The place we call home*
"In a perfect world everything would be either black or withe, right or wrong, and everyone would know the difference. But this isn't a perfect world. The problem is the people who think it is."
-Neal Shusterman, Unwind
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The place we call home
Mein Vater hatte immer gesagt, dass es keine komfortablere Art zu Reisen gab, als mit einer Hauselfe. Vorausgesetzt die kleinen Kreaturen mochten einen. Ich war mir sicher, dass die Haushelfe, deren kleine, faltige Hand meine hielt, weder mich noch meine Familie sehr mochte.
Unsere Füße berührten insgesamt drei Mal festen Boden. So viele Sprünge benötigte die Elfe meiner Großmutter, um die Distanz zwischen London und dem Haus meiner Eltern sicher zurückzulegen. Mein Magen rebellierte jedes Mal und immer, wenn ich mich vorbeugte, um mich zu übergeben, sprangen wir bereits weiter.
Als unsere Füße schließlich auf schlammiges Graß trafen, wusste ich, dass wir es geschafft hatten. Obwohl der Hügel vor uns leer war und nur einen Blick grau-grüne gewellte Landschaft gab, erkannte ich den Ort.
„Schnell, schnell, Fräulein. Wir müssen unter den Schild.", drängte mich die Hauselfe flüsternd und zerrte mich dann vorwärts.
Hastig hob ich meine schwere Reisetasche auf und kam ihrer Aufforderung nach. Wir eilten den Hügel hinauf, als würden wir gejagt. Und dann war es plötzlich vorbei.
Wir überschritten die unsichtbare Grenze der Schutzzauber und das Zuhause meiner Kindheit thronte über mir. Wir bogen in den gewundenen Pfad ein, welcher von nun verblühten Büschen gesäumt war und welche im kalten Wind raschelten. Das Haus meiner Eltern war alt, verkleidet mit vom Wetter graugewaschenen Holz und kleinen, rechteckigen Fenstern, die keinen Blick nach innen erlaubten.
Es wachte über eine vollkommen baumlose Landschaft, an deren fernen Horizont, im Licht der untergehenden Sonne, ich gerade noch weidende Schafe sehen konnte. Das einzige Bemerkenswerte an der kargen Landschaft war der kreisrunde See am Abhang, in welchem ich schwimmen gelernt hatte. Beinah schien die Stimme meines Bruders vom kalten Wind zu mir getragen, wie er auf dem Holzsteg stand und mir bei meinen Versuchen zusah. Er hatte mir das Schwimmen beigebracht. Gegen den Wunsch meines Vaters.
"Marie?" Ich blinzelte. Wir hatten es bis zu der zerkratzten Haustür geschafft und dort stand meine Mutter. Für einen Moment starrte ich die rothaarige Frau vor mir nur an. Sie war so klein, dass sie bei weitem nicht das dunkle Rechteck des Rahmens ausfüllte.
An ihrem Gesichtsausdruck sah ich, dass sie auch nicht wusste, wie angemessenes Verhalten nun noch aussah.
„Mutter" Ich lächelte. Anders als mein Vater trug sie selten Festumhange oder elegante Kleidung im Haus. Stattdessen konnte ich unter der weißen Schürze, anscheinend kam sie aus der Küche, einen einfachen Umhang sehen.
Sollten wir so tun, als hätten wir uns zuletzt im September gesehen? Als hätte mein Geburtstag nicht stattgefunden? Dann sollte ich einfach vortreten und sie umarmen. Doch gerade als ich einen Schritt vorwärts machte, trat meine Mutter zur Seite. Mit einer Geste bedeutete sie mir ihr zu folge und ich trat über die Schwelle, gefolgt von der Hauselfe.
Ich verfrachtete meine Stiefel und meinen Reiseumhang in die Garderobe. Dann folgte ich ihr durch den fensterlosen Flur in die Küche. Sie ging nach Westen, weshalb es hier nun am hellsten war.
„Gerade war ich mit dem Abendessen beschäftigt", ließ sie mich wissen und griff nach ein paar Karotten. „Hattest du eine gute Reise?"
„Ja" Ich nahm mir einen Apfel aus der Obstschüssel und biss hinein. Seit dem Essen im Zug war ich wieder hungrig geworden. „Wo ist Vater?"
Sie seufzte und kurz zogen sich ihre hellen Augenbrauen zusammen. Dann begann sie die Karotten klein zu schneiden. Ihre sommersprossige Hand wurde noch blasser, so fest hielt sie das Messer.
„Mama?", fragte ich vorsichtig und legte den Apfel wieder zurück.
„Er ist bei deiner Großmutter" Sie hackte weiter auf die Karotten ein. „Seit du weg warst, haben sich die Dinge geändert."
