ein Song mit einer wirklich inspirierenden Message.

Jetzt erstmal ein Bierchen!

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