12. Herr Elrond und die Halbblut-Sue

Vor geraumer Zeit hat mich AuctrixMundi gebeten, ihre Herr der Ringe Fanfiction „I eleniël orco – Die Sternentochter der Orks" zu zerreißen. Nun, vieles ist leichter als das, aber ich versuche mich nun trotzdem Mal daran auf die Gefahr hin, dass der Text gänzlich zusammenhanglos und erzwungen wirken wird (trotz einiger netter Hilfestellungen der Autorin).

Im Mittelpunkt der Handlung steht Earenis, halb Elbin, halb Ork, eine Mischung zweier Rassen, die es so nicht geben sollte. Ihre Mutter wurde von der Gemeinschaft verstoßen, zog sie lieblos groß und starb letzten Endes. Seither zieht Earenis durchs Land und verdient sich ihr Geld als Söldnerin ohne Heimat, Familie oder Freunde. Eigentlich die perfekten Voraussetzungen für eine Laufbahn als Mary-Sue, denn noch dazu ist sie für Großes bestimmt, wie Klappentext und Prolog verraten. Immerhin nicht, den Einen Ring in den Schicksalsberg zu werfen, denn dazu ist sie wohl zu hoch gewachsen und ihre Füße sind auch nicht haarig genug, aber nach der Vernichtung Saurons wartet eine neue Gefahr, verursacht durch ein weiteres Halbblut ihrer Art.

Dass eine solche Abnormalität zweimal im Laufe der Zeitgeschichte erscheint, ist wahrscheinlich unwahrscheinlich, aber um es mit einer abgewandelten Version der wohl bedeutendsten Worte des ersten Kämmeres der Nachtwache, Bowen Marsh, zu sagen: „For the plot!"

Dieser, zumindest die Rahmenhandlung, setzt erst äußerst spät erkennbar ein. Die ersten Kapitel konzentrieren sich nämlich hauptsächlich auf Earenis und dessen, was sie in ihrem Leben so treibt und die Schmach der Ausgrenzung, die sie tagtäglich erlebt. Bis hierhin ist sie immer noch eine Muster-Sue, obwohl ihr Äußeres – sowohl das, was durch ihren Orkanteil hervorgerufen wird, als auch die Narben, die sie sich im Laufe der Jahre zugezogen hat – ihr Abzüge in der B-Note verschaffen. Treu an der Seite seines Frauchens ist Mistaroa, ein Wolfshund, der nicht nur aufs Wort gehorcht, weil er so gut erzogen ist, sondern weil Earenis einen besonderen Draht zu Tieren hat. Eine Fähigkeit, die ihr später noch nützlich wird – und ein weiterer Punkt auf der Pro-Sue-Liste.

Der erste Auftrag, bei dem der Leser Earenis begleiten darf, ist das Töten von Trollen, die ein Dorf tyrannisiert haben. Ohne dabei große Einbußen zu machen wird dieser ausgeführt: sowohl Halbelbin als auch Hund schlagen sich famos und ein ansehnliches Blutbad wird angerichtet, das sogar Geralt von Riva Konkurrenz machen dürfte. Nebenbei rettet sie auch noch ein kleines Mädchen und erntet ehrliche Anerkennung und Dank dafür. Das nimmt die Muster-Sue aber gar nicht wahr, denn in ihrem Kopf geistern immer noch die Orkwaffen herum, die sie zuvor in der Trollhöhle gesichtet hat. So macht sie sich wieder auf den Weg zurück.

Was weiterhin mit der bis dato unfehlbaren Protagonistin erfährt, erfährt man allerdings nicht, denn ein Perspektivenwechsel führt den Leser nach Bruchtal zu alten Bekannten, die aus der Feder Tolkiens stammen. Legolas und Gimli treffen an Elronds Hof ein, weil dort auch Aragorn und eine wurfbereite Arwen zu Gast sind und ein Zusammensein mit alten Freunden lässt man sich bekanntlich nicht entgehen.

Während Earenis bei weiteren Erkundungstouren auf Orks trifft und prompt von diesen gefangen genommen wird, sind die Protagonisten in Bruchtal glücklicherweise ganz in character, wenn nicht sogar ein klein wenig überspitzt dargestellt und sorgen so für nette Unterhaltung, lassen sogar kurzzeitig vergessen, dass die eigentliche Hauptfigur gerade in höchster Gefahr schwebt. Ganz so bemitleidenswert wie sie hätte sein können, ist sie also doch nicht. Der Sue-Skala-Wert minimiert sich, ist aber noch im roten Bereich.

Da die Geschichte ohne „die Auserwählte" aber wenig Sinn macht und Bruchtal kein ganz so abgeschiedenes Örtchen ist, wie es einem in den Filmen Glauben gemacht wird, erfährt auch Elrond, der sich langsam mal bereit machen müsste, um nach Westen aufzubrechen, von den Orkbanden und weil gerade so schön alle beisammen sind, beginnt die wilde Jagd.

