Kapitel 5
"Verlass dich niemals nur auf deine Magie", erwiderte ich und ergriff seine Hand.
Er zog mich hoch. Sein Gesicht sah schrecklich aus. Ich verzog schuldbewusst das Gesicht. Seine Nase war vermutlich gebrochen. Außerdem würde er ein blaues Auge bekommen.
"Du siehst mindestens genauso schlimm aus", versicherte er mir als er meinen Gesichtsausdruck richtig deutete.
Er stützte mich als wir aus der Arena gingen. Die Verbrennungen an den Beinen ließen mich humpeln. Ich hoffte, dass der Heiler das wieder hinbekam. Nach einigen zögerlichen Klatschern begann die Menge zu applaudieren. Einige Pfiffe kamen sogar aus der Ecke, wo die Menschen saßen. Meine Magieprüfung war nicht so schrecklich gewesen wie ich erwartet hatte. Als wir die Arena verließen, stand der Heiler schon bereit. Ich sah in seinem müden Gesicht, dass schon ein langer Tag voller Verletzungen, die er geheilt hatte, hinter ihm lag.
"Du zuerst", sagte ich zu Luan, weil ich ein wirklich schlechtes Gewissen hatte ihn unvorbereitet angegriffen zu haben und weil meine Verletzungen fast gar nicht schmerzten.
Na gut, vielleicht war das untertrieben. Aber ich versuchte mir nichts anmerken zu lassen. Luan protestierte.
"Du zuerst", wiederholte ich und löste mich von ihm, um zu zeigen wie gut es mir ging. Das funktionierte nicht ganz so gut, denn ich schwankte und musste mich auf Jaron abstützen, welcher genau in diesem Moment neben mir auftauchte. Der Heiler schaute uns nur an und wartete bis wir uns einigten. Was noch eine Weile dauern könnte.
"Ich übernehme meine Schwester", sagte in diesem Moment eine Stimme hinter uns.
"Arwen", rief ich erleichtert, weil meine Schmerzen immer schlimmer wurden und ich Luan zuerst versorgt sehen wollte. Jetzt kam Leben in den Heiler.
"Sie sind noch nicht ausgebildet", warf er stirnrunzelnd ein.
"Nein, bin ich nicht", stimmte Arwen verlegen zu, "aber ich habe schon viel gelernt."
"Ich bin einverstanden", sagte ich schnell bevor der Heiler noch etwas einwenden konnte.
"Ihre Entscheidung", brummte er schließlich, als hätte ich ihn fürchterlich beleidigt.
Dann wandte er sich Luan zu. Erleichtert stieß ich die Luft aus.
"Können wir uns irgendwo hinsetzen?", fragte ich Jaron leise und mit gepresster Stimme.
Sofort bugsierte mich Jaron von dem Platz der Arena fort und führte mich zu einem kleinen Fleck Gras. Endlich konnte ich mich setzten. Meine Beine dankten es mir, indem sie mir stechenden Schmerz schenkten, jetzt wo ich sie entlastete.
"Wir müssen die Hose aufschneiden", meinte meine Schwester und ließ sich neben mich nieder. Sie stellte einen großen braunen Koffer neben sich, den ich erst jetzt bemerkte.
"Wo hast du denn den her?", fragte ich sie.
Hauptsächlich um mich abzulenken.
"Der Heiler hat ihn mir gegeben. Er hat mehrere davon."
"Achso", sagte ich und dann schwiegen wir. Ich sah Arwen dabei zu wie sie eine Schere aus dem Koffer nahm. Meine Hose war an einigen Stellen durchgebrannt, aber nicht genug damit man an die Verletzungen kam. Arwen bedeutete mir mich hinzulegen und ich tat es.
"Bereit?"
Arwen setzte die Schere ans erste Hosenbein und wartete bis ich nickte. Sie zerschnitt den Stoff und stieß dabei immer mal wieder an das verbrannte Fleisch wenn es gar nicht anders ging. Ich biss die Zähne zusammen. Als sie meine Hose bis übers Knie aufgeschnitten hatte, herrschte Stille.
