Kapitel 7

"Ich bin mir nicht ganz sicher", fing ich vorsichtig an.

"Eigentlich war alles ganz normal. Bis sich plötzlich nichts mehr bewegt hat. Alles schien wie erstarrt. Selbst die Luft fühlte sich anders an. So völlig ohne Bewegung."

Erst als ich es aussprach, wurde mir bewusst, wie seltsam das klingen musste. Aber der Prinz nickte nur.

"Und weiter?"

Ich zögerte.

"Dann hat der Mann, Halvar", sagte ich mit einem Blick zu dem finster schauenden Soldaten, "mich angegriffen. Ich habe versucht mit ihm zu reden. Er meinte nur ich hätte kein Recht hier zu sein. Als klar wurde, dass er nicht aufgeben würde bis ich tot war, wusste ich nicht wie ich mich länger schützen sollte."

Beim Reden war ich immer schneller geworden. Nun verstummte ich.

"Das sieht nicht so aus als hättest du dich nicht zu verteidigen gewusst."

Ich wusste nicht, wie ich diese Aussage des Prinzen deuten sollte also schwieg ich lieber.

"Sie lügt doch", mischte sich der andere Soldat, Jeldrik, wieder ein.

Ich sah in vielen Gesichtern, dass sie ihm gerne zustimmen würden.

"Jeldrik, so heißt du doch oder?", fragte die Prinzessin, welche nun ebenfalls abgestiegen war. Als der Mann nickte, sprach sie weiter.

"Wir alle wissen, wozu Halvar in der Lage war. Er hat es uns oft genug demonstriert. Aber woher sollte sie", sie deutete auf mich, "das wissen?"

"Was weiß ich. Vielleicht wollte ihr Halvard demonstrieren, was er kann, hat es übertrieben und sie hat ihn aus Angst getötet."

"Jeldrik hat gerne mit seinen Kräften geprahlt", stimmte der Prinz ihm zu, "aber du willst ihm doch wohl nicht vorwerfen, so dumm gewesen zu sein Jemamden zu Tode zu erschrecken und sich dann umbringen zu lassen?"

Daraufhin schwieg Jeldrik.

"Wie ist dein Name?"

Ich brauchte eine Weile bis ich bemerkte, dass die Prinzessin mit mir sprach.

"Mariko", antwortete ich, "Mariko Young."

"Gut, Mariko du solltest wissen, dass Halvar die Möglichkeit hatte die Zeit für einen Moment anzuhalten."

So etwas in der Art hatte ich mir schon gedacht.

"Wieso war ich davon nicht betroffen? Dann hätte er mich doch einfach töten können, während ich erstarrt gewesen wäre."

"Ich habe mich mit ihm einmal darüber unterhalten", sagte die Prinzessin und erntete nicht nur einen erstaunten Blick von ihrem Bruder.

"Er hat es mir so erklärt, dass man sich es so vorstellen kann als würde er für einen Moment eine Parallelwelt betreten. Er kann niemanden töten, weil der Rest sich nicht in seinem Raum aufhalten. Allerdings wusste ich nicht, dass er jemanden in diese Parallelwelt mitnehmen kann."

Das war mit Abstand das Verrücktes, was ich jemals gehört hatte.

"Für uns war in einem Moment alles normal und im nächsten taucht ihr zusammen an einer anderen Stelle wieder auf und du hast ihn getötet."

Wenn man es so betrachtete, war ich wirklich mehr als verdächtig.

"Ich hab ihn nicht getötet", wiederholte ich nur.

Mehr konnte ich nicht tun.

"Wir warten jetzt erst einmal auf Declan und entscheiden dann."

Auf wen würden wir warten?

"Cyrian meint unseren Bruder, den König", erklärte die Prinzessin mir.

"Genau. Wir warten auf den König und bis dahin wird niemand umgebracht", betonte der Prinz.

Ich wusste nicht ob seine letzte Aussage mir oder Jeldrik galt, der immer noch aussah als würde er mir am liebsten den Hals umdrehen. Ich setzte mich möglichst weit von ihm und dem Toten entfernt ins Gras. Meine Wange pochte von dem Schlag, den ich eingesteckt hatte. Mein Körper fühlte sich zerschunden an. Jetzt wo der Adrenalinrausch vorbei war, musste ich ein Zittern unterdrücken. Mein erster Tag nach der Abschlussprüfung und schon geriet ich in Schwierigkeiten. So hatte ich mir das nicht vorgestellt.

"Da sind sie", rief plötzlich jemand von weiter vorne.

Die Menge teilte sich als der erste Reiter wieder bei unserer Truppe ankam. Es war natürlich der König. Aus seiner Miene konnte ich nicht ablesen, wie die Schlacht verlaufen war. Aber aus seinen zurückgebundenen Haaren hatten sich Strähnen gelöst und ließen ihn wild erscheinen. Sein Gesicht war verdreckt und verschwitzt. Wäre seine Kleidung nicht pechschwarz gewesen, hätte man bestimmt so einige Blutflecken gesehen. Sein Bruder ritt hinter ihm. Auch seine Kleidung war nicht ganz sauber geblieben. Die Prinzessin und Prinz Cyrian traten auf ihre Geschwister zu.

