von Regen und Wundern

Ich wusste nicht, wie lange wir dort noch im Wald standen. Mein Gefühl für die Zeit hatte ich komplett verloren. Alles, was ich im Augenblick noch wusste, war, dass ich mich verliebt hatte. Und das in eine Elbin, die meine Liebe erwidert hatte. Eine Elbin, die ich noch nie zuvor gesehen hatte...

Wir redeten noch sehr viel.
Darüber, wie wir uns in einander verliebt hatten. Ich offenbarte Aryana alles. Sie erfuhr, wann ich stärkere Gefühle für sie entwickelt hatte und auch warum. Es tat mir gut, alles von der Seele zu reden. Nachdem ich ihr alles erzählt hatte, fühlte ich mich so frei wie nie zuvor.

Auch Aryana redete sich viel von der Seele. So erfuhr ich, dass sie bereits bei unserem ersten Zusammentreffen, das schon Jahre her zu sein schien, etwas für mich empfunden hatte. Nur hatte sie damals noch nicht gewusst, was es war.

Aber unser Gespräch im Wald handelte nicht nur von Liebe, sondern auch von Tod. Irgendwann fingen wir an, darüber zu rätseln, was die Warge so weit in den Westen zog. Nach Saurons Fall waren viele dieser Wölfe vernichtet worden. Was also taten sie hier? Woher kamen sie?

Unser Gespräch fand allerdings ein jähes Ende, als wir die ersten Regentropfen auf der Haut spürten.

"Es wird bestimmt gleich wieder aufhören" sagte ich zuversichtlich und lächelte leicht.

Doch kaum war dieser Satz ausgesprochen, fing es urplötzlich an, aus Kübeln zu schütten.

Aryana fing an zu lachen. Ich legte den Kopf für einen Moment in den Nacken und lies die kalten Regentropfen auf mein Gesicht platschen. Das Blätterdach schien keine Tropfen aufzuhalten. So stark war der Regen.

"Wie war das gerade?" lachte Aryana durch den strömenden Regen hindurch.

Ich antwortete nicht, sondern fing auch an zu lachen, während der Regen unsere Kleider durchnässte. Meine Haare klebten mir bereits im Nacken.

Im Grunde war Regen ein ekelhaftes Mistwetter.

Doch heute nicht.

Heute war der Regen magisch.

Er schien all den Kummer von mir fort zu waschen.

All die Angst.

Alles schlechte.

Und übrig blieb nur die Liebe zu Aryana...

Die Freiheit und Lebensfreude all das zu tun, was ich wollte...

Noch nie hatte ich mich so lebendig gefühlt...

Ohne zu überlegen suchte ich Aryanas Lippen mit meinen auf und versiegelte sie zu einem lagen magischen Kuss, während der Regen auf uns nieder prasselte.

Die Donnergeräusche in der Ferne irritieren mich nicht. Für mich zählte nur eins: Die Elbin, mit der ich gerade hier im Wald stand.

Irgendwann trennten sich unsere Lippen wieder von einander. Der Regen floss in Strömen über unsere Gesichter und unsere Körper. Das Blut auf meiner Brust wurde teilweise von Regen mit fort geschwemmt.

"Ich denke, wir sollten wirklich zurück gehen. Sonst könnten sich deine Wunden entzünden meinte Aryana schließlich.

"Du hast recht. Komm" sagte ich und nahm ihre unverletzte Hand. Zusammen rannten wir fast schon durch den Wald. Zurück nach Bruchtal.

Für mich war dies kein Problem mehr. Aryana war schließlich bei mir. Mein Schutzengel. Meine Retterin. Retterin vor dem Tod und Retterin vor der Selbstverzweiflung.

Während wir so durch den Wald rannten, prasselte der Regen weiterhin auf uns hinab. Bald schon setzte auch ein kräftiger Wind ein, der mich frösteln ließ. Doch trotzdem fühlte ich die Wärme in mir. Und diese Wärme kam aus Aryanas Hand.

Irgendwann veränderte sich der Boden unter unseren Füßen. Das weiche, nasse Gras verschwand und wurde von Kopfsteinpflaster ersetzt.

Als wir das Tor zu Bruchtal passierten, spürte ich den Regen für einen Augenblick nicht mehr. Doch kaum hatten wir das Tor hinter uns gelassen, prasselte das kalte Nass wieder auf unsere Körper, die immer noch voller Adrenalin waren.

In der Stadt selbst war jetzt nicht mehr so viel los, wie vor einigen Stunden. Statt Musik und Marktlärm konnte ich nur noch den lauten Regen hören. Und auch den Donner, der irgendwo in der Ferne grollte.

"Wir sind gleich da" rief Aryana, die völlig aus der Puste war.

"Ich will es mal hoffen" lachte ich außer Atem.

Tatsächlich hatten wir nach wenigen Minuten das Haus Elronds erreicht. Die Treppen bis zur großen Tür Sprangen wir beinahe hinauf.

Aryana klopfte laut gegen die Holztür. Kurz darauf wurde sie geöffnet.

