19. Kapitel
Kapitel 19
"Was, wenn unsere Gedanken nicht wirklich unsere eigenen sind? Sondern die von Seelen, die zuvor in unserem Körper waren? Vielleicht sind sie deshalb oft so negativ, weil sie aus Erfahrung sprechen?"
"Felix, ich liebe dich, aber bitte halt deinen süßen Mund."
– Changbin? Was macht Changbin in meinem Himmel? –
Erschöpft versucht Jisung, die Augen zu öffnen. Doch es fühlt sich an, als wären seine Lider aus Blei. Seine Versuche, wach zu werden, scheitern immer wieder, als ob selbst das einfache Öffnen der Augen zu anstrengend wäre. Warum ist alles so schwer? Warum kann er sich nicht bewegen?
Er gibt nicht auf, strengt sich noch einmal an, und wieder fällt alles in Dunkelheit. Der Frust brennt in ihm auf. Er ist so müde… aber da sind Stimmen. Vertraute Stimmen.
''Er sieht so friedlich aus...," sagt eine leise Stimme. Seungmin? Wie kann das sein?
"Anders als die Schnarchmütze neben mir," fährt Seungmin fort.
"Lass ihn bloß schlafen, Seungmin. Ich schwöre, ich bring dich um, wenn du ihn weckst," grummelt Changbin, verschränkt die Arme vor der Brust.
Die letzten Tage hat Minho nicht eine Sekunde die Augen zugemacht.
Umso froher ist er, das der Idiot endlich schläft.
Auch wenn die Position sicherlich nicht die bequemste ist.
Er sitzt auf einem Stuhl, den Kopf auf Jisung sein Krankenbett und schläft.
Der arme Rücken..
Wieso sind die drei hier? Ist das seine Zwischenwelt? Oder… ist er doch nicht gestorben?
Das Piepen von Maschinen dringt an seine Ohren, und plötzlich wird ihm etwas klar: Das hier ist nicht der Himmel.
Er lebt. Sein Versuch… ist gescheitert.
Was kann er eigentlich?
Ein Schwall von Gefühlen erfasst ihn. Nicht einmal das hat er geschafft. Warum kann er nichts richtig machen?
Fuck...
Er wollte doch nur endlich aus dieser Hölle namens Leben fliehen.
Langsam gelingt es ihm, die Augen zu öffnen. Blinzelnd nimmt er die sterile Umgebung eines Krankenhauses wahr. Das grelle Licht brennt in seinen Augen, doch allmählich schärft sich sein Blick.
"Oh Gott, Jisung. Endlich," hört er Felix erleichtert sagen, der sich zu ihm herunterbeugt.
"Ich bin so froh, dass du wach bist. Ich dachte schon, du hättest dich in Aschenputtel verwandelt..und würdest erst in hundert Jahren, durch den wahren Kuss, erwachen."
„Du meinst Dornröschen, Yongbok,“ murmelt Changbin trocken, kann dann aber nicht anders als verliebt zu lächeln.
Sein Freund ist manchmal einfach nur ein Idiot, aber in diesen hat er sich einfach Hals über Kopf verliebt.
"Hab ich doch gesagt!", verteidigt sich Felix schnell und lächelt schwach, sieht dann wieder zu dem Jungen, welcher gerade erst erwacht ist.
"Egal, ich bin einfach froh, dass du wieder da bist.",
Jisung blinzelt noch einmal und versucht, die Worte der beiden zu verarbeiten.
Ein Teil von ihm möchte auf die kleinen Neckereien eingehen, aber es ist zu viel.
Alles ist zu viel.
"Also wirklich Felix, er ist keine zwei Minuten wach. Lass ihn doch erst einmal wach werden.", sagt nun auch Seungmin. "..siehst du nicht wie überfordert er ist?"
"S-Schon o-okay", haucht Jisung, weiß nicht einmal ob das jemand gehört hat.
Aber kann er sich das traurige Gesicht von dem Blondhaarigen nicht geben.
Felix soll nicht traurig sein.