Um sie nicht anzuschauen, sah ich auf meine Socken, auf den Küchenfußboden, die Anrichte. Nur nicht in ihre Richtung. Dann nahm ich wieder den Apfel in die Hand und trat an ihr vorbei. Ohne sie anzuschauen, sagte ich, „Ruf mich zum Abendessen. Ich zieh mich um."
Aus dem Augenwinkel konnte ich mehr spüren als sehen, wie sie den Kopf drehte. Doch da war ich schon weg.
In diesem Haus hatte ich noch nie einen Menschen außer meine Eltern und meinen Bruder gesehen. Und erst als ich älter war, hatte ich dies als Geschenk meiner Eltern an uns verstanden.
Am Ende des Flures führte eine schmale Treppe hinauf. Oben konnte ich entweder abbiegen, um zu dem Schlafzimmer meiner Eltern und dem Arbeitszimmer meines Vaters zu gelangen. Oder direkt weitergehen, hinauf zu den beiden Türen, welche zu Leos und, etwas weiter hinten, zu meinem Zimmer führten.
Ich zögerte mit dem Apfel im Mund und der Hand auf dem glatten Holz des Geländers.
Mein Blick streifte die dunkle Tür, hinter der sich das Arbeitszimmer meines Vaters befand. Während seiner Amtszeit als Zaubereiminister hatte er praktisch in diesem Raum gelebt, aber heute war er nicht da. Fast schon gegen meinen Willen bewegten sich meine Füße darauf zu.
Ich versuchte mein schlechtes Gewissen zu beruhigen, indem ich mir einredete, nur einen Blick hineinwerfen zu wollen. Meine Hand schloss sich um die goldene Türklinke und zu meiner Überraschung ließ sich die Tür widerstandslos öffnen.
Drinnen war es überraschend kühl und die bis zur Decke aufragenden, aus dunklem Holz gefertigte Bücherregale, die jeden Zentimeter freier Wand bedeckten, halfen mir auch nicht gerade dabei mich wohlzufühlen. Wie beinah alle Zimmer im Haus war der Raum stickig und vollgestellt.
Möglichst leise schlich zu dem Schreibtisch vor den Fenstern. Immer auf ein Geräusch aus dem unteren Stockwerk lauschend. Was tat ich hier überhaupt?
Zwischen den Regalen, auf den ersten Blick kaum zu sehen, war ein aus grobem Stein gebauter Kamin. Ich wusste, wenn mein Vater wiederkommen würde, dann von dort.
Hin und her gerissen sah ich erst zu dem mit Papier übersäten Schreibtisch und dann wieder zur geöffneten Tür. Was hatte meine Mutter gemeint? Was hatte sich geändert? Und würden sie es mir sagen?
Mit einem wachsamen Blick zum Kamin, schlich ich um den Tisch herum. Auf den ersten Blick konnte ich an all den Papieren darauf nichts Ungewöhnliches ausmachen. Es schien sich nur um Briefe zu handeln.
Viele waren auf den unzähligen Sprachen, welcher mein Vater beherrschte, verfasst. Auch mich hatte er durch dieselbe Schule geschickt.
Ich überflog die Geschäftsbriefe und die schier unzähligen an meine Verwandten. Keiner war besonders aufschlussreich und voller Anspielungen, die ich nicht verstand. Dann sah ich mir die noch geschlossenen Umschläge an. Sie waren in einem ordentlichen Stapel auf die Tischkante gelegt. Vermutlich von meiner Mutter.
Ganz obenauf lag ein Brief in einer mir komplett unbekannten Handschrift. Er war noch nicht geöffnet und auf seinem Umschlang stand der Name meines Vaters und der des Absenders. Es war Orion Black. Ich ließ das teure Pergament wieder fallen, als hätte ich mich verbrannt.
Meine Gedanken versuchten mir freundlich die Bedeutung dessen mitzuteilen. Aber ich schüttelte den Kopf, als könne ich sie vertreiben. Dinge würden sich ändern...sie hatten sich schon geändert.
Ich bereute es bereits überhaupt den Raum betreten zu haben und war drauf und dran ihn wieder zu verlassen. Dann fiel mir allerdings ein noch viel bekannterer Name ins Auge. Jake Berghaus. Sie fühlte sich also Verrat an, dachte ich, während ich den Brief las.
Mein alter Schulfreund berichtete meinem Vater von meinem Befinden. Von den wenigen Briefen, die ich ihm geschickt hatte. Dass er sich bemühte den Kontakt aufrecht zu erhalten.
