93 Jahre später

Der Düsterwald lag im tiefen Schatten der Nacht. Die Bäume wirkten zu dieser Zeit immer besonders gefährlich und eindrucksvoll. Und tatsächlich durfte man den Düsterwald bei Nacht nicht einfach so auf die leichte Schulter nehmen. Die Spinnen wurden mutiger und angriffslustiger und die Fledermäuse schwärmten aus, um ihre Beute zu jagen.

Doch die Gefahren des Waldes konnten nicht jeden davon abhalten ihn zu durchqueren. Auf dem großen Nordweg war ein einzelnes Pferd unterwegs, welches seinen Reiter in Höchstgeschwindigkeit durch den dunklen Wald trug. Der dunkelbraune Hengst flog beinahe über den von Elbenhand erbauten Pfad und brachte seinen Reiter immer weiter Richtung Süden.

Oder Besser: Seine Reiterin.

Die junge Elbin auf dem Rücken des Pferdes hatte sich selbst in einen dunkelgrünen Umhang gehüllt und sich eine Kapuze über den Kopf gezogen. Anhand ihrer Kleidung konnte man sie eindeutig als Düsterwaldelbin identifizieren. Doch sah man genauer hin, so erkannte man, dass siese Frau eine andere Herkunft hatte...

Sie legte ihren Weg eine Weile auf dem Elbenpfad zurück, nichts ahnend, dass ihr jemand dicht auf der Spur war. Irgendwann ließ sie ihr Pferd in einem langsamen Trab fallen und brachte es schließlich zu stehen, bevor sie mit ihrem Tier den Pfad verließ und quer durch den Wald ritt.

Die dunklen riesigen Bäume jagten der Elbin keinen Schrecken ein. War sie doch hier zum Großteil aufgewachsen. Aber dennoch hatte sie Respekt vor den Gefahren des Waldes. Sie wusste um die Spinnen und trug deswegen auch stets ihren Bogen mit sich, sowie Pfeile und Dolche.

Im langsamen Schritt ritt sie durch die Dunkelheit, hochte auf jedes kleinste Geräusch. Das Pferd schnaubte nervös, doch die Elbin wusste es zu beruhigen.

"Schhh... Ruhig Talor", murmelte sie beschwörerisch und streichelte über die Ohren des Hengstes.

Ein Zweig, unmittelbar hinter ihr knackte und die Elbin drehte ihren Oberkörper rasch herum um zu schauen, wer sie verfolgte.

Doch es war niemand zu sehen.

Aber wenn sie eines wusste, dann dass jemand da sein konnte, auch wenn man diese Person nicht sah.

Sie sprang vom Rücken ihres Pferdes, zog einen Pfeil und legte ihn an die Sehne ihres Bogens. Sie spannte ihn nicht, ging aber so gewaffnet um ihren Hengst herum und beobachtete die Dunkelheit hinter ihnen. Nachdem sie einige Momente fixiert in den tiefen Wald gestarrt hatte, nahm sie ein erneutes Knacken, wieder unmittelbar hinter sich, wahr.

Blitzschnell drehte sie sich und spannte in der Zeit ihren Bogen, nur um dann festzustellen, dass direkt hinter ihr ein ebenfalls bewaffneter Mann stand und mit seinem Bogen auf sie zielte.
Die beiden Pfeilspitzen berührten sich beinahe.

Einen Augenblick standen die beiden so da, dann ließ die Elbin ihren Bogen sinken.

"Legolas, wenn du mir noch einmal einen solchen Schrecken einjagst, weiß ich nicht, ob ich das Überlebe", seufte sie erleichtert darüber, dass es der Prinz und keine Spinne war, die sie verfolgt hatte.

"Wenn du noch einmal nachts ohne meine Erlaubnis den Palast verlässt und in den Wald gehst, weiß ich auch nicht, ob du es überleben wirst", konterte Legolas und ließ nun seinerseits den Bogen sinken. "Malia, der Wald ist gefährlich. Ich dachte, ich wäre deutlich gewesen. Bei Tage ist er schon nicht sicher. Und du hast keine Vorstellung davon was in der Nacht hier passiert".

Er war verärgert, das merkte Malia sofort.
Seine blauen Augen waren dunkel vor Sorge, Zorn und Enttäuschung.
Doch die junge Elbin wusste sich zu wehren.

"Ich weiß, du hast es mir verboten. Aber ich bin kein Kind mehr, Legolas! Ich weiß, wie gefährlich der Wald nachts sein kann. Und ich weiß mich dagegen zu wehren. Du selbst hast es mir beigebracht", verteidigte sie sich und hob zur Demonstration den Bogen hoch.

