5. - Besuchszeit

„Ich hasse dich." Gabe stierte mich an, als wäre ich für alle Seuchen der Welt verantwortlich. Ich wich vor ihm zurück zum Kühlschrank, bevor er mich ermorden konnte. Er deutete auf den Verband an seinem Bein, das auf einem Stuhl ruhte. „Sieh dir diese Scheiße an."

„Hättest du nicht mit einer Zange darin rumgestochert, wäre der Eingriff nicht halb so kompliziert gewesen." Ich holte eine Packung Grillfleisch aus der Tiefkühltruhe und zog eine Pfanne aus dem Schrank. Ich war mir nicht sicher, ob es um drei Uhr morgens noch als Abendessen oder schon als Frühstück zählte. Gabe warf mir das Desinfektionsspray, das ich neben ihm stehen gelassen hatte, an den Kopf. „Heißt, deine Sportbefreiung verlängert sich um zwei Monate."

„Vergiss es." Gabe zog sein Bein vom Stuhl und stellte es auf dem Boden ab. Ich hob eine Augenbraue. „Gib mir dein Handy."

„Es ist drei Uhr morgens."
„Mir egal." Er machte Anstalten, aufzustehen. Ich war so schnell bei ihm, dass ich ihm beinahe die Pfanne ins Gesicht geschlagen hätte. Gabe schubste mich weg. „Sehe ich aus als wäre ich behindert?"
„Tatsächlich, ja." Ich konnte nicht aufhören, auf sein Bein hinab zu starren. „Du bekommst mein Handy, wenn du das Bein wieder hochlegst."

„Ich verzichte." Er wollte sich an mir vorbeischieben, das Bein gab unter ihm nach. Ich packte ihn, bevor er fallen konnte, Gabe stieß mich von sich. Sein Blick machte mir Angst. „Beim nächsten Mal schlage ich dich k.o."

„Gabe." Ich wandte mich zum Herd um, damit er die Angst oder Enttäuschung in meinem Gesicht nicht sehen konnte. „Deine Rippen sind immer noch gebrochen und wenn du dich jetzt überanstrengst, wirst du...-"

„Ich überanstrenge mich nicht!"

Seine laute Stimme ließ mich zusammenzucken. Ich atmete ein, stellte den Herd an, sah zu, wie das Öl zerlief und heiß wurde. Gabe würde mir nichts tun, er musste verstehen, dass es nötig gewesen war, musste verstehen, dass ich das für ihn tat, nicht gegen ihn. Ich war mir nicht sicher, ob er das konnte.

„Dann wirst du nie wieder Sport machen können." Ich ließ die drei Fleischstücken in die Pfanne fallen, Fett spritzte auf meine Hände. Ich bemerkte es kaum. „Dann kannst du froh sein, wenn du überhaupt je wieder laufen kannst."

„Sehr witzig, Alter. Ich lach mich tot."

Aber er setzte sich hin und legte das Bein auf den Stuhl zurück. Ich wendete die Fleischstücken und nahm die Nudeln vom letzten Abend aus dem Kühlschrank, um sie aufzuwärmen. Ich sollte aufhören.

Ich sagte: „Sei froh, dass ich ein Praktikum beim Pflegedienst gemacht habe, sonst hättest du da bleiben müssen."

Einige Sekunden lang war es still. Gabe stierte auf den Verband, als könnte er ihn allein durch seinen Blick in Brand setzen.

„Bin ich."

Ich wollte nicht an Danny denken. Die Nudeln zischten, ich rührte um. Die Tomatensoße verflüssigte sich langsam.

„Warum wolltest du nicht, dass ich dir helfe?"

Gabe grunzte zur Antwort. Einige Momente lang schloss ich die Augen, sie brannten vor Müdigkeit. Ich bemerkte, dass ich in weniger als fünf Stunden zur Arbeit musste.

„Gabe."

„Schon mal auf die Idee gekommen, dass ich keine Hilfe will?" Gabe tastete über den Tisch und bemerkte, dass ich den Tequila weggestellt hatte. Hätte ich nicht gewusst, dass er nicht aufstehen konnte, wäre ich geflohen. „Gib ihn her."
„Ich weiß nicht, wie viel Schmerzmittel noch in deinem Blut ist."

„Wachsen mir davon zusätzliche Gliedmaßen oder was?"