Es ging um eine Flucht, für welche er seine Verwandten kontaktiert hatte. Dann blieben meine Augen an der letzten Zeile hängen,
Nun noch zu Anne. Meine Schwester hatte nach der Prophezeiung keine Visionen mehr die sich auf ihre Tochter beziehen. In Hochachtung, Jake Berghaus.
Ein Rauschen ließ mich aufblicken. In dem Kamin waren grüne Flamen erschienen.
Leise fluchend ließ ich den Brief wieder auf den Tisch fallen und stürzte aus dem Raum. Ich zog die Tür hinter mir zu und ohne innezuhalten, rannte ich die Stufen zu meinem Zimmer hinauf.
Innen drückte ich mich keuchend gegen die Wand und ließ die Tür einen Spaltbreit offen, um zu lauschen.
Erst hörte ich nichts, dann schien sich die Tür zum Arbeitszimmer zu öffnen und ich hörte Schritte auf den knarzenden Dielen. Sie schiene dort zu stoppen, wo ich den Absatz der Treppe, die nach unten führte, vermutete.
„Camille?" Mein Vater.
Es dauerte kurz, dann vernahm ich schwach die Stimme meiner Mutter. Ihre Worte konnte ich nicht ausmachen. Dann wieder mein Vater, „In Ordnung, ich komme gleich." Nach einer weiteren Antwort von meiner Mutter kamen die Schritte, zu meinem Grauen, die Treppe hinauf.
Ich drehte mich hilflos in meinem Zimmer, bis ich die Tür meines Kleiderschranks öffnete. So gut es ging bemühte ich mich beschäftigt mit meiner Kleidung zu geben. Auch wenn ich lieber einfach in meinem Schrank verschwunden wäre.
Es klopfte es an der Tür. Mit hoffentlich normaler Stimme rief ich, „Herein".
Als mein Vater hereinkam, wurde mir klar, woher meine Angst vor ihm stammte. Er hatte nie die Dinge getan oder gesagt, die mein Großvater getan hatte. Aber er konnte mir gegenüber Gleichgültigkeit empfinden. Davor fürchtete ich mich. Hass war leichter zu ertragen als Indifferenz. Und mit jedem falschen Tun, jedem falschen Wort von meiner Seite hatte ich Angst davor.
„Marie" Er blieb im Türrahmen stehen und sah mich an. Er wirkte noch älter als bei unserem letzten Treffen, vor gut einem Monat. Ich sah ihm so unähnlich und er meinem Bruder so ähnlich, dass ich beinah schauderte. „Du bist wieder da.", stellte er nüchtern fest. „Wie war die Reise?"
„Gut" Ich hielt mich unter seinem Blick an den Schranktüren fest. „Wie war es bei Emilia?"
„Gut" Beinah schien er zu zögern. „Du warst in meinem Arbeitszimmer." Es war eine Feststellung. „Warum?"
Ich senkte den Blick, ohne ihm zu antworten.
Kurz blieb es still zwischen uns, dann seufzte er. Ich hörte wie seine Schritte sich entfernten und meine Tür sich schloss. So war es schon immer in diesem Haus. Wenn Antworten ausblieben und die Worte zu schwer wurden, dann drehten wir uns um. Das bisschen Frieden, was wir uns in diesem Haus aufrechterhielten, wog mehr als die ungesagten Dinge.
Erneut klopfte es an der Tür. Doch bevor ich etwas sagen konnte, hörte ich die Stimme meines Bruders. „Essen ist fertig." Dann entfernten sich erneut Schritte.
In diesem Moment war ich mehr als dankbar für die geschlossene Tür.
Nachdem ich in einen Blick in den Spiegel meiner Kommode geworfen hatte, machte ich mich wieder ins Erdgeschoss auf. Bemüht meine Fassung zu gewinnen. Erst auf halbem Weg fiel mir auf, dass ich immer noch den Apfel in der Hand hielt. Ich schmiss ihn in der Küche weg.
„Da seid bist du ja endlich." Meine Mutter hatte eine ihrer besten Mienen aufgesetzt. Als ich sie mit gehobener Augenbraue ansah, wies sie nur auf meinen Platz. Mein Vater trug das Essen herein. Auch er vermied jeden Blick zu dem blassen Mann am Ende der Tafel, als wäre der Platz umbesetzt.
„Bon appétit", verkündete meine Mutter zu niemanden bestimmen und wir begannen unser langes, schweigsames Essen. Das Klirren von Besteck und die Stille hielten meine Gedanken kaum davon ab sich im Kreis zu drehen.
Was tat mein Bruder hier? Sein Besuch musste eine Absicht haben und meine Eltern schienen es zu erlauben.
„Marie?" Meine Mutter sah mich an und ich nickte. „Willst du mir später helfen das Haus zu schmücken?"
