Warum?

Gier und Lust lag in den Auges des Warges, während er auf die Frau zu sprang, um seine Zähne in ihrem Fleisch zu versenken, als sich plötzlich ein Pfeil durch seine Kehle bohrte und seinen Plan vereitelte.
Ein Röcheln drang aus seinem Maul, er tolkelte, bockte leicht und fiel dann zur Seite auf die Erde, wo er noch einen Augenblick lang krampfte und schließlich reglos liegen blieb.

Ich ließ den Bogen sinken, sprang von der Stute und fixierte den Warg, bevor sich meine Aufmerksamkeit wieder auf die Frau richtete, die zusammengekauert vor dem Warg lag. Als sie realisierte, dass das Monster tot war, erkannte sie ihre Chance zur Flucht, rappelte sich auf und wollte schon in der Dunkelheit des Waldes veschwinden, als ich in wenigen Schritten bei ihr war und sie am Handgelenk festhielt.

Elbenhände, schoss es mir sofort durch den Kopf. Ihre Hand war schmal und die Haut weich wie Seide. Und: Sie zitterte.

Erst versuchte sie mir den Arm zu entziehen, doch mein Griff war eisern.

"Aryana, es ist vorbei. Hör auf, weg zu laufen. Ich habe dich erkannt. Ich weiß, dass du es bist", rief ich leise und fügte nach einer kurzen Pause noch hinzu: "Nur du hast so eine magische Stimme".

Hatte sie sich zuerst noch gewehrt, gab die Sängerin nun ihren Versuch, sich von mir los zu reißen, auf und blieb ruhig stehen. Sie stand seitlich zu mir und hatte ihr Gesicht, das immer noch von einer Maske verdeckt war, von mir abgwand. Ich konnte auch erkennen, dass ihre Atmung beschleudigt war. Ebenso wie meine. Meine Hand an ihrem Handgenk tasteten auch einen rasenden Puls.

Für einige Sekunden standen wir so da. In der Dunkelheit des Waldes. Nichts als Schatten um uns herum. Und die einzige Lichtquelle war der Mond und die Sterne deren Licht durch das Geäst des Blätterdaches zu uns auf die Erde hinabfiel.

Langsam ließ ich ihre Hand los und Aryana zog sie rasch zu sich. Sie blieb jedoch dort stehen wo sie war. Nur drehte sie mir nun komplett den Rücken zu.

Ich wusste nicht, was ich tun sollte. Ich stand nur da und betrachtete die schmale Gestalt vor mir. Die schwarze Kapuze ihres Umhangs verhinderte, dass ich auch nur Ansatzweise etwas von ihrem Kopf sehen konnte.

Noch nie hatte ich sie gesehen.
Und doch wusste ich, dass sie es war.

Und ich wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war, als Aryana endlich zu sprechen begann.

"Ich habe dir gesagt, dass du nicht nach mir suchen sollst".

Trotz der Maske konnte ich ihre Stimme glasklar hören. Sie klang traurig und ich war mir ziemlich sicher, dass sie gerade um Fassung und Kontrolle ihrer Gefühle rang. Ich konnte ihren Gesichtsausdruck zwar nicht deuten. Aber der Klang ihrer Stimme sagte mehr als tausend Worte es könnten.
Jedoch glaubte ich, noch etwas herauszuhören. Neben der Trauer und der Verletzlichkeit, neben der Angst und der Schuld in ihrer Stimme, war da noch etwas anderes. Etwas positives. Aber ich konnte es nicht genau bestimmen.

"Ich habe nicht nach dir gesucht. Es war der Wille des Zufalls", antwortete ich nüchtern.

Ein Schnauben. "Du sagst, du hast nie nach mir gesucht? Da habe ich aber anderes gesehen", erwiderte Aryana ohne sich zu mir umzudrehen.

"Wovon sprichst du?" fragte ich.

"Warst du es nicht, der damals Tagelang durch Imladres und die umliegenden Dörfer gelaufen ist, mit deinen Freunden, und nach mir gesucht hast?" fragte sie. Es klang sehr nach einem Vorwurf.

Ich schwieg.

"Ich habe dir gesagt, du sollst nicht nach mir suchen. Es ist das beste, glaube mir", sagte Arynana dann leise und eine Traurigkeit ergriff Besitz von ihrer Stimme.

"Warum?"
Ich wagte es nicht, um sie herum zugehen um wenigstens nicht zu ihrem Rücken sprechen zu müssen. Aber zu groß war die Gefahr, dass sie wieder floh. "Aryana, ich dachte, wir wären Freunde. Mehr sogar. Ich habe dich...", ich stockte kurz und sprach dann leise, fast im Flüsterton, weiter: "Ich habe dich geliebt".

Sie schwieg.

"Warum bist du damals gegangen? Warum all die Geheimnisse? Warum das Versteckspiel?" fragte ich sie weiter und ich wurde dabei etwas lauter.

Es dauerte, bis Aryana antwortete.

"Das ist kompliziert", waren schließlich ihre einzigen Worte dazu.

"Nein, ist es nicht. Du musst mir nur die Wahrheit sagen", sagte ich nun verärgert. "Hast du mich überhaupt geliebt? Oder war das ganze nur ein Spiel für dich? Sprich die Wahrheit".

