3 - Farbkleckse und Einzelgespräche
"Man Raven, jetzt sei still!", genervt stöhnte ich auf.
"Tut mir ja leid, aber ich halte es echt für eine gute Idee an dem Projekt teilzunehmen. Ich meine, du und Kian müsst das echt in den Griff bekommen."
Sie raubte mir jede meiner noch so kleinen Nerven.
"Ich weiß, aber es war die Rede von Freundschaft und Vertrauen. Das klaptt doch niemals!"
"Gib dem Ganzen doch eine Chance, vielleicht ist er ja gar nicht so ein Arsch."
"Raven, ich kenne diesen Idioten seit der Grundschule und er war immer scheiße zu mir, immer! Er ist und bleibt ein Arschloch, daran wird sich nie etwas ändern! Glaub mir!"
"Aber wenn du-"
"Raven, ich hab jetzt echt keine Lust und keine Zeit, mit dir über so einen Scheiß zu diskutieren. Ich muss jetzt zu Kunst. Bis nachher."
"Bis nachher.", war das Einzige, was sie noch darauf erwiedern konnte, bevor ich um die Ecke bog und mich auf dem Weg zu meinem Kunstkurs machte. War ja klar, dass sie mich zu diesem Projekt überreden wollte. Das mit Kian und mir war ihr immer schon ein Dorn im Auge, welcher sie einfach nur genervt hatte, denn komischerweise fand sie Kian, aus unerfindlichen Gründen, ich zitiere: Eigentlich ganz nett.
Das konnte ja durchaus sein, aber wenn, war er das nicht zu mir.
"So, heute arbeiten wir weiter an unseren Traumlandschaften. Pinsel und Acrylfarbe sind wie immer im Schrank. Strengt euch an und gutes Gelingen."
Wie immer verkroch sich unser Kunstlehrer hinter einer seiner Kunstbücher und schaute nach einiger Zeit, ob auch alle arbeiteten. Dies tat zwar fast niemand, doch das schien ihm relativ egal zu sein, denn er steckte seine Nase wieder in sein Buch. Ich war, mit zwei weiteren Mädchen, die Einzige, die wirklich versuchte, eine halbwegs schöne Traumlandschaft auf die Leinwand zu bringen. Doch bei mir lag die Betonung wirklich auf 'versuchte' ,denn zeichnen, malen oder irgendetwas, was nur im geringsten in diese Richtung ging, konnte ich nicht. Gerade, als ich versuchte,eine kleine Welle an das Strandufer zu zaubern, passierte es. Die Jungs, unter ihnen auch Kian, hatten eine Art Farbkanone gebastelt, die dazu auch noch wunderbar funktionierte. Somit rutschte mein mit blauer Farbe bedeckter Pinsel über die Hälfte meiner Leinnwand und ruinierte den gold gelben Sand, für den ich mindesten 3 Doppelstunden gebraucht hatte. Zu allem Überfluss trohnte auf meinem weiß, schwarz gemustertem Oberteil ein fetter, grüner Farbklecks.
Wutentbrannt schaute ich in das Gesicht des Jungen, welcher die Farbkanone hielt und mich als Versuchskaninchen auserwählt hatte. Grinsend zeigte er mir seine weißen Zähne und seine grau blauen Augen leuchteten mich an. Wütend stand ich auf.
"Du Arsch! Du hast meine Leinwand ruiniert und mein neues Top zerstört, du weißt genau, dass diese scheiß Farben nicht rausgehen!"
Vor Wut kochend schaute ich in seine Augen. Sein Grinsen wurde bei jedem meiner Wörter breiter und meine Wut auf ihn immer größer.
"Hey Leute, ist doch irgendwie ganz niedlich,wenn der Zwerg sich aufregt. Wer will als nächstes auf die schießen?", wandte sich Kian an seine Kumpels, die um ihn herum standen.
Instinktiv stieß ich mein Knie nach oben. Doch er griff nach ihm und hielt es fest, kurz bevor ich seine Eier erneut zerschlagen konnte.
"Nicht übermütig werden Mini, ich kenn den 'Ich-zerschlag-deine-Eier-weil ich-dich-hasse-Tritt' doch schon."
