(Alb)traum

Aragorns Sicht: 

Unruhig lief ich den dunklen Korridor auf und ab. Nachdem Galadriel und Gandalf Legolas in den Trancezustand versetzt hatten, hatten beide darum gebeten, dass ich den Raum verließ. Den Grund hatten sie nicht genannt. Aber es hatte mit Sicherheit etwas mit Ruhe und Konzentration zu tun.

Also musste ich meinen Waffenbruder zurücklassen und hatte jetzt nichts besseres zu tun, als den Korridor unsicher zu machen. Diener und Heiler Elronds fragten mich ständig, ob sie mir irgendwie helfen konnten. Doch ich wollte nichts anderes tun, als hier zu warten.

Warum dauerte das nur so lange?

War vielleicht etwas schief gegangen? 

Je länger ich wartete und über den Zauber nachdachte, desto mehr Sorgen türmten sich in mir auf.
Ich hoffe so sehr, dass die Blindheit von meinem elbischen Freund endlich wich. Er hatte es nicht verdient. Obwohl er sehr gut mit seiner Blindheit zurecht zu kommen schien. Trotzdem hoffte ich darauf, das er bald wieder sehen konnte.

Galadriels Sicht:  

Meine Worte dröhnten durch das Zimmer und vermischten sich mit denen Gandalfs. Die Wände gaben das Echo von sich und die Kerzen flackerten unkontrolliert in die Höhe. Legolas, der vor mir still und friedlich auf dem Bett lag, befand sich weit weg von der Realität.
Der Estromjah auf seinen Augen hatte eine leuchtende weiße Farbe angenommen und erfüllte den Raum mit magischem Licht.

Gandalf, der mir gegenüber stand, sprach die gleichen Worte wie ich. Eine alte Sprache, die seit Jahrtausenden nicht mehr benutzt worden war. Nur wenige kannten sie noch. Und noch weniger konnten sie lesen und sprechen.

Immer lauter wurden unsere Stimmen. Immer heller leuchtete der Estromjah auf den Augen des Prinzen und immer höher schlugen die Flammen der Kerzen aus.

Und dann war es vorbei.

Der Estromjah verlor sein Leuchten, alle Kerzen verloschen auf einen Schlag und nur der Vollmond, der durch ein Fenster hinein schien, spendete uns Licht.

Ich schwieg.

Auch Gandalf verstummte.

Stille machte sich im Raum breit.

Ich atmete tief durch. Der Zauber hatte mir einiges an Kraft geraubt.  Mein Blick ruhte auf Legolas, dessen Brust sich gleichmäßig hob und wieder senkte. Ich strich mit dem Finger langsam über seine Schläfe. 

Wie in der vergangenen Nacht konnte ich sehen, was der Prinz des Düsterwaldes sah. Und ein erleichtertes Gefühl brach in mir aus, als ich feststellte, dass sich die schwarzen Schleier vor Legolas Augen langsam auflösen.

"Er wird sich vollkommen erholen" sagte ich erleichtert mit einen sicheren Blick in Richtung Mithrandir, den es auch einiges an Kraft gekostet hatte.

Erschöpft, aber zufrieden nickte er.

Aragorns Sicht: 

Als die Tür zum Zimmer geöffnet wurde und Galadriel und Gandalf hinaus traten, war ich sofort zur Stelle. 

"Wie geht es ihm? Hat es funktioniert? Kann er wieder sehen?"

Die Fragen sprudelten aus mir heraus wie ein Wasserfall. 

"Alles mit der Zeit, Aragorn. Legolas befindet sich im Moment noch in seinem Heilschlaf. Habe etwas Geduld. Wenn er aufwacht, wird er erst unscharf sehen können. Aber mit der Zeit schärfen sich seine Augen wieder. In zwei Wochen kann er wieder so gut sehen wie früher" erklärte Gandalf erschöpft.

"Dann bin ich ja beruhigt" murmelte ich erleichtert und warf einen Blick in das dunkle Zimmer, in dem mein Freund seelenruhig zu schlafen schien.

