5. Kapitel

Kapitel 5

! Triggerwarnung: starke häusliche Gewalt!

//...Es tut so weh...mein gesamter Oberkörper schmerzt.
Meine Oberschenkel schmerzen wegen mir selbst... einfach alles tut so weh, aber hätte ich mich nicht eingemischt, wäre meine Mom wahrscheinlich gestorben...gerade liegt sie wieder im Krankenhaus.
Dort ist sie wenigstens sicher vor ihm...
Anders als ich.
Nun wird er seine gesamte Wut mir übertragen, aber damit komme ich klar.
Ich komme klar damit das er mir weh tut.
Ich bin es gewohnt...
Aber wünschte ich mir wirklich er würde sterben...
Ich ertrage diese pure Hölle nicht mehr.
Ich ertrage es nicht mehr und Mom noch weniger...
Innerlich ist sie schon so Tod wie ich...
Eigentlich haben wir beide keinen Grund mehr länger zu leben.
Wieso also sterben wir nicht einfach bei einem seiner Wutanfälle?
Wieso hört er kurz vorher immer wieder auf?
Ich will das alles nicht mehr...
Ich will das nicht mehr...
Wäre ich gestern nicht aus dem Haus abgehauen, dann hätte ich Minho auch nicht getroffen und.. und er hätte mich nicht so gesehen.
So kaputt...
Ich hatte mich nicht mehr unter Kontrolle und...oh Gott...Ich kann das alles nicht mehr Tagebuch...
Wie lange soll ich noch stark sein müssen?
Ich weiß...ich könnte es jemandem erzählen, aber das macht mein Ego nicht mit...und meine Angst erst Recht nicht.
Mein Kopf sagt mir, das ich dies allein schaffen muss, weil es sowieso nichts ändern würde...
Wieso bin ich nur so?
Wieso...Wieso muss ich so ein Leben haben? Warum möchte ich nichts lieber als ihn zu töten? Ist das nicht auch Notwehr wenn ich dies tun würde? Wäre das rechtlich gesehen nicht sogar nicht strafbar? Oh Gott, du hast ja keine Ahnung wie oft ich ihn in meinem Kopf schon umgebracht habe und doch konnte ich es noch nie in echt tun. Warum bin ich nur so feige? Wieso bin ich nur so ein Weichei? Weshalb bemitleide ich mich eigentlich selbst so sehr? Wa...//

Bevor Jisung weiter schreiben kann, hört er seinen Vater nach Hause kommen, weshalb er sein Tagebuch, schnell in sein Rucksack schmeißt, diesen unter sein Bett legt.
So schnell war noch nicht einmal Speedy Gonzales.
Er atmet tief durch, spürt wie er am gesamten Körper zittert und die Angst welche ihm überkommt.

Er hat so große Angst vor seinem eigenen Erzeuger.
Wie viele Menschen haben das schon?
Okay, das war eine rhetorische Frage...viel zu viele Menschen müssen mit häuslicher Gewalt leben und sprechen nicht darüber, weil sie sich schämen.
Weil sie Angst haben.
So wie Yehoo und Jisung selbst..
Wer würde auch glauben das ein Polizist seine Familie fast täglich verprügelt, weil er mit dem Alkohol und seiner Wut nicht klar kommt?

Genau.
Niemand.

Niemand würde glauben das ein Polizist so etwas tun würde.
Das ist das Problem.
Dazu ignorieren die Menschen im Umfeld die ganzen Anzeichen, die Symptome und sagen dann am Ende erst, das sie etwas hätten machen sollen.
Ja was denn?
Die Polizei rufen?
Diese würden niemals einen Kollegen verhaften.
Das würde diese Menschen zu Mobbingopfern machen.
Vor allem wenn man jemanden verhaftet, welcher schon seit zwanzig Jahren bei der Polizei arbeitet.

Doch zu Jisung seinem Glück, geht Hajun sofort ins Schlafzimmer, knallt die Tür zu.
Etwas was den sechszehnjährigen etwas aufatmen lässt, aber noch ist der Tag lang.

Wie sehr der das Wochenende doch hasst.
Dort hat er keinen Rückzugsort, wie von Montag bis Freitag.

Seufzend lehnt er sich zurück, schaut auf seine Oberschenkel, welche nicht bedeckt sind, da er nur Boxershorts trägt.
Schließlich musste er jede einzelne Verletzung, irgendwie selbstständig versorgen.

Etwas was verdammt anstrengend gewesen ist.
Doch hat er jetzt kurz Ruhe.
Auch möchte er gar nicht wissen, wie schlimm er in Wirklichkeit ausschaut.
Guckt sich schon ewig nicht mehr in den Spiegel.
Er vermeidet jede Art davon.
Wenn er sich in den Spiegel schaut, schämt er sich nur noch mehr.

Immer noch leicht zitternd streicht er über seine frischen Wunden.
Irgendwie musste er seine Wut ja wegbekommen und darin sieht er seinen einzigen Ausweg.
Seinem Erzeuger etwas an zu tun traut er sich ja leider Gottes nicht.