Gabe bekam ein Glas zu fassen und begann, damit auf den Tisch zu klopfen. Ich dachte an einen betrunkenen Gabe, den ich davon abhalten müsste, sein Bein zu belasten.

„Möglich wäre es."

Gabe lachte, es klang wie splitterndes Glas.

„Verarschen kann ich mich selbst, Tristalinchen."

„Mir wäre es lieber, wenn du jetzt keinen Alkohol trinkst."

Ich wendete das Fleisch, der Geruch von Kräutern und Braten füllte die Küche. Gabe drehte das Glas in der Hand, beinahe erwartete ich, er würde es nach mir werfen. Ich wünschte, ich hätte ihn nicht ins Krankenhaus gebracht.

„Interessiert mich nicht."

Ich tröstete mich mit dem Gedanken, dass er eh nicht allein an den Alkohol kommen würde, und nahm zwei Teller aus dem Schrank, zögerte und holte einen dritten dazu.

„Levi?"

Aus dem Flur war ein Plumpsen zu hören, kurz darauf schob ein sehr verschlafener Levi den Kopf durch die Küchentür.

„Hm?"

Ich deutete auf die Pfanne und überlegte, ob wir ihm nicht doch ein Bett besorgen sollten, anstatt ihn weiter im Schlafsack im Flur schlafen zu lassen.

„Hast du Hunger?"
„Immer." Levi taumelte in den Raum und suchte sich den Stuhl möglichst weit entfernt von Gabe. „Wie war's im Krankenhaus?"

„Willst du's rausfinden?"

Gabe wollte aufstehen, mit zwei Schritten war ich bei ihm und drückte ihn auf den Stuhl. Ich wich gerade rechtzeitig zurück, bevor er mich schlagen konnte.

„Du tust dir nur weh, Mann."

„Kümmer dich um dein Essen." Gabes Lippen zuckten. Er ließ Levi nicht aus den Augen. „Sonst muss ich mich mit dem restlichen toten Fleisch da begnügen."

„I-Ich bin nicht tot!" Levi sprang auf. Halb rechnete ich damit, er würde gehen, aber er stapfte auf Gabe zu und baute sich vor ihm auf. Amüsiert sah Gabe zu ihm hoch. Levi packte Gabes Hand und drückte sie an seinen Hals. „Wahrscheinlich bin ich lebendiger als du, du..."

Er verstummte, einige Sekunden lang starrten sie sich an, Levis Mund öffnete sich. Gabes Hand lag noch immer an Levis Hals.

Gabe stieß ihn von sich.

„Beim nächsten Mal brech ich dir die Hand, du dreckige Mistratte." Sein Atem ging schwer. Levi wich vor ihm zurück, seine Ohren glühten tiefrot. „Da brennt was."

Ich riss die Nudeln von der Herdplatte, das Zischen der angesengten Soße verstummte. Ich lud eine Portion Nudeln und Fleisch auf jeden Teller. Gabes Hand an Levis Hals, seine geweiteten Augen wollten mir nicht aus dem Kopf gehen.

„Wird Zeit." Gabe schaffte es, seinen Stuhl zum Tisch umzudrehen, mit Wucht knallte er das Glas auf die Tischplatte. Ich fragte mich, wie lange er noch brauchen würde, um zu verstehen, dass er sich nur selbst wehtat. „Übrigens, den nächsten Wagen darfst du finanzieren."

„W-Was?" Ich dachte an mein Praktikumsgeld, verschwindend gering gegen Gabes Ausbildungsgehalt. „Warum sollte ich?"

„Du bist gefahren." Gabe nahm mir das Besteck ab. „Und ich brauche einen Wagen."

„Dann besorg dir einen." Ich stellte den Teller vor ihm ab und deutete auf seinen Fuß. „So wirst du die nächsten Wochen eh nicht fahren können."

Gabes Grinsen hätte Kinder zum Heulen bringen können. Ich schob Levi seinen Teller zu und setzte mich auf den freien Stuhl, das Essen verschwamm vor meinen Augen, als ich darin zu stochern begann. Vielleicht sollte ich mich für den nächsten Tag von der Arbeit freistellen lassen. In einer Woche war das Praktikum ohnehin vorbei.

Ein Krachen aus meinem Zimmer, Metall auf Metall, ich stieß gegen den Tisch vor Schreck. Gabe wollte aufspringen, ich hielt seinen Fuß fest, bevor er ihn von dem Stuhl nehmen konnte.

