Wachsende Hoffnungen
"Aragorn?"
Hoffnung, Ungläubigkeit, Freude und auch Verwirrung über das plötzliche Auftauchen lag in meiner Stimme. Ich konnte einfach nicht glauben, dass ich soeben die Stimme meines alten Freundes gehört hatte.
"Ja, ich bin es. Aber... mellon nin, sag mir, was ist mit dir geschehen? Ich habe dich hier niedergeschlagen und verzweifelt zurück gelassen und kaum fünf Wochen später rennst du mich beinahe zu Boden. Habe ich etwas verpasst?" fragte Aragorn nun seinerseits verwirrt.
Ich lachte los.
"Du hast sogar eine Menge verpasst. Aber ich habe dich nicht so schnell wieder erwartet" antwortete ich.
"Nun, das ist eine lange Geschichte. Und ich bin sicher, dass auch du einiges zu erzählen hast. Du machst den Eindruck als könntest du wieder sehen" lachte Aragorn.
Ich lächelte. "Wenn du wüsstest..."
Aragorn klopfte mir mit der Hand auf die Schulter.
"Ich bin froh, dass du dich besser fühlst. Aber ich bin neugierig. Warum hattest du es eben so eilig?"
"Eine lange Geschichte,... wie du gesagt hast. Aber bevor ich sie dir erzähle, habe ich noch eine Frage" sagte ich und wurde plötzlich ernst.
"Ich kann mir schon denken, wie sie lautet" murmelte Aragorn.
Ich schluckte. Denn insgeheim fürchtete ich mich etwas vor der Antwort. Doch ich musste es einfach wissen.
"Hast du Gandalf gefunden?"
Meine Stimme war leise, aber voller Hoffnung.
Aragorn sagte nichts. Ich befürchtete schon das schlimmste, als eine andere Stimme hinter ihm zu sprechen begann.
"Ich würde mal sagen, ja. Er hat mich gefunden, Legolas".
Ich hielt den Atem an. Ich kannte diese Stimme ganz genau. Ich wusste, wem sie gehörte und ich wagte kaum zu hoffen, dass diese Person wirklich hier war. Aber ich hatte die Stimme ganz genau gehört.
"Gandalf?" fragte ich vorsichtig.
"Ja, du hast richtig gehört, mein Freund" bestätigte die Stimme, die eindeutig den weißen Zauberer gehörte. Eine Sekunde später spürte ich eine Hand auf meiner Schulter. Und diese Hand gehörte unmittelbar Gandalf.
Ein hoffnungsvolles Lächeln legte sich auf meine Lippen. Meine Chancen, bald wieder sehen zu können, stiegen immer weiter an. Und jetzt wurde mir erst richtig bewusst, dass ich in den vergangenen Stunden weder über mein fehlendes Augenlicht gesprochen, noch daran gedacht hatte. Zumindest hatte ich mich nicht darüber beklagt. Doch das änderte nichts an meinem Wunsch, wieder sehen zu können.
"Ich kenne dich nun schon seit deiner Geburt, Legolas. Und ich habe dich noch nie verletzt gesehen. Du hast in Kriegen gekämpft. In der Schlacht der fünf Heere, im Ringkrieg... Aber du warst nie verwundet. Und kaum gehe ich in den Norden Mittelerdes, kommt Aragorn angerannt und erzählt mir, dass du erblindet bist. Ich glaube ich kann keine weiten Reisen mehr unternehmen, ohne dass etwas derart seltsames passiert" sagte Gandalf mit leicht tadelnder Stimme.
Ich spürte, wie meine Ohren einen leichten Rotton annahmen.
"Gandalf, mein alter Freund, ich glaube Legolas hat in den letzten Wochen genug gelitten" meine Aragorn ernst.
"Ja, das denke ich auch" murmelte Gandalf nachdenklich.