"Legolas, Aryana" Elronds entsetzte Stimme drang durch den Regen zu uns hindurch. "Bei den Valar. Wir haben uns Sorgen um euch gemacht. Kommt rein, schnell. Wo wart ihr? Was ist geschehen? Legolas, du bist voller Blut!"

Aryana zog mich durch die Tür ins Haus hinein. Der Regen stoppte sofort und stattdessen umfing mich Wärme. Meine Kleidung und meine Haare trieften noch, als jemand die Tür hinter uns schloss.

"Du meine Güte, was ist nur geschehen?" fragte Elrond besorgt.

"Warge" antwortete Aryana knapp.

"Nicht schon wieder" murmelte der Herr von Bruchtal.

"Leider doch. Zwei haben uns angegriffen, als wir im Wald waren" bestätigte Aryana, die noch immer außer Atem war.

"Wie seid ihr entkommen? Wo sind die Warge jetzt?" fragte Elrond sofort weiter.

Kurzes Schweigen.

"Tot" erklärte Aryana dann, "Legolas hat sie getötet"

Langes Schweigen.

Nur das heftige Atmen von Aryana und mir sagte mir, dass meine Ohren noch funktionstüchtig waren. Ich spürte Elronds Blick auf mir kleben und hätte gewettet, dass sein Gesicht Erstaunen zeigte.

"Du... hast sie getötet?" Ungläubigkeit lag in der Stimme des Elbenlords, als er sprach.

Ich nickte nur schweigend.

"Aber,... wie hast du...? Du bist erblindet...! Wie konntest du...?" fragte Elrond weiter.

Ehe ich antworten konnte, sprach Aryana für mich weiter.
"Das ist eine sehr lange Geschichte, mein Herr Elrond. Doch ich fürchte, Legolas' Wunden werden sich entzünden, wenn sie nicht bald versorgt werden".

"Sicher, sicher" murmelte der Herr von Imladris vor sich hin, "ich bringe euch alles Notwendige. Was ist mit eurem Handgelenk? Seid ihr auch verletzt?"

"Ich fürchte, es ist verstaucht. Aber ich kann mich dennoch um Legolas' Wunden kümmern" erklärte Aryana schnell.

"Ich möchte es mir trotzdem gerne kurz anschauen" murmelte Elrond.

"Ich versichere euch, es ist nichts ernstes" meinte Aryana.

"Ja, so scheint es mir auch. Aber ein Verband wäre wohl nichts falsches. Bringt Legolas auf sein Zimmer. Ich werde gleich mit den nötigen Materialien kommen" wies der Halbelb an.

Aryana lachte nur. "Ich glaube, ihr unterschätzt Legolas. Er braucht schon lange keine Hilfe mehr"

"Wie darf ich das verstehen?" fragte Elrond wieder sichtlich verwirrt.

"So" antwortete ich plötzlich und ging los in Richtung Treppe. Ich war diesen Weg oft genug gelaufen. Oft genug hatte ich die Schritte gezählt. Oft genug die Meter von der Tür bis zur Treppe abgeschätzt. Und so sah ich nun alles vor meinem geistigen Auge.

So sicher wie noch nie ging ich durch die Eingangshalle bis zur Treppe und stieg diese dann, ohne große Probleme, nach oben.

Von unten hörte ich Elronds verwirrte Stimme.
"Was ist denn nur geschehen? Er läuft, als könne er wieder sehen!"

"Er sieht! Nur mit dem Ohr, statt mit dem Auge, mein Herr" antwortete Aryana und lief mir hinterher. Auch Elronds Schritte folgten mir kurz darauf.

Zielsicher ging ich bis zu meinem Zimmer, öffnete die Tür und trat ein. Hinter mir hörte ich Aryana und Elrond, die im Türrahmen stehen blieben.

Ein kurzes Schweigen herrschte, ehe Elrond dieses unterbrach.

"Aryana, auf ein Wort. Legolas, ich komme gleich zu dir. Es dauert nicht lange".

Etwas verwirrt nickte ich und hörte, wie der Halbelb mit Aryana das Zimmer verließ und die Tür schloss.

Was sie wohl zu besprechen hatten?

Erst jetzt nahm ich wieder den Schmerz auf meiner Brust und auf meinem Rücken war. Die ganze Zeit über war er wie taub gewesen. Ob Aryanas Abwesenheit daran schuld war, dass ich ihn wieder spürte?

Doch eins wusste ich mit Gewissheit... Wenn ich meine nassen Kleider weiterhin anbehalten würde und sich die Wunden entzünden sollten, würde mein Körper mit Fieber darauf reagieren. Und das hätte mir gerade noch gefehlt.

Also zog ich mir die nassen Kleider aus und schlüpfte in eine trockene Hose, die im Schrank hing. Ein Hemd zog ich mir aber noch nicht an, da ich vermutlich noch immer blutete.

Von draußen nahm ich leise den Regen war, der auf die Erde hinab prasselte. Ich ging auf das Geräusch zu und landete, wie erwartet, am Fenster.

