3. Veränderte Welt

Er sass am Fenster und starrte in den Wald. Die Bibliotheksuhr erfüllte die Stille mit ihrem stetigen ticken. Das angeregte Murmeln aus dem oberen Bereich drang herunter und er wusste, dass der Bücherklub sich eingefunden hatte. Leise seufzte er. Plötzlich ertönte leise eine Melodie aus seiner Jackentasche. Die Jacke hatte er achtlos über einen Stuhl neben sich geworfen. Rasch holte er das Handy heraus, bevor die Bibliothekarin auf die Ruhestörung aufmerksam wurde. Kaum hielt er das Mobiltelefon in der Hand, verstummte der Klingelton. Nur noch ein kleines blaues Licht blinkte ihn von der oberen rechten Ecke an. Er entsperrte den Bildschirm und las die kurze Nachricht, die seine Schwester ihm geschrieben hatte. Sie trug ihm auf, dass es ganz dringend sei, dass er ihr ein bestimmtes Buch aus der Bibliothek mitbrächte. Offenbar war sie wieder einmal zu faul, selbst zu kommen. Genervt verdrehte er die Augen und stand auf. Langsam wanderte er die kühlen Regalreihen hab, bis er in der hintersten Ecke der Bibliothek angekommen war. Die Bücher hier waren mit einer dicken Staubschicht bedeckt und sahen aus, als hätte sie seit mindestens zehn Jahren niemand mehr angefasst. Mit zusammengekniffenen Augen wanderte sein Blick die Buchreihen entlang, bis er in der Ecke ein schmuddelig wirkendes Büchlein fand. Er zog es heraus und betrachtete den Einband. Er war dunkel, beinahe schwarz und die Seiten waren steif, als er es aufschlug und standen ab. Gerade wollte er das Buch wider schliessen, als die Seiten anfingen zu rascheln und sich umblätterten wie von Geisterhand. Genau in der Mitte des Buches blieben sie liegen. Ein Datum war oben in der Ecke gekritzelt. Es war so dahingeschludert, dass er es kaum entziffern konnte. Er gab gerade den Versuch auf, als die Tinte verschwamm und über die Seite floss und zu Boden tropfte. Eine Pfütze bildete sich vor ihm und wurde immer grösser. Eine kleine Blase bildete sich, wurde immer grösser und stieg höher auf, wurde dünn und nahm langsam die Form eines kleinen Männchens an. Mit seiner winzigen Statur und den feingliedrigen Gliedmassen erinnerte es ihn sofort an einen Homunkulus. Das Geschöpf blickte sich mit blitzenden Augen um. Dann hob es den Kopf. «Du... du hast mich freigelassen, nicht wahr?» «Freigelassen?» Das Männchen nickte. «Ja, du hast das Buch geöffnet, ist es nicht so?» «Ja.» «Nun, dann hast du mich freigelassen. Du hast meinen Dank, ich war schon viel zu lange in diesen grässlichen Seiten gefangen. Doch jetzt...» Das Männchen kicherte, «Jetzt kann ich frei sein.» Es lief davon und bevor er überhaupt blinzeln konnte, war das Männchen zwischen den dicken Wälzern verschwunden.
Er schreckte auf und sah sich um. Er sass wieder auf seinem Stuhl, die Arme unter dem Kopf gelegt und mit steifen Nacken. Offensichtlich war er eingeschlafen. Schläfrig rieb er sich die Augen. Neben seinem Bücherstapel, den er in den Rucksack stapeln wollte, lag das kleine Büchlein aufgeschlagen in der Mitte. Die Seite war blank bis auf einen kleinen Tintenfleck in der linken Ecke, die aussah wie ein grinsendes Gesicht.

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