"Eigentlich habe ich nicht lange gelitten. Am Anfang ja, aber in den letzten zwei Wochen ging es mir so gut, wie schon lange nicht mehr" sagte ich zufrieden.
Ich konnte Gandalf und Aragorns verwirrte Blicke deutlich spüren.
"Gut, ich habe wirklich einiges verpasst" lachte Aragorn. "Aber lasst uns erst mal ins Zimmer gehen".
In mich hinein grinsend drehte ich mich um und ging, stolperfrei und fast so schnell wie unter normalen Umständen, in mein Zimmer.
Und wieder spürte ich die erstaunten Blicke von Aragorn und Gandalf hinter mir, die mir langsam folgten. Als die Tür geschlossen war, begann Aragorn sofort zu sprechen.
"Sei ehrlich. Kannst du nun doch wieder sehen oder ist das nur irgendein Trick? Du bewegst dich, als hättest du nie dein Augenlicht verloren. Was ist nur mit dir geschehen?" staunte er.
Ich drehte mich erneut zu den beiden um und lachte.
"Nein, ich bin immer noch blind. Nach wie vor sehe ich nur schwarz vor meinem Augen. Und es ist auch kein Trick. Ich bewege mich nur mit Hilfe meiner anderen Sinne. Besonders die Ohren spielen dabei eine große Rolle" antwortete ich.
"Wie mir scheint kommst du ohne dein Augenlicht ganz gut zurecht" meinte Gandalf amüsiert.
"Das stimmt. Aber es ändert nichts an meinem Wunsch, wieder sehen zu können. Gandalf.... Sag mir bitte nur eins..." sagte ich mit leicht flehender Stimme.
"Du möchtest wissen, ob ich den Zauber kenne, der dir dein Augenlicht wieder zurück bringt" beendete Gandalf meinen Satz.
Ich nickte schweigend und hoffte auf ein ja.
"Ich kenne diesen Zauber. Ich habe ihn zwar noch nie gesprochen... Aber ich kenne ihn. Doch du musst wissen, mein Freund, ein Zauber allein reicht nicht. Es braucht zwei mächtige Personen, einen komplizierten Trank und die richtige Zeit. All das ist entscheidend. Ansonsten wirkt es nicht" antwortete Gandalf.
Meine Miene hellte sich auf. In mir begann ein riesiges Feuerwerk zu platzen. Und wieder legte sich ein Lächeln auf meine Lippen.
"Das ist doch fantastisch" rief ich erfreut.
"Freue dich nicht zu früh, Legolas. Ich habe Gandalf gefunden, ja. Aber damit ist erst ein kleines Stück getan. Doch lass mich alles erzählen.
Ich bin zuerst nach Lothlorien geritten und habe Herrin Galadriel um Hilfe gebeten. Sie hat mir gesagt, was alles für den Zauber nötig ist. Es muss in einer Vollmondnacht geschehen. Und es ist ein Trank nötig, dessen Zubereitung einige Kraft und Zeit in Anspruch nimmt. Doch sie wird uns helfen. Wir haben vereinbart, dass sie den Trank zubereitet und dann sofort hier her nach Imladris kommt, wenn er fertig ist. Solange sollte ich nach Gandalf suchen" erzählte Aragorn.
"Verstehe, das heißt, Herrin Galadriel wird hier her kommen. Mit diesem Trank. Wann wird das sein?" fragte ich.
"Wie viel Zeit der Trank genau braucht, konnte sie mir nicht sagen. Sie wird eine Botschaft nach Bruchtal schicken, wenn sie genaueres weiß" antwortete Aragorn.
"Also kann es sich auch noch um Monate handeln? Oder Jahre?" fragte ich erschrocken und niedergeschlagen zugleich.
"Ich fürchte so ist es. Aber sieh es von der guten Seite. Wir haben zwei mächtige Personen, wir haben die Formel für den Trank. Du wirst wieder sehen können, mellon nin" ermutigte Aragorn mich.