"Dennoch sollten wir ihn in sein eigenes Gemach bringen. Sein Körper weiß zwar nicht, wo er sich gerade befindet. Aber die Seele heilt und ruht schneller, wenn sie sich geborgen fühlt. Hohle dir einen Diener oder einen Heiler zu Hilfe und bring Legolas dann auf sein Zimmer" meinte Gandalf und stützte sich müde auf seinen Stab. Er schien auf einmal um Jahre gealtert zu sein. Auch Galadriel, die sonst immer eine ungeheure Energie ausstrahlte, wirkte, entgegen der elbischen Art, sehr müde.

"Natürlich" erwiderte ich sofort und blickte der Herrin von Lorien und Gandalf hinterher, die sich auf den Weg zu ihren Gemächern machten.

Zwei Tage später stand ich gedankenversunken am Fenster von Legolas' Zimmer und sah hinaus in den Garten von Bruchtal. In der letzten Nacht war viel Schnee gefallen und hatte Imladris unter einer weißen Decke begraben. 
Die Sonne schien schwach vom Himmel, konnte sich aber nicht gegen die Kälte durchsetzten.

Ich drehte mich um und ging hinüber zum großen Himmelbett, indem Legolas nun schon seit über zwei Tagen im Heilschlaf lag. Direkt nach dem Zauber hatte ich ihn zusammen mit einem Diener in sein Gemach gebracht.

Er müsste doch endlich aufwachen....

Besorgt entfernte ich mich wieder vom Bett und setzte mich in einen der Sessel vor dem Kamin. Das Feuer knisterte munter vor sich hin und erwärmte das Zimmer.
Um mir die Zeit zu vertreiben nahm ich mir eins der Bücher aus dem Regal und began zu lesen.

Legolas' Sicht:

Unsicherheit...

Angst....

Zweifel...

Kälte...

All diese Dinge vermischten sich zu einer ungewohnten Emotion und machten sich in meinem Kopf breit.

Alles um mich herum war dunkel. Ich wusste nicht, wo ich war. Dunkle Schleier zogen ihre Kreise um mich herum.

Stimmen riefen.

Riefen nach mir.

Nur erkannte ich die Stimmen nicht.

Die schwarzen Schleier vermischten sich mit weißen und engten mich ein. Wie ein Wirbelsturm zogen sie im rasenden Tempo um mich herum.

Schnürten mir die Luft ab.

Rissen mich in die höhe und wirbelten mich herum.

Die Stimmen wurden lauter.

Sie schrien unverständliche Dinge.

Ein Chaos der Verwirrung, der Angst und der Verzweiflung...

Und dann war es vorüber.

Ich hatte die Augen fest zusammen gekniffen. Alles um mich herum war ruhig. Kein einziges noch so leises Geräusch durchbrach die Stille.

Mein Puls raste.

Ich öffnete langsam die Augen und...

.... konnte sehen, wo ich war!

Doch wo ich war, war mir nicht ganz bewusst.

Alles um mich herum war weiß. Aber es war kein Schnee. Es war einfach nur ein strahlend weißer Himmel. Noch dazu trieben dünne Nebelschwaden umher.

Der Boden bestand aus rauem, schwarzen Stein. Einige Bäume standen einsam in der Gegend herum. Tote Bäume, ohne Blätter. Ohne Hoffnung.

Es war ein Ort, den ich nicht kannte, andem ich noch nie gewesen war. Einsam und abgeschnitten von jeglicher Zivilisation.

Etwas unsicher begann ich zu laufen.
Ich wusste nicht warum. Ich tat es einfach.

Als ich den ersten toten Baum erreichte, landete urplötzlich eine Krähe auf einem der unteren Äste und krächzte mich an.

Verwirrt blieb ich stehen und starrte zu ihr hinauf. Die Krähe fixierte mich ebenfalls mit gelben Augen.

Es war unheimlich. Doch es sollte noch seltsamer werden.

"Legolas!"

Ich fuhr erschrocken herum.

Es war Aryanas Stimme gewesen. Mit Sicherheit. Und sie hatte sich Verzweifelt angehört.

Ich drehte mich im Kreis herum, doch ich konnte Aryana weder sehen, noch konnte ich ihre Stimme einer Richtung zuordnen.

"Legolas"

Da. Schon wieder. Woher kam ihre Stimme nur?

"Aryana?" rief ich laut, in der Hoffnung, eine Antwort zu bekommen.

