Der Tragödie neunundzwanzigster Teil

Wir verließen das Zimmer.

Mae ging voran und ich einige Schritte hinter ihr, versuchte, nicht zu denken, um zu verhindern, dass ich eine Panikattacke bekam und deswegen die nächsten Minuten (Oder Stunden??) nicht damit verbringen würde, mit Mae zu reden, sondern damit, ins nächstgelegene Krankenhaus gebracht zu werden.

Die paar Schritte durch den Flur fühlten sich an, als würde ich mich durch meterhohen Schnee kämpfen. Oder durch Wüstensand.
Hatte ich jemals geglaubt, Geschichtsstunden würden kriechendlangsam vergehen, ist meine Meinung heute eindeutig geändert worden.
Wäre ich nicht so ein durch und durch optimistischer Mensch, hätte ich wahrhaftig befürchtet, ich könnte an Altersschwäche verrecken, bevor wir das Zimmer am anderen Ende des Flurs erreichten.

Doch irgendwann taten wir es.

Geräuschlos ließ ich die Tür hinter mir ins Schloss fallen.

Mae stand mittlerweile am anderen Ende des Raums, hatte mir jedoch noch immer den Rücken zugewandt.

Ich ging zu ihr rüber und räusperte mich.

Endlich drehte sie sich zu mir um und sah mich mit einem traurigen Lächeln an.

„Innerlich hatte ich nie ganz die Hoffnung aufgegeben, dass du mein Versprechen vergessen könntest."

Ich sah sie mit meiner besten „Dein Ernst?"-Miene an. Müde hob sie einen Mundwinkel.
Dann ließ sie sich rücklinks aufs Bett fallen und rutschte so weit hoch, als wolle sie sich schlafen legen. Das Einzige, was sie davon äußerlich unterschied, war die Tatsache, dass sie auf und nicht unter der Decke lag.

Ich zögerte kurz.

Okay, ich geb's zu, ich zögerte extrem lange. Aber aus gutem Grund, oder nicht? Sie konnte doch nicht wirklich verlangen, dass ich während so einem Gespräch Schulter an Schulter neben ihr lag?

Doch Mae machte keine Anstalten, wieder aufzustehen.

Mit viel zu schnell klopfendem Herzen legte mich neben sie.

Sie drehte sich auf die Seite und musterte mich.

Schnell hob ich meinen rechten Arm schützend vor meinen Brustkorb. Natürlich war mir klar, dass es nicht wirklich möglich war, dass sie mein Herz pochen sah und es genauso wenig aus meiner Brust springen würde, aber sicher ist sicher.

Aus dem Augenwinkel blendete mich das helle Licht der Deckenlampe. Blinzelnd wandte ich den Blick ab.

Ein Fehler, denn kaum, dass ich wieder zu ihr hinsah, war sie aufgestanden und stand bereits neben dem Bett.

„Wo willst du hin?", fragte ich und hörte, wie erbärmlich verwirrt meine Stimme dabei klang.

Mae antwortete nicht und trat stattdessen auf die Tür zu. Dort angekommen, drückte sie auf den elfenbeinfarbenen Lichtschalter und augenblicklich war der ganze Raum von einem tiefen Schwarz erfüllt.

Ich brauchte einige Sekunden, um mich an die plötzliche Dunkelheit zu gewöhnen, und kaum, dass ich wieder die Umrisse um mich herum erkennen konnte, hörte ich auch schon ein Rascheln der Decke neben mir, dicht gefolgt von einem leisen Klick.

Die kleine Lampe auf dem Nachtisch auf Maes Seite des Betts leuchtete nun und tauchte Mae, die nun wieder neben mir im Bett saß, in ein warmes Licht.
Sie legte sich zurück neben mich.

„Besser?"

Ich nickte zaghaft.

Das schwache Licht der Nachtischlampe kleidete den Großteil des Zimmers zwar in schwache Schatten, bahnte sich jedoch trotzdem irgendwie den Weg in Maes Augen und ließen sie überirdisch schön glänzen.

Das Grün sah aus wie die dichten Kronen der Bäume im Wald, die einen schmalen Pfad säumten, und durch deren Geäst das goldene Licht der untergehenden Sonne brach.

„Du fängst mit deinem Teil der Abmachung an", entschied sie, doch ich schüttelte vehement den Kopf.

