Kapitel 9

Ich konnte die Flagge nicht weiter betrachten, denn wir zogen weiter bis zum Ende der Stadt. Der Palast war noch einmal extra mit einer Mauer umgeben. Die Hauptstraße führte direkt auf das Haupttor zu, welches schon weit offen stand. Maede und Arjan ließen ihren erschaffenen Drachen in die Luft fliegen, wo er in einen Funken und Tropfenregen zersprang. Die Menge applaudierte. Dann traten wir durch das Tor. Sobald die Königsfamilie im Hof verschwunden war, zerstreute sich die Menge langsam. Ich trat hinter Maede und Arjan ebenfalls durch das Tor.

Innerhalb der Mauern waren Diener dabei, dass Gepäck reinzutragen, Stalljungen führten die Pferde fort und eine ganze Schar von Königsberatern wollte mit ihm persönlich sprechen. Suchend sah ich mich nach Hauptmann Belan um. Ich sah ihn mit seinem Pferd am Zügel zu einem Nebengebäude gehen. Schnell folgte ich ihm. Er band sein Pferd an einen dafür vorgesehenen Balken und begann es abzusatteln.

"Hauptmann Belan?"

Ich trat neben ihn. Er drehte sich um.

"Was verschafft mir die Ehre, dass du wieder mit mir sprichst?", fragte er augenzwinkernd.

"Tut mir leid", stieß ich seufzend hervor, "ich weiß, dass ich unvernünftig war. Meine einzige Entschuldigung ist, dass es ein schwerer Tag war. Es tut mir wirklich leid."

Nicht jeder war so rücksichtslos wie der König. Tatsächlich schätzte ich den Hauptmann ganz gegensätzlich ein.

"Vergeben und vergessen. Was kann ich für dich tun?"

"Wisst ihr schon wie lange ich bleiben werde müssen? Falls ich morgen oder so schon meine Zeugenaussage machen kann, würde ich gerne meine Schwester noch einmal den Palast von innen zeigen. Also natürlich nur, wenn das möglich ist."

Der Hauptmann begann sein Pferd zu striegeln.

"Das wird kein Problem sein. Aber an deiner Stelle würde ich mir nicht so viele Hoffnungen machen, dass das so schnell gehen könnte."

Ich nickte.

"Ich denke ich werde es eine Woche oder zwei überleben im Palast zu wohnen."

Der Hauptmann stieß ein Glucksen aus.

"Eine Woche oder zwei?", wiederholte er. "Mädchen, manchmal sehe ich den König Monate nicht."

Das versetzte mir einen Schreck.

"Monate?", fragte nun ich. "Aber ich kann doch nicht für Monate hier bleiben. Könnt ihr ihn nicht fragen, ob es früher geht."

Der Hauptmann schüttelte den Kopf.

"Der König ist viel beschäftigt. Niemand kann ihn dazu bringen, sich einer Sache anzunehmen, wenn er es nicht selbst will."

Frust stieg in mir auf und ich seufzte laut. Hauptmann Belan schnalzte mit der Zunge und tätschelte sein Pferd.

"Nun, so schlimm wird es schon nicht werden."

Vermutlich hatte er recht. Aber es ärgerte mich trotzdem. Ich wollte nicht hier im Palast wohnen. Das war nicht meine Bestimmung, so blöd das auch klang. Anders als Maede und Arjan hatte ich hier keine Zukunft. Ich wollte mir mein eigenes Leben aufbauen. Irgendwo da draußen in den Weiten von Sajdan.

"Wisst ihr wo mein Gepäck ist?"

Suchend sah ich mich um. Aber die meisten Pferde waren weg geführt worden und die Reiter in den Mauern des Palastes verschwunden. Ich sah zum Hauptmann, der auf die andere Seite seines Pferdes gewechselt war und nun die Hufe auskrazte.

