8. - Schlaflos

„Du kaufst mir ein Auto." Gabe legte seine Stiefel auf dem Stuhl ab, auf den ich mich hatte setzen wollen. „Jetzt."

„Du bist der mit dem Geld von uns." Ich zog mir einen anderen Stuhl heran und setzte mich darauf. Mir war schwindelig vor Kopfschmerzen, die den ganzen Tag über nicht verschwunden waren. „Warum besorgst du's dir nicht selbst?"

„Weil es zu zweit mehr Spaß macht." Gabe grinste sein Schlangengrinsen. „Wie alles."

„Gabe." Ich verdrehte die Augen. „Bleib beim Thema."

„Deine Worte, nicht meine." Er verschränkte die Arme hinter dem Kopf. Ich blinzelte und bemerkte, dass ich die Augen nicht wieder aufgemacht hatte. „Geht's dir irgendwie nicht gut? Du siehst ziemlich beschissen aus."

„Dein Auto besetzt leider mein Bett." Ich rieb mir die Stirn, aber weder die Kopfschmerzen noch die Müdigkeit verschwanden davon. „Haben wir noch Aspirin da?"

„Die habe ich im Tequila aufgelöst."
„Das..." Ich öffnete den Mund und schloss ihn wieder. „Das meinst du nicht ernst."

„Was glaubst du?"

„Du..." Ich ballte die Hände zu Fäusten. „Gabe!"

Gabe lachte, laut und brutal und boshaft. Ich brauchte einen Moment, um mich zu erinnern, dass wir Freunde waren.

„Nimm einen Schluck, dann geht's dir besser. Oder auch nicht." Er stand auf, ging an das Gefrierfach und holte den Tequila heraus. Ich dachte daran, wie er gestern kaum hatte aufstehen können. „Und danach schauen wir uns Autos an."

„Wir haben keine Zeit um uns um Autos zu kümmern, Gabe." Ich nahm ihm den Tequila aus der Hand, mehr um ihn vom Trinken abzuhalten als selbst zu trinken. Bei dem Gedanken an Levis Vision schauderte ich. „Da rennt ein Irrer rum, der uns umbringen und Levi für Wunder weiß was benutzen will und...-"

„Ist schließlich nicht so, als würde er das seit Wochen versuchen." Gabe stand auf, Holz knackte unter seinen Stiefeln. Er sah nicht aus, als würde es ihn interessieren. „Mir egal, was du machst, ich brauche einen Wagen. Dein Handy, bitte."

„Besorg dir doch ein eigenes."

Trotzdem gab ich ihm das Gerät. Er schwenkte es in der Hand.
„Jetzt habe ich eins."

Mit diesen Worten ging er. Ich überlegte, ihm nachzugehen, aber die Kopfschmerzen hielten mich zurück. Am Vormittag, nachdem ich mich bei Doktor Lenz abgemeldet hatte, hatte ich mir Levis Schlafsack geliehen, aber der Junge war so beschäftigt damit gewesen, einen Ring aus Stöckchen, Gras und Pfeifenreinigern zu basteln, dass ich nicht zur Ruhe kommen konnte. Ich stand auf. Vielleicht ließen sich doch irgendwo Kopfschmerztabletten auftreiben.

Einige Zeit lang starrte ich auf das Regal oder vielleicht sah ich auch einfach hindurch, die Tür verschwamm vor meinen Augen. Ich dachte daran, wie diese Mentorin durch Levi gesprochen hatte, das Mal an meinem Arm, auf dem Boden hatte ich einen Fleck Tomatensoße vergessen.

Gabe packte mich, bevor ich fallen konnte, zog einen Stuhl ran und beförderte mich darauf. Ich hatte nicht bemerkt, dass ich gefallen war.

„Was...?"

„Schwächeln wir etwa, Prinzesschen?" Gabe schob mein Handy in seine Tasche, griff nach der Tequilaflasche und schraubte sie auf. „Trinken."

„Ich vertrag keinen Tequila." Der Raum drehte sich, das dumpfe Pochen in meinem Kopf übertönte Gabes hartes Lachen. „Kann ich dein Bett haben?"

Ich hörte mich selbst kaum. Gabes Lachen verstummte.

„Klar."