„Warum?"
Die Antwort kam von der anderen Seite des Tisches. „Weinachten", erwiderte mein Bruder und stach mit seiner Gabel in eine Karotte. „Sie darf außerhalb der Schule nicht Zaubern, Mutter."
Ich konnte sehen, wie sich meine Mutter ein Stück auf ihrem Platz aufrichtete. „Dinge können auch ohne Magie vollbracht werden."
„Stimmt" Von ihm kam ein humorloses Lachen. „Damit kennst du dich ja aus."
Ich sah wie meine Mutter vor seiner Grausamkeit zurückzuckte. Und mir wurde schlecht.
Ohne ein Wort stand ich auf und verließ das Haus durch die Hintertür. Niemand hielt mich auf.
Leopold, mein grausamer Bruder, holte mich ein, noch während ich meinen Mantel schloss. „Was willst du?", fragte ich, ohne ihn anzusehen.
„Mit dir reden." Seine Stimme war ohne Emotionen. Nur der Hauch von Wut, ein Überbleibsel aus dem Gespräch mit meinen Eltern, war zu erkennen. Aber auch nur, wenn man seine Wut auf sie kannte. Wenn man die Ursache wusste.
„Warum solltest du das wollen?" Meine Hände zitterten als ich meinen Zauberstab in meinen Ärmel schob.
„Ich glaube, es gibt da ein paar Dinge." Er hatte sich keinen Mantel angezogen. Aber der kalte Wind schien ihn nicht zu stören, trotz seines beinah durchscheinend hellen Hemdes.
Mir war klar, dass sowohl Widerspruch wie Flucht, zwecklos war. Daher führte ich ihn hinunter zum See. Ein kleiner kindlicher Teil von mir tröstete sich damit, dass ich ihn im Ernstfall immer noch ins Wasser schubsen konnte.
"Was willst du, Leopold?" Der Wind hatte zugenommen und ich zwang meine Haare in einen Zopf. Von meinem Bruder hörte ich nichts und als es auch noch anfing wirklich zu regnen, drehte ich mich zu ihm um. Entweder er sagte mir jetzt was er wollte, oder ich würde verschwinden. „Was willst du?" Ich war mir nicht vollkommen sicher, was ich meinte. Ob ich fragte, was er von mir wollte, oder was er hier wollte, oder was er mit all seinem Tun wollte.
Leopold hatte die Augen zusammengekniffen und schien in die Ferne zu sehen. Es dauerte, bis er seine hellblauen Augen auf mich richtete. Ich redete mir ein, dass mich die Ausdruckslosigkeit seines Gesichts überraschte und auch nicht an meinem Herzen zog.
„Was ich will..." Er kramte kurz in seinen Taschen, bis er eine zerknautsch aussehende Zigaretten Schachtel herauszog. „Willst du auch?"
Er hielt mir die geöffnete Schachtel hin. Als ich den Kopf schüttelte zog er sich selbst eine heraus und steckte den Rest wieder weg.
„Wenigstens eine gute Sache haben die Muggel mal erfunden." Mit einem Schnippen seines Zauberstabs beschwor er eine kleine Flamme, an der er die Zigarette entzündete. Kräftig zog er an ihr. Der Rauch wehte genau in mein Gesicht und hustend fächelte ich ihn weg.
Er lachte heiser, „In deinem Alter war noch nicht einmal ich so ein Spießer." Er sah wieder in die Ferne. „Und ich war ein ziemlicher Spießer."
"Natürlich, Bruder." Meine Stimme triefte vor Sarkasmus.
Ohne mich anzusehen, fuhr er fort, „Hat dein Vater dich eigentlich schon auf deine Beziehung zu diesem Blutsverräter angesprochen?" Nun war die Ausdruckslosigkeit ohne Zweifel nur noch gespielt. Ich spürte einen Funken von Genugtuung, dass ihn anscheinend mein Leben immer noch berührte. Wenn ich ihm nicht entkommen konnte, dann sollte er es auch nicht können.
„Unser Vater, Leopold, hat mich noch auf gar nichts angesprochen" Ich sah ihn nur noch aus dem Augenwinkel an. „Wie du ganz genau weißt."
Beinah schienen sich seine Mundwinkel zu heben. „Neu erwachter Familiensinn? Interessant. Wie lästig muss es für Eltern sein, wenn ihre Kinder mit ihren eigenen Gedanken nachhause kommen."
„Sag du es mir" Beinah wünschte ich mir doch eine Zigarette in der Hand, nur um etwas zu tun zu haben. Mit meinem großen Bruder nun zu sprechen, war ein gefährliches Spiel. „Deine Gedanken haben sich schließlich noch nie so gut wie nun mit den Idealen unserer Familie ergänzt."
