Legolas' Sicht:

Ich spürte immer noch das Kribbeln auf den Stellen meiner Haut, wo mich Aryana beim Verbinden berührt hatte. Es mochte vielleicht daran liegen, dass sich mein Tastsinn in den letzten Tagen sehr verschärft hatte, aber diese Frau kam mir irgendwie so vertraut vor. Und das, obwohl ich sie noch nicht einmal kannte. Ich wusste nicht einmal wie sie aussah. Und trotzdem hatte ich das Gefühl, das man ihr vertrauen konnte...

Ich stand in meinem Zimmer, hatte mich, wie schon so oft, bis zum Fenster voran getastet und lauschte den Geräuschen...

Die Vögel zwitscherten munter und der Bach rauschte in der Nähe...
Ich konnte das Lachen einiger Elben hören...

Ganz automatisch wanderten meine Gedanken zu Aragorn...

Und an seine Aufgabe...

Was würde nur geschehen, wenn er Gandalf nicht finden würde, oder wenn der Zauber nicht funktionierte?

Dann wäre alles verloren....

Mein Leben wäre zu Ende...

Ich wäre am Ende...

Die bloße Vorstellung, nie wieder mit dem Bogen schießen zu können...
Nie wieder mit Arod in die Schlacht reiten zu können...
Allein diese Gedanken lösten in mir eine Panik aus.

Arod... Wo er nur war?
Seit er damals im Wald die Flucht ergriffen hatte, hatte ich nichts mehr von ihm gehört. Lediglich Aragorn hatte ihn gesehen. Doch auch ihm war der Schimmel durchgegangen...

Meine Gedanken wanderten wieder zurück zu meinen Augen.

Es war schrecklich...

Einfach nur schrecklich...

Sollte Aragorn keinen Erfolg haben, war mein Leben Endgültig zu Ende...

Ich konnte es nicht verhindern, dass einige Tränen aus meinen Verwundeten Augen hervortraten. Es war nicht meine Art, Tränen zu vergießen. Aber ich war verzweifelt. Ich war einfach nur verzweifelt. In einer solchen Situation konnte ich nicht Herr über meine Lage sein... Obwohl ich es so sehr versuchte...

Der Verband um meine Augen wurde langsam Feucht.

Und ich konnte nichts daran hindern...

Ein leises klopfen brachte mich zurück in die Realität. Schnell verdrängte ich weitere Tränen und lausche, um zu hören, wer den Raum betrat....

Die Tür ging leise quietschend auf...

"Legolas?"

Es war Aryana.
Diese feine, leise Stimme konnte nur Aryana gehören. Ich wandte meinen Kopf in die Richtung, aus der ihre Stimme kam.

"Ich bin hier, um die Wunde zu säubern" sagte sie leise und ich hörte, wie sie auf leichten Füßen durch den Raum schritt.

Ich tastete mich wieder zurück zum Bett. Aber nach einigen Schritten, fühlte ich Aryanas Hand, die meinen Arm nahm und ihn zum Bett führte. Als ich die Kante spürte, lies ich mich langsam darauf nieder.

"Danke" sagte ich beinahe im Flüsterton.

Ich hörte einen Stuhl, der über den Boden geschoben wurde und konnte nur vermuten, das Aryana gerade einen der Stühle vor mein Bett gestellt und sich dort niedergelassen hatte.

Dann fing sie an, den Verbannt zu lösen. Aber schon nach kurzer Zeit hielt sie inne.

"Seltsam,... Warum ist der Verband ganz nass?" murmelte sie zu sich selbst.

Ich spürte, wie ich bis zu den Ohrenspitzen rot anlief.

'Bei den Valar, wie peinlich' dachte ich mir nur und hoffte, dass sie nicht weiter darauf eingehen würde.

Aber da hatte ich falsch gehofft...

Aryana war anscheinend klug genug um eins und eins zusammen zu zählen.

"Du musst dich wegen deiner Tränen nicht schämen" sprach sie in einem Ruhigen Tonfall zu mir.

Meine Ohren mussten mittlerweile einen tiefen roten Ton angenommen haben...

"Ich... Ich weiß nicht, von was ihr sprecht..." murmelte ich verlegen.

"Ich bitte dich, Legolas, was ist daran schlimm, Tränen zu vergießen? Du bist in einer Lage, wo dieses Verhalten völlig normal ist. Das verstehe ich sehr gut" sagte Aryana leise.

"Ihr wisst nichts über Schmerz" murmelte ich trübseelig.

"Woher wollt ihr das wissen? Ihr kennt mich erst einen Tag lang" erwiderte Aryana.

Ich wusste nicht so recht, was ich darauf antworten sollte...

"Ihr...-" begann ich irgendwann, doch Aryana unterbrach mich.

"Wisst ihr, wenn ich dich mit "du" und "Legolas" anreden darf, solltest du mich dann auch mit "du" ansprechen" lachte Aryana leise.

Wieder sagte ich nichts dazu.

"Ich gebe dir einen Rat, Legolas. Lass den Tränen freien Lauf. Sonst zerstören sie dich eines Tages..."

Aryana nahm den Verband ganz ab, säuberte die Wunde und legte einen neuen Verband an.

"Ich soll ihnen Nachgeben? Den Tränen?" fragte ich dann leicht irritiert.

Aryana nahm meine Hände in ihre, drückte sie sanft und antwortete: "Ja, das sollst du"

Ich schwieg.
Ihre Hände waren so warm...
So sanft...
So voller Mitgefühl...

... Und voller Vertrauen...

Nachdenklich ließ ich mir ihren Rat durch dem Kopf gehen.

"Es ist nur... Tränen bedeuten Schwäche.... Und ich will nicht schwach sein" flüsterte ich beinahe.

"Ich habe viel über dich gehört, Legolas. Ihr sollt ein meisterhafter Bogenschütze sein. Auch im Nahkampf sollt ihr sehr erfahren sein. Ihr seid nicht schwach. Tränen bedeuten Stärke. Wenn man seine Tränen mit der Welt teilt, ist man stark" sagte Aryana.

Wieder schwieg ich und dachte über die Worte nach.

Aryana lies meine Hände los und stand auf.

"Ruh dich aus und Schlaf ein bisschen" meinte sie und öffnete die Tür.

"Danke" konnte ich nur noch zu ihr sagen, bevor sie den Raum verließ.

Seltsam...
Irgendetwas hatte diese Frau an sich....
Etwas war anders an ihr...

Aber was?

Fakt war, das sie mir sehr viel zum nachdenken gegeben hatte...