"Die Wahrheit?"
Nun lachte Aryana, als hätte ich ihr einen Witz erzählt. "Denkst du, es ist so einfach? Legolas, es ist nicht so, wie du denkst. Die Wahrheit... würdest du nicht ertragen. Glaub mir, so, wie es jetzt ist, ist es am besten. Du hast dein Leben als Prinz. Du wirst eines Tages König werden. Und ich bin hier bei den Menschen", sagte sie entschlossen, bevor sie ihre Stimme wieder senkte und leise hinzufügte: "Und es war kein Spiel".

Und nun drehte sich Aryana um und ich konnte die dunkelbaue Maske direkt vor mir sehen. Sie war Wunderschön. Feine Schnitzereien verzierten das blau angemalte Holz. Und nun, bei genauem hinsehen konnte ich hinter den beiden Schlitzen für die Augen etwas sehen. Nicht viel, aber es reichte, um ein ein schimmer Grün zu erkennen.

Grüne Augen.

"Es war kein Spiel", wiederholte sie leise, aber mit Überzeugung und griff nach meiner Hand.
Ich ließ es zu.
Es war das gleiche Gefühl wie damals.
Warm.
Beschützt.
Sicher.
Ich sah sie nur schweigend an.
"Ich habe dich wirklich geliebt".

Sekunden vergingen, in denen wir beide wieder nur schwiegen. 

"Aber meine Zeit war begrenzt und ich musste gehen".

Sie ließ meine Hand los und die Wärme verschwand sofort. Sie ging einen Schritt Rückwerts - von mir weg.

Ich schüttelte den Kopf. "Warum?"

"Auf manche Dinge haben wir keinen Einfluss", antwortete sie nur und trat noch einen Schritt weiter zurück.

Wieder schüttelte ich den Kopf und machte diesmal einen Schritt auf sie zu.

"Ja, aber hierauf schon. Wir haben die Wahl, Aryana. Wir haben immer eine Wahl. Du hättest nicht gehen müssen. Du hättest bleiben können. Ich hatte nie die Chance, dich zu sehen. Ich habe mich so gefreut, als ich erfuhr, dass ich wieder sehen werde. Und weißt du, warum? Nicht, weil ich dann wieder kämpfen hätte können. Das konnte ich auch ohne zu sehen. Dank dir! Nein, ich habe mich so gefreut, weil ich dachte, jetzt könnte ich endlich dein Gesicht sehen. Aber dann bist du verschwunden. Einfach so. Und niemand konnte sich mehr an dich erinnern. Niemand, außer Malia und ich. Verdammt, Aryana, was ist damals passiert? Warum bist du einfach gegangen?"

Mein Atem ging rasch. So aufgerbracht war ich. Ich konnte gar nicht sagen, welches Gefühl in mir gerade die Oberhand hatte.

Freude, sie endlich gefunden zu haben.

Angst, sie wieder verlieren zu können.

Wut, weil sie verschwunden war.

Verwunderung, weil sich niemand mehr an sie erinnern konnte.

Wut, wegen all diesen Geheimnissen.

Aryana stand nur schweigend da und hatte ihr Gesicht Richtung Boden gerichetet.

"Es... konnte sich niemand mehr an mich erinnern?" fragte sie plötzlich und die Verirrung in ihrer Stimme überraschte mich. Sie hatte nichts davon gewusst?

"Nein. Keiner konnte sich an dich erinnern. Außer ich und Malia".

Wieder war es still. Nur die Geräusche des Waldes durchbrachen diese Stille.

"Legolas", begann sie dann und anhand ihrer Stimme erkannte ich, dass sie weinte. Auch wenn ich die Tränen hinter der Maske nicht sehen konnte.
"Ich... es tut mir leid. Das ich dir so weh getan habe. Und dass ich verschwunden bin. Aber glaube mir, ich hatte meine Gründe. Die würdest du nicht verstehen".

"Dann erkläre es mir", verlangte ich laut. "Wovor hast du nur so Angst?"

Ich machte einen weiteren Schritt auf sie zu, woraufhin sie einen zurück machte. Als hätte sie diese Angst vor mir. Ich blieb stehen.

Wieder Stille. Aryana hob den Kopf etwas. "Aus dem selben Grund, weshalb ich diese Maske trage", sagte sie dann leise.

"Du sagtest, du hast mich geliebt?" murmelte ich dann leise.

"Ich liebe dich auch heute noch", war ihre Antwort.

Ich nickte leicht.

"Dann vertraue mir. Zeig mir dein Gesicht. Ich habe fast 100 Jahre darauf gewartet, es sehen zu dürfen. Zeige dich. Bitte".

Aryana machte wieder einen Schritt von mir weg. "Ich kann nicht", flüsterte sie ängstlich.

"Natürlich kannst du", widersprach ich ihr laut. "Vor was hast du nur solche Angst?"

Und plötzlich ging Aryana in die knie und senkte den Kopf.
Ich wusste micht, wie ich darauf reagieren sollte. Zu ihr gehen und ihr zeigen, dass sie keine Angst vor mir haben brauchte.
Warten?
Sie weiter mit Vorwürfen zumauern.

Und dann weinte sie.
Ich hörte es ganz deutlich.
Es war leise.
Aber es tat umso mehr weh, sie so zu sehen.

Es vergingen lange Sekunden.
Und dann, irgendwann, hob sie den Kopf und beantwortete meine Frage mit leiser, erstickter Stimme.

"Vor deiner Reaktion".



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