Lagerfeuergeschichten
Verwunderung legte sich auf meinem Gesicht nieder.
"Vor... meiner Reaktion?" wiederholte ich etwas verwirrt, "Reaktion auf was? Aryana, hör auf mit mir in Rätseln zu sprechen. Ich möchte jetzt endlich wissen, was dieses Spiel soll!"
"Es war kein Spiel", entfuhr es Aryana plötzlich etwas lauter und stand auf. Sie schien neues Feuer in sich zu haben. Ob dies nun gut oder schlecht für mich war, wusste ich noch nicht. Jedenfalls wirkte sie nun merklich sicherer.
"Es war kein Spiel", wiedeholte sie noch einmal etwas leiser. "Ich habe es getan, weil ich Angst hatte, dich dann zu verlieren. Die Wochen, die ich in Bruchtal mit dir verbracht hatte, waren die schönsten, die ich seit langer Zeit hatte. Aber diese Zeit war vorbei. Der Zauber war einfach vorbei".
Zauber?
Ich runzelte die Stirn.
"Welcher... Zauber?"
Aryana schwieg.
"Hast du etwas damit zu tun, dass sich keiner mehr an dich erinnert?" hakte ich dann vorsichtig nach.
Doch sie schüttelte den Kopf.
"Nein. Ich wusste nicht, dass mich alle vergessen haben. Wieso...", sie wurde leiser, "Wieso... hast du es nicht?"
"Ich weiß nicht", murmelte ich leise, "Genau diese Frage hat mich die letzten 100 Jahre begleitet. Das und die Frage: Warum bist du damals überhaupt gegangen?! Galadriel hat mir erzählt, dass sie dich für tot gehalten hat. Du bist auf einer Reise von Orks verschleppt worden. Danach hat man nie wieder was von dir gehört. Bis ich dich in Bruchtal getroffen habe".
Stille.
Ein Kühler Wind strich durch den dunkeln Wald und ließ die Blätter Rascheln.
Aryana fröstelte.
Trotz des warmen Sommers wurde es abends doch rasch kühl.
"Du hast gewonnen", murmelte Aryana dann geschlagen und rieb mit ihren Händen über ihre Arme, um ein wenig Wärme zu erzeugen. Schließlich hatte sie nur einen dunkeln Mantel über dem blauen Kleid und den schwarzen Stiefeln.
"Du hast gewonnen. Ich erzähle es dir".
Einige Zeit später loderte ein kleines Lagerfeuer auf einer kleinen Lichtung, die wir einige Meter weiter gefunden hatten. Ich hatte mein, zugegeben gestohlenes Pferd an einen Baum gebunden und stocherte mit einem Zweig in den Flammen. Aryana hatte sich neben dem Feuer auf den Boden gesetzt und ihr Gesicht zu den Flammen gedreht. Durch das Licht konnte ich ihre Augen endlich etwas besser sehen.
Ja, sie warem grün.
Wie frisches Gras im Frühling.
"Also?" sagte ich irgendwann, als sie eine ganze Weile geschwiegen hatte.
Sie seufzte fast lautlos.
"Herrin Galadriel war eine gute Meisterin. Eine sehr gute sogar. Sie lehrte mich die höchste Kunst des heilens. Nur leider kann man manche Wunden nicht heilen. Nicht war?"
Sie drehte den Kopf in meine Richtung. Ich saß direkt neben ihr im kühlen Gras und dachte an den seelischen Schmerz, den so mancher ein ganzes Leben lang mit sich trug.
"Du sprichst von innerlichen Wunden", sagte ich leise.
Doch die schüttelte mit dem Kopf.
"Nein, ich spreche von Narben", sagte sie. "Richtige, körperliche Narben, die tief in der Haut liegen und nie verheilen", sagte sie und ihre Stimme nahm einen seltsam traurigen Ausdruck an. Ich konnte ihn nicht richtig einordnen.
Ich wusste nicht, was ich darauf erwidern sollte. Also beschloss ich, Aryana erst mal in Ruhe sprechen zu lassen.
"Ich durfte die Herrin damals nach Bruchtal begleiten. Unser Weg führte durch das Nebelgebirge. Der Hauptweg war durch eine Lawine verschüttet worden und wir mussten eine andere Route nehmen. Eine, die wir nicht kannten. Hätte ich gewusst, wie diese Reise für mich enden würde... Dann wäre ich nie mitgegangen... ".
103 Jahre zuvor:
Die Elben ruhten.
Wachsam und mit geöffneten Augen, jederzeit zum Angriff bereit, während ihre Geister Frieden suchten. Solange draußen der Sturm tobte, hatten sich die Unsterblichen Loth Loriens in die Zelte zurück gezogen.
Die Herrin des Lichts war schon lange in ihrem Zelt verschwunden.
Ihre Schülerin dagegen lag auf einer Decke im Zelt nebenan. Die grünen Augen an die Decke gerichtet.
Es war ruhig.
Der Wind brachte nur den Stoff des Zeltes zum wackeln und flattern.
