Der Tragödie sechsundvierzigster Teil
Noch bevor der Bus um die Ecke vor der Haltestelle bog, konnte man bereits leise Partymusik vernehmen. Glück für mich, denn so würde ich zumindest trotz mangelnden Orientierungssinns die letzte Strecke zum richtigen Haus finden.
Sobald der Busfahrer sein Gefährt zum Stehen gebracht hatte, verließ ich fluchtartig den Bus, wobei ich penibel darauf achtete, ja keinen Augenkontakt mit ihm zu haben.
Gerade erst an der frischen Luft angekommen, wäre ich auch schon fast in eine kleine Truppe Mädchen gestolpert, die kichernd und plappernd die Straße runterlief. Der beige Pappbecher in der Hand der einen ließ mich vermuten, dass sie bereits bei Louis gewesen waren und nun zurückkehrten.
Ich fühlte mich etwas awkward, wie ich allein wenige Meter hinter ihnen herlief, doch sie einfach anzusprechen kam auf keinen Fall in Frage.
Ich hielt die Augen offen nach der Hausnummer 17, doch wie sich herausstellte, war das gar nicht nötig, denn mein hochgradig ausgeprägter Detektivsinn schlussfolgerte, dass eventuell das Haus, dessen Haustür sperrangelweit offenstand und auf dessen Vorgarten bereits weitere Teenager rumlungerten, das Haus sein könnte, nach dem ich suche.
Die Mädchengruppe steuerte geradewegs auf den Eingang des Einfamilienhauses zu und ich beschloss, mich endlich von dem Leid des unangenehmen Hinterherrennens zu erlösen, als ich sah, dass man die Möglichkeit hatte, direkt den Garten zu betreten, da ein Durchgang zwischen Hauswand und Garage gelassen worden war.
Der Garten war absolut überladen. Überall standen Oberstufenschüler rum und unterhielten sich oder tranken irgendwas aus den gleichen beigefarbenen Bechern, die ich vorhin schon gesehen hatte.
Ich hielt Ausschau nach bekannten Gesichtern, musste jedoch feststellen, dass ich den Großteil der Partygäste noch nie in meinem Leben gesehen zu haben glaubte. Einzig hier und da erkannte ich mal einzelne Leute aus meiner Schule, jedoch niemanden, mit dem ich genug Kontakt gehabt hätte, um mich zu trauen, ihn anzusprechen.
Verzweifelt suchte ich nach Juni, die schließlich eigentlich schon hier sein musste, während ich mich zentimeterweise durch die Menge kämpfte und dabei versuchte, weder irgendwelche Ellbogen allzu schmerzhaft in die Seite gerammt zu bekommen noch Kontakt zwischen meinem Shirt und dem Inhalt einer der Getränkebecher herzustellen.
Ich war gerade dabei, einen mir unbekannten Typen entsetzt anzustarren, während er sich in großen Schwallen in einen der Rosenbüsche übergibt, als sich von hinten eine Hand auf meine Schulter legt.
Für einen kurzen Moment wollte ich schon Aufatmen vor Erleichterung, dass es sein könnte, dass Juni stattdessen mich gefunden hatte, doch dann fiel mir wieder ein, dass das Guthaben meines Karmakontos vermutlich nicht gerade toll aussah und es folglich wohl auch eher nicht Juni war, die hinter mir stand.
Ich sollte recht bekommen, denn als ich mich umdrehte, sah ich vor mir niemand anderen als Tristan. Plötzlich überkam auch mich der Drang, in einen der Büsche zu reihern.
„Was machst du denn auf Louis Renners Party, Tammy?" Sein Grinsen sah geradezu aus, als wäre es einzig zum Zweck des Reinhauens geschaffen worden.
„Wir waren auf der gleichen Grundschule", antwortete ich, wobei ich schreien musste, um den Lärm der Musik um mich herum zu übertönen.
Tristan sah aus, als ob er etwas erwidern wollte, entschied sich dann jedoch doch dagegen und lenkte das Gespräch zu einem anderen Thema. „Du hast dir die Haare abgeschnitten."
Ich schwieg. Selbstverständlich einzig und allein aus Coolness und nicht, weil mir auf die Schnelle nichts einigermaßen Intelligentes einfiel, dass ich hätte sagen können.
Er grinste „Hab' ich dir dann damals nicht eigentlich irgendwie geholfen?"
Ich sah ihn verständnislos an.