Anstatt zu antworten, fragte er, „Wusstest du, dass der Dunkle Lord von deiner Freundschaft mit dem Black Jungen weiß?"
Nun sah er mich an, aber ich wandte nicht den Kopf. Mein Herz schlug schneller. „Du meinst Regulus Black? Dass wir befreundet sind..."
„Stell dich nicht dumm" Er schnaubte und nun klang er ehrlich erbost. „Warum ist hier die Frage. Nicht, warum du plötzlich denkst Rebellion wäre eine Möglichkeit. Sondern, warum nicht andere für deine Fehler bestrafen?" Ich starrte ihn an, aber er sprach weiter. „Die Potters sind...waren eine vorbildliche Familie, bis sie diesen Blutsverräter, Sirius Black, bei sich aufgenommen haben. Ein Besuch bei ihnen...er würde mich nicht viel kosten."
„Leo..." Meine Stimme brach vor Fassungslosigkeit weg. Plötzlich hatte ich meinen Zauberstab in der Hand und zielte auf ihn. „Das würde ich dir niemals verzeihen."
Langsam, beinah wie im Traum, drehte er sich zu mir. „Ja, und?" Sein Arm griff vorwärts und bevor ich etwas tun konnte, umfasste er mein Handgelenk, sodass mein Stab gegen seine Brust drückte. „Kleine Schwester, du wirst mit dem jüngeren Black verheiratet. Die beiden mächtigsten Blutlinien werden sich verbinden. Eure Kinder werden voraussichtlich mehr magisches Potential als du besitzen. Und dabei war unser Großvater schließlich schon der Meinung du wärest das ultimum. Die absolute Steigerung. Das größte magische Potential aller Zeiten, hat er sich von dir versprochen..."
„Blöd nur, dass ich keine Lust hatte." Nun waren da Tränen in meiner Stimme und ich verfluchte meine eigene Schwäche. „Er war ein Monster, Leo."
Er lachte auf und mir wurde klar, dass ich nie begriffen hatte, wie sehr der Tod meines Großvaters ihm zugesetzt hatte. Ich hatte Erleichterung über sein plötzliches Ableben verspürt. Und mein Bruder? „Er war der einzige, der mir in dieser verrotteten Familie den richtigen Weg zeigen konnte. Der einzige, der sich für mich interessiert hat, obwohl ich nur der mickerige Sohn war. Ich war perfekt, Luné. Und trotzdem haben sich alle nur für dich interessiert..."
„Sei still" Ich versuchte mich aus seinem Griff zu befreien, aus seiner Nähe fortzukommen. Aber die Verzweiflung raubte mir gleichzeitig die Kraft. „Du warst verblendet."
„Aber auch er hat sich abgewandt." Sein Griff wurde fester. „All die Zuwendung hast du bekommen und sie nie wertgeschätzt."
„Das war keine Anerkennung, Leo" Ich sah ihm in die Augen, hoffte auf eine Regung. „Er hat mich gefoltert."
In seinen hellen Augen bewegte sich etwas und kurz schien er Luft zu holen, dann spie er mir entgegen, „Deine Überzeugungen machen dich zu einem Schlammblut, Luné-Marie, genauso wie deine Mutter es ist."
In diesem Moment fiel in meinem innersten Kern etwas zu Boden. Eine Hoffnung, die ich trotz allem nah an meinem Herzen gehalten hatte. Ich bestand nur noch aus Schmerz und Verzweiflung, mit Magie in meinen Adern, die dem Ausdruck verlieh.
Mein Bruder wurde von dem Fluch aus meinem Stab herumgewirbelt. Die Wucht traf ihn aus nächster Nähe, sodass er wie in einem absurden Ballett Pirouetten drehte. Knapp vor dem Ende des Steges fing er sich. Er fuhr sich über die Stirn, als wäre diese immer noch von goldblonden Locken bedeckt.
Wir waren Spiegel, in diesem Augenblick. Ich hatte alles, was er sich so sehr wünschte, während ich es nicht wollte. Keine Macht in der Welt konnte diesen Verrat wert sein.
Er hob den Zauberstab, doch bevor er etwas tun konnte, hatte ich ihn bereits entwaffnet. Sein Stab flog durch die Luft auf mich zu. Hatte er überhaupt versucht mich anzugreifen?