„Nein. Vergiss es. Auf keinen Fall. Du hast versprochen, wir unterhalten uns über das und das machen wir jetzt auch."

„Ich habe gesagt, ich beantworte deine Fragen."

„Was auch immer."

„Dann frag."

Ich hielt inne. Wie sollte ich aus dem allen eine Frage formulieren?

„Was ist das?", versuchte ich es, doch Mae schüttelte den Kopf. „Woher soll ich wissen, was du mit ‚das' meinst, hm?"

Ich starrte sie wütend an. „Du weißt genau was ich meine."

Sie schwieg.

„Zwingst du mich, zu fragen, damit du es nicht zuerst aussprechen musst? Damit ich zuerst was sagen muss und du dann schon weißt, was ich denke?"

Es war eher eine rhetorische Frage, doch Mae nickte. „Ja, das ist ziemlich genau das, was ich vorhabe."

Ich versuchte, mich von ihrer Offenheit nicht aus der Bahn werfen zu lassen.

Könnte ich sie fragen, ob sie irgendwas für mich empfand?
Könnte ich nicht. Denn wenn sie es verneinen würde, müsste ich erklären, wie ich auf die Frage kam und die einzigen zwei Optionen wären, ihr meine dann unerwiderten Gefühle zu gestehen oder zu behaupten, es hätte so gewirkt, als ob sie es täte. Und ich war mir ziemlich sicher, dass es meinem Ruf als homophobes Mädchen nicht unbedingt Abhilfe leisten würde, wenn ich direkt davon ausging, dass sie auf mich steht.

„Was meintest du damals mit „Versprich es mir"?" Mir fiel zu spät auf, dass damals wohl eher nicht das richtige Wort war, da das Ganze gerade mal einige Stunden her war.

Sie seufzte leise. „Als wir das erste Mal hier im Zimmer waren?"

Ich nickte. „Nach dem Blickkontakt."

„Ich wollte, dass du mir versprichst, Nick nicht wehzutun."

Oh fuck. Würde ich dieses Versprechen halten können? Ich wollte, ich wollte wirklich.
Ich würde alles daran setzten, dass ich es schaffte.

„Warum fürchtest du, dass ich Nick wehtun könnte?"

„Du bist seine erste Freundin und die Gefahr besteht immer." Sie wich der Frage aus. Erneut.

„Warum fürchtest du wirklich, dass ich Nick wehtun könnte?"

Sie drehte sich wieder auf den Rücken, sodass sie nun die Decke betrachtete.
Einige Sekunden blieb sie so liegen, bevor sie sich wieder mir zuwandte. Sie sah mir tief in die Augen und plötzlich erschien die Chance, mein Herz könnte mir aus der Brust springen, noch unwahrscheinlicher.

Ich zählte die Sekunden, bevor sie endlich antwortete.

„Weil ich denke, dass du vielleicht doch nicht ganz so straight sein könntest, wie du behauptest."

Oh.

Oh Scheiße.

Oh verdammte Scheiße.

Naja, auf der anderen Seite können bestimmt auch nicht viele Menschen von sich behaupten, genau zu wissen, wie viele Wörter es benötigte, um ihnen das Gefühl zu geben, nichts um sie herum würde gerade wirklich passieren.
Ich wusste es jetzt. Es brauchte genau sechzehn.

„Du meinst, du denkst ..."

„Ja."

Ich traute mich nicht, den Blickkontakt zu brechen, nur um zu blinzeln.

„Frag mich nicht, was genau", fuhr sie fort. „Bi, pan, gay, was auch immer."

„Aber ist das nicht wichtig?", unterbrach ich sie.

„Warum? Wieso denkst du, es wäre wichtig, ein Wort dafür zu haben?"

Ich schüttelte den Kopf. „Es geht mir nicht ums Labeln, Mae. Es geht mir um Nick."

Sie zögerte. Sie dachte nach.

„Du denkst wirklich, es könnte zwischen euch etwas Echtes entstehen?"

„Ja!"

Nein! Ich war so ein Lügner.

Sie schien es zu bemerken. „Wirklich?"

Nun war ich diejenige, die zögerte.
„Nein", gestand ich leise. „Woran hast du es bemerkt?"

Sie sah mich lange an. Dann deutete sie mit ihrem Zeigefinger erst auf sich und dann auf mich. „Hieran."

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