Der Tragödie fünfzigster Teil
„Doch."
Ich starrte sie ungläubig an. „Wie bitte?"
Malins Stimme klang genauso desinteressiert wie immer. „Doch, du kommst mit."
Ich sah sie entrüstet an. „Das habe ja wohl immer noch ich zu entscheiden!"
Ihr linkes Auge zuckte kurz. Vielleicht war ich einer der Gründe, warum sie sagt, dass sie Menschen hasst.
„Du stehst auf der Liste von Teammitgliedern, weil Bea dich schon eingetragen hatte. Damit darfst du laut den Regeln für Tarek einspringen. Ich mag dich nicht, aber du bist besser als Sybille Lennard." Sie unterbrach ihre Rede, um mir einen finsteren Blick zuzuwerfen. „Und außerdem habe ich ganz bestimmt nicht meinen Samstagabend geopfert, nur damit du mich dann abblitzen lässt."
Ich zögerte. „Warst du überhaupt eingeladen?" Für einen kurzen Moment befürchtete ich, dass sich jetzt auch noch rausstellte, dass sie mit Louis verwandt ist.
Aber Malin schüttelte den Kopf. „Naja, nein. Aber wer will mich daran hindern zu kommen? Hier kennt doch eh niemand wen."
Auf einmal sah ich eine grüne Strähne in dem Meer aus Köpfen aufblitzen. Mae.
Aber Malin stand mir immer noch im Weg und der entschlossene Ausdruck auf ihrem Gesicht machte mir wenig Hoffnung, dass sich das bald ändern würde.
„Okay", entschied ich kurzerhand. „Ich komme mit."
Ihre Miene hellte sich schlagartig auf. „Gut."
Innerlich verfluchte ich mich dafür, dass ich gerade so ein Versprechen gegeben habe, nur um meine Chance zu erhöhen, Mae, und Nick natürlich, einzuholen.
„Super, bye", ich schob mich an ihr vorbei und ließ sie einfach in dem Gedränge stehen. Gottseidank versuchte sie mich nicht daran zu hindern.
Ich schob mich mit dermaßen viel Körpereinsatz durch die Menge an Feiernden, dass es mich wunderte, dass kein Talentscout auftauchte, um mich für die nächste Rugby-WM anzuheuern.
Und dann sah ich sie tatsächlich: Mae und Nick, die abseits von der Menge im Schatten einer Gartenhütte standen. Alles in mir drängte mich dazu, einfach von hier abzuhauen, aber ich musste etwas sagen. Ich musste mich entschuldigen.
Also zwang ich mich, auf sie zuzugehen.
Mae bemerkte mich ein paar Meter bevor ich neben ihnen angekommen wäre und funkelte mich wütend an. „Tammy, verpiss dich."
Naja, und was soll ich sagen: Das war der Moment, in dem mir klar wurde, dass ich nicht die Protagonistin dieser Geschichte bin, sondern der Antagonist. Es war nicht meine Story, sondern Nicks. Nick, der eine Scheinbeziehung mit jemandem angefangen hatte, um sich dann wirklich in sie zu verlieben. Nick, der dachte, er wäre der, der sie als einziger versteht. Nicht sie. Mich.
Ich hätte am liebsten angefangen zu weinen. Nicht, weil Mae mich so anfuhr, sondern weil ich wusste, dass sie es zu recht tat. Ich hatte ihren Bruder benutzt und dann via Textnachricht abserviert, weil ich beschlossen hatte, das wäre okay, wenn ich stattdessen beliebt werden würde. Eine Überlegung, die einfach nur hirntot ist.
„Es tut mir leid", sagte ich und es war mir egal, wie heiser meine Stimme dabei klang. „Es tut mir alles so verdammt leid."
Ich sah zu Nick und seine Augen sahen so verdammt müde aus. „Mir auch."
Ich schüttelte den Kopf. „Nein", sagte ich. „Nein, sag das nicht."
„Tammy, ich habe auch anfangs ..."
Ich ließ ihn den Satz nicht beenden. „Ich weiß, aber du hast das ganze Fake-Dating-Zeug richtig gemacht im Gegensatz zu mir. Die ganzen Filme – andauernd tauchen irgendwo Scheinbeziehungen auf, aus denen sich dann richtige entwickeln. Das hast du gemacht, machen wollen. Ich hab's verkackt."
Ein winziges Lächeln schien über seine Lippen zu huschen. „Ich schätze, letztendlich kann niemand was für seine Gefühle. Aber du hättest es mir einfach direkt sagen sollen, als du Mae begegnet bist."
Ich nickte. „Ja. Ich weiß. Es tut mir leid."
„Ihr schwört, dass ihr nie ... ?"
Ich nickte wieder. „Ich schwöre. Auch wenn ich lügen würde, wenn ich sagen würde, dass ich es mir nicht gewünscht habe." Ich stockte kurz. „Und wir haben nebeneinander geschlafen."
Nahe nebeneinander.
Nick sah mich für einen Moment schweigend an. „Yeah. Keine Ahnung. Ich denke, ich werde irgendwie damit klarkommen."
Ich sah zu ihm hoch. „Nick, du bist toll. Wirklich. Ich habe mir so häufig gewünscht, ich könnte deine Gefühle erwidern. Du wirst ein wirklich wirklich guter Freund sein. Für ein Mädchen das es verdient. Du wirst eine Freundin finden, eine richtige. Ich weiß das und Mae weiß das auch. Alle wissen das."
Er zuckte mit den Schultern. „Vielleicht bin ich einfach nicht für Beziehungen gemacht."
Ich schüttelte energisch den Kopf. „Wenn jemand für Beziehungen gemacht ist, dann du. Ich werde dich allen meinen Freundinnen empfehlen." Ich erwähnte nicht, dass ich nur drei Freundinnen hatte, von der eine ihn bereits abgewiesen hatte und eine andere seine Schwester ist. Und ich Mae genaugenommen wohl eindeutig nicht mehr zu meinen Freunden zählen konnte. Zwei Freundinnen. „Du wirst ein Mädchen finden!"
„Oder einen Jungen", sagte er. Ich sah ihn überrascht an. „Was?"
Er lachte leise. „Das war ein Witz."
„Ähm", sagte ich. „Okay."
„Zu früh?"
„Vielleicht. Keine Ahnung."
Dann zog er mich in eine Umarmung. Ich ließ es zu. Ich liebte Nick, wenn auch nur auf eine platonische Art und zum ersten Mal konnte ich seine Nähe genießen, ohne dass irgendwelche Lügen und Schauspielereinen zwischen uns standen.
Während wir so dastanden, neben einem Holzschuppen in dem Garten eines Jungens, den wir beide fast überhaupt nicht kannten, und dem Gewirr aus Stimmen der anderen Partygäste und der wirklich schrecklichen Ballermann Hits im Hintergrund lauschten, betrachtete ich den Sternenhimmel über uns. Nicht, dass man bereits viele Sterne sehen könnte, denn die Dämmerung hatte gerade erst angefangen, aber die, die ich sah, waren wunderschön.
Ich liebe Sterne, denn sie sind einer der wenigen Dinge, die wirklich frei zu sein scheinen. Frei, wie das Gefühl, sich endlich von den Lügen befreit zu haben, die man schon so lange mit sich rumgeschleppt hat.
Ja, ich liebe die Sterne.
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