3. - Kraft der Teleportation
Als es passierte, waren wir mitten auf dem Tempelhofer Damm und Levi drückte sich so sehr in die Rückbank von Gabes Mercedes, dass ich halb damit rechnete, er würde von den abgegriffenen Polstern verschluckt werden.
„Entspann dich, Levi." Ich hielt an einer roten Ampel und versuchte, nicht daran zu denken, wie Gabe gegen die Wand des Sportstudios knallte. „Gabe wird dir nichts tun."
„Nicht?" Gabe grinste sein Serienmördergrinsen. An seinem Hals klebte noch getrocknetes Blut. „Ich wäre mir da nicht so sicher, Zombieboy. Vielleicht legst du dich ja heute Abend schlafen und wachst nie wieder auf."
„I-Ich bin kein Zombie."
„Das lässt sich ändern."
„Leute."
Jemand hinter mir hupte, ich trat aufs Gaspedal. Der Wagen machte einen Sprung nach vorn und fuhr an. Gabe stöhnte übertrieben.
„Wer hat dir eigentlich einen Führerschein gegeben?"
„Wer hat dir eigentlich die Karre hier verkauft?"
„Dein Vater."
Damit hatte er leider sogar recht. Ich versuchte, mich auf die Straße zu konzentrieren. Gabe bewegte sich auf dem Beifahrersitz und halb rechnete ich damit, mir im nächsten Moment eine Predigt über meine Fahrkünste anhören zu müssen. Ich blinzelte. Die Straße verschwamm etwas vor meinen Augen. Vielleicht lag es noch an der Erschöpfung vom Training. Vielleicht hätten wir noch ein bisschen warten sollen, ehe wir losfuhren...
„Auto!"
Ich hätte gedacht, der Mythos vom Zeitlupen-Erlebnis in solchen Momenten wäre wahr.
Ich hatte mich getäuscht.
Ich sah den Wagen nicht, bevor er in die Fahrerseite krachte und uns geradewegs von der Straße beförderte. Metall krachte und barst, ich trat auf die Bremse. Ein Quietschen. Jemand schrie. Vielleicht war ich es selbst, als die Fahrerseite eingedrückt wurde. Unsere Fahrt endete prompt, als wir mit voller Geschwindigkeit in die Hauswand krachten, mein Kopf schlug gegen das Lenkrad und einige Sekunden sah ich schwarz. Als ich zu mir kam, war ich mit Glassplittern übersät und von dem anderen Wagen fehlte jede Spur.
„Oh Gott, das..."
„...kann ihn nicht..."
Die Stimmen klangen gedämpft. Ein dumpfer Schmerz ging von meiner linken Seite aus, Arm, Bein, Kopf, Brustkorb. Ich blinzelte, etwas lief mir in die Augen. Einen Moment lang sah ich wieder die auf uns zurasende Hauswand vor mir, Metall auf Beton. Gabe.
Ich riss den Kopf hoch, die Bewegung verursachte mir Übelkeit. Gabe starrte mich an, seine Lippen bewegten sich. Ich tastete nach meinen Ohren und bemerkte, dass ich nur die rechte Hand bewegt hatte.
„Was...?"
„...verdammt noch mal zu!"
Ich zuckte zusammen. Ein Ruck ging durch meine linke Schulter. Gabe versuchte, sein rechtes Bein aus dem Fußraum zu befreien, um sich weiter zu mir umdrehen zu können, er fluchte unterdrückt. Ich rieb mir die Augen.
„Alles... okay?"
Meine Stimme fühlte sich fremd an. Gabe schlug auf das Armaturenbrett und riss noch heftiger an seinem Bein. Ich wollte mich zu ihm umdrehen, ihm sagen, dass er ruhig bleiben musste. Erst einen Moment später bemerkte ich, dass ich mich nicht bewegt hatte. Mein Atem hallte laut in meinen Ohren.
„Scheiße, Tris, hör auf der Stelle auf damit!" Gabe biss sichtlich die Zähne zusammen. Mit einem Ruck befreite er sein Bein. Ich sah Blut. Es war das erste Mal, dass mir beim Anblick von Blut schlecht wurde. Vielleicht lag es auch an den Kopfschmerzen. „Verdammt. Du hättest mich fahren lassen sollen, du Idiot."