"Ich hol ein Arzt und deine Mom.", sagt nun Changbin, drückt Felix Schulter kurz, eh er das Zimmer verlässt.
Schwach dreht Jisung sein Kopf zu Minho, streicht vorsichtig durch die Haare.
"Er hat dieses Zimmer nicht einmal verlassen.", erklärt Felix leise, mit einem besorgten Unterton.
"Keine Ahnung, was das zwischen ihm und dir ist, Jisung, aber du kannst niemanden gehen lassen, welcher alles für dich tun würde...Er hasst Krankenhäuser und doch ist er hier geblieben."
- Er war die ganze Zeit da?-
"E-Er h-hasst..", weiter kommt er nicht, da sein Hals sich so trocken und doch so zu anfühlt.
Als würde er nicht weiter reden dürfen.
"Das ist etwas was Minho dir selbst erzählen sollte.", sagt Seungmin schnell, bevor Felix weitersprechen kann. "Es ist seine Geschichte.", fügt er hinzu, sieht dabei den Blondhaarigen eindringlich an.
"Wie soll ich hier eigentlich schlafen, wenn ihr alle nicht für eine Sekunde den Mund halten könnt?", fragt Minho, schaut müde hoch.
Seine Augen sind sofort auf Jisung gerichtet. Der Ausdruck in seinem Gesicht wechselt von Erschöpfung zu purer Erleichterung, als er realisiert, dass Jisung wach ist.
"Du siehst scheiße aus", flüstert Jisung schwach und fühlt sofort, wie Minho sich aufrichtet und ihn fassungslos anstarrt.
"Sungie… du bist wach…", Minhos Stimme bricht fast.
Seine Erschöpfung scheint vergessen, als er Jisungs Hand nimmt.
Für einen Moment sind sie einfach nur da, in dieser stillen Verbindung.
Sehen nur sich.
Seungmin und Felix sind absolut vergessen.
Kurz darauf öffnet sich die Tür, und ein Arzt tritt ein. Changbin folgt ihm, und auch Yejoo, Jisungs Mutter, betritt den Raum, ihre Augen voller Sorgen. Der Arzt wirft einen schnellen Blick auf die Monitore, bevor er sich zu Jisung hinunterbeugt.
"Wie fühlst du dich, Jisung?" Seine Stimme ist ruhig, aber professionell, als wolle er Jisung die Möglichkeit geben, sich ohne Druck zu äußern.
Jisung zuckt schwach mit den Schultern. "Müde… und durstig..denke ich", flüstert er.
Der Arzt nickt verstehend und reicht ihm ein Glas Wasser, das er vorsichtig trinkt.
"Du hast viel durchgemacht, Jisung. Es ist gut, dass du wach bist. Aber ich muss ehrlich mit dir sein. Dein Zustand war sehr kritisch. Es wäre beinahe anders ausgegangen...ein paar Minuten oder ein paar Medikamente zu viel und du wärst nicht mehr am Leben."
Jisung spürt, wie sich sein Magen zusammenzieht. Er wollte, dass es anders ausgeht. Er wollte, dass es endet.
Er wollte das alles endlich vorbei ist.
"Ich habe mit deiner Mutter gesprochen", fährt der Arzt fort, "und ich möchte dir dringend eine Therapie empfehlen. Du musst das nicht allein durchstehen. Es gibt Menschen, die dir helfen können, die dir zuhören...Ich weiß, in solchen Momenten sieht man so etwas nie, aber so ist es. Wir haben hier in der Klinik einen guten Therapeuten, wenn du mit ihm reden möchtest, werde ich ihm Bescheid geben und er kommt her."
Jisung starrt auf das weiße Laken des Krankenhausbetts.
Therapie.
Er weiß nicht, ob er das kann, ob er sich öffnen kann. Aber was ist die Alternative? Einfach so weitermachen wie bisher? Der Gedanke daran, dass sich nichts ändert, dass alles genauso bleibt wie vorher, macht ihm mehr Angst als alles andere.