Mein zauberstabloser Bruder starrte mich nur durch den Nieselregen an. Ich sah den Hass in seinem Blick. „Du wirst uns alle umbringen" Etwas wie ein Lachen kam aus seinem Mund. „Du glaubst, du wärst eine von den Guten, nun endlich auf der richtigen Seite. Doch du lügst dich selbst weiterhin nur an. Du bist ein Kind, Luné" Seine Schultern sackten nach unten. „Du bist ein Kind, dass uns alle ins Grab bringen wird."
Bevor ich genau wusste, was ich überhaupt tat, richtete ich meinen Zauberstab auf die Bretter unter seinen Füßen. „Expulso." Der Steg flog auseinander und mein Bruder in die Luft.
Er ruderte nicht mit den Armen, sah nicht einmal überrascht aus. Er ließ es einfach mit sich geschehen. Und ich hasste ihn in diesem Moment. Weil er ein Monster war. Jemand, der meinen großen Bruder ermordet hatte. Nur, um so zu werden, wie die Monster vor uns.
„Ich dachte du wärest besser, Leo", ließ ich ihn über die Distanz wissen. Dann drehte ich mich wieder zum Haus um.
Es war nicht schwer, meine Eltern dazu zuzubringen, mich zu Emilia zu lassen. Ich verstand nun ihre kindliche Hoffnung, die es Leopold erlaubt hatte, noch einmal ins Haus zu kommen. Ich sah ihre Enttäuschung. Ich würde es besser machen, schwor ich mir.
Die grünen Flammen brachten mich ins Stadthaus der Rosendorn. Wie immer empfing mich drückende Stille. Unzählige Gemälde reihten sich in der Eingangshalle bis an die Decke. Unzählige Gesichter blickten mir erwartungsvoll entgegen. Es waren die ehemaligen Erbinnen der Familie und ich spürte ihre Erwartungen wie schwere Hände auf meinen Schultern.
Mein Blick traf eines der untersten Porträts. Maralina, die Mutter Emilias, nickte mir zu. Sie war so früh gestorben, nach vier eng beieinanderliegenden Geburten, dass sie kaum älter als ich aussah.
„Luné-Marie Rosendorn" Marlinas Stimme war tief und ihre strahlend blauen Augen funkelten. Mein Name wurde hundertfach von den anderen Porträts zurückgeworfen und ich wollte in Tränen ausbrechen.
Maralinas Augen huschten zu der Treppe und oben erschien Emilia, in Begleitung meines Vaters. Meine Eltern waren vorausgefloht, um Emilia vorzubereiten.
„Marie." Meine Großmutter kam die Treppe hinab. Sie reichte mir nicht wie sonst die Hand und ich knickste nicht wie üblich.
„Nenn mich bitte Luné.", entkam es mir und ich sah ihre Überraschung. Dann nickte sie und bedeutete mir ihr zu folgen. Gemeinsam liefen wir durch mehre Räume, bis wir schlussendlich im großen Wintergarten herauskamen.
Meine Eltern setzten sich gemeinsam auf eine Couch, während Emilia sich gegenüber von mir in einen Sessel sinken ließ und mich mit ihren tiefblauen Augen musterte. „Wie geht es dir?" Noch bevor sie ihre Frage beendet hatte, trat eine kleine Hauselfe ein und reichte allen eine Tasse Tee.
„Könnte nicht besser sein.", erwiderte ich langsam und als ich die Teetasse an meine Lippen hob, zitterte diese leicht.
„Das freut mich natürlich." Auch Emilia nippte an ihrem Tee. „Nun...du möchtest mit mir reden...und ich-" Sie warf einen Blick zu meinen Eltern. „-auch mit dir."
Verblüfft fragte ich, „Worüber"
„Es tut mir-" Wieder sah sie zu meinen Eltern, die sich nicht rührten. „-uns leid, wie dein Leben verlaufen ist. Und ich möchte, dass du verstehst, warum."
Mit Schrecken stellte ich fest, dass dies ein Gespräch war, welches ich mir seit Jahren gewünscht hatte. Nun, wo es da war, wusste ich nicht, was ich damit anfangen sollte. Aber es enthob mich der Verantwortung zu erklären, dass ich nicht mehr so weiter machen wollte. Also nickte ich bloß.
Emilia holte tief Luft und für eine ganze Weile blieb es weiter ruhig. Dann strafte sie die Schultern und begann. „Ich fange am Anfang an. Und zwar bedeutet dieser Anfang die Zeit, in der ich zur Erbin wurde. Denn als ich so alt wie du war, trug meine Mutter, Maralina, noch diesen Titel." Ihre Augen ließen meine nicht los. Ich verstand, wie viel ihr mein Verständnis der Ereignisse in diesem Moment bedeutete. „Ihre Mutter war das Oberhaupt und als diese plötzlich starb, rückte ich in den Fokus. Damals galt dies, dass nach einem Ehemann für mich gesucht wurde. Schnell war ich verlobt und man sagte mir nicht, wer der Mann war. Rasch darauf starb auch schon meine Mutter, was mich zum Oberhaupt machte." Sie seufzte und trank noch einen Schluck Tee.