"Und? Wie ist es gelaufen?", fragte Prinz Cyrian.

Der König nickte ihm zu.

"Wie wir vermutet haben, waren die meisten einfache Menschen, höchstens ein paar schwächere Magier. Die neuen Rekruten haben sich gut geschlagen."

"Das ist gut. Hier gab es nämlich auch einen interessanten Vorfall während ihr weg wart."

Prinz Cyrian sagte das mit so ruhiger Stimme, dass der König misstrauisch die Augen zusammen kniff.

"Spuk es aus, Cyrian. Was ist passiert?"

"Halvard ist tot. Angeblich hat er die Magielose angegriffen und wollte sie töten. Alles was wir wissen, ist, dass er seine Magie genutzt hat und die..."

"Mariko", fiel seine Schwester ihm ins Wort, "Mariko Young."

Er nickte.

"Er hat Mariko von seiner Magie ausgenommen."

Der Blick des Königs war bei diesen Worten immer finsterer geworden. Jetzt wandte er den Blick von seinem Bruder ab und ließ ihn suchend über die Menge wandern. An mir blieb er hängen. Ich stand auf als er sein Pferd antrieb und zu mir ritt. Vor mir schwang er sich vom Pferd. Sein Blick traf auf meinen. Ich versuchte ihm stand zu halten.

"Du sagst, er hätte dich angegriffen. Warum sollte er das tun?"

Frustriert starrte ich ihn an und gab ihm die einzige Antwort, die ich vorhin auch schon gegeben hatte.

"Ich weiß es nicht."

Er wandte sich an einen Soldaten neben ihn.

"Bringt mir Halvar."

Der Mann verbeugte sich und verschwand. Der König sah wieder mich an.

"War das auch Halvar?", fragte er, wollte nach meinem Kinn greifen und ließ die Hand wieder sinken als ich auswich.

"Nein", erwiderte ich nur.

Die blaue Wange hatte ich mir danach bei meinem Kampf mit den Wachen zugezogen. Der Soldat kam wieder. Über seiner Schulter lag Halvar. Mir wurde ein wenig übel angesichts der Tatsache, dass er ihn wie ein Sack Mehl trug. Er legte ihn vor uns ab. Die Augen von Halvar waren immer noch offen und starrten blicklos in den Himmel. Der König trat zu ihm, kniete sich neben ihn und zerriss sein Oberteil mit einem Ruck. Zum Vorschein kam ein gigantischer roter Blutfleck und eine sehr tiefe offene Wunde im Brustbereich. Seine Sachen mussten getränkt von Blut sein. Für eine ganze Weile betrachtete der König einfach nur die tödliche Wunde, welche ich ihm zugefügt hatte. Dann stand er wieder auf.

"Es wird kein Problem sein diesen Vorfall aufzuklären."

Misstrauisch sah ich ihn an. Wie wollte er das denn anstellen?

"Mariko Young, komm her."

Zögerlich ging ich zu ihm.

"Was habt ihr vor, Majestät?", wagte ich zu fragen.

Er schob seine Ärmel ein Stück hoch.

"Meine Gabe wird die Wahrheit herausfinden."

Schlagartig wurde mir heiß und dann eiskalt.

"Nein", erwiderte ich.

Er drehte sich um. Seine eisblauen Augen blitzten bedrohlich.

"Nein?", wiederholte er und sprach das Wort ganz langsam aus, als wollte er es kosten.

Alles an ihm schrie, dass es gefährlich war sich weiter zu widersetzten.

"Nein, ich möchte nicht, dass jemand in meinem Kopf herum wühlt."

Meine Stimme war fest, auch wenn mir der Schweiß auf die Stirn trat.

"Es wird nicht weh tun, falls das deine Sorge ist. Zumindest nicht, wenn du freiwillig kooperierst."

Seine Stimme war seidenweich, aber ich spürte die versteckte Härte darunter.

"Das ist mir egal. Ich werde einfacht nicht zulassen, dass jemand Fremdes in meinen Verstand eindringt."

Nicht schon wieder.

Er trat auf mich zu und zuckte mit den Schultern.

"Na gut, dann machen wir es auf meine Art."

Bevor ich reagieren konnte, umschloss er mein Gesicht mit festem Griff. Feuer explodierte in meinem Kopf, baute einen unerklärlichen Druck auf und zerfetzte sämtliche Widerstandskraft, die ich noch besessen hatte. Der Schmerz fuhr über meinen Rücken bis in meine Beine. Ich hörte mich selbst schreien. Für einen Moment war ich wie gelähmt. Ich konnte mich nicht bewegen, nicht atmen. Mein Körper gehörte nicht länger mir. Ich kämpfte mit aller Macht, um die Kontrolle zurück zu bekommen. Schwerfällig hob ich meine Hand. Zitternd ballte ich sie zur Faust und schlug zu. Meine ganze Todesangst legte sich in diesen Hieb. Ich traf den König an der Schläfe. Sein Kopf wurde zur Seite gerissen. Überrascht löste er sich von mir. Ich stolperte zurück, fiel auf die Knie und musste mich übergeben.