Der Sturm störte die junge Elbim aber nicht. Im Gegenteil. Sie war in einer Art Trance. Tief in ihrer Welt und ihren Gedanken.
Alles war ruhig.
Doch die Ruhe war nur eine Warnung.
Eine Warnung, die sie nicht bemerkten.
Es begann mit einem Schrei.
Ein elbischer Ruf von draußen.
Ein Zeichen, dass sie sich bereit machen sollten.
Für einen Angriff.
Aryana blinzelte und erwachte aus ihre Trance. Sofort richtete sie sich auf und sah sich um. Die Elben hatten ihre Waffen gezogen und stürmten aus dem Zelt. Hinaus in den Sturm.
Und dann hörte sie sie.
Orks.
Aryana stand auf und eilte zum Zelteingang. Sie musste die Augen wegen des heftigen Schneesturms zusammenkneifen.
Doch sie konnte sie trotzdem erkennen.
Grässliche Wesen, die unter ihnen in Höhlen hausten.
Blutverschmiert.
Hungrig.
Und dustig nach Blut.
Obwohl sie kaum Ahnung vom Kämpfen hatte, griff die junge Elbin nach einem langen Messer, dass sie sich als Verteidigung mitgenommen hatte.
Doch bevor sie sich von der Stelle bewegen konnte, rief ihr der Hauptman in ihrer Sprache zu, dass sie mit der Herrin fliehen sollte.
Aryana zögerte keinen Moment, zog sich ihrem Umhang fester um den Körper und rannte dann hianus. Einmal quer durch das Lager und den Schnee, direkt auf das Zelt ihrer Herrin zu.
Doch auf halber Strecke sprang ihr einer der Orks in die Quere. Gierig betrachtete er sie und leckte sich über die rissigen Lippen.
Aryanas Griff um das Messer verstärkte sich und sie wollte gerade auf den Ork los gehen, als sie einen dumpfen, aber extrem starken Schmerz am Hinterkopf wahrnahm.
Der Schrei, der daraufhin folgte, war kein geringerer als ihr eigener.
Sie taumelte.
Benommen nahm sie nur noch etwas kaltes an ihrem Gesicht war.
Schnee.
Dann wurde alles schwarz.
.....
Das nächste, was sie wahrnahm, war wieder der pochender Schmerz an ihrem Hinterkopf. Sie wollte ihn mit der Hand abtasteten und erschrak. Sie konnte ihre Hand nicht bewegen.
Erst jetzt erkannte sie, dass ihre Handgelenke auf dem Rücken zusammengeschnürt waren.
Aryana öffnete die Augen einen Spalt breit.
Der Schnee war verschwunden. Stattdessen saß sie auf nackem Stein.
Da war kein Sturm mehr.
Es war warm.
Ein Höhle.
Sie saß gefesselt in einer Höhle.
Einige Meter vor ihr prassete ein kleines Feuer. An den Wänden lagen allerlei Dinge.
Rüstungen.
Waffen.
Kisten mit Fleisch
Und seltsame stachelige, Kugeln.
Sie lagen nicht weit von ihr.
Aryana betrachtete sie.
Was war das? Sie hatten Stacheln. Wie Igel. Aber sie waren viel größer.
Plötzlich ertönte gehässiges Lachen von der Seite. Aryana drehte unter leichtem Schmerz den Kopf.
"Sie ist ja wach. Oh... Wie schön. Ich dachte schon, Gorlf hätte dich umgebracht. Dabei wollte ich doch erst meinen Spaß mit dir".
Es war einer der Orks, etwas größer als die anderen, der langsam auf sie zu kam. Seine schwarzen Augen funkelten lüstern und Aryana unterdrückte einen Würgereitz, als ihr bewusst wurde, was der Ork meinte.
Sie riss an ihren Fesseln.
"Spar dir deine Kraft. Ich lasse dich noch ein paar Tage am Leben. Ich hatte lange keinen Spaß mehr mit einer wie dir". Ein dreckiges Grinsen erschien auf seinem Gesicht.
Ängstlich drückte sich Aryana zurück gegen den Felsbrocken, an den sie gefesselt war.
Der Ork kam näher und griff ohne Rücksicht nach ihrem Kinn, um es fest zu halten. Sein Gesicht näherte sich ihrem. Nur noch Zentimeter.
Aryana hielt die Luft an. Der Gestank von diesen Wesen brachte sie zum würgen.
Sie wollte weg von hier.
Egal, wohin.
Auch der Tod war in ordnung.
Nur nicht hier.
Bei diesem dreckigen Ork.
Sie begann zu weinen.
"Nicht traurig sein, Elbenweib. Ich verspreche dir, es wird lustig", grummelte er und nahm wieder etwas Abstand zu ihr.
"Für mich", fügte er dann noch hinterher und lachte gehässig, bevor er wieder verschwand.
Und sie blieb weinend zurück.
Es dauerte nicht lange, da kam ein weiterer Ork. Er war kleiner. Hatte aber einen genauso widerwertigen Gestank.
Auch er kam direkt auf sie zu.
"Na, Weib?! Lust auf ein kleines Spiel?"