"Es wird wohl schon in dein Gästezimmer gebracht worden sein", antwortete er, "sprich einfach einen Diener an. Er wird dich dann hinführen."

Ich streichelte über die Stirn seines Pferdes, als es mich anstupste.

"In Ordnung, dann will ich euch nicht weiter stören."

Ich wandte mich ab.

"Such ruhig nach mir, wenn du Fragen oder Wünsche hast. In diesem großen Palast kann man sich schnell verloren fühlen."

Ich drehte meinen Kopf zu ihm.

"Auf dieses Angebot werde ich bestimmt bald zurück kommen. Vielen Dank"

Dann verließ ich den Putzplatz und ging wieder zum Palasthof. Das Schlosstor wurde gerade geschlossen. Ich schnappte mir einen vorbei huschenden Küchenjungen und fragte ihn nach dem Weg zum Gästequartier. Er beschrieb mir den Weg. Allerdings konnte er mir nur sagen, dass die Gästezimmer im Ostflügel waren, nicht welches davon meins war. Ich bedankte mich bei ihm. Dann ging ich zu den Eingangsstufen des Palastes. Sie glänzten leicht golden in der Sonnen. Ich setzte vorsichtig einen Fuß auf die erste Stufen aus Angst ich würde sie beschmutzen. Wahrscheinlich war meine Sorge unbegründet. Täglich mussten tausend Leute über die Treppe ins Schloss gelangen. Ich beeilte mich trotzdem sie überwinden. Zwei Wachen vor der verzierten Palasttür öffneten mir. Ich trat ein. Mir blieb die Luft weg, als ich das Innere sah. Der Boden schien aus Mamor zu sein. Ein Kronleuchter schien in der Mitte der Decke zu schweben. Er drehte sich leicht und verursachte dabei ein leises Klimpern. Das war eindeutig das Werk eines Windmagiers. Zwei Treppen wanden sich unter dem Kronleuchter in die nächste Etage. Zwei Gänge in der Eingangshalle verliefen noch nach links und rechts. Bei Gelegenheit musste ich jemanden fragen, wohin sie führten.

Ich ging über den Mamorboden zur rechten Treppen. Den Blick nach oben gerichtet drehte ich mich einmal. Die Decke war kunstvoll bemalt. Landschaftsbilder schmückten sie. Es war das Porträt eines Sonnenaufgangs, das sich wie ein Panorama über die Decke zog. Ich richtete meinen Blick wieder nach vorn und stieg die Treppen hinauf. Es ging geradeaus, rechts und links weiter. Wachen standen in dem mittleren und breitesten Gang. Schwere Holztüren versperrten die Sicht auf den Raum am Ende des Ganges. Ich vermutete dort den Thronsaal, gleichzeitig Audienzsaaldes Königs. Vom linken Gang hielt ich mich fern, weil dort ebenfalls Wachen postiert waren. Stattdessen bog ich in den rechten ab und landete im Ostflügel des Palastes, der für Gäste vorgesehen war. Auch hier war der Prunk wie in der Eingangshalle nicht zu übersehen. Skulpturen, Vasen, wertvolle Waffen und Schmuck waren im Gang ausgestellt. Edel gestickte Wandteppich schmückten die Wand. Ein Gang bog nach links ab, aber geradeaus ging es auch weiter. Ratlos blieb ich stehen. Und nun? Ein Diener kam mit einem Stapel Wäsche aus dem linken Gang. Ich sprach ihn an und fragte nach meinem Zimmer.

"Seid ihr die Lady Mariko Young?", fragte er mich strahlend.

Ich stutzte.

"Ja, das bin dann wohl ich."

Auch wenn mich noch nie jemand als Lady bezeichnet hatte.

"Ich habe gerade euer Zimmer eingerichtet, wenn ihr mir folgen wollt."

Er verschwand in dem Gang aus dem er gekommen war und ich beeilte mich hinter her zu kommen. Wir gingen an den Türen im vorderen Bereich vorbei bis zur letzten.

