Der Tragödie zehnter Teil

Wir hatten uns schlussendlich für kommenden Samstag verabredet und in den folgenden Tagen schwächte Nicks Euphorie etwas ab.

Auf der einen Seite erleichtere die Tatsache, dass er mir nicht mehr mitten im Unterricht zuwinkte, mein Gewissen wenigstens um ein kleines Stück, doch auf der anderen Seite ertappte ich mich immer wieder dabei, wie ich versuchte, unsere irgendwie-Beziehung vor möglichst vielen Menschen zur Schau stellen zu wollen.

Und so spielte ich auch am Samstagmorgen bevor ich mich auf den Weg zum örtlichen Kino machte, in meinem Kopf immer wieder Situationen durch, wie wir rein zufällig irgendwelchen Mitschülern (Layla!!) begegnen könnten.
Ich weiß, ich bin ein schlechter Mensch.


„Hey, da bist du ja", empfing mich Nick, der bereits vor dem Kino stand und wartete. Seine hellen Haare glänzte in der Augustsonne. Ich begrüßte ihn und warf einen flüchtigen Blick auf mein Handy, um mich zu versichern, dass ich pünktlich war.

„Ich hoffe, du wartest noch nicht all zu lange?", erkundigte ich mich. Er schüttelte den Kopf. „Nein, keine Sorge, ich bin eben erst gekommen."

Ich hoffte, er sagte die Wahrheit.

Wir traten durch die gläserne Flügeltür in den Vorraum, der mit einem weinroten Teppich ausgelegt war. Mir fielen sofort die hellen neuen Reklametafeln über den Schaltern an der gegenüberliegenden Wand ins Auge und sobald sich die Tür hinter uns geschlossen hatte, wurden wir von dem süßlichen Geruch des Popcorns umschlossen.

„Verrätst du mir jetzt endlich, in welchen Film wir gehen?", fragte ich, während wir uns in eine der Schlangen vor den Tresen einreihten.
Nick schüttelte den Kopf und grinste mich schief an. „Ich werde doch jetzt nicht so kurz davor die Überraschung verderben."

Ich legte den Kopf in den Nacken. „Ich habe sowieso schon das Programm für heute gegoogelt und die Auswahl auf zwei Filme eingeschränkt."

Nick grinste nur noch ein Stück breiter und zuckte mit den Schultern. „Dann ist es aber doch immer noch eine Überraschung."

Ich verdrehte gespielt genervt die Augen. „Sehr witzig. Verrate mir nur eins: Spielt Anne Hathaway mit?"

Nick legte seinen Zeigefinger an die Lippen. „Ich sage nichts."

Mittlerweile waren wir in der Schlange bis nach ganz vorne vorgerückt. Nick beugte sich zu mir vor. „Du musst unglücklicherweise für ein paar Sekunden auf meine Anwesenheit verzichten, schließlich kann ich leider nicht zulassen, dass du mitkriegst für welchen Film ich die Karten bestelle."

Ich zog eine Augenbraue hoch. „Meinst du das gerade ernst?"

„Todernst", er nickte mit versteinerter Miene. Ich musste mir das Lachen verkneifen.
„Also, wenn ich bitten darf", er bedeutete mir mit einer ausladenden Handbewegung, mich von den Schaltern zu entfernen.
Ich schüttelte den Kopf. „Das kannst du aber sowas von vergessen."

Er verschränkte die Arme. „Ich hab' Zeit."

Ich öffnete gerade den Mund, um zu erwidern, dass wir meinetwegen warten könnten, bis das Gebäude denkmalgeschützt werden würde, als sich der ältere Mann, der direkt hinter uns in der Schlange stand, räusperte.

„Es ist ja schön zu hören, wie viel Zeit ihr jungen Leute noch habt, aber ich weiß nicht mal, ob meine alten Knochen noch bis zum Ende des Films aushalten. Wenn Sie also so freundlich wären, sich langsam zu entscheiden, ob Sie nun eine Karte kaufen wollen oder nicht ..."

Ich riss die Augen auf; Nick stand neben mir und biss sich auf die Lippen.
„Ernsthaft mal, Tammy, du verschwendest die Zeit des netten Herrn", raunte er mir zu.

Ich spürte, wie meine Wangen einen Hauch rosa annahmen, und beschloss, dass es mir eigentlich doch nicht so wichtig war, ob ich nun jetzt oder erst in ein paar Minuten erfahren würde, welchen Film wir uns ansehen würde.

Während Nick mit der jungen Frau hinter der Theke sprach, machte ich mich auf den Weg zu den ebenfalls dunkelrot gepolsterten Sofas im Nebenraum und ließ mich in den weichen Stoff sinken. Mein Blick folgte einem ungefähr fünfjährigen Mädchen mit wuscheligem schwarzem Haar, das aufgeregt um ihre Eltern herumsprang. Ich fragte mich, ob das hier wohl ihr erster Kinobesuch sein würde.