"Ja, du hast recht" sagte ich leise und lächelte leicht.
"Schön, wenn diese Sache jetzt geklärt ist, werde ich Herrn Elrond aufsuchen. Er sollte schließlich auch auf den stand der Dinge gebracht werden" meine Gandalf und entfernte sich von uns. Nachdem er von außen die Tür geschlossen hatte, konnte ich das klockende Geräusch seines Stabes noch immer hören, wie es langsam leiser wurde und dann verschwand.
"So, ich habe meine Geschichte erzählt. Jetzt bist du dran! Was ist in den letzten fünf Wochen mit dir passiert?" fragte Aragorn interessiert, zog den Stuhl an das Bett heran und ließ sich darauf nieder. Ich setzte mich auf die Bettkannte.
"Ich lebe jetzt schon seit über 2.000 Jahren. Und erst jetzt habe ich gelernt, was es heißt, zu richtig leben. In den letzten fünf Wochen hat sich mein ganzes Leben komplett geändert. Du kennst mich, Aragorn. Ich habe früher immer alles mit scharfem Blick kritisiert. Ich habe nie auf die inneren Werte einer Person gehört. Und jetzt? In den letzten Wochen habe ich eine wertvolle Lektion gelernt. Nur das Innere zählt" erzählte ich.
"Interessant. Und wem hast du diese Erkenntnis zu verdanken?" fragte der König von Gondor.
Ich schmunzelte.
"Einer wundervollen, selbstlosen und einzigartigen Elbin".
Aragorn lachte leise.
"Ach ja? Erzähl mir von ihr".
"Ihr Name ist Aryana. Und obwohl ich sie noch nie gesehen habe, kenne ich sie so gut. Sie hat mich so viel gelehrt. Wie man richtig lebt, wie man durch das hören und das tasten seine Umgebung sieht, und.... wie man aus tiefstem Herzen liebt" antwortete ich.
"Sie scheint eine mächtige Elbin zu sein, wenn sie dich so in den Bann gezogen hat. Ich habe dich noch nie so von einer Frau sprechen hören" sagte Aragorn amüsiert.
"Weil es nie eine Frau gab, für die ich annähernd so viel empfunden habe, wie für sie" lächelte ich gedankenversunken.
"Und du hast sie nie gesehen? Nur gehört und gespürt?" fragte Aragorn neugierig.
Ich nickte.
"Ich habe sie kennen gelernt, kurz nachdem du mit Elronds Söhnen in den Norden aufgebrochen bist. Was ist eigentlich mit Elladan und Elrohir geschehen? Sind sie auch wieder in Bruchtal?" fragte ich.
"Nein, sie sind bei Herrin Galadriel geblieben, um den Trank vorzubereiten. Aber nun erzähl mir mehr von dieser Elbin. Ich möchte wissen, wer es geschafft hat, meinem besten Freund den sturen Kopf zu verdrehen" lachte Aragorn.
"Sie ist eine von Herrn Elronds Heilerinnen Aber sie stammt ursprünglich aus Lorien. Vielleicht kennst du sie. Hast du sie schon mal gesehen?" fragte ich neugierig.
"Eine Heilerin... mmh, Nein. Ich glaube, ich kenne sie nicht. Aber wenn sie aus Lorien stammt, wird Herrin Galadriel sie mit Sicherheit kennen. Du freust dich bestimmt schon darauf, sie zu sehen, oder?" meinte Aragorn.
"Ja. Nur,..." ich legte die Stirn in Sorgenfalten.
"Nur... was?" fragte Aragorn.
"Kurz bevor du gekommen bist, ist etwas passiert. Es war alles in Ordnung. Doch auf einmal hat Aryana die Flucht ergriffen. Und ihre letzten Worte waren, dass ich sie nicht vergessen soll. Ich wusste nicht, was das zu bedeuten hatte und wollte ihr hinterher eilen" erzählte ich.
