Kapitel 31

In den nächsten Tagen wurde ich vor Langeweile fast wahnsinnig. Mir waren nur kurze Spaziergänge gestattet, um mein Bein nicht zu überlasten. Meist ging ich dann durchs Schloss und versuchte auch Treppen nicht auszulassen, damit sie gar nicht erst zu meiner Schwachstelle wurden. Doch ein paar Mal schlenderte ich auch durch den königlichen Garten und traf dort auf Prinzessin Jade in Begleitung ihrer Tiger. Meistens hatte sie kein Interesse an einer Konversation, deshalb ließ ich sie in Ruhe. Es freute mich schon, sie überhaupt draußen zu sehen. Einmal sah ich den König, wie er uns aus dem Fenster beobachtete. Er nickte mir zu und verschwand dann wieder.

Nach einer Woche humpelte ich nicht mehr ganz so schlimm. Und als ich Prinzessin Jade in einem der Trainingsräume der Garde antraf, sah auch sie etwas besser aus. Ihr Gesicht war nicht mehr ganz so eingefallen und ihre Bewegungen waren wieder etwas selbstsicherer geworden.

"So und wie soll das Training nun vonstatten gehen?" Die Prinzessin stand mir gegenüber auf den Trainingsmatten und beäugte skeptisch meinen Krückstock.

"Vielleicht wäre es besser, wenn wir noch ein paar Wochen warten."

Sie verzog bei den Worten das Gesicht als wäre sie selbst unglücklich mit ihrem Vorschlag.

"Dieses Ding", ich hob demonstrativ den Gehstock, "wird uns ganz sicherlich nicht davon abhalten mit deinem Selbstverteidigungstraining zu beginnen. Zugegeben ich bin nicht optimal in Form für den physischen Teil."

"Und da komme ich ins Spiel." Hauptmann Belan hatte den Raum lautlos betreten und stellte sich nun neben uns.

"Hauptmann" Die Prinzessin klang überrascht.
"Wie kommt es, dass ihr eure wertvolle Zeit opfert, um mit uns zu trainieren?"
Sie verschränkte die Arme.
"Habt ihr nichts Wichtigeres zu tun?"

Er gluckste.

"Ich habe ihn gefragt", beantwortete ich die Frage der Prinzessin. "Da ich sowieso mit ihm absprechen musste, welchen Raum wir nutzen können, habe ich auch gleich gefragt, ob er uns in den nächsten Wochen unterstützen würde."

Der Hauptmann zwinkerte mir zu. "Und natürlich konnte ich die Bitte einer Lady nicht ablehnen."

Ich verdrehte die Augen und richtete das Wort an Prinzessin Jade.
"Keine Sorge, er wird nur vorübergehend aushelfen. Sobald ich mein Bein wieder vollständig belasten kann, überlässt er das Training uns. Außerdem hat er geschworen niemandem genaue Details über das Training zu erzählen. Das schließt deine Brüder mit ein."

Etwas skeptisch zog die Prinzessin eine Augenbraue hoch.

"Ich stehe zu meinem Wort, Prinzessin. Selbst der König wird nichts von mir erfahren, wenn ihr es nicht wollt", mischte sich der Hauptmann ein.

Nach einem kurzen Moment stieß die Prinzessin die Luft aus.
"In Ordnung, dann lasst uns beginnen."

Ich trat einige Schritte zurück und Hauptmann Belan übernahm meinen Posten.

"Gut, das erste was ihr lernen müsst, ist einen festen Stand zu haben. Angreifer haben ein leichtes Spiel, wenn sie euch überraschen und umwerfen können. Versucht in jeder Situation vorbereitet zu sein. Prinzessin, der Hauptmann zeigt euch nun, wie ihr euch für den Anfang am besten positioniert, um einem Angriff stand zu halten. Übernehmt die Pose und fühlt, wie ihr euch am besten mit dem Boden verankert."

Der Hauptmann zögerte nicht meine Befehle zu befolgen und stellte die Beine hüftbreit auseinander. Die Prinzessin ahmte seinen Stand nach.

Ich nickte.
"Soweit so gut, jetzt werden wir eure Standfestigkeit testen."

Ich zog ein Seidentuch aus der Tasche und ging zu der Prinzessin. Sie schaute mich fragend an.

"Für diese Übung ist es notwendig euch die Sicht zu nehmen", erklärte ich ihr.

Sobald ich die Worte ausgesprochen hatte, sah ich die Angst in ihren Augen. Instinktiv trat sie einen Schritt zurück. Ich überlegte kurz und steckte dann das Seidentuch wieder weg.

"Es wird reichen, wenn ihr die Augen schließt. Der Hauptmann wird versuchen euch aus dem Gleichgewicht zu bringen, indem er euch von einer beliebigen Seite angreift. Eure Aufgabe ist es nicht zu fallen."

Die Prinzessin stieß ihren angehaltenen Atem aus.
"Das klingt machbar."

