4 - Vergewaltiger und das unendliche Reden

Schon seit über einer Stunde saß ich gelangweilt auf meinem Platz, kaute genervt mein Kaugummi und rutschte nervös auf meinem Stuhl herum. Doch nicht nur mir schien es so zu gehen. Alle Teenager in diesem Raum und das waren nicht gerade wenige, sahen mindestens genauso begeistert aus wie ich. Nur das Interesse der Eltern klebte an der Frau, welche mit ihren Absatzschuhen auf einer Art Bühne herumstöckelte und einfach nicht aufhörten wollte zu reden. Wie viel konnte es über so ein Projekt bitte zu sagen geben? Der Name sagte doch schon alles:
Das Love-each-other Projekt, alias das Wir-machen-aus-Feinden-Freunde Projekt.
Also was hatte diese Frau noch zu sagen? Ich meinte, egal was diese Frau sagte, es würde nichts verändern. Ich musste ohnehin teilnehmen.

Langsam schielte ich zu Kian, der auch gelangweilt durch den Raum blickte. Aber wie konnte einem hier auch nicht langweilig sein?
"Mum?"
"Mhm.", murmelte sie nur, doch ihre Aufmerksamkeit galt immer noch der Brünetten, die ohne Punkt und Komma sprach.
"Ich bin auf Klo.", seufzte ich augenverdrehend und stand auf. Nicht, dass sie einen Suchtrupp aussendete, sobald sie bemerkte, dass ich nicht mehr neben ihr saß.
Schnellstmöglich quetschte ich mich durch die Reihen und verließ dann den Raum. Als ich die Tür hinter mir schloss, atmete ich erleichtert auf. Endlich raus aus diesem stickigen Raum. Seufzend lief ich zum erst besten Mülleimer und schmiss mein mittlerweile ekelhaftes Kaugummi weg. Anschließend machte ich es mir, so gut wie möglich, auf den Stufen des Treppenhauses gemütlich. Es war langweilig, todlangweilig. Langsam begann ich meine Haare zu flechten, doch da es so aussah, als wäre dieser Teil meiner Haare in einen Staubsauger geraten, entfernte ich diese schrecklichen Flechtversuche.
"Ist da noch frei?"
Überrascht drehte ich mich um. Ein Junge mit schwarzen Haaren und grünen Augen schaute zu mir hinunter und schaute mich fragend an.
"Ne, ist schon reserviert für meine Freunde, die kommen gleich alle, weil es hier so toll und überhaupt nicht langweilig ist."
Nach meinen Sätzen konnte er sich ein Grinsen nicht verkneifen. Langsam setzte er sich.
"Was machst du hier draußen? So ganz allein."
"Du hörst dich an wie ein Vergewaltigter.", murmelte ich amüsiert, was ihn zum lachen brachte.
"Bin ich aber zu deinem Glück nicht..."
"Oder vielleicht doch.", grinste er und rückte,um seine Aussage zu bestärken, näher zu mir.
Lachend rückte ich weg von ihm.
"Ich würde aufpassen, ich habe Kampfsporterfahrung."
Sein Grinsen, welches schon seit meiner Vergewaltiger-Bemerkung auf seinem Gesicht klebte, wurde breiter.
"Wie viele Jahre hast du denn was gemacht?", fragte er, sein Grinsen war auf irgendeine Weise verdächtig.
Misstrauisch zog ich eine Augenbraue hoch.
"Drei Jahre Kickboxen, wieso?"
Er lachte auf.
"Dann tut es mir leid für dich. Ich mache bereits 6 Jahre Kickboxen und bin immer noch dabei. Eins zu Null für den Vergewaltiger."
Lachend sah ich ihm zu, wie er triumpfierend die Arme hochwarf.
"Und wie heißt der Vergewaltiger, wenn ich fragen darf?", brachte ich lachend heraus.
"Aaron Kentens, aber du kann mich auch gerne 'Der Gutaussehende' nennen."
Grinsend setzte er seinen 'Ich-bin-so-unwiederstehlich Blick' auf, indem er sich auf die Lippe biss und mir zuzwinkerte.
Bei seiner Aussage konnte ich mir noch so gerade ein Lachen verkneifen, doch bei seinem Blick war es dann vorbei. Ich lachte laut auf und ich musste aufpassen, dass ich nicht die Treppen hinunter fiel oder besser gesagt, rollte. Aaron lachte mit, doch nach einiger Zeit sah ich ihn nur noch verschwommen, da meine Lachtränen mir die Sicht erschwerten. Als wir uns beide wieder halbwegs unter Kontrolle hatten, räusperte sich der schwarzhaarige Junge, dessen grüne Augen leuchteten, grinsend.
"Und hätte my lady auch die Güte mir ihren Namen zu verraten?"
Gespielt legte ich die Stirn in Falten und ließ meine Hand zu meinem Kinn wandern. Ich tat so, als würde ich überlegen, wobei er nur lachend den Kopf schüttelte.
"Du hast Glück. Ich bin milde gestimmt. Du darfst meinen Namen erfahren."
Gespielt gespannt riss er seine Augen auf und hielt sich seine Hände an die Wangen. Er sah aus, wie ein durchgeknalltes Fangirl. Der Fall war klar: Er war absolut korrekt!
"Livia Ginley, aber du kannst mich Liv nennen."
"Was für eine Ehre.", grinste er.
Keine zwei Sekunden später flogen die Türen auf und Teenager verließen, fast fluchtartig, gefolgt von ihren auf sie einredenden Eltern, den Raum.
"Ich glaub, ich muss jetzt los. Wir wollen ja nicht, das meine Mum eine Panikattacke bekommt, weil ihr geliebter Sohn nicht da ist. Man sieht sich, jedenfalls, wenn du, ebenso wie ich, dazu genötigt wirst an diesem behinderten Projekt teilzunehmen."
Ich und genötigt werden? Damit traf er ja mal 100% ins Schwarze.
"Wenn das so ist, bis dann, denn ich werde wohl teilnehmen müssen.", seufzte ich und sah, wie Aaron mit einem letzten Grinsen und einem:"Dann bin ich immerhin nicht alleine.", in der Menge verschwand.
Seufzend stand ich ebenfalls von den Treppen auf, welche schon die meisten hinunter liefen und blickte suchend durch den Menschenauflauf. Meine Mutter war inzwischen wahrscheinlich auch am hyperventilieten und malte sich eine Horrorgeschichte nach der anderen aus. Genauso war es dann auch. Meine Mutter, welche von Panik gepackt durch die Menge blickte, Isabell, die versuchte meine Mum zu beruhigen und Kian, der nur genervt neben ihnen stand. Als der Blick meiner Mutter auf mich fiel, eilte sie auf mich zu und fiel mir um den Hals.
"Wo wartst du so lange?! Du warst mindestens eine halbe Ewigkeit weg! Dir hätte alles mögliche passieren können, was wenn-"
"Mum, mir ist aber nichts passiert. Reg dich ab, okay? Können wir jetzt endlich los? Wir haben hier genug Zeit verschwendet."
Meine Mum seufzte tief.
"Wir haben keine Zeit verschwendet, der Abend war sehr informativ."
"Dann erzähl mir das alles, wenn wir zu hause sind. Ich hab nämlich keine Minute zugehört, aber können wir jetzt bitte los."
Tadelnd blickte meine Mutter mich an.
"Liv, aber der Abend war doch extra dafür gedacht, dass-"
"Mum!"
Abwehrend hob sie die Hände.
"Ist ja schon gut, wir fahren ja."