"Denk darüber nach, Jisung", sagt Minho sanft, drückt seine Hand.
Zeigt diesem somit das er nicht allein ist.
"Es ist eine Chance. Niemand erwartet von dir, dass du sofort eine Entscheidung triffst.."
Nachdem der Arzt das Zimmer verlassen hat, tritt Yejoo näher ans Bett.
Etwas was die anderen Jungs dazu veranlasst, das Zimmer zu verlassen.
Die zwei allein zu lassen.
Es ist sicherlich auch das beste.
Das ist etwas was nur die zwei angeht.
Ihre Augen sind gerötet, als hätte sie viel geweint. Sie setzt sich an die Bettkante und nimmt Jisungs Hand in ihre. "Es ist vorbei, Jisung", flüstert sie, ihre Stimme bricht fast.
"Ich habe gestern endlich die Scheidung eingereicht. Du wirst ihn nie wieder sehen müssen. Es wird besser, ich verspreche es dir. Wir beide werden das schaffen. Du musst nie wieder leiden...Wir werden nie wieder wegen ihm leiden."
Ihre Worte sind voller Entschlossenheit, aber auch Trauer.
Jisung sieht in ihre Augen. Ein Teil von ihm will ihr glauben, will hoffen, dass die Dunkelheit irgendwann verblassen wird. Aber tief in ihm spürt er auch, wie groß der Weg vor ihm ist.
"W-Was machen w-wir jetzt? Wo gehen wir hin?", fragt er leise, während sie sanft durch seine Haare streicht.
"Ich werde erst einmal zu Oma ziehen und du kannst mitkommen oder zu Minho in der Zeit ziehen. Solange bis alles geklärt ist...und bevor du fragst, ja er ist einverstanden damit. Es war sogar seine Idee...aber du entscheidest selbst, sobald es soweit ist, ja?", erzählt sie, während Jisung sie nur anschaut.
Alles erst einmal verdauen muss.
"H-Hast d-du ihn angezeigt?", fragt er dann leise, zittert ein wenig.
Weiß gar nicht wieso. "W-Weiß Kihyun davon?"
"Ich habe ihn angezeigt, ja. Er wurde auch in den U-Haft gesteckt. Ich habe ihnen alles erzählt und du wirst auch noch befragt werden...Kihyun hab ich auf den Anrufbeantworter gesprochen, aber er hat noch nicht darauf reagiert. Ich weiß auch nicht ob er sich das anhören wird.", sagt sie, richtet seine Haare vorsichtig.
"Es tut mir so leid.", redet sie dann weiter. "..es tut mir so leid, das ich so lange gebraucht habe. Das mir das hier, erst so wirklich die Augen geöffnet hat. Ich hätte das alles niemals zulassen dürfen. Ich hätte ihn schon verlassen sollen, als er das erste Mal die Hand gegen mich erhoben hat.
Ich.."
"I-Ist okay, Mama.", flüstert er, möchte das alles gar nicht mehr hören.
Gar nicht mehr darüber nachdenken.
Sein Versuch hat nicht geklappt.
Seine Mom reicht die Scheidung ein und hat ihn angezeigt...
Vielleicht war es das Wert.
Vielleicht können sie bald ohne Angst leben?
Jisung schließt kurz die Augen, um all die Gedanken in seinem Kopf zu ordnen, aber die Ruhe will nicht kommen. Zu viel hat sich verändert, zu viel wird sich noch ändern. Sein Herz schlägt schwer in seiner Brust, als ob es die Last dieser neuen Realität kaum tragen kann.
Plötzlich öffnet sich die Tür leise, und Minho tritt ein. Seine Schritte sind fast lautlos, aber Jisung spürt sofort seine Anwesenheit. Er hebt den Kopf, sieht, wie seine Mutter ihm einen flüchtigen Blick zuwirft und dann aufsteht. Sie weiß, dass die beiden jetzt allein sein müssen.
