Der Tragödie fünfundvierzigster Teil
Es war Samstag. Der Samstag, an dem ich zu der Hausparty von Louis, meinem ehemaligen Mitschüler, eingeladen war.
Ich musste zugeben, dass die vergangene Woche weniger schlimm gewesen ist als erwartet. Tatsächlich schien es am Dienstag niemanden mehr groß zu interessieren, dass ich knapp fünfzig Zentimeter meiner Haare verloren hatte.
Eventuell bin ich aber auch einfach nicht interessant genug, als dass ich zweimal hintereinander das Hauptthema in unserem Jahrgang sein kann.
Nun war es also Samstag und ich saß angespannt auf einer Bank mitten im nirgendwo.
Der Grund dafür war, dass ich zwar eine Einladung und sogar eine Adresse bekommen hatte, mir jedoch keine Uhrzeit genannt worden war, zu der ich erschienen sollte. In meinem neuen Ziel, endlich cool zu werden hatte ich selbstverständlich nicht nachgefragt, denn ich mir war die Möglichkeit, dass es normal war, keinen genauen Termin zu haben, für nicht ganz ausgeschlossen erschienen.
Ich hatte dann eine Zeit lang überlegt, was wohl eine angemessene Zeit wäre, um bei Louis aufzukreuzen und habe mich letztendlich dafür entschieden, dass halb sieben wohl eine angebrachte Zeit wäre, eine Party zu starten.
Tja, ich war gerade gefühlt zehn Minuten mit dem Bus gefahren, als mein Handy vibrierte und ich eine Nachricht von Juni erhalten habe.
Soll ich dich nachher mitnehmen?
Nachher.
Nachher.
Verdammt.
Tja, wie jeder normale Mensch bin ich erstmal in Panik ausgebrochen, um dann an der nächsten Haltestelle auszustiegen.
Und was soll ich sagen – das ist, wie sich herausgestellt hat, vermutlich nicht meine klügste Idee gewesen, denn nun saß ich bereits seit fünfundvierzig Minuten auf dieser verdammten Bank an der Bushaltestelle und wartete darauf, dass endlich ein Bus kam, der in meine Richtung fährt.
Irgendein Mitglied unserer Gesellschaft hatte nämlich anscheinend beschlossen, dass es doch voll die absolut nicht asshole-like Idee wäre, das Schild, auf dem die Fahrzeiten des Busses stehen, mit Graffiti zu übersprühen.
Mir tuen wirklich die Leute leid, deren Rente von uns abhängt.
Ich hatte Juni getexted und ihr gesagt, dass ich vorher noch wohin müsste und dass ich darum von da aus direkt zu Louis fahren würde.
Dass ich damit meine „keine weiteren Lügen"-Regel gebrochen hatte, war mir selbst klar, aber wie bitte schön sollte ich es schaffen, als cool durchzugehen, wenn ich nicht mal wusste, um wie viel Uhr man auf einer Party erscheinen sollte?
Ich hatte mich wie eine richtig Schlaue gefühlt, als ich Juni direkt gefragt habe, wann sie ungefähr da sein würde, doch dieses Gefühl ist nicht länger existent, denn sie meinte „vermutlich irgendwann gegen sieben" und es war mittlerweile schon fast zehn nach sieben und ich saß immer noch auf dieser hässlichen Holzbank.
Okay, es ist vermutlich nicht fair, eine unschuldige Bank zu beleidigen, aber ich muss einfach mal meinen Frust rauslassen.
Ich zog mein Handy aus der Tasche und öffnete Candy Crush.
Irgendwann hatte ich mal gelesen, dass es angeblich sehr schwer sein soll, zu beschreiben, wie sich Warten anfühlt und in Anbetracht dessen, dass ich nun mal nicht meinem sexy Vampir-Boyfriend hinterhertrauere, sondern einem Bus, kann ich leider auch nicht einfach ein paar Monate aufzählen, also werde ich gar nicht erst versuchen, die Tortur meines Wartens zu beschreiben.
Nach weiteren fünfzehn Minuten kam endlich ein Bus aus der Richtung, aus der auch ich ursprünglich gekommen war. Verzweifelt genug stieg ich ein, ohne zu fragen, wohin der Bus fährt.
Okay, eventuell lag das auch vor allem daran, dass ich a mir überlegt hatte, dass es logisch wäre, wenn der Bus im Ein-Stunden-Takt fahren würde und b ich mir zwar nicht hundertprozentig sicher war, aber es zumindest nicht für unwahrscheinlich hielt, dass der Busfahrer derselbe wie vorhin war und er mich wahrscheinlich schon für durchgeknallt genug hielt, da ich eine geschlagene Stunde an einer Bushaltestelle gewartet hatte, nur um dann einfach weiterzufahren.
Mein Blick wanderte durch den spärlich besetzen Bus und blieb an dem Bildschirm hängen, der die nächsten paar Stationen anzeigte.
Und wie aus dem Nichts überkam mich eine Erleuchtung. Die Erleuchtung, wie sich Boxer oder irgendwelche Aktionhelden oder Gangsterbosse fühlen müssen, wenn sie so richtig einen in die Fresse bekommen.
Naja, das ist selbstverständlich symbolisch gemeint, denn ich bezweifle schon etwas, dass die freundlich aussehende Großmutter in der Sitzreihe hinter mir vorhat, mir in naher Zukunft die Nase zu brechen, aber trotzdem.
Denn mein Schlag in die Fresse war der Anblick der Anzeigetafel, die in weißen Blockbuchstaben verkündete, dass die Haltestation in der Nähe von Louis Haus gerade mal fünf Minuten von hier entfernt lag.
Ich hätte. Problemlos. Laufen können. Anstatt. Eine ganze fucking Stunde. Wie irgendein Idiot. Auf einer scheiß Bank. An einer Bushaltestelle zu warten.
Ich musste den Drang unterdrücken, meinen Kopf gegen die Fensterscheibe zu hämmern. Ein einziger Blick auf Google Maps hätte genügt. Ein einziger Blick.
Ich stand kurz davor, einfach loszuheulen, doch in Anbetracht dessen, dass ich mir nach stundenlangem Üben die Fähigkeit des Maskaraauftragens beigebracht hatte, wäre es vermutlich nicht die genialste Idee gewesen, das jetzt alles zu ruinieren.
Cool sein zu wollen ist scheiße, und zwar in jeder Hinsicht.
Natürlich abgesehen von der Hinsicht, dass es mirmöglich machte, Mae und Nick aus dem Weg zu gehen.
Verdammter Tristan mit seinenverdammten Gerüchten.
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