"Verstehe, deshalb bist du in mich hinein gelaufen, oder?" sagte Aragorn, worauf ich nickte.
"Du hast sie wirklich nicht gesehen? Ist sie nicht an die vorbei gelaufen?"
Aragorn schwieg einen Moment.
"Nein, ich glaube nicht. Ich habe nur einen Diener Elronds gesehen. Aber Gandalf war doch auch noch hinter mir. Vielleicht hat er sie gesehen".
"Ja, vielleicht" murmelte ich gedankenvesunken, "ich verstehe es nicht. Es war alles in Ordnung und dann... war alles vorbei. Ohne Erklärung".
Aragorn legte seine Hand auf meine Schulter.
"Sie wird bestimmt wieder kommen. Wenn ihr euch so gut verstanden habt, lässt sie dich bestimmt nicht so plötzlich alleine" versuchte der König mir Mut zu machen.
Ich schmunzelte.
"Du hast bestimmt recht. Aber nun erzähl du mir von deiner Reise".
Das machte Aragorn auch und berichtete von seine Reise in den Norden und wie er Gandalf letztendlich gefunden hatte. Ich war Aragorn so dankbar, dass er sich bereit erklärt hatte, Gandalf zu suchen. Und noch dankbarer war ich, dass er ihn gefunden hatte. Ich konnte mich mehr als glücklich schätzen, einen solch guten Freund wie Aragorn zu haben.
"Sag mal, weißt du etwas über die Warge? In letzter Zeit, tauchen sie immer häufiger auf" wechselte ich irgendwann das Thema.
"Ja du hast recht, sie vermehren sich immer weiter. Aber woher sie kommen ist mich nicht bekannt" sagte Aragorn nachdenklich.
"Sie wagen sich sogar schon bis nach Bruchtal. Erst gestern hatten Aryana und ich eine... nicht frewilige Begegnung mit zwei von ihnen" erzählte ich.
"Wiebitte?!?" rief Aragorn erschrocken.
Ich nickte bestätigend.
"Ja, du hast richtig gehört".
"Du willst mir sagen, dass ihr von Wargen angegriffen worden seid? Aber... wie? Was ist geschehen?" Aragorn konnte es nicht begreifen. Was auch verständlich war.
Eine Heilerin und ein blinder Elb gegen zwei Warge. Soetwas ging meistens nicht gut für die Elben aus.
Und so begann ich zu erzählen. Bis zur Hälfte meiner Erzählung schien Aragorn noch alles nachvollziehen zu können. Aber als ich sagte, dass ich die Warge getötet hatte... ohne Augenlicht und fast ohne Hilfe.... schien er mir nicht mehr glauben zu können.
"Du... willst mir also erzählen, dass du zwei Warge getötet hast. Einen erstochen, einen erschossen.... und das alles blind?" fragte Aragorn ungläubig.
"Ja" sage ich nur und nickte.
"Tut mir leid, aber das ist schwer zu glauben" meinte Aragorn.
"Willst du einen Beweis?" fragte ich leicht grinsend.
"Hast du einen?" fragte Aragorn zurück.
Ohne zu antworten zog ich mein Hemd so weit nach oben, dass die Wunden vom Vortag zum Vorschein kamen.
Aragorn schwieg.
Und schwieg weiter.
Dann endlich erlangte er die Sprache zurück.
"Du hast gegen Warge gekämpft....Ich glaube es nicht, aber diese Wunden sind der Beweis. Du hast wirklich ohne Augenlicht gegen diese Wölfe gekämpft...." staunte er ungläubig.
"Du siehst, ich habe nicht gelogen" sagte ich zufrieden.
"Nein, das hast du nicht. Aber diese Wunden... Sie sind gut versorgt worden! War das Herr Elrond?" fragte Aragorn.
"Nein", ich lächelte, "das war Aryana".
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