"Ich lass euch mal allein", murmelt Yejoo, streicht noch einmal über Jisungs Hand, bevor sie wortlos aus dem Zimmer verschwindet. Die Tür schließt sich sanft hinter ihr, und es bleibt nur die Stille zurück. Eine Stille, die weder unangenehm noch bedrückend ist.
Minho bleibt vor dem Bett stehen, sein Blick fixiert auf Jisung. Für einen Moment sagt keiner von ihnen etwas. Sie brauchen keine Worte, um zu verstehen, was der andere fühlt. Minho scheint die ganze Schwere in Jisungs Augen zu sehen, ohne dass er sie in Worte fassen muss.
Vorsichtig setzt sich Minho auf die Bettkante und dann, ohne groß zu fragen, legt er sich neben Jisung. Langsam, fast zärtlich, zieht er ihn in seine Arme.
Jisung schmiegt sich an ihn, fühlt die Wärme, die Sicherheit, die von Minho ausgeht. Es ist, als ob Minho der einzige Anker in einem Meer von Unsicherheit ist.
Sie brauchen nicht viele Worte umeinander zu verstehen.
So war es früher schon...so wird es wohl auch auf ewig sein.
Sie liegen eine Weile so da, in stiller Nähe, bevor Jisung endlich leise fragt: "Wieso… wieso bist du geblieben? Du hasst doch Krankenhäuser...laut Felix."
Minho schweigt eine lange Sekunde. Seine Hand gleitet durch Jisungs Haar, sanft, beruhigend, wie um die Worte vorzubereiten, die schwerer sind als alles, was er bisher geteilt hat.
"Es hat mit meiner Mom zu tun", beginnt Minho leise, seine Stimme kaum mehr als ein Flüstern. „Sie hat sich umgebracht, vor zwei Jahren um genau zu sein. Damals… war ich es, der sie gefunden hat. Im Badezimmer."
Seine Stimme bricht kurz, aber er fängt sich schnell wieder, auch wenn Jisung spürt, wie sehr es ihn mitnimmt, das auszusprechen.
Jisung hält den Atem an. Er hat immer gewusst, dass Minho nicht viel über seine Vergangenheit spricht, aber diese Worte treffen ihn wie ein Schlag. Er kann sich die Bilder, die Minho seit so vielen Jahren in sich trägt, kaum vorstellen.
"Ich hab's nie jemandem erzählt. Nicht so. Nicht in dieser Klarheit...außer vielleicht Chan.", Minho zieht ihn fester an sich, als wollte er Jisung beschützen, als ob das Teilen dieser Erinnerung ihn verletzlich macht. "Seitdem hasse ich Krankenhäuser. All die Maschinen, die Geräusche… es erinnert mich einfach an damals...daran das ich sie nicht retten konnte und dann habe ich gehört das du...", er kann den Satz gar nicht beenden, möchte es auch nicht.
Jisung ist am Leben...hier bei ihm und das ist alles was zählt.
Jisungs Herz zieht sich zusammen. Die Stille im Raum ist schwer, gefüllt mit der Wucht von Minhos Geständnis. Vorsichtig legt er seine Hand auf Minhos Brust, spürt den gleichmäßigen, aber irgendwie doch zu schnellen Herzschlag unter seinen Fingern.
"D-Du bist trotzdem geblieben...", flüstert er schließlich, seine Stimme brüchig vor Emotionen.
"Weil du wichtig bist", antwortet Minho sofort, ohne Zögern. "Ich konnte dich nicht allein lassen, Jisung. Nicht nach allem. Es war schwer, hier zu sein, aber die Vorstellung, nicht hier zu sein… war schlimmer. Du bedeutest mir zu viel...Tue mir das bitte nie wieder an.", flüstert Minho, klingt dabei verdammt flehend.
Diese Worte treffen Jisung tief.
Es ist so viel mehr als nur Freundschaft, mehr als nur einfache Fürsorge.
Es ist eine Liebe, die sich durch Schmerz und Dunkelheit kämpft, um Licht zu bringen...etwas was beide einfach noch nicht zu verstehen scheinen.