"Legolas"

Ich drehte mich in alle Richtungen, doch ihre Stimme schien von überall zu kommen.

Als mein Blick wieder auf der Krähe hängen blieb, lief mir ein kalter Schauer über den Rücken. Die Krähe starrte mich immer noch an. Ohne zu zwinkern, ohne sich zu bewegen.

Ich schluckte und ging rückwärts. Fort von dem Baum. Fort von der Krähe.

Aryanas Stimme war überall. Wirbelte um mich herum. Rief nach mir. Verfolgte mich. Trieb mich in den Wahnsinn.

Ich drehte mich um und rannte.

Rannte wie noch nie zuvor.

Weg von den toten Bäumen, ...

Weg von der Krähe....

Doch Aryanas Stimme, die immer unheimlicher wurde, verfolgte mich weiter.

Lies mich nicht in Ruhe.

Und rannte ich immer weiter.

Solange, bis wie aus dem nichts ein Abgrund vor mir auftauchte. Schlitternd blieb ich kurz vor der Kante stehen und blickte hinab. Wie weit es genau in die Tiefe ging wusste ich nicht. Der Nebel versperrte mir die Sicht.

Aryanas Stimme rief immer noch pausenlos meinen Namen.

Doch weiter rennen konnte ich nicht.

Und dann sah ich es.

Ein Schatten.

Den Schatten einer Frau.

Viele Meter vor mir, wo sich nichts als dicker Nebel befand, konnte ich ihren dunkelgrauen, verschwommenen Umriss erkennen.

Sie kam näher...

Der Schatten kam Schritt für Schritt näher auf mich zu.

Und obwohl dieser Schatten jedem gehören konnte, wusste ich... Das musste Aryana sein!

Mit rasendem Puls und leicht zittrigen Fingern stand ich also dort an der Klippe und starrte wie bebannt auf den Silhouette, die langsam auf mich zu kam.

Aryanas Stimme um mich herum, wurde immer undeutlicher. Viel zu viele Echos vermischten sich mit ihnen Worten, welche ich schon lange nicht mehr verstand.

Und dann, wie aus dem nichts, erklang ein lautes und schrilles Krächzen direkt hinter mir.

Ich drehte mich gerade noch rechtzeitig herum, um die unheimliche Krähe mit den gelben Augen zu erkennen, die wie ein Pfeil auf mich zu schoss.

Die Krallen nach vorne gerichtet, um sie in meinem Gesicht zu versenken....

Aragorns Sicht:

Die Sonne wanderte Stück für Stück nach oben, als sich Legolas endlich regte. Es war nur ein leichter Ruck mit dem Kopf. So als hätte er einen schlechten Traum. Seine Stirn legte sich für einen Moment in Falten.

Ich stand von meinem Sessel auf, näherte mich dem Bett meines Freundes und setze mich auf den Stuhl direkt neben Legolas' Kopf.

"Legolas?" fragte ich vorsichtig und wartete auf eine weitere Reaktion des Elben.

Legolas drehte den Kopf unruhig in meine Richtung...

"Mellon nin, hörst du mich?" fragte ich erneut und legte meine Hand auf die des Elben.

Jetzt würde es bald soweit sein.

Legolas' Sicht: 

Ein Wirbel aus bunten Farben und formen umhüllte mich wie ein Schleier und schloss mich in sich ein.

Die Krähe war verschwunden.
Die Stimmen von Aryana verstummt.

Stattdessen hörte ich etwas anderes. Etwas, das kein Traum war.
Etwas reales...

Ich hörte die Vögel leise in der Ferne...

Ich höre prasselndes Feuer....

Ich hörte eine Stimme...

Aragorns Stimme...

"Legolas?" 

Ja, es war wirklich Aragorn.

Langsam drehte ich meinen Kopf in seine Richtung. Doch die Augen hielt ich weiterhin geschlossen.

Ich hatte Angst!
Hatte der Zauber gewirkt?
Hatte ich meine Blindheit überwunden?
Oder musste ich weiterhin in Dunkelheit Leben?

Ich musste es tun.

Ich musste es wissen.

Ich musste meine Augen jetzt öffnen.

Ansonsten würde ich es nie erfahren.

Und so sprang ich über meinen Schatten hinweg und öffnete vorsichtig meine Augen...

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