Der Tragödie dritter Teil

Den Freitag verbrachte ich dann letztendlich damit, ein mikroskopisch kleines Stück in meiner Deutschanalyse voranzukommen und einen mäßig interessanten Film auf Netflix anzuschauen, und nicht damit, mich zu betrinken, was dazu führte, dass ich den Samstagmorgen nicht verkatert im Bett, sondern am Frühstückstisch mit meiner Familie verbrachte.

Während ich einfach nur mein Brötchen essen wollte, veranstalteten die Zwillinge auf der anderen Seite des Tisches eine Essensschlacht. Eigentlich hätte ich sie davon abhalten sollen, da Dad auf einer Fortbildung war und ich somit die Älteste im Haus, aber solange sie nicht die Küche versauten, war mir eigentlich recht egal, ob das Frühstück in ihren Mündern oder in ihren Haaren landete.

Mein Vater war Professor an der örtlichen Universität und so war es nichts Ungewöhnliches, dass er manche Samstage nicht da war, da er irgendwelche Vorlesungen besuchte, um noch ein bisschen besser in dem zu werden, was er tagtäglich anderen beibrachte.

Über meine Mutter weiß ich nicht viel, außer den Dingen, die sie in den Briefen schrieb, die sie uns zu Weihnachten und an unseren Geburtstagen schickte. Sie war, kurz nachdem die Zwillinge auf die Welt gekommen waren, nach Amerika ausgewandert, um dort den Traum, eine große Schauspielerin zu werden, zu verfolgen.

Meine Eltern sind zusammen zur Schule gegangen und Dad erzählt immer, dass sie damals vernarrt in die Fächer Geschichte und Latein gewesen wäre und ein komplett anderer Mensch, als sie heute ist. Manchmal wünschte ich mir, ich hätte sie damals kennenlernen können, als sie noch der Nerd mit der Zahnspange war und nicht die Frau, die ihre Familie sitzen lässt, um Schauspielerin zu werden.

Das Einzige, das mir von ihr bleibt, sind die weiß-blonden Haare und der komische Name.

Dad sagt immer, sie hätte alle unsere Namen ausgesucht. Themis, Atticus und Ismene – der letzte Beweis, dass sie wirklich einmal die Frau war, von der Dad uns immer erzählt.

Marmelade landete auf der Deckenlampe und schimmerte, von dem Licht angestrahlt, rot leuchtend.

„At, Issy, es reicht", fuhr ich die beiden an. „Macht das sauber, klar?"

Die Zwillinge kicherten und Atticus griff nach der Küchenrolle, um den Fleck abzuwischen, wobei er ihn jedoch nur noch mehr verschmierte.

„Du solltest dich mal locker machen", Issy pustete sich eine straßenköterblonde Strähne aus der Stirn, die sich aus ihrem unordentlichen Pferdeschwanz gelöst hatte. Im Gegensatz zu mir waren die beiden mehr nach Dad gekommen und hatten nicht nur seine Haare, sondern auch die dunkelbraunen Augen geerbt.

„Ernsthaft mal, du musst echt mal relaxen, Tammy. Und irgendwas machen oder so", stimmte Atticus zu und seine Zwillingsschwester nickte eifrig. Ich verdrehte die Augen, aber vermutlich hatten sie sogar recht. Ich konnte mich nicht mehr daran erinnern, wann ich mich das letzte Mal mit irgendwem getroffen hatte, geschweige denn etwas unternommen habe.

Tristans Einladung schob sich mir wieder in den Kopf, doch ich verbannte sie augenblicklich aus meinen Gedanken. Lieber verbrachte ich den ganzen Tag damit, Erdbeermarmelade wegzuschrubben, als mich mit Tristan und seinen Freunden zu treffen. Außerdem war das vermutlich sowieso nur ein Witz gewesen, denn mir erschloss sich wirklich kein Grund, wieso sich die coolen Leute plötzlich für mich interessieren sollten. Ich meine, so etwas passiert schließlich nur in realitätsfernen High-School-Filmen.


Nachdem wir zu Ende gegessen hatten, räumte ich die Teller in die Spülmaschine und machte mich dann auf den Weg zurück in mein Zimmer, wo ich mich aufs Bett fallen ließ und die Decke anstarrte.

Hatten die Zwillinge recht und ich musste mal wieder anfangen, mit der Welt außerhalb meiner vier Wände zu interagieren?
Ich meine, es ist nicht so, als würde ich keine Freunde haben. Wir haben uns in letzter Zeit einfach ... etwas auseinandergelebt, aber ich bin mir sicher, wenn ich sie fragen würde, würden sie sich sofort mit mir treffen.

Ich spielte mit dem Gedanken, tatsächlich Juni und Maxine anschreiben und öffnete sogar bereits die Messenger-Funktion auf meinem Handy. Das letzte Mal, dass ich mit den beiden geschrieben hatte, ist über zwei Wochen her und das war auch nur wegen eines Schulprojektes gewesen, für das ich ein paar Leute interviewen musste.
Ich bemerkte, dass mir etwas Blut ins Gesicht schoss. Ich musste die zwei wirklich mal wieder anschreiben.

Ich überlegte gerade, wie genau ich meine Nachricht formulieren wollte, als eine Benachrichtigung aufpoppte, dass ich eine neue Nachricht von einer unbekannten Nummer hatte. Sie bestand nur aus vier Wörtern und so konnte ich sie komplett in der Vorschau lesen, ohne sie aufrufen zu müssen.

Mein Angebot steht noch.

Wir hatten zwar eine Stufengruppe, in der fast der gesamte Jahrgang war, ich hatte mir jedoch nie die Mühe gemacht, alle einzuspeichern. Trotzdem war es offensichtlich, von wem die Nachricht kommen musste, so viele Angebote hatte ich in letzter Zeit ja schließlich nicht bekommen.

Ich zögerte kurz, rief sie dann jedoch trotzdem auf. Tristans Profilbild zeigte ihn selbst, breit grinsend und mit Sonnenbrille auf einem Boot.
Eigentlich glaubte ich nicht an Schicksal, aber meine Neugierde drängte mich dazu, die Einladung anzunehmen. Wollte ich mir wirklich die vielleicht einzige Chance auf eine echte Party zu gehen entgehen lassen? Und was war schon das schlimmste, was passieren konnte?

Ich beschloss, dass Juni und Maxine auch noch einen Tag länger warten konnten und schickte stattdessen eine Nachricht an Tristan.

Bin dabei. Wie lautet die Adresse?

Es dauerte keine zwei Sekunden, bis er online kam und nur zwei weitere, bis er mir ein grinsendes Emoji schickte, zusammen mit seiner Adresse.

Jetzt war es wohl offiziell: Ich würde zu Tristan Steiner nachhause gehen, um an einer richtigen Party teilzunehmen.

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