Was aber auch kein Wunder ist, bei dem ganzen Drama in ihrem Leben.
Jisung hat so etwas wie Liebe kaum zu spüren bekommen durch Han Hajun.
Jisung vergräbt sein Gesicht in Minhos Brust, versucht, die Tränen zurückzuhalten, aber es gelingt ihm nicht. Er hat das Gefühl, all diese Lasten auf sich zu tragen, doch in diesem Moment, mit Minho an seiner Seite, fühlt es sich an, als könnte er sie vielleicht doch teilen.
"Es tut mir so leid, dass du das durchmachen musstest", flüstert Jisung leise, seine Stimme erstickt von den aufsteigenden Tränen.
"Hey…", sagt Minho sanft und hebt Jisungs Kinn, sodass sie sich in die Augen sehen. "Es ist nicht deine Schuld. Manchmal… gibt es Dinge, die einfach passieren. Aber was zählt, ist, wie wir damit umgehen. Und ich werde hier sein, Sungie. Egal was passiert. Du wirst das nicht allein durchstehen...hast du das endlich verstanden? Du wirst mich nie, wirklich nie wieder, los."
- Weil ich dich liebe...Warte was?-
Überrumpelt von seinen eigenen Gedanken, schaut Minho an die Wand, streicht aber weiterhin durch Jisung seine Haare.
Genießt seine Nähe.
Liebt er Jisung wirklich?
Kann man überhaupt jemanden lieben, nach so langer Zeit Kontaktabbruch und dann nur noch das reinste Chaos?
"Er hat uns geschlagen", flüstert Jisung, kann selbst nicht glauben, das er es laut ausgesprochen hat.
Es fühlt sich gar nicht einmal so schwer an... nicht so wie in den ganzen letzten Jahren.
Minho sagt nichts dazu, lässt Jisung einfach die Zeit die er benötigt.
Dieser Satz, diese vier Worte, müssen ihn schon einiges an Kraft gekostet haben.
"Er hat uns schon immer geschlagen. Jedenfalls war es schon vor mir. Er hat Mom und Kihyun immer wieder geschlagen, sobald er wütend oder betrunken war...aber es wurde immer schlimmer. Er hat mich eigentlich auch nie angerührt...erst als Mom versuchte mit uns zu fliehen...da war ich sieben und...und als er uns fand und zurück nach Hause gebracht hat, fing es an.
Er hat angefangen mich erst verbal fertig zu machen und dann hat er mich auch angefangen zu verprügeln. Das erste Mal war ich acht...er hat mich windelblau geprügelt mit einer Buttersocke und...und er hätte Kihyun fast umgebracht. Keine Ahnung, wie oft Mom oder ich dem Tode nahe standen, aber...aber irgendwie haben wir immer wieder alles überlebt...Ich weiß nicht wie...Sie hat aufgehört zu leben, hat es über sich ergehen lassen und ich auch...ich.."
"Ich…", Jisungs Stimme bricht ab, als er die Erinnerung an all die Momente, die er versucht hatte zu verdrängen, wieder an die Oberfläche lässt. Sein Körper zittert leicht in Minhos Armen, und seine Atmung wird unregelmäßig. Minho hält ihn fest, schweigend, doch in seiner Nähe liegt eine stille Ermutigung, die Jisung sagt: *Du bist sicher. Du musst das nicht allein tragen.*
Minho lässt ihn nicht los, zieht ihn sogar noch ein Stück näher, als Jisung fortfährt. "Ich habe es so lange ertragen… Weil ich dachte, ich hätte keine Wahl. Weil ich dachte, es wäre irgendwie meine Schuld. Aber irgendwann… irgendwann wurde es zu viel." Seine Worte kommen stockend, als ob sie durch eine unsichtbare Barriere kämpfen müssen, doch er zwingt sich, weiterzusprechen. "Er hat mich… so tief gebrochen, dass ich dachte, ich hätte es verdient. All die Schläge, die Beleidigungen… ich dachte, das wäre normal. Und ich wusste nicht, wie ich… rauskomme."