"Das ist übel", hörte ich Jaron murmeln.
"Was?", rief ich und wollte mich aufsetzen.
Jaron drückte mich an der Schulter sanft zurück.
"Schau es dir lieber nicht an?"
"Würdest du ihr Bein festhalten?", fragte Arwen Jaron.
"Ist das in Ordnung?", fragte Jaron mich.
Ich hoffte eigentlich nicht, dass es so schlimm werden würde.
"Klar", antwortete ich schließlich.
Eine Hand schloss sich sanft um meinen Knöchel. Obwohl er nichts weiter machte, tat es furchtbar weh die verletzte Haut zu berühren.
"Ich zieh jetzt die Hose ab", meinte meine Schwester.
Bevor ich nicken konnte, tat sie es einfach. Der Schmerz raubte mir den Atem und machte mich für einen Moment bewusstlos. Als ich wieder zu mir kam, waren meine Wangen nass. Wann hatte ich angefangen zu weinen?
"Bitte", stieß ich mit rauer Stimme hervor, "sagt mir, dass es beim anderen Bein nicht so schlimm ist."
Betretenes Schweigen war die Antwort. Stöhnend legte ich den Arm über die Augen. Der Schmerz der mich dabei durchfuhr, war nichts im Vergleich zu dem eben.
"Das bekommen wir wieder hin", versuchte mich meine Schwester zu beruhigen.
Daran zweifelte ich nicht im geringsten. Die Frage war nur ob ich es überleben würde.
"Ich entferne erst die Hose vom anderen Bein", sagte Arwen, "es tut mir leid, Mariko. Aber ich weiß nicht ob ich nach der Heilung des ersten Beins noch fit genug bin, um das ohne zitternde Finger zu bewerkstelligen."
"Kein Problem", presste ich zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.
"Hier" Jaron reichte mir ein Stück Stoff.
Verständnislos starrte ich es an.
"Beiß drauf", befahl er.
Zögerlich tat ich, was er sagte und die Prozedur begann von vorne. Als ich das nächste mal zu mir kam, strömte eine angenehme Wärme durch meine Beine. Als ich mich diesmal aufsetzte, hinderte mich keiner daran. Mir stockte der Atem als ich sah, was meine Schwester geschafft hatte. Die Haut an meinen Beinen war wieder vollkommen glatt. Nur noch eine leichte Röte bezeugte die Verletzungen. Ich berührte sie, um sicher zu gehen. Sie waren empfindlicher als sonst, aber das konnte ich aushalten. Ich schaute in das blasse Gesicht meiner Schwester. Auf ihrer Stirn stand Schweiß.
"Du bist fantastisch", sagte ich ehrlich dankbar.
"Fantastisch?", wiederholte Jaron,"sie ist unglaublich. Der Stoff hatte sich teilweise in deine Haut geschmolzen. Wir mussten..."
"Stopp", rief ich und hob die Hand, "wenn du nicht willst, dass ich mich übergebe, solltest du besser nicht weiter reden."
Meine Schwester griff nach meinen Händen, bevor ich sie aufhalten konnte, begann sie auch diese zu heilen. Ein schwaches Leuchten umgab sie dabei. Es floss um meine Hände und sie begannen zu kribbeln. Als der Atem von Arwen schneller wurde, entzog ich ihr sanft, aber bestimmt meine Hände.
"Das reicht. Du hast schon genug für mich getan. Vielen Dank."
Sacht strich ich ihr eine Strähne aus der Stirn. Ihr Blick leuchtete auf und sie fing an zu strahlen. Auf einmal warf sie sich auf mich und umarmte mich ganz fest.
"Ich bin so froh dich wiederzusehen. Die ganzen Jahre über habe ich dich schrecklich vermisst", gestand sie mir.
Ich legte ebenfalls die Arme um sie. Ich hatte nicht geahnt, wie sehr mein Fortgang sie getroffen hatte. Aber nach dem Vorfall hatte ich nicht bleiben können.