"Nicht", hörte ich ihn rufen.

Ich sah auf. Er meinte nicht mich, sondern die Soldaten, welche sich alle mit erhobenem Schwert auf mich stürzen wollten. Mit ernstem Blick sah er mich an.

"Ich verstehe, warum du dich verweigert hast. Ich entschuldige mich für die Gewalt, mit der ich vieles schlimmer gemacht habe."

Der Schreck durchfuhr alle meine Glieder. Er wusste von dem Vorfall? Woher? Hatte er das in meinen Gedanken gelesen? Ich konnte mich nicht erinnern überhaupt etwas gedacht zu haben. Nun wandte er sich an alle anderen.

"Es ist so, wie sie es gesagt hat. Halvard hat sie angegriffen. Damit ist sein Tod rechtens. Es wird keine weiteren Vergeltungsmaßnahmen geben."

Dann ging er zu seinem Pferd und saß wieder auf.

"Wir ziehen weiter."

Ich sah in vielen Gesichtern Verständnislosigkeit über seinen plötzlichen Sinneswandel. Die Prinzessin folgte ihm einfach nur kopfschüttelnd. Prinz Cyrian schloss sich ihr an. Wie betäubt ließ ich alle anderen an mir vorbei ziehen. Für einen Moment überlegte ich einfach umzudrehen und zu verschwinden. In der Nähe von Magiern zu sein hatte mir bisher nur Unglück gebracht. Ich löste meine Flasche vom Gürtel und spülte meinen Mund gründlich aus, um den Geschmack von Erbrochenem loszuwerden.

"Hier."

Hauptmann Belan war plötzlich neben mir aufgetaucht. Von seinem Pferd sah er zu mir hinunter und reichte mir wieder einmal Pfefferminzblätter. Ich wandte mich wortlos ab und stapfte los. Ganz bestimmt würde ich nach diesem Vorfall nichts mehr von Magiern annehmen. Und schon gar nicht, wenn sie so mächtig waren, dass sie der Garde des Königs angehörten. Wer weiß, was der Hauptmann für eine Gabe hatte. Vielleicht konnte er mir die Eingeweide mit einem Fingerschnippen raus reißen.

"Unvernunft steht dir nicht", ließ er mich wissen und schloss sich mir einfach an.

"Wenn ich dir hätte schaden wollen, hätte ich dazu schon Gelegenheit gehabt."

Ich schwieg einfach weiter. Vielleicht würde er dann aufgeben und voraus reiten. Aber er blieb. Ohne ein Wort begleitete er mich. Meine Wange begann zu pochen, mein Körper fühlte sich schmutzig und zerschunden an, meine Beine protestierten vom schnellen Laufen und mein Hals fühlte sich rau an. Wenn ich so weiter machte, wäre ich in spätestens einer Woche tot. Ich stolperte immer mal wieder. Irgendwann bemerkte ich, dass ich ans Ende des Trupps geraten war. Und das Hauptmann Belan sich mit mir nach hinten hatte fallen lassen. Die Sonne sank immer tiefer.

Kurz bevor sie den Horizont erreichte, stoppten wir. Wir hatten gerade ein kleines Stück Wald durchquert und waren vom Weg abgewichen auf eine Lichtung. Der Befehl zum Lageraufschlagen wurde gegeben.

"Komm, Mariko", sagte Hauptmann Belan und trieb sein Pferd weiter an den vielen Soldaten vorbei.

In Ermangelung anderer Möglichkeiten und weil nur er wusste, wo mein Gepäck war, folgte ich ihm. Er führte mich zu Maede und Arjan. Maede schlug im Kreis von anderen Soldaten ihr Lager auf. Einer errichtete in der Mitte auch schon eine Feuerstelle. Der Hauptmann stieg vom Pferd und führte es zur Seite, um es anzubinden. Ich spürte Maedes und Arjans Blicke, aber ich wich ihnen aus. Ich hatte keine Lust zu reden oder noch schlimmer Mitleid zu bekommen. Vielleicht verachteten sie mich aber auch einfach nur. Keine Ahnung. Und im Moment hatte ich auch keine Kraft mich damit auseinander zu setzten.

"Mariko!"

Ich drehte den Kopf. Der Hauptmann warf mir ein Bündel zu, dass ich instinktiv auffing. Das waren dann wohl meine Decken und Felle für die Nacht. Kurz war ich unschlüssig. Dann begann ich sie neben Maede auszubreiten. Sie und Arjan waren die einzigen Magier, die ich kannte und denen ich zumindest ansatzweise vertraute. Zumindest würden sie mich nicht im Schlaf erstechen.

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