"Wir haben das Lilienzimmer für euch fertig gemacht. Ich hoffe ihr mögt Lilien."

Ich hatte nicht mal den Ansatz einer Idee, wie Lilien aussahen, aber ich nickte nur höflich. Offensichtlich waren sie weiß, dachte ich nur als der Diener die Tür öffnete. Die Schränke, Tische, Stühle, das Bettgestell alles war weiß. Der Boden war in einem edlem grün gehalten. Die Wand wurde wieder von Wandteppichen in ähnlicher Farbe geschmückt. Ich schaute zur Decke. Jetzt wusste ich wie Lilien aussahen. Die Blüte war kelchförmig, die Blätter endeten spitz zulaufend. In die Mitte der Blume hatte der Maler dünne Striche gemalt, die am Ende dicker wurden. Das Zimmer war groß und geräumig. Das Bett stand an der gegenüberliegenden Wand, ziemlich mittig, ein Baldachin aus feinem weißen Stoff. Vor dem Bett lag ein flauschige Teppich. Eine Truhe stand ebenfalls vor dem Bett, sie war ebenholzfarbend geblieben. Die Wand war abwechselnd weiß und mit Tapete bedeckt, auf denen die Lilien mit grünem Stängel zu sehen waren. Die Farbe des Bodens war auf die Tapete abgestimmt. Fenster zu jeder Seite des Bettes ließen genug Licht herein. Auf der linken Seite des Zimmer stand ein großer Schrank. Das wenige Gepäck, welches ich mitgenommen hatte, stand bereits unangerührt davor. Auf der rechten Seite des Zimmers befand sich noch eine hohe weiße Tür.

"Dies ist euer Schlafraum. Im Zimmer nebenan habt ihr euer eigenes Bad. Es ist bereits mit allem ausgestattet, was ihr braucht. Habt ihr sonst noch Wünsche oder kann ich mich zurückziehen?"

Er lächelte über meinen beeindruckten Gesichtsausdruck.

"Ich denke ich habe alles. Ich werde mich erst mal in Ruhe umschauen. Vielen Dank."

Er nickte.

"Gern geschehen, Lady Mariko."

Er wandte sich um.

"Ach, eine Sache habe ich fast vergessen zu erwähnen."

Auf seinen Worten hin, drehte ich mich wieder um. Der Diener ging zu einem Glas, welches auf einer Anrichte neben der Eingangstür stand. Beim Reinkommen hatte ich es ganz übersehen. In dem Glas flatterten winzig kleine Schmetterlinge. Sie waren ebenfalls weiß und verloren mit jedem Glügelschlag glitzernden Staub.

"Das sind eure kleinen Helfer. Sie werden eure Wünsche so gut es geht erfüllen. Ihr könnt sie losschicken, um einen Diener zu holen oder ihr lasst euch von sie führen. Erlaubt mir eine kleine Vorführung."

Er hob den Deckel vom Glas an. Ein kleiner Schmetterling flatterte heraus.

"Führe mich zum Baderaum des Lilienzimmers."

Der kleine Schmetterling flog durch den Raum und zog eine Glitzerspur hinter sich her. Vor der Tür des Baderaumes blieb er stehen. Der Diener folgte ihm und öffnete die Tür. Als der Schmetterling die Schwelle überflog leuchtete er einmal kurz auf.

"Das ist das Zeichen, dass ihr am Ziel seid."

Der Diener strahlte mich an. Offensichtlich war er sehr stolz auf diese Magie. Ich fragte mich, welche Elementkraft so etwas zu Stande gebracht hatte.

"Erstaunlich", murmelte ich als Antwort.

Der Mann strahlte mich an.

"Nicht wahr?", stimmte er mir zu.

Der Schmetterling machte sich wieder auf den Rückweg und flog wieder ins Glas. Der Diener ging an mir vorbei und setzte den Deckel wieder auf das Glas.