Dort stützte ich mich auf den Holzsimsen ab und lauschte dem Regen.

Es dauerte nicht lange und schon wurde an der Tür geklopft. Ohne auf ein "herein" zu warten, wurde diese dann geöffnet und jemand betrat den Raum.

"Aryana hat mir von deinem Sieg über die Warge berichtet".

Es war Elrond, der nun quer durchs Zimmer ging und einige Dinge, darunter anscheinend auch ein Porzellankrug, auf den Tisch neben dem Fenster legte.

"Ich kenne Aryana noch nicht so lange. Dennoch glaube ich, dass sie die Wahrheit sagt. Stimmt ihre Geschichte?" fragte der Halbelb unmittelbar vor mir.

"Ja, sie ist wahr, mein Herr Elrond. Ich kann es selbst noch kaum glauben" bestätigte ich.

"Soso... Eine beachtliche Leistung. Ich gebe zu, es fällt mir schwer zu glauben, dass ein blinder Mann gleich zwei Warge tötet. Aber nachdem ich gesehen habe, wie du ohne eine Art von Hilfe in dein Zimmer gelaufen bist, muss ich wohl alles glauben, was Aryana über dich gesagt hat" meinte Elrond nachdenklich.

"Was hat sie noch über mich gesagt?" fragte ich sofort.

"Sie sagte, du hättest ihr das Leben gerettet. Auch wenn es deins gekostet hätte. Ich sehe ja deine Wunden. Du scheinst sie gern zu haben, ist es nicht so?" fragte der Herr von Bruchtal leise.

Mir schoss sofort das Blut in die Wangen.

"Nun, ...ja. Sie hat so eine magische Wirkung auf mich. Sie hat mich in nur fünf Wochen gelehrt, was es heißt, zu leben und zu lieben. Danke, dass ihr sie zu mir geschickt habt" antwortete ich wahrheitsgemäß.

"Ich wusste, dass sie dir helfen würde. Deshalb habe ich sie zu dir geschickt" antwortete Elrond.

"Wo ist sie?" wollte ich wissen.

"Sie wird gleich kommen, mein Freund. Ich habe hier alles bereit gestellt, damit sie deine Wunden versorgen kann. Verbände, Wasser, Salben..." sagte Elrond und ging fort in Richtung Tür, "ich werde mich jetzt um dieses Wargproblem kümmern. Es kann einfach nicht so weiter gehen!"

Auf diesen Satz folgte das öffnen und Schließen einer Tür. Und ich war wieder allein.

Doch schon eine Minute später wurde die Tür erneut geöffnet und jemand betrat den Raum. Und allein vom Gang dieser Person, konnte ich sagen, dass es sich um Aryana handelte.

"Ich habe gerade Elrond von deinen Taten erzählt. Er konnte es kaum glauben. Was du da vollbracht hast, war ein echtes Wunder" begann Aryana, als sie unmittelbar vor mir stand.

Ich schüttelte den Kopf. "Das war kein Wunder".

Ich tastete nach ihren Händen. Eines der Handgelenke war mit einem Verband umwickelt.

"Weißt du, was ein echtes Wunder ist?" murmelte ich leise.

"Nein, sag es mir"

"Ein echtes Wunder ist, wenn man einen arroganten Elbenprinzen, der im Kampf erblindet ist, lehren kann, wie man richtig lebt, liebt und lacht. Ein echtes Wunder ist, wenn man diesem Elben sein Selbstvertrauen wieder geben kann, ihn ermutigt und ihn lehren kann, dass nur das Innere zählt. Und weißt du was? Du hast dieses Wunder vollbracht" sagte ich leise und lächelte sanft.

"Du spricht, als wärst du vor dem Verlust deines Augenlichts ein Verbrecher gewesen" meinte Aryana nachdenklich.

Ich ließ meinen Kopf etwas sinken.
"Ich war ein Verbrecher. Vielleicht nicht für mein Volk oder für meinen Vater. Aber wenn ich mein Leben in den letzten fünf Wochen mit meinem Leben vor der Blindheit vergleiche... Dann schäme ich mich so sehr dafür, wie arrogant und selbstverliebt ich doch war. Ich war ein Verbrecher gegen mich selbst" murmelte ich demütig.

Plötzlich spürte ich eine sanfte Hand unter meinem Kinn, die dieses hoch schob, sodass mein Kopf wieder geradeaus gerichtet war.
Eine zweite Hand strich leicht über meine Wange.

"Du bist kein Verbrecher. Du warst auch nie einer. Du bist gutmütig und liebevoll" sagte Aryana leise.

Ich lächelte leicht. "Ja, ich bin kein Verbrecher mehr. Nicht mehr, seit ich dich kenne".

Und mit diesen Worten legte ich meine Lippen auf die Aryanas, die meinen Wunsch erwiderte.

Es war ein langer und gefühlvoller Kuss...

So, als würden wir uns nie wieder sehen,...

So, als ob dieser Kuss unser letzter wäre...

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