Während Jisung weiterhin seine winden mustert liegt Hajun im Schlafzimmer, die Stirn in Falten, während sein Atem schwer und unregelmäßig ist.

Der Tag war für ihn ein einziger Albtraum gewesen, wie so oft in letzter Zeit.

Der Alkohol hat die Kontrolle über ihn übernommen, aber das würde er sich niemals eingestehen.
Stattdessen spürt er, wie die Wut in ihm brodelt – sie wächst in seiner Brust, breitet sich in seinen Adern aus, heiß und unkontrollierbar.

Jeder kleine Gedanke, jede Erinnerung an den Tag und an die Versäumnisse in seinem Leben nährt das Feuer, das in ihm lodert.

Ein leises Geräusch aus dem Nebenraum– das Rascheln von Kleidung oder vielleicht nur ein leises Kratzen – erreicht sein Gehör.
Sofort richtet sich seine Aufmerksamkeit auf die Quelle des Geräuschs.
Er weiß, dass Jisung im Zimmer nebenan ist, und allein der Gedanke an seinen Sohn lässt ihn schnauben.

"Dieser kleine Mistkerl", murmelt Hajun leise und drückt seine Hände in die Matratze, als könnte er sie zerreißen.

Er braucht ein Ventil für seine Frustration.
Die Wut, die sich in ihm aufbaut, sucht verzweifelt nach einem Ziel, und Jisung ist immer da.
Immer greifbar.
Immer schuldig – in seinen Augen zumindest.
Es dauert nur wenige Sekunden, bis er sich aus dem Bett aufrichtet, auf die Füße springt und die Tür mit einem lauten Knall aufreißt.

Jisung, der in seinem Zimmer sitzt, starrt schockiert zur Tür.
Er hat gehofft, dass sein Vater im Schlafzimmer bleibt, wie er es manchmal tut, wenn er zu müde oder zu betrunken ist, um noch einmal aufzustehen.
Aber dieses Mal ist es anders. Dieses Mal spürt Jisung, wie die Wut seines Vaters den Flur entlang schwappt wie ein Sturm, der droht, über ihn hereinzuprasseln. Er weiß, dass es keinen Ausweg gibt.

Sein Atem stockt, als Hajun in seinem Türrahmen steht, die Augen blutunterlaufen, die Kiefer so fest zusammengepresst, dass die Adern an seinem Hals hervortreten.

"Was tust du da?", zischt Hajun, obwohl er genau weiß, dass Jisung nichts Ungewöhnliches tut.
Es ist nicht die Handlung, die ihn wütend macht.
Es ist einfach die Tatsache, dass Jisung existiert.
Dass er da ist.
Dass er immer wieder das perfekte Ziel für seine Wut abgibt.

Jisung wagt es nicht zu antworten.
Er weiß, dass jedes Wort, das aus seinem Mund kommt, die Situation nur verschlimmern wird.
Also schweigt er, seine Hände verkrampft in seinen Boxershorts, sein Körper noch immer von den letzten Auseinandersetzungen gezeichnet.

"Du antwortest mir nicht?"
Hajun tritt einen Schritt vor, seine Stimme gefährlich leise. "Du denkst, du kannst mich einfach ignorieren?'

"N-nein…", flüstert Jisung schließlich, obwohl er weiß, dass es keinen Unterschied machen wird.
Er würde sowieso wieder verprügelt werden.
So wie eigentlich immer.
Was also macht es einen Unterschied ob er spricht oder nicht?
Gar keinen.
Am Ende des Tages passiert eh dasselbe.

Hajun lacht hart und trocken, bevor er einen weiteren Schritt nach vorne macht.
"Nein?", wiederholt er höhnisch.
"Was heißt das, mhm? Bist du zu dumm, um zu antworten, oder zu feige? Hm? Was ist es?"

Jisung senkt den Kopf, um den Blick seines Vaters zu vermeiden, aber das macht die Situation nur schlimmer. Ein Zornesblitz schießt durch Hajuns Augen, und er packt Jisung ohne Vorwarnung am Handgelenk, zieht ihn grob von seinem Bett hoch.

Jisung keucht auf, als der Schmerz durch seinen Arm schießt, aber er sagt nichts. Es gibt keinen Grund, sich zu wehren. Das hat er längst gelernt.

"Schau mich an, wenn ich mit dir rede!", brüllt Hajun und schleudert Jisung gegen die Wand.
Der sechzehnjährige taumelt, versucht das Gleichgewicht zu halten, aber seine Beine fühlen sich schwach an.
Er landet hart auf dem Boden, sein Rücken gegen die kalte Wand gepresst. Sein ganzer Körper zittert nun unkontrolliert, aber er zwingt sich, nicht zu weinen.
Er weiß, dass Tränen nur mehr Wut hervorrufen würden...genauso wie eigentlich alles andere auch.
Es ist schon falsch das er noch am atmen ist.
Das macht seinen Erzeuger nur noch wütender.
In seinen Augen hätte Jisung nie existieren dürfen.
Er wollte nie zwei Kinder, vor allem keinen Waschlappen wie Jisung einer ist.

