Etwas Ablenkung....

Aus den Minuten, die wir auf dem Trainingsplatz verbrachten, wurden Stunden. Bis ich die Sonne nicht mehr spüren konnte, und eine Kälte, wie sie nur die Nacht herbeirufen konnte, herein brach, verschoss ich meine Pfeile. Ich hatte aufgehört, jene zu zählen, die ihr Ziel nicht trafen. Ich wusste nur, das es viele waren. Sehr viele.

Doch was ich gezählt hatte, waren die Pfeile, die in der Zielscheibe stecken geblieben waren.

"10.... Nicht schlecht für den ersten Tag" lobte Aryana zufrieden, als wir spät am Abend zurück Richtung Haupthaus gingen.

Das Vogelgezwitscher war verstummt. Dafür hörte ich leise das zirpen einiger Grillen. Seltsam für diese Jahreszeit. Aber ich wollte mir nicht den Kopf darüber zerbrechen.

Ich legte auch dieses mal den Weg durch Elronds Garten bis hinauf in mein Zimmer allein zurück. Nachdem Aryana mir eine gute Nacht gewünscht hatte und gegangen war, legte ich mich zufrieden auf mein Bett.

Der Ehrgeiz, ebenfalls ein Blinder Krieger zu sein, hatte mich nun entgültig gepackt. Ich war überzeugt davon, dass sich meine Fähigkeiten noch weiter ausbauen ließen. Aus 10 getroffenen Pfeilen ließ sich, wie ich fand, wirklich etwas machen. Aber das bedeutete trainieren. Vermutlich Wochen, wenn nicht sogar Jahre lang.

Gesagt, getan.

Von nun an verging kein Tag mehr, an dem ich mich nicht mindestens 8 Stunden auf dem Trainingsplatz aufhielt. Immer an meiner Seite: Aryana.

Die Elbin unterstütze mich, wo sie nur konnte. Nicht nur die Steine, die sie gegen die Zielscheiben warf, waren hilfreich. Nein. Jeden Tag fragte sie mich aufs neue, wie das Wetter war oder wie viele Personen sich auf dem Trainingsplatz aufhielten.

Und jeden Tag ging die Beschreibung  besser. Irgendwann war ich an dem Punkt angelangt, an dem ich mühelos von meinem Zimmer bis zum Trainingsplatz laufen konnte, das Wetter bestimmen konnte und sogar neue Umgebungen, wie zum Beispiel den Pferdestall Bruchtals oder die Ahnenhalle von Imladris haargenau beschreiben konnte.

Ich fragte mich im Nachhinein selbst, wie ich es geschafft hatte, mich alleine durch die Ahnenhalle zu schlängeln, ohne auch nur eine Skulptur um zu werfen. Doch in der Halle hatte es stark geschallt. Dies hatte Aryana zum Vorteil genutzt und mir eine neue Technik der blindenorientierung beigebracht. Nur mit Hilfe von Schnalzgeräuschen, so erklärte es mir die Elbin, sollte ich meinen Weg finden. Und tatsächlich schaffte ich es auf Anhieb ohne irgend einen Zusammenstoß. 
Ich fand es schon etwas eigenartig, dass ich diese Technik so schnell gelernt hatte und mit ihr umgehen konnte. Doch dafür klappte leider nicht alles so gut, wie dies.

Das Fehlerfreie schießen lag mir nämlich immer noch nicht im Gefühl. Denn die Anzahl der getroffenen Pfeile nahm nicht zu. Im Gegenteil. Sie sank. An meinem zweiten Trainingstag, landeten nur noch 6 Pfeile in ihrem Ziel. Umso mehr gingen dafür daneben.

Auch am dritten Tag steigerte sich die Zahl nicht. Das zerrte natürlich sehr an meinem Selbstbewusstsein und meiner Hoffnung, ein Krieger zu bleiben, selbst wenn Aragorn kein Erfolg haben würde.

Aryana war der Meinung, dass ich zu besessen von der Idee des Erfolges war und mich entspannen sollte. Doch ich konnte nicht. Ich wollte unter jeden Umständen siegen. Siegen gegen die Verzweiflung und die Blindheit. Siegen gegen mein altes ich, das immer alles mit dem Auge und nicht mit dem Herzen gesehen hatte.

Die fünfte Woche, nach meiner Ankunft hier in Bruchtal, brach mit einem neuen Trainingstag an. Voller Energie und Ehrgeiz wartete ich nur darauf, das Aryana zu mir aufs Zimmer kam. 

Schließlich traf sie ein und wir machten uns auf den Weg Richtung Trainingsplatz. Dort angekommen ging ich meinen täglichen Übungen nach, während Aryana ihre Steine gegen die Scheibe warf und mir mitteile, ob der Pfeil sein Ziel getroffen hatte oder nicht.

Der erste Pfeil zischte durch die Luft - und verfehlte sein Ziel.
Der zweite Pfeil zischte durch die Luft - und verfehlte ebenfalls sein Ziel.

Meine Hände zitterten vor Anspannung und Wut, als ich den dritten Pfeil aus meinem Köcher nahm und in die Richtung des klock Geräusches schickte.