Ich musste schon wieder blinzeln, ärgerlich wischte ich mir über die Augen. Einige Momente starrte ich auf die rote Flüssigkeit, ohne zu verstehen, worum es sich handelte.
„Oh."
Meine Hand tropfte vor Blut.
„Shit." Gabe versuchte, die Beifahrertür zu öffnen. Es gelang ihm nicht. Er trat dagegen, ein Mal, zwei Mal, drei Mal. Mit Schwung flog die Tür auf. Ich erhaschte einen Blick auf starrende Passanten, in die Luft erhobene Handys. „Verpisst euch, ihr scheiß Gaffer!" Gabe drehte sich um, sah nur kurz zu mir, bevor er sich zu Levi umdrehte. Hoffentlich war dem Jungen nicht passiert. „Wie kriegen wir ihn hier raus?"
„I-Ich weiß nicht."
„Dann denk dir was aus, verdammt!"
„Ich könnte die Leute da...-"
„Ist mir scheißegal." Gabe griff nach meinem Sicherheitsgurt und zerrte daran herum. Ich wollte ihm helfen, aber er stieß meine Hand weg. Mein Kopf dröhnte. „Mach einfach was!" Ich hörte Levi schluchzen und schloss die Augen. Mein Kopf brummte. „Hey, Tris." Gabe klopfte mir unsanft gegen die Schulter. „Hiergeblieben."
„Ich bin" - ich musste schlucken - „doch gar nicht weg."
„Siehst aber verdammt danach aus."
Das Wageninnere wurde rot. Ich blinzelte. Licht sehen war ganz sicher nicht gut.
„Gabe?"
„Hm?"
„Du - Du siehst das Licht auch, oder?"
„Das ist Zombieboy." Gabe schaffte es endlich, den Sicherheitsgurt zu lösen, das Metallteil prallte gegen meine Schulter. Ich zischte. „Keine Panik."
„Hm." Mir wurde schwindelig. Gabe griff über mich hinweg und schlug gegen die Tür, die Vibration ging durch meine komplette linke Seite. Die von Rissen durchzogene Scheibe verschwamm vor meinen Augen. „Gabe..."
„Kacke, Tris, du wirst mir jetzt nicht..."
Gabe unterbrach sich und schlug stattdessen gegen die Frontscheibe. Glas klirrte, winzige Scherben rieselten auf mich herab. Gabe drückte die Scheibe einfach nach außen, kletterte über das Armaturenbrett auf die Motorhaube - und stockte.
„Wie zur Hölle hast du das gemacht?"
„Ich - Ich weiß nicht." Levis Stimme zitterte. Ich versuchte, mich gerade hinzusetzen, aber es gelang mir nicht. „Das... Ich habe nur daran gedacht u-und plötzlich...-"
„Egal." Gabe stützte sich auf das Lenkrad vor mir. Das Leder war voller Blut. „Kannst du deine Beine spüren?"
Ich brauchte einen Moment, um zu verstehen, dass er mit mir sprach. Ich nickte.
„Gut." Gabe wollte nach meinen Armen greifen, zögerte aber. Mein Kopf pochte im Takt meines Herzens. „Was ist mit deinen Armen?"
Ich nickte wieder und schloss die Augen. Der dumpfe Schmerz in meiner linken Seite wurde langsam deutlicher, als bahnte er sich einen Weg durch eine Wand aus Watte. Ich schauderte. Gabe fluchte und kletterte von der Motorhaube, woraufhin er nur noch stärker fluchte.
„Levi."
Es klang wie Bei Fuß. Undeutlich sah ich, wie Levi an seine Seite huschte. Jemand riss an der Fahrertür. Ich hörte das metallische Knirschen, als sich das Material gegen die Krafteinwirkung stemmte. Nichts regte sich.
„Versuch es weiter."
Ich hörte Gabes schwere Schritte davongehen. Einige Sekunden war nur Levis hektischer Atem zu hören, er lullte mich ein, ließ mich wegdriften. Der Schmerz wurde von einem leisen Summen in meinem Kopf übertönt.
Zumindest so lange, bis Gabe mit einer Kreissäge auf die Tür losging.
Ich schrie auf, versuchte, von der Tür abzurücken, und bemerkte, dass ich mich nicht bewegt hatte. Mein Herz hämmerte gegen meine Rippen, als wollte es sie brechen.