Seufzend folgte ich meiner Mum, Isabell und Kian, die begannen die Treppe runter zu laufen. Im Auto stöpselte ich sofort meine Kopfhörer ein, nicht dass noch jemand mit mir reden wollte.

Die Fahrt verlief überraschend gut, was aber wahrscheinlich daran lag, dass nur Isabell und meine Mum miteinnander redeten und Kian und ich uns gegenseitig mit Musik aussperrten.

Plötzlich spürte ich einen starken Druck um meinen Arm. Unsanft wurde ich geschüttelt und öffnete daher meine geschlossenen Augen.
"Aussteigen, ihr seid da.", murmelte Kian genervt und ließ dann meinen Arm los.
"Sanfter ging es wohl nicht.", schnaubend stand ich auf.
"Für dich nicht."
Ohne ihm zu antworten knallte ich die Tür zu und lief zu meiner Mum, die am offenen Fahrerfenster stand und sich mit Kians Mutter unterhielt.
Nach geschlagenen 5 Minuten wurde es mir zu blöd. Über was redeten die bitte so lange? Hatten die 3.000 Stunden Fahrt nicht gereicht.
"Tschüss Isabell. Mum, gib mir schon mal den Schlüssel.", unterbrach ich meine Mum schließlich, die immer noch mit Isabell sprach.
"Tschüss.", lächelte Isabell noch, ehe sie sich wieder meiner Mum zuwandte, welche es während des Redens dennoch schaffte, den Schlüssel aus ihrer Tasche zu fischten und ihn mir dann zu geben.