Ich stemmte mich hoch, mir wurde übel. Gabes Blick ätzte sich wie Säure in meinen Nacken, als ich einen Schritt vor den anderen machte, meine Augen taten weh. Gegenüber vom Badezimmer blieb ich stehen, lehnte mich an die Wand und atmete in der Hoffnung, wieder klar sehen zu können. Beinahe hätte ich Levi übersehen, der auf seinem Schlafsack hockte und an seinem Pfeifenreiniger-Ast-Gras-Kreis arbeitete.

„Alles in Ordnung?"

„Jaja, alles... gut."

Mir war übel, vage bemerkte ich, wie mir Levi näher kam, die Wand hinter ihm verschob sich.

„Der war gut, Tris." Gabe zog sich meinen Arm über die Schultern. „Das kann man echt nicht mit ansehen."

„Danke."

Ich war mir nicht sicher, ob ich überhaupt etwas gesagt hatte. Gabe warf mich mehr in sein Bett als dass er mich hinlegte, rings um mich herum der Geruch von Gabe und Leder und Rasierwasser.

„Schlaf ruhig." Gabe klatschte in die Hände, ich zuckte zusammen. „Zombieboy und ich besorgen was zum Essen."

„W-Was?"

Ich war nicht sicher, wer entsetzter war, Levi oder ich. Gabe knallte die Tür zu seinem Zimmer zu, ich versuchte zu atmen.

„Richtig gehört, du hast die große Ehre, mich zu begleiten." Ich hörte Gabe irgendetwas werfen, Levi schrie auf. „Aber zieh dir was Vernünftiges an."

„Ich hab was Vernünftiges an."

„Du trägst Boxershorts."

Einen Moment war es still. Ich hielt den Atem an, vielleicht wartete ich auf eine Schlägerei oder einen fiesen Kommentar von Gabe, aber das einzige, was ich hörte, war das Rascheln von Stoff.

„Fertig."

„Wird auch Zeit."

Die Tür fiel ins Schloss. In der leisen Hoffnung, Gabe hätte Levi nicht nur mitgenommen, um ihn auf dem Weg umzubringen und seine Leiche zu entsorgen, schloss ich die Augen. Selbst durch die Dunkelheit konnte ich sehen, wie sich der Raum drehte, ein beständiges Stechen zwischen meinen Augen, das mir Übelkeit bereitete. Ich überlegte, doch auf den Tequila zurückzugreifen, bevor ich mich erinnerte, was das letzte Mal passiert war, als Gabe mir Tequila angedreht hatte. Ich blieb liegen. Irgendwo klickte etwas.

„Holy Barb."

Ich blinzelte und bemerkte, dass ich die Augen nicht geöffnet hatte. Die Stimme wiederholte sich, ein dumpfer Klang in den tiefen Lagen einer Frauenstimme, ich kniff die Augen zu. Ich durfte nicht an das Holy Barb denken. Wenn ich daran dachte, dachte ich auch an Tony und an unseren Kuss und an ihren Bruder und daran, wie sie uns das Ankh gestohlen und mich mit einer Brechstange bedroht hatte.

„Hör auf", sagte ich, meine Stimme klang brüchig.

„Holy Barb." Das Flüstern klang weit weg. Ich riss die Augen auf, aber Gabes Zimmer war leer, ich hielt mir die Ohren zu, es hörte nicht auf. Das Pochen in meinem Kopf wurde durchdringend. „Holy Barb."

„Was ist da?"

„Grüne Straße... Treffen... Ende... Treffen in... Holy Barb... Ende von... Grüne Straße vor..."

Die Stimme verstummte, ich bekam eine Gänsehaut. Es war viel zu still in der Wohnung. Ich setzte mich auf, das Zimmer schwankte und im nächsten Moment lag ich auf der Seite, mein Gesicht in Gabes Kissen, ich riss den Kopf hoch.

„Abendessen."

Beinahe hätte ich geschrien. Levi stand neben dem Bett, in Jeans anstelle von Boxershorts. Er war weder tot noch grün und blau geschlagen. Ich brauchte einen Moment um mich zu erinnern, wie man sprach.

„Geht's dir gut?"

Er nickte. Sein Gesicht war gerötet. Ich zog die Augenbrauen zusammen und stand auf, das Zimmer drehte sich. Levi packte meinen Arm.

Er glühte rot auf.

Er riss sich los, als hätte er sich verbrannt, seine Haut nahm wieder eine normale Farbe an, wenn man wandweiß als normale Farbe bezeichnen wollte.