"Es tut mir unglaublich leid. Ich verspreche dir, mich ab jetzt öfter bei dir zu melden."
Ein Gedanke kam mir.
"Das dürfte auch gar nicht so schwierig sein."
Arwen löste sich von mir.
"Was meinst du damit?"
"Ich reise morgen in die Hauptstadt. Aufgrund des Angriffs muss ich für eine Weile im Palast wohnen. Wenn du möchtest, komme ich dich mal auf der Magierschule besuchen."
"Natürlich möchte ich das."
Arwen klang überglücklich.
"Du wirst im Palast wohnen. Das ist ja wie im Märchen. Meinst du ich könnte dich da auch mal besuchen? Das wäre mein Traum."
"Ich werde sehen, was sich machen lässt", versprach ich ihr, glücklich sie so aufgeregt zu sehen.
Nachdem ich mich gewaschen und umgezogen hatte, verbrachte ich den restlichen Tag mit Arwen und Jaron. Die Akademie tischte nach den Prüfungen ein großes Bankett auf. Von irgendwoher hatten sie auch ein paar Musiker aufgetrieben. Die älteren Schüler der Akademie durften mitfeiern. Ich sah ein paar mutige Absolventen junge Damen von hohen Häusern zum Tanz auffordern. Auch die Königsfamilie ließ sich ab und zu blicken. Aber sie tanzten natürlich nicht.
Jaron forderte Arwen auch einmal zum Tanzen auf. Als sie kichernd zustimmte, überlegte ich schon wie ich Jaron auffordern konnte seine Hände bei sich zu behalten. Aber er verhielt sich tadellos. Zusammen schwebten sie förmlich über die improvisierte Tanzfläche. Ich würde das im Auge behalten müssen. Ich vertraute Jaron zwar. Trotzdem wollte ich verhindern, dass er Arwen unabsichtlich verletzte. Ich holte mir ein Glas Wein und beobachtete die beiden. Der Abend ging schnell vorbei. Arwen verabschiedete sich schließlich und ging zurück zu unserer Familie. Jaron forderte mich ebenfalls zum Tanzen auf. Ich lehnte dankend ab. Er nahm es mir nicht übel. Stattdessen setzten wir uns an den Rand an einen der Tische und erzählten ein wenig.
"Weißt du es schon?"
"Was?", fragte ich.
"Neben Maede wurde auch Arjan ausgewählt in der Königsgarde aufgenommen zu werden. Er wird euch zum Palast begleiten."
Ich verschluckte mich an dem Stück Fleisch, das ich mir gerade in den Mund geschoben hatte. Hilfsbereit klopfte mir Jaron auf den Rücken.
"Woher..."
"Er hat es überall rumerzählt", kam mir Jaron zuvor.
"... weißt du das?", beendete ich meine Frage.
Ich ließ meinen Kopf auf den Tisch fallen.
"Das wird schrecklich. Erlöse mich von meinem Elend."
Jaron machte ein mitfühlendes Geräusch.
"Es wird schon nicht so schlimm werden. Es sei denn, du stehst noch auf Arjan."
"Nein", stellte ich klar, "tu ich nicht."
"Dann solltest du einfach Maede nicht in die Quere kommen und schon ist alles in Ordnung."
"Manchmal weiß ich nicht, ob sie ihn zurück haben oder in den Wind schießen will", murmelte ich.
"Du wirst es überleben", tröstete Jaron mich.
"Aber ich will es nicht überleben müssen", grummelte ich und suhlte mich noch eine Weile im Selbstmitleid bis wir auf andere Themen zu sprechen kamen und meine Laune sich wieder hob.
Nachdem ich noch ein paar Gläser mehr Wein getrunken hatte, schaffte es Jaron schließlich doch mich auf die Tanzfläche zu überrreden. Ich konnte nicht tanzen also wurde es ungeschickt. Am nächsten Morgen würde es mir peinlich sein. Aber es war mein letzter Abend auf der Akademie. Morgen würden Jaron und ich nach so langer Zeit getrennte Wege gehen. Als die Essensreste abgeräumt wurden, die Musiker und die meisten Gäste gegangen waren und die Königsfamilie sich zurück gezogen hatte, umarmten Jaron und ich uns und sagten uns Gute Nacht.