In meinem Zimmer angekommen, schmiss ich mich seufzend ins Bett. Endlich Frieden.
Doch dieser hielt nicht lange, denn mein Handy meldete sich. Grummelnd drehte ich mich auf den Rücken, um besser das Handy aus meiner Jeanstasche heraus zu ziehen.
Eine neue Nachricht von Raven.
Seufzend entsperrte ich mein Handy. Gerade, als ich die ersten Zeilen getippt hatte, fiel mir mein Handy aus der Hand. Vor Schmerzen stöhnend nahm ich mir das Handy aus dem Gesicht und rieb mir daraufhin meine Nase.
So eine Scheiße.
Heute war einfach nicht mein Tag.
Das lag bestimmt an diesem Projekt, alles Schlechte war wegen diesem scheiß Projekt.
Grummelnd rieb ich mir über meine Nase, löschte die bereis geschriebenen Zeilen und schrieb ein einfaches:
Erzähl ich dir morgen.

Für heute wollte ich einfach nur noch in mein Bett, sonst nichts. Schnell zog ich mich aus und schlüpfte danach in meine Schlafsachen. Anschließend machte ich mich auf den Weg ins Bad. Nachdem ich mir meine braunen Haare, mehr oder weniger gründlich gebürstet hatte, griff ich nach meiner Zahnbürste.
Doch kaum hatte ich sie im Mund, kam meine Mutter ins Bad.
"Schatz, wir müssen reden."
Genervt verdrehte ich meine hellbraunen Augen. Musste das jetzt sein? Ich wollte doch einfach nur schlafen, war das zu viel verlangt?
"Mum, ich putze gerade Zähne.", nuschelte ich und versuchte dabei die Zahnpasta im Mund zu behalten.
"Dann hör mir einfach nur zu, okay?"
Mit einem Schnauben nickte ich. Musste es auch gerade jetzt sein?
"Du muss an diesem Projekt teilnehmen, umbedingt! Das hat sich heute alles fantastisch angehört. Das Projekt wurde auch schon in den USA gestartet und das mit großem Erfolg. In 98% der Fälle konnten sie helfen, unglaublich nicht?"
Mit hochgezogener Augenbraue schaute ich meine begeisterte Mutter an.
"Wo es stattfindet, wird den Teilnehmern nicht gesagt, nur den Eltern. Das ist dann ja quasi eine richtige Überraschung, toll nicht? Es wäre mit Vollpension und das Essen soll super sein. Außerdem sagten sie, dass es ein super Ort zum erholen und entspannen ist. Und für Aktion ist auch gesorgt, ihr macht oft Ausflüge, habt aber auch ein wenig Freizeit. Fantastisch nicht?"
Mehr oder weniger begeistert nickte ich und spuckte dann die Zahnpasta ins Spülbecken. Durch den Wasserhahn wurde meine Mutter davon abgehalten sofort nach meinem Nicken fort zu fahren und klappte daher ihren bereits wieder geöffneten Mund zu. Doch kaum, als ich damit fertig war mir den Mund auszuspülen und mir das Gesicht zu waschen, fing sie wieder an.
"Bitte Liv, ich bitte dich inständig, nimm an dem Projekt teil. Versuch es bitte, für mich, für Isabell, für dich. Denk dran, Herr Mountin meint das ernst. Er würde dich und auch Kian von der Schule-"
"Ich nehme teil, zufrieden?", murmelte ich, worauf meine Mum sofort inne hielt.
"W-was?"
"Du hast schon richtig gehört. Ich nehme-", noch bevor ich hätte ausreden können, fiel mir meine Mum um den Hals.
"Ich bin so stolz auf dich, Liv.", lächelte sie glücklich und strich mir langsam über meine Haare.
"Jaja, wann geht es los und wie lange?"
"Freitag und wie lange wird individuell entschieden."
Entschlossen löste ich mich von meiner Mutter.
"Samstag?! Das ist doch schon in drei Tagen! Das geht doch nicht, ich meine... Die Schule? Was ist mit der Schule?"
"Es ist alles geregelt, das geht.", lächelte sie, doch dann fiel mir auf, was sie noch gesagt hatte.
Stutzig verzog ich meine Augen zu Schlitzen.
"Was bedeutet eigentlich, dass individuell entschieden wird,wie lange das Projekt dauert?"
"Ja, es kommt halt darauf an, wann ihr lernt miteinnander zurecht zu kommen.", antwortete sie immer noch lächelnd.
"Und was, wenn wir nicht lernen miteinnander zurechtzukommen?"
Lächelnd schloss mich meine Mum wieder in die Arme.
"Das schafft ihr schon, ich glaube an euch."
Ich nicht...

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