Ein Leben im Dunkeln

Legolas' Sicht:

"Ich habe vor vielen Jahren einen Mann kennen gelernt. Seit er ein kleines Kind war, verbrachte ich regelmäßig Zeit mit ihm. Er stammte ursprünglich aus Gondor, war aber meistens auf Wanderschaft. Sein Name war Björn. Aber bei den meisten war er bekannt als der blinde Krieger"

Aryana unterbrach ihre Erzählung für einen kurzen Moment. Das nutze ich sofort aus.

"Warum der blinde Krieger?" fragte ich, obwohl ich die Antwort im innern schon längst kannte.

"Er war blind. Und das seit Geburt an" antworte Aryana.

"Seit Geburt an?" Erschütterung schwangte in meiner Stimme mit. Ich hatte volles mitleid mit diesem Mann.
"Ja, aber denke nicht, dass er sein ganzes Leben zuhause in seinem Zimmer, abgeschnitten von der Welt, verbracht hat. Oh nein... Er hat sein Leben genauso geführt, wie alle anderen auch. Nur, dass er statt mit Augen, nur mit den Händen und den Ohren sehen konnte. Ich finde sogar, dass er die Welt genauer und besser gesehen hat, als jemand, der sein Augenlicht noch hat" fuhr Aryana fort.

"Warum erzählt du mir das?" fragte ich verwirrt.

"Das wirst du schon noch sehen" meine die Elbin nur, "Sein erster Name war zwar 'blinder', doch sein zweiter Name war 'krieger'. Und diesem Namen hat er alle Ehre gemacht".

"Du meinst..." begann ich ungläubig.

"Ja. Obwohl er nie etwas mit den Augen sehen konnte, erlernte er das kämpfen. Und er war gut. Mehr als gut. Ich habe ihn kämpfen sehn, Legolas. Er war wirklich talentiert" sagte die Elbin.

"Aber wie konnte er die Feinde sehen? Wie konnte er wissen, wo der Angreifer steht? Was er tut? Was er vorhat?" fragte ich ungläubig weiter, da mir das ganze nicht glaubwürdig erschien.

"Er hat sich nur mit hilfe der Geräusche und der Schallbewegungen orientiert und wusste so, wo die Feinde waren und was sie taten. Er hat sogar in Kriegen und Schlachten mit gekämpft" antwortete Aryana.

Ich wusste nicht so recht, ob ich diese Geschichte glauben sollte...

Es klang wie ein Märchen...

Ein Kindermädchen...

"Woher kanntest du ihn?" fragte ich schließlich.

"Als Björn geboren wurde und seine Eltern bemerkten, dass er blind ist, haben sie jeden Heiler in Gondor um Rat gefragt. Aber niemand konnte ihm helfen. Daraufhin haben seine Eltern ihn nach Lorien gebracht, um Herrin Galadriel um Hilfe zu bitten. Doch auch in Lorien konnte ihm niemand helfen. Selbst die Herrin des Lichts konnte ihm sein Augenlicht nicht zurück geben. Allerdings wurde er in Lorien im Kampf ausgebildet. Daher kenne ich ihn. Jedes mal, wenn er sich beim Training verletzt hatte, kam er zu mir, damit ich seine Wunden versorgen konnte" antwortete Aryana.

"Und was ist mit dem blinden Krieger passiert?" fragte ich dann weiter ohne dass mein Interesse meine Stimme zu sehr verriet. Doch es gelang mir nicht wirklich gut.

"Er hat seine große Liebe gefunden, hat geheiratet und bekam sogar Kinder" sagte die Elbin.

"Er hat geheiratet obwohl er seine Frau nie sehen konnte?" wiederholte ich fassungslos.

"Ja, und auch seine Kinder hat er nie zu Gesicht bekommen. Doch gesehen hat er sie trotzdem. Mit seinen Händen. Verstehst du? Allein durch seine übrig gebliebenen Sinne hat er seine Familie, seine Umgebung und seine Feinde besse sehen können als alle anderen" erzählte Aryana weiter.

Ich versuchte mir ein Bild des blinden Krieges in den Kopf zu brennen. Wie er wohl ausgesehen hatte?

"Im Alter von 94 starb er dann in Lorien. Ich war dabei, als er Seine letzten Worte sprach: 'Ich war ein Mann der Hoffnung. Und die Hoffnung stirbt nie. Verkündet die Nachricht, ich sei in den Westen gesegelt und lebe dort für alle Zeit unter dem Schutz der Elben. Ich möchte den Menschen nicht die Hoffnung nehmen, mit der Nachricht, ich sei in die Welt der Toten gewechselt. Versprecht es mir'

Björns Kinder leben, nach meinem Wissen, heute noch in Gondor und haben bereits eigene Familien gegründet. Doch nie wird der blinde Krieger vergessen werden. Zumindest nicht bei den Menschen aus Gondor und den Elben aus Lorien. Björn stand nicht nur für den Mut da, sondern auch für Hoffnung. Denn in all den Jahren, in denen er gelernt hatte, mit dem Schwert um zu gehen und mit dem Bogen zu schießen, hatte es immer wieder Leute gegeben, die gesagt hatten, dass er es niemals bis zum ausgebildeten Krieger und auf ein Schlachtfeld schaffen würde. Doch Björn hat nie aufgeben. Er machte weiter. Und er siegte"

Aryana beendete ihre Geschichte so geschickt, dass ich sofot damit anfing, mir den Kopf über Björns Leben zu zerbrechen. Weshalb hatte er nie aufgegeben? Was war sein Geheimnis?