Er hatte absolut recht:
Ich. Hasste. Ihn.
Und das über alles.
Hatte ich vorher nicht noch gesagt, er könnte eventuell nett zu anderen Leuten sein?
Da hatte ich mich geirrt. Definitiv!
Jemand, der so ekelhaft und arschig war, konnte nicht nett sein, zu niemandem!
"Lass mein Knie los, sonst fang ich mir noch etwas ein bei deinen Drecksgriffeln ein.", zischte ich und versuchte mein Knie aus seinem Griff zu befreien.
"Tut mir leid, aber wenn du zu schwach bist, wirst du dir wohl oder übel etwas einfangen."
"Du-"
"Ins Direktorzimmer, sofort!"
Gemerkt hatten wir es nicht, dass sich inzwischen alle wieder hingesetzt hatten und nun unser Lehrer neben uns stand. Wütend schob er seine hässliche Brille nach vorne und verzog seine Augen zu Schlitzen.
"Auf der Stelle!", zischte er noch, ehe er sich umdrehte und zurück auf seinen Platz setzte,um seinem rot gewordenen Kopf wieder halbwegs zu einem normalen Hautton zu verhelfen.
Kian, der inzwischen mein Bein losgelassen hatte, war schon aus der Klasse verschwunden, nur die Tür hatte er für mich offen gelassen. Wie gütig von ihm. Zornig lief auch ich nun den Flur entlang und meine Füße trugen mich schon automatisch ans richtige Ziel. Nur gut, dass ich Kian nicht sah, ich könnte ihm, wie schon so oft, mal wieder den Hals umdrehen. Am Direktorrat angekommen, öffnete ich die Tür und trat ein. Kian saß schon mit dem Rücken zu mir Herr Mountin gegenüber.
"Livia, bitte warte draußen bis Kian rauskommt. Heute werde ich mit jedem einzeln sprechen."
Verwirrt nickend folgte ich den Anweisungen meines Direktors und verließ den Raum. Sonst wollte er uns nie einzeln sprechen.
Nach geschlagenen 15 Minuten kam Kian raus, deutete mir an rein zu gehen und ging dann wortlos an mir vorbei.
Seufzend betrat dich das Direktorzimmer und ließ mich auf dem Stuhl vor Herr Mountin nieder.
"Livia.", murmelte er langsam.
"Was mach ich nur mit dir und Kian?"
"Auf jeden Fall nicht in dieses Projekt stecken.", entgegnete ich und verschränkte meine Arme.
Er seufzte.
"Was soll ich deiner Meinung nach denn dann tun?"
Das war allerdings eine gute Frage. Was sollte er meiner Meinung nach tun?
"Versetz dich bitte in meine Lage, nur für 5 Minuten.", seufzend nickte ich.
"Du und Kian, ihr wurdet heute das 12. Mal in diesem Monat zu mir geschickt. Die Lehrer im Lehrerzimmer bekommen immer, wenn ihr zusammen in einem Raum seid, fast einen Nervenzusammenbruch. Die Schüler werden durch eure ständigen Auseinandersetzung am lernen gehindert und eure Eltern haben, wie ich bei den unzähligen Unterhaltungen mit ihnen erfahren habe, auch keine Kraft mehr für euren Kleinkrieg.
Und dann kam das Angebot. Jede Schule in Deutschland darf zwei Problemschüler für das Love-each-other-Projekt anmelden. Kaum einer meiner Schüler wird so oft wie ihr beide zu mir geschickt und daher habe ich euch angemeldet. Das ist eure letzte Chance euch zusammen zu reißen. Livia, ich habe auch Regeln an die ich mich halten muss und bei euch habe ich mehr als einmal ein Auge zugedrückt. Ich bin verzweifelt, verstehst du? Ich dachte immer früher oder später reißt ihr euch am Riemen, aber das tut ihn nicht.
Und jetzt frage ich dich, was hätte ich tun sollen?"
Mit leicht offenem Mund starrte ich in die grau blauen Augen meines Direktors.
"Was hätte ich tun sollen?", wiederholte er sich nochmals.
