Das Licht zum leben
Wir saßen noch eine ganze Weile in meinem Zimmer und redeten. Die meiste Zeit erzählte ich von Aryana. Dies tat ich völlig unbewusst, aber Aragorn schien das nicht zu stören. Im Gegenteil. Er schien interessiert an jener Elbin zu sein, die es geschafft hatte, den einst so stolzen und herzlosen Prinzen des Düsterwaldes zu ändern.
Ich erzählte Aragorn von meinem Training, dass ich bei Aryana absolviert hatte. Doch Aragorn konnte sich nichts von all dem vorstellen. Er ließ nicht locker und wollte mit eigenen Augen sehen, wie ich mit dem Bogen schoss. Und so machten wir uns auf den Weg zum Trainingsplatz.
Allein schon die Tatsache, dass ich ohne fremde Hilfe zur Trainingswiese lief, brachte Aragorn ins staunen. Immer wieder fragte er, ob er mir helfen solle. Und immer wieder winkte ich ab.
Nach einiger Zeit gab er auf, denn er sah ein, dass ich wirklich keine Hilfe mehr brauchte.
Der Nachmittag war bereits angebrochen und noch immer roch die Luft nach Regen. Eigentlich ein sehr schöner Duft, wie ich fand. Aber das die Trainingswiese nass war, machte mir etwas Sorgen.
Es gelang mir aber ohne peinliche Ausrutscher darauf zu laufen.
Bei den Zielscheiben angekommen, bat ich Aragorn, einen Stein gegen die Strohscheibe zu werfen. So wie es Aryana immer getan hatte.
Ich hoffte, dass es mir dieses mal gelingen würde. Immerhin hatte ich auch den Warg getroffen.
Und tatsächlich. Nachdem ich das klock vernommen hatte und den Pfeil losgelassen hatte, kam ein erstauntes "ohhh" von Aragorn.
"Und?" fragte ich.
"Mitten ins Schwarze. Du hast nicht gelogen. Kein Wunder das sie dich im Norden den Schützenkönig nennen" staunte Aragorn.
"Wer nennt mich so?" fragte ich irritiert.
"Einige Menschen aus dem Norden" antwortete Aragorn nur.
"Das wusste ich gar nicht" lachte ich.
"Nun, jetzt weißt du es. Schieß bitte noch einmal. Wer weiß, vielleicht war der erste Treffer nur ein Zufall" meinte Aragorn.
Ich schüttelte den Kopf, zog einen weiteren Pfeil und spannte ihn.
"Das bezweifele ich" grinste ich leise und wartete auf das klock.
Tatsächlich landeten auch der zweite, der dritte und der vierte Pfeil direkt im Zentrum der Zielscheibe. Aragorn war mehr als erstaunt. Zurecht.
"Du bist ein Wunder der Valar" lachte der König von Gondor.
"Nein ich bin kein Wunder" sagte ich lächelnd und musste an Aryanas Worte denken. "Das ist nur das Ergebnis von Vertrauen und Übung"
"Wenn du meinst", Aragorn klopfte mir auf die Schulter. "Du hast echt Glück gehabt, Aryana kennen zu lernen. Sie hat dich in der tat viel gelehrt. Aber du solltest es mit dem Schießen nicht übertreiben. Deine Wunden sind noch frisch. Lass uns zurück gehen und etwas essen" schlug Aragorn vor.
Ich nickte nur, während mein Freund die Pfeile aus der Zielscheibe zog und mir reichte. Dann machten wir uns auf den Weg zurück zu Elronds Haus. Einer der Diener brachte uns ein Angebot an verschieben Speisen auf mein Zimmer.
Während wir aßen, verfielen wir in ein Gespräch über die Warge. Nach einer Weile gesellte sich Gandalf zu uns und rätselte mit.
"Ich verstehe eure Sorgen. Die Warge vermehren sich zu schnell. Ich habe versucht, Antworten zu finden. Deshalb war ich auch im Norden. Dort lebt ein alter Freund von mir. Ich dachte, er könnte uns helfen, dieses Problem zu lösen" berichtete Gandalf.
"Und konnte er helfen?" fragte Aragorn.
"Nein. Das konnte er nicht" sagte der Zauberer knapp.
"Ich mache mir Sorgen um meine Volk, Gandalf" sagte Aragorn, wenn die Warge auch noch nach Gondor vordringen,... ich weiß nicht, wie lange ich die Grenzen schützen kann. Legolas wird sich auch Sorgen um den Düsterwald machen. Hab ich recht, mellon nin? Legolas?"
Aus den Gedanken gerissen hob ich meinen Kopf.
"Mhm?"
"Was hast du? Du wirkst so Abwesend" stellte Aragorn verwundert fest. Es musste für ihn in der tat verwirrend sein, denn normalerweise war ich mit den Gedanken immer beim Gesprächsthema. Nur dieses Mal waren sie davon gelitten.
"Ich habe nur nachgedacht" sagte ich schnell, um von meiner Unkonzentriertheit abzulenken.
"Und wo warst du mit deinen Gedanken?" fragte Gandalf. Ich konnte ihn förmlich vor meinem geistlichen Auge schmunzeln sehen.
"Ist nicht so wichtig" winkte ich ab und nahm einen Schluck Wasser.
Gandalf und Aragorn begannen wieder über die Warge zu diskutieren. Und ich verlor mich wieder in meinen Gedanken bei Aryana.
Warum hatte sie diese drei letzten Worte gesagt, die sich so sehr nach Abschied angehört hatten?
Warum Abschied?
Warum diese plötzliche Flucht?
Und wo war sie jetzt?