Er grinste dreckig und wollte schon nach ihr greifen, als der andere Ork wieder in ihrem Sichtfeld erschien.
"Was fällt dir ein? Das ist meine! Wenn du sie anfasst, spieß ich deinen Kopf auf einen Speer", brüllte er laut, riss den kleineren von Aryana weg und stieß ihn zur Seite. Er purzelte genau auf eine dieser seltsamen, stracheligen Kugeln.
Diese rollte ein Stück näher zu Aryana.
"Pass doch auf. Wenn die in das Feuer fallen ist es aus. Dann fliegt hier alles in die Luft", kreischte der kleinere.
Der andere brummte nur gelangweilt.
"Verschwinde", schnautze er dann, bevor er sich wieder Aryana zuwandte. Ich will etwas alleine mit ihr sein".
Aryanas Magen machte einen Salto rückwärts, während der kleine Ork verärgert vondannen zog. Als sie alleine waren, packte der andere sie fest an den Schultern und presste sie gegen den Fels. Er leckte sich über die Lippen. Der Gestank machte die Elbin fast ohnmächtig.
Sie wollte fort.
Weg von hier.
Sie wusste genau, was der Ork wollte.
Was er tun würde...
Eine körperliche Folter wäre ihr da hundert mal lieber.
Wieder näherte er sich ihrem Gesicht. Dieses mal spürte sie seine spitzen Zähne an ihrem Hals. Und seine raue Zunge auf ihrer Haut.
Und da erwachte ihr Verstand zu neuem Leben.
Sie riss den Kopf zur Seite, um dem Mund des Orks zu entkommen. Und das erste, was sie sah, war diese Kugel.
Und das war ihre Chance.
Sie streckte ihr Bein aus und versuchte, an sie heran zu kommen. Während der Ork weiter an ihrem Hals beschäftigt war und sich seine Hände langsam an ihrem Körper hinab bewegten, gelang es ihr, die Kugel mit der Fußspitze zu erreichen.
Eine Chance, dachte sie.
Sie hatte nur eine einzige Chance.
Und dann, als der Ork gerade seine dreckige Hand unter ihre Kleider schieben wollte, kickte sie die Kugel richtung Lagerfeuer.
Und das letzte, was sie vor der Explosion bewusst wahrnahm, war wie eine kratzige Hand ihre Brust erreichte.
Dann kam der Knall.
Und die Hitze.
Und dann verschwand alles in einem Meer aus Flammen...
Heute:
Das kleine Lagerfeuer prasselte vor sich hin, während Aryana ihre Geschichte erzählt hatte. Und mit jedem Wort war mir schwerer ums Herz geworden.
Was Aryana damals hatte durchstehen müssen...
Was sie hatte ertragen müssen...
Es tat mir in der Seele weh.
Und irgendwo, tief in meinem Unterbewusstsein, zählte ich bereits eins und eins zusammen.
Warum Aryana ihr Gesicht versteckte.
Aber ich konnte es nicht glauben.
Als sie ihre Geschichte beendet hatte, legte sich zuerst tiefes Schweigen über uns. Erst nach einiger Zeit begann ich wieder zu Sprechen.
"Wenn du.... diese Explosion überlebt hast...", warum bist du nicht zurückgekehrt. Alle dachten, du bist tot. Dabei hast du dein Leben gar nicht verloren", sagte ich leise.
"Doch. Das Leben, welches ich vorher geführt habe, als eine angesehene Heilerin in Lorien... Dieses Leben hat an jenem Tag ein Ende gefunden. Das Leben, welches ich von da an führte, war ein anders. Im Schatten. Im Versteck. Ich habe mich nie heraus gewagt", kam es nur leise von Aryana zurück.
Wieder Stille.
"Du sagtst, du hast Angst, ich würde dich hassen oder Angst bekommen, wenn du mir dein Gesicht zeigst?!" murmelte ich irgendwann und blickte nachdenklich in das Feuer.
Das Feuer...
Ich begann etwas zu ahnen.
"Nein, ich habe Angst, du verachtest mich", entgegnete sie.
"Das tue ich aber nicht. Ich verspreche es dir. Nichts würde mir ferner liegen, als dich zu verachten", sagte ich bestimmt und sah sie eindringlich an.
Und dann, als sie nichts darauf erwiderte, fühgte ich hinterher: "Bitte, Aryana, Stimme meines Herzens, zeige mir dein Gesicht".
Lange Augenblicke des Schweigens vergingen.
Dann senke sie den Kopf.
"Nur du, Legolas, Prinz des Düsterwaldes, hast so einen Sturkopf", sie drehte ihr Gesicht zu mir und ich sah die Schatten des Feuers auf ihrer blauen Maske tanzen. "In Ordnung".
Dann hob sie die Hände und begann die Bänder zu lösen, welche die Maske vor ihrem Gesicht hielt.
Dann nahm sie sie ab.
Und als das geschah und der Schein des Feuers auf jenes Gesicht fiel, dass ich mir all die Jahre nur vorstellen, aber nicht sehen konnte, blieb mein Herz für einen Moment stehen....
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top