"Und?"

"Du bist zu angespannt. So triffst du deine Ziele nie. Du musst ruhiger werden" antwortete Aryana tadelnd und kam auf mich zu.

Das hieß wohl nein.

Als ich einen neuen Pfeil aus meinem Köcher, den ich auf dem Rücken trug, zog und ihn an die Sehne meines Bogens legte, spürte ich auf einmal zwei sanfte Hände auf meinen Schultern.
Aryanas Hände.

Ich hielt sofort in meinem tun inne. Schließlich hielt ich eine spitze Waffe in der Hand und wollte Aryana nicht damit verletzen.

"Du musst dich entspannen. Sei nicht so sehr auf dein Ziel fokussiert. Atme ganz ruhig" flüsterte Aryana dicht an meinem Ohr.

Eine Gänsehaut überzog meinen gesamten Körper, als ihr sanfter Atem über meine Haut blies.

"Ganz ruhig. Atme ein. Und aus"

Ich gehorchte ihr.

Ich konnte nicht anders.

Als spräche sie einen Zauber, der mich das tun ließ, was sie wollte.

So atmete ich langsam ein und wieder aus. Dann spannte ich die Sehne.

"Konzentriere dich"

Aryanas flüstern reizte meine Sinne, welche ohnehin schon bis zum zerreißen gespannt waren, bis aufs äußerte.

Dann lies sie von mir ab.

Ich behielt meine Lage,...

... spannte weiterhin den Bogen,...

...versuchte ruhig zu bleiben....

...und wartete auf das Zeichen...

Klock

Ich versuchte den Punkt zu orten,...

...atmete tief ein...

..und wieder aus....

Ein letztes Mal spannte ich die Sehne etwas fester an und.....

...ließ den Bogen dann mutlos sinken.

Dabei entspannte sich nicht nur die Bogensehne, sondern auch mein ganzer Körper. Kraftlos ließ ich erst  den Pfeil auf die Wiese fallen und schließlich den Bogen. Kurz darauf sank ich dann selbst willenlos auf die Knie.

Kraftlos,...

Mutlos...

"Ich kann es nicht"

Meine Stimme war nur ein flüstern. Erschöpft... Willenlos.... Am Ende....

Aryana kam auf mich zu und kniete sich neben mich. Ihr Arm legte sich um meine Schultern.

"Ist schon gut. Wenn du es nicht willst..." began sie leise zu sprechen, doch ich fiel ihr ins Wort.

"Ich will es ja. Aber ich kann es nicht. Es ist der fünfte Tag, an dem ich trainiere. Und ich habe nicht mehr als 19 mal getroffen. An FÜNF Tagen. So viele Pfeile verschieße ich normalerweise in unter einer Minute. Und sie treffen immer direkt ins Schwarze"

Ich began Aryana beinahe an zu schreien. doch noch hatte ich meine Stimme noch soweit unter Kontrolle, dass ich es nicht mit der Lautstärke übertrieb.

"Ich glaube, es wird Zeit für eine Pause" überlegte Aryana nachdenklich.

"Eine Pause? Wir haben doch erst gerade angefangen" fing ich sofort an zu klagen.

"Willst du etwa den ganzen Tag damit verbringen, ziellos Pfeile durch die Luft zu schießen. Du hast gerade selbst gesagt, dass du nicht mehr kannst. Was du brauchst, ist ein langer Spaziergang. Sofort. Am besten außerhalb von Bruchtal. Die Wälder dort sind sehr schön und dort kannst du dich nicht nur entspannen, sondern auch neue Umgebungen erhören, erfühlen und beschreiben" versuchte Aryana mich zu überreden.
"Ich weiß nicht..." murmelte ich lustlos.

"Komm schon, das wird dir gut tun" meinte Aryana und zog mich wieder auf die Beine.

"Wie du willst" gab ich mich geschlagen.

Ich hatte eigentlich keine große Lust spazieren zu gehen. Viel lieber wollte ich trainieren. Aber mittlerweile kannte ich Aryana gut genug, um zu wissen, dass sie nicht locker lassen würde. Und irgendwo hatte sie auch recht.

"Die hier solltest du aber abnehmen. Ich denke, du brauchst sie nicht mehr" sagte Aryana und begann den Knoten meiner Augenbinde zu lockern.

"Bist du sicher?" fragte ich zögerlich.

"Natürlich. Du willst als selbstbewusst und stark angesehen werden, richtig? Dann solltest du deine Augen nicht verbergen. Im übrigen ist die Wunde längst verheilt. Es kann sich also nichts entzünden" antwortete Aryana.
Sie nahm mir die Augenbinde vollständig ab. Kühle Luft strich über meine, leicht reizbaren Augen. Ich wusste, dass ich sie offen hatte, doch sehen konnte ich nicht das Geringste. Ich blinzelte, da der leichte Wind in meinen Augen brannte.

"Du wirst dich daran gewöhnen" versicherte mir Aryana und ging voraus.