„Fuck, Gabe!" Ich hielt mir die Hand vor Augen, Funken sprühten durch das Metall. Der Innenraum des Wagens verschwamm vor meinen Augen. „Hör auf!"
Das Geräusch der Kreissäge verstummte. Ich hörte brechendes Metall, sah Gabe mit seiner Brechstange an der Stelle, wo eigentlich die Tür befestigt sein sollte. Meine Augen fielen zu. Wieder das brechende Geräusch. Hände packten mich und hoben mich aus dem Wagen, als jemand nach meinem linken Bein griff, zischte ich.
„Pass doch auf, du Volldepp!"
„T-Tut mir leid."
„Sollte es auch."
Ich schwebte durch die Luft, klammerte mich an mein Bewusstsein, als hinge mein Leben davon ab. Mir war so schwindelig...
„Wach bleiben, Tris." Sie legten mich auf dem Boden ab. Es war kein Asphalt, sondern Fliesen. „Alles wird gut."
„Wo..."
„In der Wohnung." Gabe sah zu Levi. „Zombieboy kann neuerdings Autos teleportieren."
Levi zuckte hilflos mit den Schultern. Sein Gesicht war voller Blut.
„Passiert."
Ich ließ den Kopf zurücksacken und konzentrierte mich darauf, zu atmen. Der Wagen hatte die Fahrerseite gerammt. Meine Tür war vollkommen lädiert gewesen. Was bedeuten musste...
„Wie schlimm sieht es aus?"
Meine Stimme klang pfeifend. Gabe sah nicht eine Sekunde lang auf meinen Arm oder mein Bein oder meinen Brustkorb, er hatte die Augen zusammengekniffen. Winzige Schrammen zeichneten sein Gesicht.
„Nicht so schlimm, wie ich erwartet habe."
„...dein Bein?"
Mehr brachte ich nicht hervor. Gabe hob die Schultern.
„Halb so wild." Er musterte meinen Arm. Ich stellte mir einen Berg aus Hackfleisch und Blut, Knochen und zerrissenen Muskeln vor und wunderte mich, warum es kaum wehtat. „Was... Wie bekomme ich das wieder hin?"
Gabes Zögern brachte mich dazu, doch meinen Mageninhalt zu riskieren und an mir hinabzusehen.
Ich sah zerrissene Haut und Fleisch und versuchte, mir zu sagen, dass das nicht zu mir gehörte, dass das nur eine Leiche in Dr. Lenz' Pathologie war. Der Gedanke beruhigte mich nicht wirklich.
„Handtücher." Ich kniff die Augen zusammen. Es sollte wehtun. Warum tat es nicht weh? „Verbandszeug. Wasser."
Ich hörte Levi loslaufen, zitternd berührte ich meine Stirn. Mein Atem beschleunigte. Mir fiel nur ein Grund ein, warum es nicht wehtat.
„Gabe?"
„Du stirbst nicht, Tris." Etwas landete auf meinem Gesicht, ich zuckte zusammen. Galle stieg mir die Kehle hinauf. „Wir - Wir kriegen das hin."
Ich antwortete nicht. Gabe griff nach dem, was von meinem Arm übrig geblieben war, ich stöhnte. Okay, es tat doch weh. Verdammt weh. Gabe schlug auf den Fußboden.
„Fuck, das war meine scheiß Karre. Ich hätte fahren sollen!" Ruppig begann er, den Verband um meinen Arm zu wickeln, mir wurde schwindelig. Ich riss die Augen auf, schwarze Punkte tanzten an der Decke. Mein Kopf summte. „Mich hätte dieser scheiß Wagen treffen sollen. Mir hätte das passieren sollen, nicht...-"
„Gabe." Ich bekam keine Luft. „Ist schon... gut. Du... Du musst ruhig bleiben..."
„Ich will aber nicht ruhig bleiben!" Levi sprang einen halben Meter zurück. Gabes Gesicht lief hochrot an, seine Hände zitterten, als er den Verband weiter um meinen Arm wickelte. Mir wurde zunehmend übel. „Mein bester Freund verblutet gerade und ich... Fuck."
Zuerst dachte ich, er hätte geflucht.
Dann bemerkte ich das Ziehen.
Zuerst war es nur ein schwaches Drücken, das sich rasant steigerte, stärker, immer stärker. Als meine Haut riss, schrie ich.
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