Der Hauptmann lachte vergnügt.
"Dann werde ich es euch nicht so leicht machen, Prinzessin."

"Schließt die Augen, wenn ihr bereit seid. Dann beginnt die Übung."

Prinzessin Jade nickte, atmete noch einmal tief durch und schloss dann die Augen. Dies war eine hervorragende Übung, um nicht nur ihre Standfestigkeit, sondern auch ihre Sinne zu schärfen. Ich behielt den Hauptmann im Blick. Sein erster Angriff kam von der Seite. Er stieß die Prinzessin an, sodass sie einige Schritte taumelte, bevor sie wieder in ihren festen Stand fand. Beim nächsten Stoß war sie besser vorbereitet und wankte nur ein wenig, als er sie traf. So ging es noch einige Male, in denen der Hauptmann die Stärke seiner Angriffsstöße variierte. Prinzessin Jade wurde mit jedem gehaltenen Schlag sicherer und wusste schneller, wie sie ihnen entgegenwirken konnte. Dann trat der Hauptmann hinter sie und änderte seine Taktik, indem er sie nicht mehr von sich stieß, sondern seinen Arm um ihre Kehle schlang und nach hinten zog.

Die Prinzessin schrie auf und verlor den Halt. Der Hauptmann ließ sie los und sie sank zu Boden, auf dem sie in erstarrter Haltung knien blieb. Ich humpelte zu ihr. Die Augen hatte sie immer noch geschlossen und ein Zittern hatte sie erfasst. Hauptmann Belan kniete sich neben sie und berührte ihre Schulter. Wimmernd rollte sie sich enger zusammen.

"Prinzessin Jade?"

Ich rief ihren Namen auf den sie nicht reagierte. Ich ließ den Gehstock fallen, packte sie an den Schultern und schüttelte sie leicht.

"Prinzessin Jade, öffnet die Augen. Ihr seid im Palast mit mir und Hauptmann Belan."
Ich schlug einen bestimmenden Tonfall an, der die Prinzessin langsam aus ihrem Trauma zu reißen schien.

Ihre Augen öffneten sich und ihr verlorener Blick richtete sich auf die Trainingsmatten. Da sprang die Tür des Raumes plötzlich krachend auf und herein stürmten zwei Tiger, welche sich mit gefletschten Zähnen näherten. Hauptmann Belan richtete sich in einer fließenden Bewegung auf und stellte sich vor uns. Doch ein gebrüllter Befehl stoppte die Raubkatzen, bevor sie sich auf uns stürzen konnten.

"Nahla. Raj. Halt."

Schlitternd kamen sie vor uns zum Stehen und traten unruhig auf und ab. Der König trat unmittelbar nach ihnen in den Raum und stürmte zu uns.

"Was ist passiert?", herrschte er uns an und ließ sich neben seiner Schwester auf den Boden fallen.

Da mein Herz immer noch raste von dem Schrecken unerwartet zwei Raubkatzen auf uns zu rennen zu sehen, kam meine Antwort wohl etwas schärfer als gedacht.

"Die Übung hat bei der Prinzessin wohl schlechte Erinnerungen hervorgerufen. Wir waren gerade dabei sie wieder ins Hier und Jetzt zu holen, als ihr aufgetaucht seid in einer Art und Weise, die nicht sehr hilfreich war, um die Situation zu entschärfen."

Mein Tonfall machte deutlich, was ich von seinem Auftritt hielt. Der König funkelte mich an. In seinen Augen wütete ein zorniger Sturm.

"Mein Auftauchen wäre gar nicht nötig gewesen, wenn ihr darauf geachtet hättet, dass so etwas nicht passiert."
Sein Tonfall war frostig, fast schon unheilvoll.

Ich wusste ich sollte Angst haben. Doch aus irgendeinem Grund hatte ich keine. Stattdessen weckte er meinen Zorn.

"Glaubt ihr etwa wir hätten es absichtlich darauf angelegt ein Trauma bei eurer Schwester auszulösen?"

Ein Lachen unterbrach uns bevor der König antworten konnte. Die Schultern der Prinzessin, welche ich immer noch umklammerte, bebten. Ich dachte erst sie wäre in Tränen ausgebrochen, doch stattdessen war sie es von der das Lachen kam.

"Jade?"

Der König schien das genauso irritierend zu finden, wie ich, denn er legte zögerlich eine Hand auf ihren Arm.

Die Prinzessin richtete sich auf. Immer noch brach Lachen aus ihr heraus und es dauerte einen Moment bis sie sich beruhigt hatte. Ich zog meine Hände von ihren Schultern, unsicher wie ich mich verhalten sollte.

"Ihr solltet euch mal selbst zuhören", stieß die Prinzessin hervor. "So ordentlich die Meinung gesagt hat euch schon lange niemand mehr, Bruder", wandte sie sich an ihn.

Erleichtert, dass es ihr wieder besser ging, schloss er sie in die Arme.