Noch ist alles wie immer. Gimli ist wenig erfreut darüber Legolas' Pantene-Werbung-reifes Haar im Gesicht zu haben, Elrond ist einfach Elrond, den alle zu lieben scheinen außer mir, und ein wenig mittelerdische Bildung gibt es durch eine Biografie Gil-galads auch noch.

Die Orks sind bald gefunden, ein Kampf entbrennt und am Ende steht die Befreiung Earenis', die nun die Aufmerksamkeit der Gruppe auf sich zieht. Auch wenn Sterben wahrscheinlich nicht auf ihrer Agenda stand, ist diese nicht gerade froh darüber, wer ihre Retter sind, war es doch Elrond, der ihre Mutter damals vertrieb. Sie betitelt ihn im Übrigen abschätzig als „Halbelben", ungeachtet der Tatsache, dass sie selbst ein Halbblut ist. Oder vielleicht auch gerade deswegen. Dieses Verhalten vertieft ihren Charakter, lässt sie nicht unbedingt sympathisch wirken, aber die Empathie des Lesers bekommt sie so dennoch. An dieser Stelle scheiterte das Projekt Mary-Sue in Mittelerde und eine (ich nenne sie jetzt einfach mal so) Heldin ward geboren.

Eine allerdings verwundete Heldin wird mit nach Bruchtal genommen, wo sie ihre Verletzungen auskurieren und für Konflikte sorgen kann. Dass diese sogar berechtigt sind und diejenigen, die ihr gegenüber wie Legolas, skeptisch sind, Recht haben, zeigt sich, als sie den Auftrag bekommt, einen Ring zu stehlen. Wer der Auftraggeber ist, wird leider nicht offenbart, denn er versteckt sein Gesicht unter seiner Kapuze, aber seine Verabschiedung mit den Worten „Der Winter naht", legt nahe, dass es sich womöglich um einen Stark handelt, der mal eben schnell das Universum gewechselt hat. Oder wer weiß, vielleicht ist es Mittelerde, das im Osten der bekannten Welt aus „A Song of Ice and Fire" wartet, während Essos der Westen in Tolkiens Welt ist. So viel Verschwörungstheorie meinerseits.

Earenis fliegt mit ihrem Diebstahl aber nicht auf, denn eine Spur der Mary-Sue haftet noch an ihr – oder an ihrem Hund, der bis jetzt noch keine negativen Eigenschaften bekommen hat, jede Herausforderung meisterte und von seinen Artgenossen in Elronds Haushalt gemieden wird und somit womöglich durch einen Gary-Wuff-Test durchgefallen wäre.

Da die Orks eine noch immer währende Bedrohung sind, bricht die Protagonisten-Truppe samt Anhang nach Fornost auf. Auf dem Weg hilft Earenis übrigens ganz nebenbei einer besorgten Bürgerin, die von einem Störenfried heimgesucht wird. Es stellt sich heraus, dass es sich dabei um einen Dachs handelt. Die Credits für die Aktion gehen dabei an die Halbelbin, jedoch ist es Mistaroa, der trotz seiner Größe und der Tatsache, dass seine Rasse überhaupt nicht dafür geeignet ist, der das Tier aus seinem Bau vertreibt. Wer hier wohl das wahre Schneeflöckchen ist?

Um das weitere Geschehen kurz zu fassen: Fornost erwartet eine Belagerung und schließlich eine Schlacht, die gewonnen wird. Das rückt aber eher in den Hintergrund, wenn man bedenkt, dass Legolas und Earenis kurz zuvor ihr Kriegsbeil begraben haben.

Was einen nun im weiteren Handlungsverlauf erwartet, ist der Bösewicht Ghâshburz, welcher hinter Earenis her ist, aber hier bin ich am Ende der aktuell 32 Kapitel plus Prolog angelangt, und das ausgerechnet an der spannendsten Stelle, wo sich der Hauptkonflikt langsam zu entfalten beginnt, ebenso wie die Persönlichkeit, der einst unliebsamen Protagonistin, die deutlich an Selbstmitleid und anderen Sue-Eigenschaften eingebüßt hat.

An dieser Herausforderung ist AuctrixMundi also gescheitert, aber wer weiß, vielleicht führt Mistaroa, Grauhund wie sein Name auf Deutsch heißt, dieses Vermächtnis fort.

„I eleniël orco" konnte mir meine Abneigung gegen Fanfictions ein Stück weit nehmen und sorgt hoffentlich bei ihren Lesern für Toleranz. Gegenüber Mary-Sues, meine ich und solchen, die diesem Schicksal (was für ein bedeutungsschwangeres Wort das doch ist) entkommen wollen.

Eine kleine Anmerkung noch am Schluss: Leider ist der Text nicht mehr auf Wattpad zu finden, aber auf dem Profil der Autorin finden sich Links zu alternativen Seiten.

Cuio vae und möge mein nächster Verriss wieder mehr Biss haben.

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