„Glaub mir, Tristan, du hast mir noch nie in deinem Leben bei irgendwas auch nur ansatzweise geholfen", schrie ich gegen den Liedsänger des aktuellen Songs an, der gerade irgendwas über Liebe und Freiheit durch den Garten grölte.
Tristans Lächeln wurde noch ein bisschen schmieriger. „Naja, ich meine, hätte ich dich nicht geoutet, hättest du dir doch safe nicht die Haare so geschnitten."
Ich war grundsätzlich ein sehr friedliebender Mensch, doch mein Drang, ihm die Faust in seine perfekt geschwungene Nase zu rammen, wurde immer größer.
„Ich bin nicht lesbisch", schrie ich ihn an, etwas lauter als es wegen der Musik nötig gewesen wäre. „Du weißt genau, dass du die ganze Scheiße nur erfunden hast, weil dein riesiges Ego gekränkt worden ist."
Tristan verzog das Gesicht. „Ja, du kannst mir glauben, dass mir das schon klar war. Darum hat es mich ja auch gewundert, dass du jetzt anscheinend doch zum anderen Ufer rüber bist."
„Die Haare einer Person haben absolut nichts mit ihrer sexuellen Orientierung zu tun, du Arschloch."
Er ignorierte meinen Einwand. „Oder hast du einfach erkannt, dass jetzt eh nur noch so Typen wie Nick Schulte mit dir ausgehen würden?"
Ich sah ihn fassungslos an. Dieser Typ könnte wirklich die Muse sein, die Jane Austen zu Stolz und Vorurteil inspiriert hat.
Und es störte mich unfassbar, wie ein Mensch wie er es wagte, sich als etwas Besseres zu sehen als Nick. Nick, der im Vergleich zu Tristan ein Herz aus Gold hatte.
Vermutlich nicht mal nur im direkten Vergleich.
„Tammy!"
Ich erkannte die Stimme meiner Freundin trotz des Lärms sofort. Dieses Mal war es also wirklich Juni, die hinter mir aufgetaucht war. Ich spürte, wie ein wenig meiner Anspannung von mir abfiel. Neben ihr stand ein gutaussehender Typ mit dunklen Haaren, den ich als ihren Freund Ben wiedererkannte.
Juni lächelte mich an, dann wanderte ihr Blick weiter zu Tristan. „Wer ist denn –"
Sie brach mitten im Satz ab und verzog das Gesicht, als ob sie auf etwas Saures gebissen hätte. „Tristan."
Er grinste noch ein Stück breiter. „Juniper!"
„Verpiss dich von Tammy."
Tristan lachte, aber nach einem kurzen Moment des Zögerns, drehte er sich wirklich um und ging.
„Was hat er gesagt?", erkundigte Juni sich, sobald er außer Hörweite war.
Ich schüttelte den Kopf. „Das Übliche."
Ihre Miene sah besorgt aus, doch sie hakte nicht weiter nach. „Hast du Max schon irgendwo gesehen?"
Ich schüttelte den Kopf. „Ich wusste gar nicht, dass sie überhaupt kommt."
Juni nickte leicht. „Yeah, ich meine, sie ist immerhin in Louis Jahrgang."
„Cool, das wusste ich gar nicht." Ich freute mich, meine Freundin wiedersehen zu können, doch die Freude hielt nicht lange, denn plötzlich traf mich eine Erkenntnis. Wenn Louis in Maxines Jahrgang war, bedeutete das, dass er auch im gleichen Jahrgang war wie Mae.
Augenblich fror das Lächeln auf meinem Gesicht ein.
„Sind die Schultegeschwister auch da?"
Juni sah mich mitfühlend an, ich hatte ihr während unserer Shoppingtour erzählt, dass Nick und ich schlussgemacht hatten, da sie nicht hatte aufhören wollen, Fragen über unserer Beziehung zu stellen. „Nick habe ich leider schon gesehen und ich gehe einfach mal davon aus, dass wenn sogar Nick kommt, Mae auch nicht weit sein kann, sorry."
Oh toll. Konnte dieser Abend noch besser werden?
„Aber mach dir darüber keine Gedanken, ich meine das Haus ist groß, du kannst ihm einfach aus dem Weg gehen."
Sie griff nach meiner Hand und mir fiel auf, dass Ben mittlerweile verschwunden war.
„Komm", Juni lächelte mich aufmunternd an. „Wir holen dir erstmal was zu trinken."
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