"Tut mir leid, dass ich euch solch einen Schrecken eingejagt habe", murmelte Prinzessin Jade und streckte die Hände aus, um ihre Tiger besänftigend zu streicheln, welche sich neben den Hauptmann gestellt hatten.

Dieser tätschelte ihnen ebenfalls den Kopf.

"Ihr habt Lady Young einen ziemlichen Schrecken eingejagt. Aber zum Glück war ich ja da um sie mit Leib und Leben zu verteidigen."

Ich schnaubte bei seinem belustigtem Tonfall. Er schien das ähnlich witzig zu finden, wie die Prinzessin. Ich hingegen hatte einen ziemlichen Schreck bekommen. Die Prinzessin löste sich von ihrem Bruder, griff nach meinem fallen gelassenen Gehstock und richtete sich auf, um ihn mir hinzuhalten.

"Tut mir leid, Lady Young. Ich wollte euch nicht beunruhigen."

Ich winkte ab.
"Ihr könnt am wenigsten dafür", antwortete ich.

"Wenn es in Ordnung für euch ist, würde ich gerne weiter trainieren", antwortete sie zögerlich und überraschte mich damit.

Ich nickte.
"Wenn ihr euch gut genug dafür fühlt, spricht nichts dagegen."

Der Hauptmann seufzte.
"Und ich dachte wir wären fertig für heute", witzelte er.

Der König erhob sich.
"Dann lass ich euch mal alleine."

Anhand seiner Miene konnte ich nicht sagen, ob er glücklich darüber war, dass wir weiter trainierten oder nicht. Doch er verschwand kommentarlos und überließ mir und Hauptmann Belan das Feld. Die zwei Tiger legten sich an die Wand von wo aus sie uns im Blick hatten. Sie knurrten einige Male als der Hauptmann besonders harte Stöße austeilte, blieben aber ruhig liegen.

Am Ende war die Prinzessin erschöpft, aber zufrieden. Sie verließ den Raum in Begleitung ihrer beiden Raubkatzen nachdem wir uns für nächste Woche verabredet hatten.

Der Hauptmann trat neben mich.
"Ich bin froh, dass sie ihren Mut wiedergefunden hat", murmelte er und ich konnte ihm nur zustimmen.

Er holte seine Schachtel Minzblätter heraus und schob sich eines in den Mund bevor er mir auch eins anbot. Ich nahm es und kaute eine Weile darauf herum. Der frische und gleichzeitig scharfe Geschmack schärfte meine Sinne.

"So und nun könnt ihr mir endlich verraten, was zwischen euch und Declan läuft."

Mein Gehirn brauchte einen Moment bis es den fremden Namen mit dem König in Verbindung brachte. Prompt verschluckte ich mich am Minzblatt.

"Was genau meint ihr Hauptmann?", brachte ich keuchend hervor.

Er lachte leise.
"Ich dachte das könnt ihr mir sagen. Aber vielleicht sollte ich diese Frage eher Declan stellen."
Dann zwinkerte er mir zu und verließ den Raum ebenfalls.

Kopfschüttelnd folgte ich ihm, grübelte aber noch eine Weile über seine Frage. Hatte der König in seiner Gegenwart irgendetwas getan oder gesagt, was den Hauptmann glauben ließ er wäre an mir interessiert?

Zugegeben er war attraktiv und ich mochte auch die Art, wie er mit seinen Geschwistern umging. Aber ich konnte nicht ignorieren, dass er mich mit seiner Magie nicht nur in einen Eiszapfen verwandeln konnte, sondern auch meine Erinnerungen durchwühlen konnte. Das war abschreckend genug, um jegliche Anziehung zu ignorieren. Zumindest redete ich mir das ein. Ich verdrängte diesen Gedanken und konzentrierte mich auf wichtigere Dinge. Zum Beispiel meine Sitzung mit dem königlichen Heiler, der sich noch einmal mein Bein anschauen wollte. Wenn ich Glück hatte, würde ich den Gehstock in ein paar Wochen los sein.

Ich ging durch die langen Gänge des Schlosses und bemerkte erst nach einer Weile, dass es absolut still war. Kein Geräusch war zu hören, nicht einmal das Klacken des Stockes auf dem Boden. Ich blieb stehen. Ein Schauer lief mir über den Rücken. Ich wünschte ich hätte meine Katana dabei. Nachdem ich die Prinzessin wohlbehalten zurückgebracht hatte, war mir erlaubt worden sie zu tragen. Aber ich hatte sie im Zimmer gelassen, falls ich doch ins Trainig der Prinzessin eingegriffen hätte. Ich schaute mich um. Doch im Flur war niemand. Also ging ich weiter. Immer noch herrschte absolute Stille. Das konnte nur mit Magie zusammenhängen. Ich bog um die nächste Ecke und stieß mit jemanden zusammen. Ich stieß den Unbekannten zurück und rammte ihm den Gehstock in die Seite. Mein Gegenüber schrie auf.

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