Dann fuhr sie fort, „Unsere Familie war zu dieser Zeit schon lange nicht mehr so mächtig, wie einst. Wir waren zwar immer noch eine der reinsten Blutlinien, aber unter der Führung meiner Großmutter war unsere Familie zerfallen und weder ich noch meine Mutter hatten eine so strenge Erziehung wie Leopold und du. Wir waren nicht für Grausamkeit. Ein Reinblut zu sein bedeutete zu der Zeit für mich nur einen Zauberer mit ebenfalls reinem Blut zu heiraten, mehr nicht. Und dann kam dein Großvater."
Emilia atmete tief ein und nun sah ich, wie viel Mühe sie das Sprechen kostete.
"Seine Familie, die Yaxleys, waren damals noch mächtig in England und er sah es als seine Pflicht die Rosendorns wieder zu altem Glanz zu verhelfen. So hat er es zu mindestens auf unserer Hochzeit ausgedrückt."
Kurz lachte sie bitter, „Und genau das hat er schlussendlich auch getan. Nach außen sah es so aus, als wäre ich für die vielen Veränderungen verantwortlich. Aber ich lebte die ersten Jahre ausschließlich auf dem Landsitzt. Man hatte mir beigebracht eine gute Ehefrau zu sein. Und ich versuchte es. Bald wurde ich schwanger und der Landsitz mein endgültiges Gefängnis."
Ich sah meinem Vater, ihren Sohn, an Er blickte nicht seine Mutter, sondern mich an. Wir waren eine Blutlinie, verbunden durch die Geschichte meiner Großmutter. Deren Blick war nun auf keinen von uns gerichtet, sondern hinaus in den Garten.
„Vermutlich hätte ich beginnen müssen Verantwortung für mein Handeln und mein Leben zu übernehmen. Besonders als mein Kind geboren wurde." Die Teetasse zitterte deutlich, als sie einen weiteren Schluck war. „Ich verstand damals nicht, was diese neue Generation für eine Bedeutung für ihn hatte, weißt du. Denn mich vergaß Aland schnell." Es war das erste Mal, dass sie meinen Großvater beim Namen nannte, fiel mir auf. „Für ihn war ich nur ein Mittel zum Zweck gewesen."
Es blieb still und erst als die Uhr in der Eingangshalle schlug, fragte ich, „Was ist dann passiert?"
Sie seufzte erneut. „Das Leben hielt nicht einfach um mich herum an, nur weil ich es mir wünschte. In all den Jahren, in welchen ich die Welt ignoriert hatte, waren die Rosendorn durch meinen Mann mächtig geworden. Für dieses Ziel waren Opfer unausweichlich und entschuldbar, erklärte mir dein Großvater. Das war, nachdem ich von dem Tod meiner Nichte erfuhr."
Beinah schon hastig sprach sie weiter, „Das Kind war gerade erst geboren und ich hatte Aland keine Erbin geboren. Sie hatte bessere Ansprüche als Julius-" Ich sah zu meinem Vater, doch der blickte nun zu Boden. Beinah schuldbewusst. „-auf die Rolle des Oberhaupts. Sie war nur eine von wenigen, die im Laufe der Jahre hatten sterben müssen. Aber das erfuhr ich erst später. Ich fand mich in einer neuen Rolle voller Macht auf Bällen und Feiern wieder, als Oberhaupt der mächtigsten Familie in unserem Land. Nach diesen fürchterlichen ersten Jahren erschien mir das Leben doch wieder einen Platz zugedacht zu haben."
Zu meiner Überraschung meldete sich mein Vater, „Und dann ging ich für mein Studium nach Frankreich. Ich wusste, dass ich bei meiner Rückkehr eine von meinem Vater bestimmte Braut haben würde." Wir alle sahen zu meiner Mutter.
Ihrer alle Geschichten passten so gut ineinander, dass mir zum ersten Mal der Gedanke kam, dass sie dies geprobt hatten. Dass dies nur eine weitere Lüge war. Aber trotzdem lauschte ich weiter.
„Er blieb zwei Jahre", sagte Camille Rosendorn, die so anders als meine Großmutter und mein Vater war. Es war eigentlich eine Schande, dass mein Vater sie in diese Welt gebracht hatte, fuhr es mir durch den Kopf. „Die Details sind lang und widrig, doch dein Vater weihte deine Großmutter über seine Absicht mich zu heiraten ein. Ich bin Muggelstämmig" Sie sah zu Emilia. „Was er ihr nicht verschwieg. Sie schafften es meine Abstammung zu fälschen und Aland zu täuschen. Dass ich schwanger war und Aland sich eine Erbin erhoffte, half, vermute ich."