Ich folgte der Heilerin über den Trainingsplatz, durch Elronds Garten und über die Lange große Brücke, die, wie ich wusste, direkt in die Stadt führte.

Meinen Köcher behielt ich aber dennoch um den Rücken geschnallt. Und auch den Bogen legte ich nicht aus der Hand. Es war eine alte Angewohnheit von mir, nicht ohne Waffen das Haus, in diesem Fall Elronds Haus, zu verlassen.

Aryana hatte zwar versucht mir die Waffen aus dem Kopf zu schlagen, damit ich nicht 'unter Druck' stehen würde.
Aber wie gesagt.
Es war eine alte Angewohnheit von mir.
Und im Gegensatz zu meiner anderen Angewohnheit, die Leute nach dem äußeren zu beurteilen, konnte ich diese hier nicht so schnell ablegen oder ändern.
Es war eine reine Vorsichtsmaßnahme.

Aber vielleicht lag es auch daran, dass mein Unterbewusstsein Angst vor einer weiteren Orkbegegnung hatte, bei der womöglich etwas schlimmeres herauskommen würde, als Blindheit.
Im schlimmsten Fall sogar der Tod.
Also war es sicherer Waffen dabei zu haben.

Während wir durch die Stadt liefen, nahmen meine Ohren so viel verschiedenes wahr, wie schon lange nicht mehr.
Das hämmern von Metal in einer Schmiede, das Verhandeln von Ware auf dem Marktplatz, das Lachen von ein paar Kindern, die an mir vorbei rannten. Die Musik, die auf dem Marktplatz gespielt wurde....Harfe und Flöte waren es, die ich am meisten heraus hörte.

Der Duft frischen Brotes, welches auf traditionelle Elbenart gebacken wurde, wehte zu mir hinüber. Ich atmete tief ein. Wie sehr ich das Brot aus Bruchtal doch liebte....

Durch die Stadt gingen wir nur sehr langsam. Aryana war immer dicht neben mir. So, dass ich ihren Arm an meinem spüren konnte.

Die Nachricht, dass ich, der Elbenprinz aus Düsterwald, erblindet war und zur Genesung hier in Bruchtal verweilte, hatte sich wie ein Lauffeuer in der Stadt herum gesprochen. Und inzwischen hatte ich nicht nur einen Ruf in Bruchtal, sondern sogar zwei.

Viele sahen in mir immer noch den stolzen Elbenprinz aus Düsterwald, der einen Ork im Dunkeln und auf 200 Meter Entfernung treffen und töten konnte.

Andere aber, so erfuhr ich es von einigen Elben, sahen in mir tatsächlich eine Art blinden Krieger. Auch, wenn ich das Schießen noch nicht so gut beherrschte wie früher, so glaubten viele daran, dass ich es schaffen könnte.

Der glücklichste Moment für mich, war jedoch die Unterhaltung mit einem Kind, welches mich mitten auf der Straße angesprochen hatte. Ich konnte es natürlich nicht sehen, doch die Stimme verriet mir, dass es ein Mädchen von vielleicht sechs oder sieben Jahren sein musste.

"Seid ihr Legolas? Der Prinz aus Düsterwald?" hatte sie gefragt, worauf ich mit einem "Ja" geantwortet hatte.

"Und... Stimmt das, was man sich erzählt? Ihr seid im Kampf erblindet?" hatte sie ehrfürchtig gefragt.

Auch bei dieser Frage hatte ich mit einem "Ja" geantwortet.

"Meine Freunde glauben, es sei Irrsinn, dass ihr wieder mit dem Bogenschießen anfangt" hatte sie gesagt.

Und bei diesem Satz war Enttäuschung und Zorn in mir aufgestiegen. Allerdings waren diese beide Gefühle sofort wieder verflogen, als das Kind weiter gesprochen hatte.

"Ich finde es aber überhaupt nicht irrsinnig, sondern mutig, dass ihr wieder kämpfen wollt. Dann seid ihr ein Dom maethor. Dann seid ihr mein Held"

Die letzten Worte des Kindes waren der Ausschlaggeber für meine erneute Hoffnung. Denn "Dom maethor" war elbisch und bedeutete soviel wie Blinder Krieger.

Und genau das war es, als was ich gesehen werden wollte, sollte ich mein Augenlicht nicht mehr zurück erhalten. Wenn Aragorn mit seiner Mission keinen Erfolg haben sollte, so hatte ich mir geschworen, wollte ich kein bemitleidenswerter Prinz sein, der in seinem Palast sitzt und ständig auf Hilfe angewiesen ist, sondern ein selbstbewußte Krieger, der selbst im Alleingang noch hunderte Orks töten kann...

Natürlich war es ein weiter und steiniger Weg bis dahin. Aber wie Aryana mir gesagt hatte: Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg.

Auch wenn andere Elben mir persönlich sagten, dass sie mich für einen blinden Krieger hielten, so hatte ich doch am meisten Hoffnung in mir gefühlt, als es das Mädchen gesagt hatte.

Denn wenn ein Kind soetwas sagte,  musste es eine Bedeutung haben.
Eine große Bedeutung.

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