Gut möglich, dass ich ihn morgen früh nicht mehr sehen würde. Also drückte ich ihm auch noch einen Kuss auf die Wange. Dann ging ich in die Akademie. In meiner Kammer angekommen, ließ ich mich einfach nur ins Bett fallen und schlief auf der Stelle ein.
Ein Klopfen weckte mich.
"Mariko Young, wenn ihr keinen Ärger bekommen wollt, solltet ihr euch lieber beeilen."
Ich schlug die Augen auf und blinzelte wegen des hellen Lichts. In meinem benebelten Zustand dauerte es ein wenig bis ich die Stimme zuordnen konnte.
"Hauptmann Belan? Seid ihr nun als Kindermädchen für mich eingestellt?"
Ups, der Wein von gestern schien wohl noch nach zu wirken.
"Nur bis sie jemand besseren gefunden haben", erwiderte er trocken.
"Tut mir leid", rief ich und rieb mir die pochende Schläfe, "ich komme sofort."
Schnell schlug ich die Decke zurück, stand auf und musste mich erst einmal wieder setzten, weil der Raum sich zu drehen begann. Leichte Übelkeit überfiel mich. Zum Glück verflog sie rasch wieder. Dann zog ich mich um, damit ich dem Hauptmann nicht in müffelnden Sachen gegenüber treten musste, wusch mir das Gesicht mit dem Wasser aus der Schüssel, die in meinem Zimmer stand, kämmte meine Haare und band sie in einem Zopf zusammen. Ich legte meine Katana an.
Aus meinem Schrank beförderte ich einen Reisebeutel. Dort schmiss ich die ganze Kleidung hinein, welche ich besaß. Hauptsächlich Uniformen und Funktionskleidung. Ich zog die Schnüre zu und sah mich noch einmal im Zimmer um. Es war einigermaßen ordentlich und ich hatte nichts vergessen. Das war's. Ich würde mein Zuhause der letzten zehn Jahre verlassen und nie wieder zurück kommen. Seufzend drehte ich mich um und öffnete die Tür. Der Hauptmann lehnte an der Wand gegenüber und betrachtete mich als ich auf den Flur trat.
"Ich bin soweit."
Er nickte. Nebeneinander gingen wir los.
"Hier"
Er reichte mir etwas. Irritiert sah ich auf die Blätter in seiner Hand.
"Was ist das?"
"Pfefferminz, für den Mundgeruch nach einer besonders harten Nacht."
Verärgert schnappte ich nach Luft.
"Nicht sehr nett das anzusprechen", murmelte ich, schnappte mir aber die Blätter und roch vorsichtig daran.
"Ich spreche aus Erfahrung, also gibt es nichts wofür ihr euch schämen müsstet. Übrigens sind sie nicht vergiftet."
"Verzeiht mir mein Misstrauen, aber ich habe gestern einen Anschlag überlebt. Eure Worte werden also nichts daran ändern."
"Misstrauisch zu sein ist euer gutes Recht und ich stimme euch zu. Man sollte nie nur netten Worten vertrauen."
Er sah aus als hätte ich ihm eine Freude gemacht. Bevor ich reagieren konnte, hatte er sich ein Blatt aus meiner Hand genommen, sich in den Mund geschoben und kaute bedächtig.
"Nein, kein Gift, nur Pfefferminz."
Widerwillig musste ich lachen.
"Nun gut, ihr habt gewonnen."
Ich schob mir die Blätter in den Mund und kaute ebenfalls. Ein fremder Geschmack breitete sich in meinem Mund aus, leicht scharf aber irgendwie erfrischend.
"Spukt es einfach aus, wenn ihr genug habt", sagte Hauptmann Belan.
Dann schob er die Tür zum Hof auf.
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