Blicke
Sicht Legolas:
Ein heller Lichtstrahl brannte sich in meinen Kopf, als ich meine Lieder langsam öffnete. Er war so hell, dass ich die Augen sofort wieder schließen musste. Aber nur, um sie kurz darauf wieder zu öffnen. Dieses mal war der Lichtstrahl nicht mehr so grell. Dennoch musste ich die Augen gleich wieder schließen.
Es war ungewohnt. So viel Weiß hatte ich nicht mehr seit dem letzten Winter gesehen, als der große Sturm über Mittelerde gewütet hatte und das ganze Land mit einer Schicht Schnee bedeckt hatte.
Wochenlang hatte ich nur Dunkelheit gesehen und nun war alles weiß! Ein starker Hoffnungsschimmer keimte langsam in mir auf und wuchs mit jeder Sekunde.
"Legolas? Kannst du mich hören, mein Freund?"
Je mehr Aragorn sagte, desto mehr schärften sich meine Sinne.
Vorsichtig öffnete ich wieder meine Augen, blinzelte ein paar mal und schloss die Lieder dann wieder.
Als ich sie das nächste mal öffnete, erkannte ich, in all dem weißen Licht, eine dunklere Gestalt. Es war nur ein unscharfer Umriss. Und doch wusste ich, wen ich da vor mir hatte.
"Aragorn? Bist du das?" fragte ich leise. Meine Stimme klang noch müde und erschöpft. Was ich auch ehrlich gesagt war.
"Ja, ich bin es, Legolas" kam die Antwort meines langjährigen Freundes zurück.
Ich blinzelte ein paar weitere male. Mit jeder Sekunde, verschärften sich die Umrisse Aragorns ein bisschen mehr. Doch so scharf wie früher wurde mein Blick nicht. Auch die Möbel, die ich hinter Aragorn zu sehen glaubte, waren noch unscharf.
Verunsicherung stieg in mir auf.
"Legolas, sag mir, kannst du mich sehen? Kannst du sehen, wo du bist?" fragte Aragorn mich.
Ich drehte den Kopf und ließ meinen Blick über die undeutlichen Sillhouetten meines Zimmers streifen. Letztenendes blieben sie auf Aragorn hängen.
Ich richtete mich ein Stückchen auf und stützte mich mit den Ellenbogen auf dem Bett ab.
"Ich... Ja... Ich sehe dich... Ich sehe das Zimmer....aber alles unscharf....was ist da los? Gandalf sagte doch..." begann ich vorsichtig. Doch Aragorn schnitt mir das Wort ab.
"Du wirst wieder bald scharf sehen können. In spätestens einer Woche werden deine Augen die Welt so bewundern können, wie sie es früher getan haben. Gönne ihnen ein paar Tage Ruhe. Dann werden sie dir bald wieder klare Sicht geben" versprach Aragorn und legte mir seine Hand auf die Schulter.
Ich richtere mich vollständig auf und setzte mich auf die Bettkante.
Einen Augenblick lang glaubte ich, ein leichtes Schwindelgefühl zu vernehmen. Doch schnell war dieses Gefühl verflogen. Ein Lächeln legte sich auf meine Lippen.
Es hatte funktioniert!
Ich konnte wieder sehen...
Keine schwarzen Schleier mehr....
Keine Dunkelheit mehr...
Nein, diese Zeiten waren vorbei!
Sie waren endgültig vorbei!
Zufrieden atmete ich durch und sah an mir hinab. Ich trug immernoch das weiße Hemd und die hellgraue Hose, die ich zum Ritual getragen hatte. Doch ich befand mich nicht mehr in jenem Raum, indem dieses durchgeführt worden war, sonden in meinem Zimmer.
"Wie lange habe ich geschlafen?" fragte ich Aragorn, der, wie ich erst jetzt sah, auf einem Stuhl neben meinem Bett saß.
"Über zwei Tage" antwortete dieser mit erleichterter Stimme.