"Ich... Ich weiß es nicht.", murmelte ich nach einigen Sekunden. Ich wollte nicht an diesem Projekt teilnehmen, aber ich wusste auch, dass sich mir kein anderer Ausweg bot.
"Geh bitte zu dem Informationsabend. Überleg dir gut, ob du an dem Projekt teilnimmst. Du weißt um die Konsequenzen. Du darfst jetzt gehen."
Wortlos stand ich auf, schob meinen Stuhl an den Tisch und lief dann langsam zu Tür.
Zögernd drehte ich mich noch einmal um.
"Ich werde teilnehmen.", sagte ich, wobei ich meine Stimme kontrollierte, um sie nicht erzittern zu lassen.
"Das freut mich. Kian hat sich ebenfalls schon dazu entschieden teilzunehmen."
Langsam nickend verließ ich den Raum und schloss die Tür hinter mir. Da es inzwischen schon geklingelt hatte, herrschte der üblich laute Geräuschepegel, den ich diesmal jedoch kaum wahrnahm. Gedankenverloren quetschte ich mich durch die Schüler, bis ich am Kustraum ankam. Langsam griff ich nach der Klinke und öffnete sie. Gerade als ich den Raum betrat und auf meinen Platz zulief, sah ich eine Person am Fenster stehen. Kian.
Wortlos lief ich zu meinem Platz und nahm meine Tasche. Einfach ignorieren und hoffen, dass er nichts merkte.
"Liv?", fragte er in die drückende Stille hinen.
Seine Stimme klang ruhig, ausgeglichen, nachdenklich. Es war so ungewöhnt, dass ich eine leichte Gänsehaut bekam.
Langsam blieb ich stehen.
"Ja?", wisperte ich leise.
"Wirst du an dem Projekt teilnehmen?", fagte er, immer noch mit dem Rücken zu mir gedreht und dem nachdenklichen Unterton in seiner Stimme.
"Ja, ich habe Herr Mountin zugesagt."
Ich sah ihn langsam nicken.
"Okay, dann bis heute Abend.", antworte er leise, ehe er komplett verstummte. Kurz fragte ich mich, was er meinte, doch dann fiel mir der Informationsabend wieder ein.
"Bis heute Abend.", murmelte ich noch, ehe ich den Raum verließ und die Tür hinter mir schloss. Der laute Geräuschpegel umhüllte mich wieder und ich drängte mich durch die vielen kreischenden und lachenden Kinder nach draußen. Raven stand an unserem gewohnten Treffpunkt und hielt ihr Handy in der Hand. Im selben Moment klingelte meins. Augenverdrehend ging ich gar nicht dran, da ich genau wusste, dass es Raven war, um wieder zu fragen, ob ich erneut suspendiert wurde.
"Raven, du kannst auflegen, bin ja schon da.", seufzte ich, warauf sie
überrascht aufschaute.
"Ich dachte schon, du wärst wieder suspendiert. Wo warst du denn so lange?", lächelte sie und ließ sich auf die Bank hinter sich fallen.
"Bei Herr Mountin.", antwortete ich und setzte mich ebenfalls.
"Ach, da wären wir wieder bei Thema! Also wegen dem Projekt-"
"Raven, ich nehme teil."
Entgeistert hielt sie inne.
"Wirklich?", fragte sie, wobei ich sah, wie sie zu lächeln begann.
Niedergeschlagen nickte ich, worauf sie mir Sekunden später um den Hals fiel und mich fast erwürgte.
"Das ist ja großartig! Wir werden jeden Tag telefonieren oder schreiben und du wirst mir jedes noch so kleine Detail erzählen. Wie die Zimmer sein werden. Wo genau ihr sein werdet. Was ihr machen müsst. Wann geht es überhaupt los? Und-"
"Raven.", bremste ich sie, worauf sie mich kurz neugierig beeugte.
"Hol tief Luft und lass mich am Leben wenns geht."
Erst jerzt schien sie zu bemerken, dass sie mich mit jedem weiterem Wort enger an sich gepresst hatte.
"Oh ja, sorry. Nur ich freu mich so, das wird einfach fantastisch, glaub mir!"
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top