Hajun beugt sich über ihn, seine große Gestalt wirft einen dunklen Schatten auf Jisung. "Du bist so nutzlos", knurrt er. "So ein erbärmlicher kleiner Wicht. Glaubst du, du kannst vor mir wegrennen? Glaubst du, du kannst dich verstecken?"

Mit jeder Frage schlägt Hajun zu – erst mit der flachen Hand, dann mit der Faust.
Jisung spürt den Aufprall auf seiner Wange, auf seiner Brust, auf seinen Armen, die er instinktiv hebt, um sich zu schützen.
Der Schmerz breitet sich in seinem Körper aus, aber es ist ein vertrauter Schmerz.
Einer, den er ertragen kann. Einer, den er aushalten muss.

So wie so viele Menschen auch...
Er sollte sich also nicht so haben.
Die Gewalt durch häusliche Gewalt ist um dreifache gestiegen in den letzten Jahren.
Wieso also beschwert er sich?
So viele Menschen machen dasselbe durch.
Er muss es nur schaffen zu sterben oder das zu überleben.
Irgendwie.

Er beißt die Zähne zusammen, unterdrückt ein Schluchzen, während Hajun weiter auf ihn einredet, seine Worte voller Gift und Hass.
"Deine Mutter wäre ohne dich besser dran!", schreit er, und Jisung spürt, wie diese Worte tiefer schneiden als jeder Schlag.
Da wird sein Erzeuger wohl Recht haben...
Ohne ihn hätte seine Mom diese Probleme nicht...
Ohne ihn wäre sie besser dran...
Ohne ihn hätte sie vor Jahren komplett fliehen können..
Er ist Schuld...ganz allein er.

"Du machst alles schlimmer! Immer nur du! Alles deine Schuld!"
Jisungs Blick verschwimmt, Tränen sammeln sich in seinen Augen, aber er blinzelt sie hastig weg.
Er darf nicht weinen.
Nicht vor ihm.

"Steh auf!", befiehlt Hajun schließlich und tritt Jisung grob gegen das Schienbein.
Der Schmerz lässt ihn fast aufschreien, aber er bleibt stumm.
Wie immer gehorcht er und versucht, sich hochzudrücken, obwohl sein ganzer Körper schmerzt... obwohl er am liebsten zusammenbrechen möchte.

Als er endlich steht, packt Hajun ihn wieder am Kragen und schiebt ihn gegen die Wand.
"Wenn du dich mir noch einmal widersetzt, wirst du es bereuen, hörst du? Ich lasse mir das nicht bieten!"

Jisung nickt nur hastig, obwohl er kaum noch die Worte seines Vaters verarbeiten kann.
Der Schmerz, die Angst, das Zittern – alles verschmilzt zu einem einzigen Nebel in seinem Kopf.
Er weiß nur, dass er überleben muss. Noch einen Tag, noch eine Nacht. Irgendwie.

Schließlich lässt Hajun ihn los und stößt ihn zurück. Jisung taumelt, aber schafft es, nicht wieder zu Boden zu fallen.
Sein Vater dreht sich um und verlässt das Zimmer, die Tür hinter sich zuschlagend.
Der Schall des Türknalls hallt in Jisungs Kopf nach, während er langsam auf den Boden sinkt, die Arme um sich selbst schlingt und leise, unhörbar weint.

Es ist vorbei. Für heute zumindest.
Für wenigstens ein paar Stunden.
Zitternd und vor Schmerz leidend rollt er sich zusammen, sobald er auf dem Bett liegt.
Sein Rücken schmerzt, sowie sein Gesicht...
Eigentlich schmerzt alles.
Einfach alles und er glaubt das eine oder ein paar mehr Rippen gebrochen sind.
So fühlt es sich jedenfalls beim atmen an.
Aber so kann er auch nicht zum Arzt gehen... nicht mit den ganzen Wunden und riesigen Hämatomen.
Also muss er mit den Schmerzen klar kommen.
Irgendwie.

Zitternd greift Jisung nach seinem Handy, wählt die erste Nummer, welche ihm angezeigt wird.
Eigentlich ist das auch die einzige Nummer, welche er überhaupt eingespeichert hatte.
Neben der seiner Mom und vom Krankenhaus.
Weiß noch nicht einmal ob diese noch funktioniert, aber muss er hier weg...
Doch wohin nur?
Er hat niemanden in seinem Leben.
Absolut niemanden...

Aber er muss hier weg.
Wenigstens für ein paar Tage...sonst würde er definitiv in den nächsten Tagen sterben.
Etwas was er anscheinend doch noch nicht bereit zu erscheinen scheint.
Dafür hat er doch noch einen winzigen Funken von Lebenswillen.

Er hätte nicht gedacht, das er dies doch noch hat...
Erschrocken schreckt er etwas auf, als am anderen Ende des Telefons jemand ran geht.

"Jisung..? Was rufst du mich..? Ich dachte...weinst du? Oh Gott, bist du okay? Wo bist du? Was ist passiert? Wieso weinst du..?"

"Hilf mir...b-bitte...i-ich b-brauche H-Hilfe.."

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