Ich sah meine Mutter an, bevor ich fragte, „Bereust du es?"
Wie immer, wenn sie sprach, schien sie die Worte auf ihrer Zunge abzuwägen. Ihr französischer Akzent war stark wie eh und eh, als sie ansetzte, „Ich war jung. Kaum älter als du. Mir waren die Konsequenzen nicht bewusst, dies muss ich ehrlich gestehen. Eine Welt wie diese-" Sie umfasste den Raum mit ihrer Hand. „-kann man sich nicht vorstellen. Dieses Leben, es bricht uns" Mit ihren Händen deutete sie ein Auseinanderbrechen an. „Aber das muss ich dir nicht erklären, Luné. Und dies...dies bricht mein Herz jeden Tag."
„Leo war also der Grund, warum ihr euch gefügt habt...ihr wolltet, dass er sicher ist." Ich sah von meiner Mutter zu meinem Vater. Doch er schüttelte den Kopf. „Warum seid ihr ihm gefolgt?"
„Den Ideologien und Vorstellungen meines Vaters hatte ich nie große Beachtung geschenkt. Ja, ich hatte in Hogwarts die richtigen Freunde, für die Vorstellungen dieser Familie" Mein Vater hob die Schultern. „Den Fehler einer so freien Erziehung machte dein Großvater bei Leopold nicht. Und wir alle fügten uns. Alle die es nicht taten..." Er seufzte und ließ den Satz unvollendet. Ein Ende war auch gar nicht nötig, jedes Mal, wenn ich nur an meinen Großvater dachte, spürte ich dieselbe Angst.
Emilia nahm den Faden ihrer verworrenen Geschichte wieder auf. „9 Jahre später wurde dann endlich eine Tochter geboren. Eine Erbin für die mächtigen Rosendorn. Und ich entwickelte eine verheerende Schwäche für sie."
Für mich fügten sich die Teile langsam zusammen. Ich hob meinen Blick zu meinem Vater. „Du und der dunkle Lord...er kennt euch aus eurer Schulzeit."
Er nickte. „Tom Riddle, hieß er damals noch. Wir waren Freunde, weißt du. Er war oft bei uns zu Besuch und mein Großvater schätze ihn sehr. Den guten Tom." Plötzlich sah er sehr alt aus. „Wir wollten nicht, dass dir das gleiche Schicksal wie Leopold widerfuhr. Also hatten wir dich so oft es uns erlaubt wurde bei uns und schickten dich in Deutschland zur Schule."
Die Worte blieben mir beinah in der Kehle stecken, als ich, „Es war nicht genug" flüsterte. Aus den Blicken meiner Eltern wurde ich nicht schlau. Hatten sie von dem Tun meines Großvaters mir gegenüber gewusst? Ich traute mich nicht zu fragen. Wenn ja, würde ich es ihnen nicht verzeihen können.
„Und nun?" Ich holte tief Luft und stand auf. Alle sahen mich an. „Was nun? Dein Mann ist tot, Emilia" Sie nickte „Was nun? Seit dem Tod des Ministers gehört Deutschland dem dunklen Lord, wenn man den Zeitungen glaubt." Wieder nickte sie.
„Vor seinem Tod hat dein Großvater viele aus dem Weg geräumt. Ich versuche dagegen zu arbeiten..."
„Das klingt nach purem Wahnsinn. Wollt ihr alle sterben?" Ich sah besonders meine Mutter an. Diese wich meinem Blick nicht aus. „Was, wenn die Leute von deinem Blutstatus erfahren...es wäre euer Ende."
Meine Mutter begann, „Es ist nur eine Frage der Zeit..." doch Emilia unterbrach sie.
„Sag es mir ehrlich, Luné" Sie hatte sich ebenfalls erhoben und legte nun eine kalte Hand auf meinen Arm. „Sollen wir ihn gewinnen lassen? Du bist meine Nachfolgerin. Wenn ich nicht mehr bin, wird dies deine Entscheidung sein."
Nun war es wieder mein Vater, der sprach, „Alles im Leben hat einen Preis, Luné, und diesen Preis sind wir bereit zu zahlen..."
Ich drehte mich um und verließ den Raum, ohne ihn anzusehen. Es gab nur eines was ich wollte und das war dem allem zu entkommen. Der Verantwortung, der Vergangenheit, mir selbst. Niemand hielt mich zurück, als die Türen hinter mir zuknallte.
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