Ich nickte abwesend und ließ meine Augen erneut über die Umrisse meines Zimmers wandern. Es sah genau so aus, wie ich es erwartet hatte. Der Schrank neben der Tür, den ich schon so oft ertastet hatte, das Fester, an dem ich schon so oft gestanden und nachgedacht hatte, der Schreibtisch, die beiden Türen.... und meine Waffen.
Mein Bogen lehnte an der Wand neben dem Schreibtisch und wartete nur darauf, dass ich ihn wieder benutzen würde. Daneben lehnte der Köcher mit Pfeilen und die beiden Zwillingsdolche in ihren Scheiden.
Vorsichtig stand ich auf, wobei ich erneut ein kurzes Schwindelgefühl vernahm. Doch auch dieses legte sich nach einigen Sekunden wieder. Und so ging ich langsam hinüber zu meinen Waffen, die mich beinahe magisch angezogen. Aragorn folgte mir.
Ich nahm meinen Bogen zur Hand, strich mit zwei Fingern über das Holz und schließlich über die Sehne.
Ich konnte wieder kämpfen!
Ich konnte wieder richtig kämpfen!
Es würde vielleicht noch ein paar Wochen dauern, bis ich einen richtigen Kampf aufnehmen konnte... aber es gab Hoffnung.
Eine riesige Hoffnung.
Ich stellte den Bogen wieder ab, drehte mich zu Aragorn um und fing an zu lachen. Dieser stimmte auf das Lachen mit ein.
Es war vorbei.
"Danke! Danke, Aragorn. Für alles. Du hast so viel für mich getan. Danke" lachte ich glücklich.
"Das habe ich doch gern für einen Freund getan" antwortete der König von Gondor.
"Du hast etwas bei mir gut, mellon nin. Solltest du je meine Hilfe benötigen, werde ich da sein" versprach ich.
Aragorn grinste. "Ich komme irgendwann auf dein Angebot zurück. Aber vorerst solltest du deinen Augen und dir selbst etwas Ruhe gönnen. Sie sollen sich erst mal an die Helligkeit gewöhnen. Währenddessen werde ich Herrn Elrond von deinem Erwachen berichten. Er wird ebenfalls erleichtert sein".
Ich nickte verstehend. "Ich weiß, dass du schon viel für mich getan hast und ich schulde dir jetzt schon viel zu viel, aber kannst du noch eine Sache für mich tun?" fragte ich.
"Natürlich, mein Freund" sagte Aragorn lächelnd.
"Ich habe dir doch von Aryana erzählt. Eine Heilerin von Elrond" begann ich.
"Ja, das hast du. Die Elbin, die so plötzlich verschwunden ist" erinnerte sich der König von Gondor.
"Genau. Könntest du Herrn Elrond nach ihr fragen? Er müsste doch wissen, wo sie ist" überlegte ich.
Aragorn lächelte mich leicht an.
"Sie muss wirklich viel Macht über dich haben" lachte er, "Ja, ich werde mich bei Herrn Elrond nach ihr erkundigen".
"Danke, mellon nin" sagte ich noch, bevor Aragorn sich umdrehte und aus dem Raum ging.
Glücklich trat ich zum Fester. Draußen leuchtete alles in einem weißen Glanz. Und ich wusste genau warum.
Schnee! Er reflektierte die Sonnenstrahlen und reizte damit meine Augen noch mehr. Ich Kniff sie etwas zusammen, um etwas zu erkennen. Doch es erwies sich als äußerst schwierig, den hellgrauen Himmel von der weißen Schneepracht auseinander zu halten.
Und doch wusste ich: In ein paar Tagen oder Wochen, würde ich wieder so gut sehen können wie früher. Nur, dass ich nicht mehr der selbe Elb war, wie früher.
Nun blieb nur noch die Geschichte mit Aryana offen. Ich hoffte inständig, dass es ihr gut ging. Aber warum war sie nur so überstürzt davon gelaufen?
Und auf einmal kamen die Erinnerungen wieder.
Der Traum!
Ich hatte im Traum ihre Stimme gehört. Ihren Schatten gesehen...
Aber was hatte dies nur zu bedeuten? War es ein Hilferuf? Ein stummer Hilferuf von Aryana? Aber wieso?