„Du hast sie gesehen." Levi fuhr sich durch die Haare, seine Jeansjacke war regendurchnässt. Ich fragte mich, wie lange Gabe und er weggewesen waren. „War sie hier? Was hat sie vor? Kann sie uns...-"

„Wer?"
„Die Mentorin."

Mein Kopf tat weh. Levi fuhr herum und stapfte in den Flur, ich folgte ihm. Die Wohnung roch nach Pizza. Es war das erste Mal, dass mir von dem Geruch übel wurde.

„Scheiße." Gabe erstarrte mit der Tequilaflasche in der Hand, die er aus dem Kühlschrank holen wollte. „Wann ist deine Beerdigung?"

„Nächsten Dienstag." Ich schaffte es, mich auf einen der Stühle zu setzen, der Raum drehte sich um mich. „Wir müssen zum Holy Barb."
„Klasse Plan." Gabe knallte die Tequilaflasche auf den Tisch, ich zuckte zusammen. „Breschis kleine Schwester freut sich garantiert, wenn sie dich erst mit einer Nadel attackieren und dich danach an Schneewittchen verkaufen kann. Im Ernst, Tris, hat man dir in der Pathologie versuchsweise das Hirn amputiert?"

„Nicht wegen..." Ich schaffte es nicht, Tonys Namen auszusprechen. „Jemand will sich da mit uns treffen."

„Aha."

Gabe setzte sich, klappte einen der Pizzakartons auf und nahm ein Stück heraus.

„Willst du nicht wissen, wer?"
„Ist mir egal." Er hielt mir ein Stück Salamipizza hin, ich nahm es entgegen. Er hatte bereits sein zweites Stück in der Hand. „Wir gehen nicht hin."
„Und das entscheidest du weswegen?"

„Wir sollen uns mit jemandem treffen, den du nicht kennst, an einem Ort, an dem zufälligerweise jemand wohnt, der dich umbringen will." Gabe griff nach dem Tequila. Die Flasche war halb leer. „Offensichtlicher geht's ja wohl nicht."

„Es ist keine Falle."
Levi klang so überzeugt, dass ich es ihm geglaubt hätte, selbst wenn ich die Stimme nicht gehört hätte. Gabes Grinsen erinnerte mich an einen Wolf.

„Und das weißt du woher?"

„Äh..." Levis Ohren färbten sich tiefrot. „Intuition."

„Bist du schwanger oder was?"

„Levi hat recht." Ich ließ das Pizzastück sinken. „Wir müssen da hin, Gabe."

„Garantiert nicht." Gabe streckte mir seine Hand entgegen. „Deine Schlüssel."

„Was?" Mein Mund wurde trocken. Gabe konnte mich nicht rausschmeißen. Er verzog keine Miene. „Nicht dein Ernst, oder?"

„Schlüssel her." Gabe machte eine auffordernde Bewegung. „Diesmal wirst du nicht einfach sinnlos losrennen, sobald du mal einen Hauch Testosteron spürst. Also, her damit."

„Du willst uns einsperren?" Ich stand auf, musste mich am Stuhl festhalten, um nicht zu fallen. „Du hast doch ein Rad ab."
„Fällt dir aber früh auf." Gabe stand auf und wandte sich den Küchenschränken zu. „Lass mich raten." Er trat an den Schrank mit den Tellern, ich kniff die Augen zu. Gabe klimperte mit meinen Schlüsseln vor meinem Gesicht. „Als hätte ich es nicht geahnt."

„Das kannst du nicht bringen, Gabe."

„Oh doch, das kann ich." Er ließ meine Schlüssel in der Hosentasche verschwinden. „Bis morgen."

„Moment." Gabe stand schon halb in der Tür. „Wo willst du hin?"
„Zigaretten kaufen." Gabe lachte über meinen Blick, ich folgte ihm in den Flur. „Ich habe noch eine Autobesichtigung."

„Und du haust jetzt ab und sperrst uns hier ein."

„Erfasst."

Gabe trat in den Hausflur und warf die Tür hinter sich zu, ich packte die Türklinke im selben Moment, in dem sich der Schlüssel im Schloss drehte. Ich schlug gegen das Türblatt.

„Gabe!"
Gabe antwortete nicht, ich hörte seine Schritte auf der Treppe. Fluchend rüttelte ich an der Türklinke. Nichts regte sich. Levi schlich in den Flur.

„Und was jetzt?"

Ich starrte auf das Türblatt. Manchmal erweckte Gabe in mir das schwerwiegende Bedürfnis, ihn zu treten.

„Jetzt warten wir."

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