"Weißt du nun, warum ich dir die Geschichte des blinden Kriegers erzählt habe?" fragte Aryana nach einer längeren Pause.

"Ich nehme mal an, dass du mir damit etwas sagen wolltest. Und zwar, dass ich die Hoffnung, auch wenn sie nur noch der Größe eines Funken gleicht, niemals aufgeben soll" vermutete ich nachdenklich.

"Das und noch etwas. Etwas, dass du mit Sicherheit vermisst" erwiderte Aryana, stand von der Bettkante auf und schritt leichtfüßig durch den Raum. Nur, um sich nach wenigen Sekunden wieder neben mich zu setzten.

"Ich möchte, dass du genau überlegst, ob dich deine Blindheit wirklich daran hindert, mit dem Kämpfen aufzu hören" verlangte sie und drückte mir sanft etwas dünnes und langes in die Hand. Ich umschloss den Gegenstand mit beiden Händen und wusste sofort, ohne großes Nachdenken, was ich da in den Händen hielt.

"Mein Bogen?" fragte ich leise und fuhr mit zwei Fingern über das glatt geschliffene Holz, in welches kleine Efeublätter als Verzierungen hinein geritzt waren.

"Ja. Ich könnte mir gut vorstellen, dass du auch mit deiner Blindheit genauso gut schießt wie früher" meinte Aryana.

Energisch schüttelte ich plötzlich den Kopf und damit die gesammte Hoffnung von mir.

"Wie soll ich den bitte ein Ziel anvisieren, geschweigeden treffen, wenn ich nichts sehen kann. Ich bewege mich ja schon beim spazieren unendlich langsam. Wie soll ich dann Kampfbewegungen beherrschen, ohne, dass ich etwas sehen kann? Es tut mir Leid, Aryana. So sehr ich das Schießen auch vermisse... Ich kann das nicht"

Die Argumente, welche ich Aryana vortrug, waren nachvollziehbar und ziemlich gut, wie ich fand. Aber nicht gut genug für Aryana.

"Denkt doch an Björn. Er hat auch nie aufgegeben" versuchte sie mich zu überzeugen. Doch ich wehrte ihre Bemühungen ab.

"Nicht jeder ist ein blinder Krieger, Aryana. Nicht jeder kann ohne Augen sehen" fauchte ich die Elbin beinahe unfreundlich an.

Als sie nichts darauf sagte, merkte ich, dass ich zu weit gegangen war.

"Tut mir leid, ich wollte nicht laut werden. Ich bin einfach nur am Ende meiner Kräfte und meiner Hoffnung" murmelte ich entschuldigend.

"Es ist schon nach zu vollziehen, wie du dich fühlst. Trotzdem muss ich dir wiedersprechen. Erstens haben doch besonders Elben die Kraft, die Natur mit Ohren, Händen und den anderen Sinnen wahr zu nehmen. Man könnte ja glatt meinen, du seist ein Mensch im Elben Körper. Und zweitens bist du gerade ganz alleine, ohne Hilfe und in einem ganz normalen Tempo, vom Wasserfall bis in dein Zimmer gelaufen, ohne dass ich dich von irgendwelchen Skulpturen wegschieben musste"

Ich hochrte auf. Das war mir gar nicht richtig aufgefallen. Aber es stimme. Ich hatte den Weg vom Wasserfall bis hier her alleine gefunden und zurück gelegt.

"Du willst mir also damit sagen, dass ich höchstwahrscheinlich nie wieder sehen werde, aber dies nicht heißen muss, dass ich den Rest meines Lebens an Hilfe gebunden bin, sondern genauso weiterleben kann wie früher?" fragte ich leise.

"Fast. Ich will damit sagen, dass du für alles offen sein musst. Du wirst am Anfang noch auf Hilfe angewiesen sein. So, wie du es bis jetzt auch warst. Diese Aufgabe würde ich gerne weiterhin übernehmen und dir helfen. Doch irgendwann wirst du dich nicht nur alleine durch Bruchtal bewegen können, sondern auch alleine kämpfen können. Aber sei dir auch dabei bewusst, dass die Möglichkeit besteht, dass du tatsächlich nie wieder sehen wirst. Und in diesem Fall wäre es keine Sünde, wenn du nicht anfängst, zu trainieren" sagte Aryana und legte mir ihre schmale Hand auf die Schulter.

"Jetzt?" fragte ich völlig überrumpelt.

"Wenn du willst? Ja, ich helfe dir. Ich habe auch schon eine Idee, wie du deine Ziele treffen kannst" antwortete Aryana und stand auf.

Völlig überrascht erhob ich mich ebenfalls. Ja, warum nicht? Es war bestimmt ein seltsames Gefühl mit Waffen zu hantieren, während man nichts sieht. Aber bei den Vallar, es musste sich etwas ändern. Ich konnte schließlich nicht für den Rest meines Lebens hier in Bruchtal bleiben. Ich hatte Pflichten Düsterwald. Und denen wollte ich auch weiterhin nach kommen können.

Mit einem aufgeregt pochendem Herzen, begann ich mich, mit dem Bogen in der Hand, durch das Zimmer zu tasten und landete schließlich im Flur.

Aryana hatte netterweise meinen Köcher genommen und folgte mir langsam durch Elronds Haus.

Ich konnte es kaum erwarten, den ersten Pfeil ab zu schließen. Auch, wenn ich mir immer noch nicht ganz erklären konnte, wie Aryana das Training geplant hatte.

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