Ich verstand dieses Rätsel einfach nicht und hoffe einfach nur, dass es sich bald von selbst lösen würde.
Mit ein bisschen Glück würde Herr Elrond Licht ins Dunkle bringen.
So, wie es Aryana bei mir getan hatte.
Sicht Aragorn:
Das Legolas wieder sehen konnte, war eine große Erleichterung und eine noch größere Freude für mich. Und dass er sich in eine Elbin verliebt hatte, setzte dem Glück noch die Krone auf. Legolas war nie wirklich an Frauen interessiert gewesen. Ich wusste selbst nicht warum. Ich hatte lediglich von seinen Erzählungen gehört, dass sein Vater ihm sehr oft Druck in dieser Sache machte. Aber Legolas hatte sich nie zu irgendetwas zwingen lassen. Er hatte sich nicht einfach eine der vielen Prinzessinnen herausgesucht und geheiratet ohne sie überhaupt zu kennen.
Nein, er hatte gewartet, bis die richte Frau seinen Weg kreuzte. Und ich freute mich wirklich für ihn, dass diese Frau nun den Weg in sein Leben gefunden hatte.
Nur verwirrte mich die Geschichte etwas. Warum sie kurz vor meiner Ankunft geflohen war, konnte ich mir nicht erklären. Doch Legolas litt sehr darunter. Auch, wenn er nun vorerst glücklich war, so wusste ich, dass er früher oder später daran zerbrechen würde. Er war ein Elb und kein Mensch. Und wenn ein Elb die Liebe seines Lebens verlor,....
Ich wagte es nicht, den Gedanken zu Ende zu denken.
Und um zu verhindern, dass mein Freund an seiner Liebe zerbrach, wollte ich herausfinden, was diese Aryana für ein Geheimnis hatte. Doch da ich keine Elbin mit diesem Namen kannte, musste Elrond mir nun weiter helfen. Immerhin war sie, laut Legolas' Auskunft, eine seiner Heilerinnen.
Als ich an Elronds Arbeitszimmer ankam, klopfte ich zweimal und trat nach einem müden "herrein" in den Raum ein. Elrond saß an seinem Schreibtisch und war in eine Schriftrolle vertieft.
"Ah, Aragorn. Gibt es Neuigkeiten?" fragte der Herr von Bruchtal sofort, als er aufsah und mich erkannte.
"Ja, sehr gute sogar. Legolas ist erwacht. Und er kann wieder sehen. Zwar sind seine Augen noch ein bisschen getrübt, aber sie werden sich bald schärfen" berichtete ich zufrieden.
"Das ist eine tolle Nachricht. Ich wusste, dass er stark ist" sagte Elrond erfreut, stand auf und kam um den Schreibtisch herum. Die Müdigkeit verschwand teilweise aus seinem Gesicht. Aber nur teilweise.
"Ja, das ist wahr. Er ist stark. Aber ich brauche dennoch eure Hilfe. In den letzten Wochen, während ich im Norden unterwegs war, hat sich eine von euren Heilerinnen um Legolas gekümmert. Ihr Name ist Aryana. Kurz bevor ich wieder hier in Bruchtal eingetroffen bin, hat sie aber, aus uns unerklärlichen Gründen, die Flucht ergriffen und ist verschwunden. Wisst ihr, wo sie sich zur Zeit aufhält? Legolas hat sich sehr gut mit ihr verstanden und würde sie gerne selbst sehen. Mit eigenem Augen" erkläre ich dem Halbelb.
Doch Elrond runzelte nur die Stirn. Plötzlich sah er verwirrt und gar nicht mehr glücklich aus. Und auch die Müdigkeit kehrte mit aller Macht in seine irritierten Augen zurück.
"Ist etwas?" fragte ich besorgt.
"Aragorn, es tut mir leid, wenn ich das jetzt sage,..." begann Elrond langsam und trat einige Schritte auf mich zu, "...aber eine Aryana hat es hier in Bruchtal seit über 100 Jahren nicht mehr gegeben".
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