„Finger weg." Gabe schlug nach mir und schaffte es auf die Füße, tastete nach den Krücken, die ich an die Anrichte gelehnt hatte. „Ich komm klar, du Vollhonk."

Ich sah zu Levi, in den dunklen Flur, zu Gabe, der sich auf den Stuhl stützte, auf sein Bein, zu Levi zurück.

„Halte ihn auf."

Ich schob mich an ihnen vorbei und rannte in den Flur.

„Tris!"

Ich hörte Gabe fluchen, aber ich hielt nicht an. Ein erneutes Krachen, im Flur konnte ich kaum den Boden sehen, ich bekam eine Gänsehaut. Reißendes Metall. Das Geräusch kam aus meinem Zimmer.

Ich tastete an der Wand nach dem Lichtschalter, das Gerippe von Gabes Wagen schemenhaft in der Dunkelheit, das Metall glitzerte.

„Loslassen oder du stirbst zum zweiten Mal!"

Gabe klang kurzatmig. Ich bekam den Lichtschalter zu fassen, klickte ihn um, die Lampe reagierte nicht. Etwas prallte auf Metall. Levi schrie, ich entdeckte ein Stück von der Fahrertür am Boden und griff danach, meine Hände zitterten. Es war viel zu still.

Etwas sprang mich an.

Ich prallte gegen die Wand und wurde zu Boden gerissen, im nächsten Moment sah ich messerscharfe Zähne über mir, ein irres Grinsen.

„Ankh."

Die Stimme klang hohl. Ich riss mein Knie hoch, das Vieh flog über mich hinweg. Es wog kaum mehr als eine Puppe, nur Haut und Knochen und dieses Grinsen. Ich kam auf die Füße, das Metallteil wie einen Schläger erhoben.

„Ankh." Das Vieh kroch auf mich zu, kaum größer als eine Katze. „Ankh."

Ich verpasste ihm einen Schlag mit dem Metallding und beförderte es glatt in Gabes Auto, die Karosserie wackelte. Es war das erste Mal, dass ich sah, wie eingedellt die linke Seite war, der Anblick verursachte mir Übelkeit. An dieser Stelle hatte ich vor wenigen Stunden gesessen.

„Ankh."

Das Vieh machte einen Satz auf mich zu, ich sprang zurück und stolperte. Ein weiterer Schlag mit dem Metallstück beförderte es gegen die Wand, es fiel daran herab. Es sah nicht bedrohlich aus, nicht wie die Ghule, nicht wie etwas, das Tenos schicken würde.

Als Levi erneut schrie, verstand ich, warum.

Ich rannte in die Küche zurück und stolperte über das Wesen, das sich kreischend an meinem Hosenbein festklammerte. Gabe stand auf die Krücken gestützt vor Levi, ihm den Rücken zugewandt, er biss die Zähne so fest zusammen, dass ich es selbst von meiner Position aus sehen konnte.

Tenos stand ihm gegenüber.

„Babyghul." Die farblosen Augen waren auf Levi gerichtet, seine grauen Lippen verzogen sich zu einem Lächeln. „Lang, lang ist's her."

„Hier spielt die Musik, Schneewittchen."

Gabe knallte Tenos seine Krücke ins Gesicht.

Der Dämon packte das Ende der Krücke und riss daran, Levi hielt Gabe fest, bevor er mitgerissen werden konnte.

„Das Ankh." Tenos richtete seinen Armstumpf auf mich. Ich dachte an die Villa, den Brand, den Pechsee im Grunewald, das Leuchten, das von Levi Besitz ergriff, ich schauderte. Tenos' Armstumpf war von knotigem Narbengewebe überzogen. „Sofort."
„Nein."

Meine Stimme zitterte. Er war zurück, wirklich zurück. Tenos' Lächeln erinnerte mich an Gabes.

„Deine Freundin schickt mich." Er bewegte die Hand, Gabe und Levi wurden zu Boden gerissen. Fluchend rappelte Gabe sich hoch, sein Bein knickte unter ihm weg. „Die Kleine mit dem Salz."

„Tony."

Mir wurde übel. Tony im Tattoostudio, Tony in Gabes Auto, Tony auf meinem Schoß, als ich sie geküsst hatte, Tony mit dem Ankh in dieser Gasse.

„Erraten." Tenos schnipste mit den Fingern, Levi, der sich halb aufgerappelt hatte, prallte auf den Boden. Gabe regte sich nicht. „Du schuldest mir noch einen Gefallen, Unwürdiger."