Nach kurzer Zeit betrat Nick vollbeladen mit zwei Getränkebechern, einer Schale Nachos und einem Eimer Popcorn, der das Fassvermögen einer handelsüblichen Badewanne zu haben schien, den Raum.
Er lud die Berge an Lebensmitteln vor mir auf einem der Tische aus dunklem Holz ab.

„Ich wusste nicht, ob du Popcorn oder Nachos willst, also habe ich einfach beides gekauft."

Ich musste lächeln. „So wie es aussieht hast du die ganze Snacktheke leer gekauft."

Nick grinste. „Keine Sorge, ich habe dem alten Mann hinter uns noch ein Mineralwasser übergelassen."

„In dem Alter sollte man eh nicht mehr zu viel Zucker essen. Aber gut zu wissen, dass er es noch bis zum Anfang der Schlange gemacht hat."

Er nickte.
„Der Sensenmann ist tatsächlich reingekommen, aber hat dann doch beschlossen, heute mal freizumachen und stattdessen lieber in den neuen Horrorfilm zu gehen", sagte er mit komplett ernstem Gesicht.

„So? Für mich war er irgendwie immer mehr der Typ für den neuen My Little Pony."

Nick zuckte mit den Schultern. „Don't judge a book by it's cover."

"Weise Worte", sagte ich und er ließ sich neben mir in das Polster sacken. Gerade als er richtig saß, beugte ich mich vor und griff nach den Tickets.
Augenblicklich schoss seine Hand nach vorne und schloss sich um meine. „Das kannst du dir sowas von abschminken, Tammy!"

Ich streckte ihm die Zunge raus und zog meine Hand zurück. Er steckte die Karten, auf die der Titel des Filmes gedruckt sein musste, in die Brusttasche seines Hemds. „Es geht in zehn Minuten los, solange wirst du dich wohl noch gedulden können."

Ich seufzte und lehnte mich zurück in die Umarmung aus rotem Samt. In dieser Haltung verblieb ich, bis Nick mich aufforderte, schonmal zum richtigen Kinosaal aufzubrechen.

Er führte mich durch den linken Gang, der zu den Sälen eins bis vier führte.

„Aha!", rief ich. „Dann also wirklich der mit Anne Hathaway! Ich wusste es!"

„Wenn du meinst ..."

Ich wollte ihm gerade sagen, dass er ein wirklich schlechter Verlierer sei, als er geradewegs an Saal eins vorbeilief und stattdessen vor der nächsten Tür Halt machte.

„Ehm, Nick? Bist du sicher, dass du dich nicht im Raum irrst? Unser Film läuft in eins und nicht in zwei", warf ich ein, doch Nick zuckte nur mit den Schultern. „Falsch, der Film mit Anne Hathaway läuft in Saal eins. Unser läuft in Saal zwei."

„Aber ...", fing ich an, als ich von jemandem angerempelt wurde. Mein Blick wanderte nach unten auf den Wuschelkopf des kleinen Mädchens, das ich auch vorhin schon im Warteraum gesehen hatte. Sie drängelte sich an mir vorbei und verschwand hinter der Tür, vor der wir standen.

„Nick?", fragte ich und in meiner Stimme schwang hörbar eine Spur Verunsicherung mit.
Mit einem kleinen Grinsen hielt er mir die Tür auf und ich trat zögerlich in den Raum.


„Karten bitte", begrüßte uns der Kartenabreißer, der am Eingang des Saals wartete, mit monotoner Stimme.
Nick reichte ihm die zwei Tickets. Der Angestellte sah hoch und musterte und mit gerunzelter Stirn. „Und ihr wollt auch wirklich in My Little Pony?"

Ich schluckte. „Ich bin nicht ganz sicher."
Nick jedoch grinste nur. „Doch, doch. Wir sind uns da komplett sicher."

Er schob mich den Gang hinunter, während der Kartenabreißer uns noch einige Sekunden lang zweifelnd hinterher sah. Dann schien er sich zu entschließen, dass das hier nicht seine Angelegenheit war und sein Gesicht nahm wieder den Ausdruck gelangweilten Desinteresses an.

Als wir unsere Plätze gefunden hatten, beugte ich mich zu Nick rüber. „Ich glaube, du schuldest mir eine Erklärung ..."

Er sah mich mit Unschuldsmiene an. „Wieso? Das war meine Lieblingssendung als ich noch ein kleiner Junge war. Und ich dachte, das hier wäre die perfekte Gelegenheit, Twilight Sparkle, Applejack und Rainbow Dash nochmal wiederzusehen."

Mir stand der Mund offen und ich versuchte, nicht hysterisch loszulachen, schließlich saßen mindestens zwei Dutzend Kindergartenkinder um uns herum und ich hatte wirklich nicht vor, den Zorn ihrer Eltern auf mich zu ziehen.

Langsam fing ich an, die Zeit mit Nick sogar wirklich ein kleines bisschen zu genießen.

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