Legolas schüttelte den Kopf.
"Du glaubst, du könntest mit ein paar Holzpfeilen und zwei Messern gegen die Ungeheuer antreten, die hier im Wald lauern? Glaub mir wenn ich dir sage,... alles was hier im Wald kreucht und fleucht,. .. alles was sich nur nachts heraus wagt... das kann man nur mit sehr viel Kraft bekämpfen. Dafür bist du noch nicht bereit. Wo wolltest du überhaupt hin?"

"Du weißt genau, wo ich hinwollte", Malia stemmte die Hände in die Hüften.

Legolas seufzte erneut. "Hätte ich mir auch denken können".

Malia grinste ihn an und sah sich dann um. "Bist du den ganzen Weg hierher gelaufen?"

Der Prinz vom Düsterwald spitze die Lippen und ließ einen leisen Pfiff ertönen. Kurz darauf brachen die Zweige und Äste rechts von ihnen auseinander und ein weißes Pferd trabte zu ihnen heran und blieb neben Legolas stehen. Der Schimmel senkte seinen Kopf gegen Legolas Schulter und ließ sich streicheln.

"Los, komm", forderte Legolas und stieg auf den Rücken des edelen Tieres, "Wir reiten zur Lichtung".

Malia strahlte ihn an. "Wirklich?"
Ihre Augen leuchteten auf.

"Ich kann dich ja sowieso nicht im Palast festhalten. Aber du musst mir versprechen, dass es der letzte heimliche Nachtausflug wahr", sagte Legolas scharf, während Malia auf ihren Hengst stieg, die Zügel in die Hand nahm und ihn neben Legolas Pferd lotzte.

"Versprochen", seufzte sie resignierend, ehe sie ihren Vater wieder frech anstrahlte. "Los, wer als erstes da ist".

Mit diesen Worten ließ sie ihr Pferd losgaloppieren und das braune Tier preschte in die Dunkelheit des Waldes hinein.

"Malia!" Legolas Ruf erreichte die junge Elbin nicht mehr. Der Prinz schüttelte über die naive, leicht kindische und lustige Art des Mädchens den Kopf und gab seinem Pferd den stummen Befehl, der Elbin hinterher zu stürmen.
Und so suchten sich die beiden Pferde einen Weg durch das mehr oder weniger dichte Unterholz des Düsterwaldes.

"Komm schon Legolas! Oder wirst du schon alt?"

Legolas konnte das herzliche Lachen der Elbin vor sich hören und trieb sein Pferd weiter an. Bald schon hatte er Malia überholt.

"Wer wird hier alt?" rief er ihr zu und zog gerade aus an ihr vorbei.

Das Wettreiten der beiden Elben zog sich in die länge. Es war ein Kopf-an- Kopf-Rennen. Gegen Ende jedoch legte Malias Hengst noch einmal stark an Geschwindigkeit zu und trug die Elbin als erstes an das Ziel.
Die große Lichtung.

"Gewonnen", lachte sie überglücklich und tätschelte ihr schnaufendes Pferd. "Gut gemacht, mellon nin".

In diesem Moment erreichte Legolas auf seinem Schimmel die Lichtung. "Nicht zu glauben. Ich werde von meiner eigenen Tochter besiegt", meinte er kopfschüttelnd.

"Ach... nimm es nicht so schwer", lachte Malia und lenkte ihr Pferd neben das von Legolas.

Hier auf der Lichtung war es, im Gegensatz zum Rest des Waldes, sehr hell. Denn hier berührte das Licht der Sterne den Boden und erleuchtete das Graß unter ihren Füßen. Und so ließen sich von hier die Sterne besonders gut betrachen. Normalerweise waren es die Waldelben, die sich zu dem Licht der Sterne hingezogen fühlten, doch seit Malia den Düsterwald ihr Zuhause nannte, hatte auch sie ihr Herz ebenfalls an die Sterne verloren.

Seit Legolas die Elbin vor gut 93 Jahren zum ersten mal auf diese Lichtung gebrachte hatte, war dies ihr Lieblingsort im gesamnten Düsterwald. Und leider hatte das zur folge, dass Malia sich oft heimlich nachts aus dem Palast zu schleichen versuchte, um der Magie der Sterne noch näher zu sein.
Manchmal galang ihr dies unauffällig, manchmal wurde sie von Wachen erwischt und manchmal konnte sie allen scharfen Augen der Palastelben entkommen - mit Außnahme von Legolas, der immer ein besondes Auge auf seinen Schützling hatte. Und das Resultat davon, wenn Legolas Malia bei ihren nächtlichen Ausritten erwischte, war eine Situation wie diese.

Legolas konnte es ihr nicht verübeln. Das Sternenlicht war eines jener Dinge, die auch er zur Beruhigung und zum nachdenken brauchte. Und es gab einen Grund, warum er Malia ausgerechnet diesen Platz gezeigt hatte: Es war auch immer sein Lieblingsplatz im ganzen Wald gewesen. Und er würde es auch für immer bleiben.