„Ich schulde dir nichts." Meine Zunge fühlte sich belegt an. Tony in dieser Gasse, die Brechstange an meinem Hals, ich sah zu Gabe, der sich langsam hochstemmte. „Lass sie in Frieden oder...-"

„Sie hat mich in ihren Dienst gestellt." Tenos packte Levi am Kragen und zog ihn auf die Füße, der Junge schnappte nach Luft. „Du schuldest mir ein Pfand für das Leben, das ich dir heute zurückgegeben habe."

„Nein." Der Unfall, die eingedellte Fahrertür, das Blut, die Heilkräfte. Ich starrte in Tenos' kalkbleiches Gesicht und mir wurde klar, dass es nicht vorbei war, der Pechsee, das zerstörte Ankh, all das war nicht das Ende gewesen. Levi wand sich in Tenos' Griff. „D-Das warst nicht du."

„Wem verdankst du die Unsterblichkeit, Babyghul?" Tenos warf sich Levi über die Schulter, als wöge er nichts, ich konnte den Jungen wimmern hören. „Sein Leben gegen deines."

„Du kannst ihn nicht..."

Gabe schlug ihm seine Krücke in den Rücken.

Tenos ließ Levi fallen und fuhr herum, Gabe rammte ihm die Faust in den Magen. Mit einer kleinen Handbewegung schleuderte der Dämon meinen besten Freund in den Tisch. Das Holz brach unter seinem Gewicht, Nudeln und Fleisch und Tellerscherben schlitterten über den Boden. Gabe schrie auf, Wut und Schmerz, und einige Sekunden lang bewegte er sich nicht.

„Herzlichen Glückwunsch, Sterblicher." Tenos ließ ihn in die Luft schweben, Gabes Kopf sackte auf seine Brust. „Du hast es tatsächlich geschafft, mich ernstlich gegen dich aufzubringen."

„Lass ihn in Ruhe." Ich machte einen Schritt in den Flur, noch einen, mein Mund wurde trocken. Gabes große Gestalt baumelte reglos in der Luft, sein verletztes Bein hing halb in den Überresten des Tisches. „Er hat nichts damit zu tun. Lass ihn..."

Das Vieh sprang mir von hinten in den Rücken.

Ich wälzte mich über den Boden, begrub das Wesen aus Haut und Knochen unter mir und sprang auf, beinahe hätte ich die Kratzer nicht gespürt, die die Klauen des Wesens auf meinem Rücken hinterlassen hatten. Tenos drehte sich zu mir um, mit einer nachlässigen Handbewegung ließ er Gabe zu Boden fallen. Gabe krachte in die Holzüberreste und bewegte sich nicht mehr.

„Es ist ganz einfach, Babyghul." Tenos bewegte die Finger, ich sah Schattententakel aus dem Boden kriechen, zu Gabe, unweigerlich streckte ich die Hand aus. Das Wesen am Boden klammerte sich an meinem Hosenbein fest, biss mir in die Wade, ich zerrte es weiter. „Sag mir, wo das Ankh ist, und vielleicht lasse ich deinem Freund sein erbärmliches Leben."

„W-Wir haben es nicht mehr." Ich konnte ihm Levi nicht überlassen. Ich konnte Gabes Leben nicht aufs Spiel setzen. Tenos' Wesen krabbelte an meinem Bein hoch, ich trat es weg. „Es wurde bei dem Ritual zerstört."

„Netter Versuch, Kleiner." Tenos richtete seinen Armstumpf auf mich. „Ich kann seine Energie genauso spüren wie deine und...-"

Tenos wurde gegen die Wand geschleudert.

Levi hockte neben Gabe auf dem Boden, die Augen zusammengekniffen, seine Haut glühte rötlich. Ich rannte los, zu ihnen, zu Tenos, ich wusste es nicht, bis ich vor dem Küchenregal stand und eine Packung Salz herausriss, herumfuhr und...

„Buh."

Tenos stand so dicht vor mir, dass ich die kalte Erde an ihm riechen konnte, seine Grabeskälte verursachte mir Übelkeit. Er nahm mir das Salz aus der Hand.

„Niedlich." Der Dämon riss die Salzpackung auf und kippte mir den Inhalt über den Kopf, ich kniff die Augen zusammen. Er würde uns töten. Er würde uns vernichten. „Das Ankh, oder willst du, dass ich...-"

Tenos löste sich in grellem Licht auf.

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