Vielleicht sollte ich zu Herrn Elrond gehen und ihn nach Aryana fragen. Vielleicht wusste er etwas über ihren Verbleib.
Meine Gedanken schweiften in der Vergangenheit weiter zurück. Bis zu dem Augenblick als Aryana und ich im Wald gestanden hatten...
Der Kuss, so einzigartig und kostbar, als wäre er der einzige Liebesbeweis gewesen.
Der nasse schwere Regen, der in Strömen auf uns nieder geprasselt hatte.
Das heftige Klopfen unserer Herzen, die den selben Rhythmus eingeschlagen hatten. So, als könnten sie nicht ohne das andere weiter leben. Als würden sie aufhören mit schlagen, wenn sich die Lippen trennten....
So magisch...
So einzigartig...
"Legolas?"
Wieder riss Aragorns Stimme mich zurück in die Realität. Jene Realität, in der Aryana so plötzlich verschwunden war. Ohne ein Wort der Erklärung.
"Ja?" fragte ich verwirrt.
"Ich sagte, ein Bote ist soeben angekommen. Er trägt lorische Kleidung" sagte Aragorn, dessen Stimme von weiter weg kam. Anscheinend stand er am Fenster.
Meine Miene hellte sich auf.
Meine Hoffnungen wuchsen.
"Wirklich?" fragte ich hoffnungsvoll.
"Ja, ich werde ihn gleich fragen, ob er eine Nachricht von Galadriel hat" antwortete Aragorn und ging quer durch den Raum. Die Tür ging auf und wieder zu.
"Mach dir keine Sorgen, mein Freund" sagte Gandalf mit ruhiger Stimme, "selbst wenn es keine guten Nachrichten sind, kannst du dein Leben weiter führen. Herr Elrond erzählte mir von deinen Taten und vom Kampf mit den Wargen".
"Hat er auch etwas von einer Elbin gesagt?" fragte ich erwartungsvoll.
Doch Gandalf zerschlug diese Erwartungen wie einen Spiegel in tausend Teile.
"Nein, das hat er nicht. Warum fragst du?" wollte er neugierig wissen.
"Ist nicht so wichtig" murmelte ich betrübt.
Langsam wurde die ganze Sache merkwürdig...
Elrond hätte jeden Grund gehabt, Aryana zu erwähnen. Immerhin war es ihr Verdienst, dass ich mich geändert hatte.
Die Tür wurde geöffnet und jemand - vermutlich Aragorn - kam in den Raum geeilt.
"Es ist ein Brief von Herrin Galadriel" rief Aragorn und kam auf mich zu.
Schnell stand ich auf.
"Worauf wartest du? Lies ihn vor" drängte ich ungeduldig.
Es folgte das Geraschel von Pergament.
Stille.
Dann begann Aragorn zu lesen.
Der Estromjah hat in wenigen Tagen seine volle Wirkung erreicht.
Ich werde unverzüglich nach Bruchtal reisen, sobald es so weit ist.
Herrin Galadriel
Mein Herz realisierte als erstes, was Aragorn gerade vorgelesen hatte, indem es seinen Takt um das 3 Fache beschleunigte. Ich merkte nicht, dass mein Mund ein Stückchen offen stand.
Mich interessierten nur die Worte, die Aragorn soeben vorgelesen hatte.
Mehr nicht.
Plötzlich fing ich an zu lachen.
Aus vollem Herzen.
Ich konnte nicht anders.
"Das bedeutet..." begann ich fassungslos, war aber nicht in der Lage den Satz fertig zu sprechen.
"Ja, das bedeutet es" bestätigte Aragorn meine Gedanken und stieg in das Lachen mit ein.
Selbst Gandalf konnte ich lachen hören.
Es war, als würden sämtliche Sorgen von mir fallen.
Alles Schwere verschwand.
Alles Schwarze wich zurück in den Schatten hinter mir. Und die Farben traten wieder in mein Leben zurück.
Doch.... es war kein Unterschied zu vorher. Ich war glücklich, ja. Ich war befreit von Trauer und Schmerz. Aber ich erkannte den Unterschied nicht.
Und dann wurde es mir bewusst. Ich hatte den schweren Schleier, der mich unbewusst all die Jahre hinweg belastet hatte, schon längst von mir geworfen. Oder besser gesagt, er ist von mir genommen worden.
Von Aryana.
Ich brauchte mein Augenlicht nicht.
Ich brauchte es nicht, um glücklich zu sein.
Ich brauchte es nicht, um lieben zu können.
Ich brauchte es nicht, um leben zu können.
Sicher, ich war glücklich, dass ich es nun zurück bekommen würde. Aber ich musste zugeben, dass ich auch noch ein schönes Leben geführt hätte, wenn ich für den Rest meines Lebens blind geblieben wäre.
Und ich lernte noch etwas Neues.
In vielen Sagen, Geschichten und Liedern der Hochelben hieß es: du brauchst ein Licht zum leben, sonst wirst du in Dunkelheit schweben.
Schon immer hatte ich geglaubt, dieses Licht sei mein Augenlicht gewesen. Doch jetzt verstand ich endlich die wahre Bedeutung.
Dieses Licht war die Liebe.
Die Liebe zu seinen Freunden, zu seiner Familie und die besondere Liebe zu der Person, die einen glücklich machte. Und in meinem Fall war es Aryana.
Sie war mein Licht.
Sie war mein Licht im dunklen Leben.
Auch, wenn sie im Moment nicht bei mir war.
Sie würde zurückkommen.
Da war ich sicher.
Ja, ich hätte gut ohne mein Augenlicht weiter leben können.
Aber nur mit Aryana an meiner Seite.
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