Malia sah lächelnd in den Himmel empor, während der Prinz sie liebevoll ansah.

Sie war bildschön.
Schon damals, vor 93 Jahren, als er Malia in Bruchtal kennengelernt hatte, war sie ein bildschönes Kind gewesen.
Die braunen gewellten Haare, die ihren Rücken hinab fielen, die bernsteinfarbenen Augen, dieses Lächeln, das dem Aufgehen einer Sonne glich....
Und im Laufe der Jahre hatte ihre Schönheit noch viel mehr zugenommen. Sie hatte sich zu einer wunderschönen, starken und selbstbewussten Frau entwickelt, die Legolas als seine Tochter aufgezogen hatte. Auch wenn Thranduil, der König des Waldes nicht sehr begeistert von dieser Idee gewesen war,... irgendwann hatte er Malia zu schätzen gelernt. Und nach einigen Jahren war Malia als Legolas offizielle Thronfolgerin ernannt worden.

Dies hatte natürlich zu Folge gehabt, das Malia viel Lernen musste. Doch Legolas war ihr nicht nur ein guter Vater über all die Jahre gewesen, sondern auch ein guter Lehrmeister.
Egal ob es das Reiten war, das Kämpfen oder königliche Gepflogenheiten, die sie als Prinzessin des Düsterwaldes zu beachten hatte.

Legolas stieg von seinem Pferd ab und ließ es laufen. Malia tat es ihm gleich, ohne den Blick vom Himmel zu nehmen, der sie beinahe magisch in den Bann zog. Tausende und abertausende Sterne leuchteten am Hinmmelszelt. Und jeder einzelnde von ihnen erzählte eine Geschichte.

"Sind sie nicht wunderschön?" hauchte Malia erfürchtig.

"So schön wie du, meine kleine", antwortete ihr der Prinz leise.

"Kleine?" Malia sah ihn beleidigt von der Seite her an. "Ich werde in zwei Wochen 100 Jahre alt. Ich bin vieles. Aber bestimmt nicht mehr klein", lachte sie.

"Ja, du hast recht,... meine große. Das ändert aber nichts an der Tatsache, dass du schön bist", meinte der Prinz, dessen Blick ebenfalls von den Sternen gefangen genommen wurde.

"Gerade du solltest doch wissen, dass es nicht auf das Äußere ankommt", meinte Malia und löste ihren Blick vom Himmel, um Legolas nun anzusehen.

"Da hast du ebenfalls recht", gestand der Prinz, ließ seinen Blick zu Boden sinken und wurde von dunkler Erinnerung überflutet. "Du hast vollkomen recht mit dem was du sagst".

Legolas hatte lange nicht mehr daran gedacht. Es hatte Monate, fast sogar Jahre gedauert, bis er sich von den Erinnerungen lösen konnte. Sie zu vergessen und loszulassen war eines der schwersten Dinge gewesen, die er je getan hatte. Und er war mehr als dankbar dafür, das es Malia in dieser Zeit gegeben hatte, die ihn unterstützt und ihm geholfen hatte.
Und schließlich hatte er mit der Vergangenheit abschließen können.

Für ihn spielte nur noch die Gegenwart und die Zukunft eine wichtige Rolle. Und diese Gegenwart verbrachte er am liebsten mit seiner kleinen Prinzessin.

Malia war zu einem festen Bestandteil seines Lebens geworden. Und er war so stolz auf sie, dass er es kaum in Worte fassen konnte. Er liebte seine Tochter, als wäre sie sein leibliches Kind und genoss jeden Tag mit ihr. Egal ob in der Bibliothek, wo er ihr etwas über die Geschichte des Düsterwalds erzählte, oder auf dem Trainingsplatz, wo er ihr das Bogenschießen und das Kämpfen mit den Dolchen beibrachte. Oder aber im Wald, wenn er einen Auritt mit ihr unternahm.

Kostbare Augenblicke, die er so liebte. Sie waren wie die Sterne. Tausende Erinnerungen, die hell leuchteten.

Legolas nahm Malias Hände in seine, suchte ihren Blick und sprach dann weiter: "Abgesehen von deiner Schönheit, bist du die klügste Elbin, die mutigste Kriegerin und die verständnissvollste Freundin die ich je hatte. Und ich bin so glücklich, dass du damals mit mir gekommen bist".

Malia sah ihren Zie-Vater dankbar an, ehe sie etwas tat, was recht untypisch für Elben war: Sie trat dicht an Legolas heran und legte ihren Kopf an seine Schulter.

"Ich habe dich lieb, Legolas. Und ich bin dankbar, dass ich bei dir aufwachsen durfte".

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