Jisungs Stimme erstickt fast, als er die Tränen spürt, die ihm über die Wangen laufen. "Ich wollte nur, dass es aufhört. Dass alles aufhört. Ich konnte es einfach nicht mehr… und deshalb… hab ich es versucht. Wegzugehen. Für immer."
Minho verstärkt seinen Griff, seine Hand fährt beruhigend über Jisungs Rücken. Doch er sagt nichts, weil er weiß, dass Jisung das gerade braucht – das Sprechen, das Teilen dieser Last, die er so lange allein getragen hat.
"Es ist okay, Jisung", flüstert Minho schließlich, seine Stimme sanft, aber bestimmt. "Es ist okay, dass du es nicht mehr ertragen konntest. Du bist nicht schwach, weil du aufgegeben hast… Du bist stark, weil du immer noch hier bist. Und weil du es teilst. Das ist der erste Schritt… weg von ihm. Weg von allem."
Jisung vergräbt sein Gesicht tiefer in Minhos Brust, seine Tränen tränken Minhos Shirt, doch dieser kümmert sich nicht darum. Er ist einfach nur froh, dass Jisung endlich die Wahrheit ausspricht, dass er sich öffnet. Es ist der Beginn eines langen Heilungsprozesses, und Minho weiß, dass es schwer sein wird – für beide.
"Du wirst nie wieder allein sein, Sungie. Nicht mit ihm. Nicht mit diesen Gedanken." Minho drückt einen sanften Kuss auf Jisungs Stirn, seine Lippen verweilen einen Moment zu lang, als ob er durch diese Geste all das Schmerzvolle wegküssen möchte. "Wir werden das zusammen durchstehen. Du und ich. Schritt für Schritt."
Jisung spürt den Frieden, der von Minho ausgeht, doch er kann nicht anders, als die Zweifel in sich aufsteigen zu fühlen. Kann es wirklich besser werden? Kann er wirklich all das hinter sich lassen? Die Wunden, die tief in ihm klaffen, scheinen unheilbar.
"Wie… wie kann es jemals besser werden?" fragt Jisung leise, seine Stimme ist kaum hörbar, doch die Verzweiflung darin lässt Minho tief einatmen.
"Es wird Zeit brauchen", antwortet Minho ehrlich. "Und es wird weh tun. Aber du hast uns. Du hast mich, Felix, Seungmin, Changbin… Und wir lassen dich nicht allein. Wir alle wissen, wie schwer es ist, mit den eigenen Dämonen zu kämpfen. Aber du musst nicht kämpfen, nicht mehr allein."
Minho hält inne, drückt Jisung noch einmal leicht, bevor er weiterspricht. "Und du wirst dich wieder aufbauen. Stück für Stück. Du bist stark, Sungie. Stärker als du glaubst. Du hast so lange durchgehalten, obwohl du dachtest, es gäbe keinen Ausweg. Aber jetzt hast du ihn gefunden. Jetzt bist du hier. Du bist nicht gescheitert. Du hast überlebt."
Diese Worte treffen Jisung tief. Es ist, als ob sie etwas in ihm berühren, etwas, das so lange verschlossen war. Die Dunkelheit in ihm ist nicht verschwunden, aber sie scheint ein klein wenig heller geworden zu sein – ein kleiner Funke, den Minho in ihm entzündet hat.
Sie bleiben eine Weile schweigend liegen, während Minho weiterhin beruhigend durch Jisungs Haare fährt. Jisung schließt die Augen, versucht, den Moment in sich aufzunehmen, die Wärme, die Nähe, die Sicherheit. Zum ersten Mal seit langem fühlt er sich nicht allein.
"Ich hab dich vermisst", murmelt Jisung schließlich, seine Stimme müde, aber ehrlich. Er wusste nicht, wie sehr er Minho vermisst hatte, bis er jetzt in seinen Armen liegt.
Minho lächelt leicht, wenn auch traurig. "Ich dich auch, Sungie… mehr als du weißt."
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