"So nun werde ich euch allein lassen. Bei Fragen oder Wünschen wisst ihr jetzt wie ihr jemanden erreicht."

Ich nickte.

"Vielen Dank"

Der Diener verließ den Raum und schloss die Tür hinter sich. Ich schaute mich noch einmal in Ruhe um und ging dann zu meinem kläglichen Gepäck. Die paar Sachen, welche ich hatte, hängte ich in den Schrank. Dann war ich fertig und überlegte, was ich noch machen könnte. Ich beschloss den Palast und die umliegenden Höfe und Gärten zu erkunden. Als ich das Zimmer verließ, überlegte ich kurz abzuschließen. Aber ich hatte nichts besonders Wertvolles bei mir. Und wenn ein Magier aus dem Palast wirklich in mein Zimmer wollte, würde ihn eine abgeschlossene Tür nicht davon abhalten. Ich ging den langen Flur zurück, am vermutlichem Audienzsaal des Königs vorbei und die Treppe hinunter. Ich hörte ein Rumpeln aus dem Gang links von mir. Neugierig geworden wandte ich mich diesem Gang zu. Ich begegnete einigen Soldaten der Garde des Königs im Gang. Sie schauten mich seltsam an, hinderten mich aber nicht am weiter gehen. Links und rechts von mir waren Türen in relativ kurzen Abständen. Es sah fast so aus wie in dem Flügel des Schlosses, wo ich wohnte. Ob das auch Gästezimmer waren. Aber warum liefen hier dann so viele Soldaten herum?

Ich bog um die nächste Ecke und stand plötzlich vor einer offenen Tür. Der Raum war gefüllt mit Soldaten von der Garde des Königs. Sie gingen im Raum umher, schauten in Schubläden, Schränke und sogar unter das Bett als würden sie etwas suchen. Verwirrt trat ich etwas näher und schaute mir das Zimmer genauer an. Es sah nicht so opulent aus wie mein Gästezimmer. Aber es war auch kein Vergleich zu dem Raum, den ich in der Akademie besucht hatte. Es war so eine Mischung aus beiden Räumen. Ein großes, aber schlichtes Holzbett stand in der Ecke des Raumes. Die Schränke, Tische und Stühle waren auch normal holzfarbend und nicht weiß. Ein Kamin stand gegenüber vom Bett in der anderen Ecke des Raumes. Auf dem Tisch stand eine Feder und Tinte zum Schreiben. Ein Soldat stand daneben und hatte eine Pergamentrolle in der Hand, welche er sich durch las.

"Mariko?", rief plötzlich eine Stimme hinter mir.

Ich drehte mich um. Maede und Arjan liefen neben Hauptmann Belan auf mich zu. Maede hatte mich angesprochen. Sie verzog das Gesicht als sie mich sah.

"Was machst du hier?", fauchte sie, sobald sie vor mir stand.

Ich ignorierte sie.

"Was ist hier los?", wandte ich mich an Hauptmann Belan.

Maede verschränkte vor Empörung, dass ich ihr nicht antwortete die Arme. Hauptmann Belan lächelte nur.

"Das ist Halvars Zimmer", erklärte er.

Sofort wurde mir mulmig. Halvar war der Mann, den ich getötet hatte.

"Wir durchsuchen sein Zimmer nach Hinweisen, was ihn zu dieser Tat bewogen haben könnte. Ich habe die zwei Grünschnäbel dazu geholt, damit sie was lernen können."

Maede schnaubte empört über diese Bezeichnung, und auch Arjan biss die Zähne zusammen.

"Wenn du möchtest kannst du dich ihnen gerne anschließen", schlug er vor.

"Nein", widersprach nun Arjan entschieden, "sie wurde nicht ausgewählt in der Garde des Königs zu dienen. Also geht sie das nichts an."

Maede nickte zustimmend. Hauptmann Belan widersprach nicht, sondern sah mich nur abwartend an.

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