Kapitel 30

Ich begann um ihn herum zu gehen.

"Ich sagte, ich schaffe die Treppe hinauf zu gehen, also schaffe ich es auch. Da könnt ihr mir ruhig...ah"

Ich schnappte erschrocken nach Luft als mir plötzlich die Beine unter dem Körper weg gezogen und ich an die Brust des Königs gepresst wurde.

"Was zum Teufel macht ihr da?", fuhr ich den König an und vergass dabei jede Höflichkeitsform.

Ohne auch nur im geringsten angestrengt auszusehen, begann er mich die Treppe hochzutragen. Gerade noch rechtzeitig dachte ich daran meinen Gehstock festzuhalten, sonst hätte ich ihn vor Schreck fallen gelassen.

"Lady Young, ich zweifele nicht daran, dass ihr die Treppe auch ohne meine Hilfe hochgekommen wärt. Aber ihr habt euch verletz,t als ihr meine Schwester gerettet habt. Es ist also das Mindeste, wenn ich dafür sorge, dass sich eure Heilung nicht verzögert."

Während er sprach, sah er immer mal wieder zu mir hinunter.

"Ihr lasst mich schwach aussehen", stieß ich hervor. Der König schnaubte.

"Niemand in diesem Palast hält euch für hilflos. Eure Verletzungen sind nur ein Zeichen eurer Stärke. Die Hilfe Anderer anzunehmen, macht euch nicht schwach, Lady Young, ganz im Gegenteil. Je mehr Unterstützter ihr habt, desto mehr Macht habt ihr."

Seine Worte waren eindringlich und so ließ ich schließlich zu, dass er mich bis hoch trug. Am oberen Ende der Treppe angekommen, stellte er mich vorsichtig auf die Füße und stützte mich bis ich mein Gleichgewicht wieder gefunden hatte.

"Danke", murmelte ich und ließ langsam seinen Arm los an dem ich mich festgehalten hatte. Bevor ich meine Hand komplett weg ziehen konnte, ergriff er sie sanft.

"Lasst mich noch ein wenig länger eure Stütze sein", erwiderte er und schob meine Hand auf seinen angewinkelten Unterarm, sodass er mich führen konnte. Fast hätte ich meine Hand zurück gezogen, erinnerte mich aber dann an seine Worte.

Im Grunde wusste ich, dass er die Wahrheit gesagt hatte, trotzdem fiel es mir nicht leicht seine Hilfe anzunehmen. Doch ich nickte ihm zu, um meine Zustimmung zu zeigen und ein leichtes Lächeln erhellte sein Gesicht. So bei ihm eingehakt gingen wir los. Mit dem Krückstock und dem Arm des Königs als Unterstützung kam ich deutlich schneller voran. Ich fragte mich, ob der König jemals hilflos gewesen war. Verstohlen warf ich ihm einen Blick zu. Er besaß eine Macht von der Andere nur träumen konnten. Neben seiner körperlichen Überlegenheit, konnte er mit seiner Magie in den Verstand von Menschen eindringen und sie gleichzeitig zu Eis erstarren lassen. Der König bemerkte meinen Blick und erwiderte ihn.

"Was geht euch durch den Kopf, Lady Young?"

"Ich habe mich nur gefragt, ob ihr so leicht Hilfe an nehmen könnt, wie ihr es mir geraten habt", antwortete ich und verriet ihm damit zumindest einen Teil meiner Gedanken. Der König rieb sich über sein Gesicht.

"Nun, ihr habt mich ertappt. Meine Worte waren ein wenig heuchlerisch, denn auch mir fällt es nicht leicht Hilfe von Anderen anzunehmen. Aber als König habe ich schnell gelernt, dass ich anders nicht regieren kann. Ich bin auf die Hilfe meiner Berater angewiesen."

Er lachte leise in sich hinein. "Außerdem würden mir meine Geschwister die Hölle heiß machen, wenn ich ihre Hilfe verweigern würde." Seine Worte ließen auch mich lächeln.

Vor einer mit Gold verzierten Flügeltür am Ende des Flures blieb er stehen und klopfte an. Nach einem kurzen Moment der Stille ertönte schließlich ein durch die Tür gedämpftes "Herein". Der König öffnete die Tür und führte mich in den Raum. Das erste was mir auffiel, war das riesige Himmelbett, welches auf einem Podest stand. Die Vorhänge und Decken waren eine Mischung aus grün und gold. Die Tapete war weiß und mit einem goldenen Muster verziert. An der linken Wand stand eine Kommode mit Hocker. Daneben standen Regale voll mit Büchern und auf einem etwas breiteren Tisch davor lag beschriebenes Pergament. Drei Fenster ließen Licht in den Raum. Das Mittlere befand sich nach hinten versetzt in einem Rundbogen. Dort drinnen stand ein Sessel, in dem die Prinzessin saß und nach draußen starrte. Zu ihren Füßen lagen ihre zwei begalischen Tiger. Einer davon richtete sich bei unserem Eintreffen auf, streckte sich und gähnte herzhaft bevor er auf uns zu trottete. Der Andere blinzelte uns nur träge an. Der welcher bei uns ankam, rieb seinen Kopf am Bein vom König. Ich schaute hoch in sein Gesicht, doch er schien keine Angst vor der Raubkatze zu haben. Tatsächlich schien es als würde er sie kaum beachten. Stattdessen lag sein sorgenvoller Blick auf seiner Schwester, die uns nicht wirklich beachtete und einfach weiter gedankenverloren aus dem Fenster schaute.

"Ich habe dir doch schon mehrfach gesagt, dass ich wünsche nicht gestört zu werden, Bruder", sprach Prinzessin Jade schließlich ohne sich uns zuzuwenden.

Ich blickte zum König neben mir, der begonnen hatte den Tiger am Kopf zu kraulen. Ein Grollen ertönte aus dessen Brust und ich realisierte, dass er wohl schnurrte. Ich war fasziniert von der Sorglosigkeit des Königs gegenüber der Raubkatzen. Schließlich war Prinzessin Jade und nicht er diejenige, welche sie gezähmt hatte.

"Ich habe dir einen Gast mitgebracht. Ich dachte du würdest vielleicht gerne Lady Young sehen wollen", antwortete er auf die abweisenden Worte seiner Schwester. Diese drehte ihren Kopf nun doch in unsere Richtung.

Die meisten Wunden hatten die Heiler geheilt. Nur noch ihr ausgezerrter Körper, den auch ihr einfaches Kleid nicht kaschieren konnte und ihr kahler Kopf erinnerten an den Albtraum, den sie durchgemacht hatte.

"Lady Young, verzeiht dass ich nicht aufstehe, um euch zu begrüßen, doch das Fieber hat meinen Körper doch mehr geschwächt als gedacht." Ich versuchte mich an einen unbeholfenen Knicks und war froh mich dabei am Arm des Königs festhalten zu können.

"Da gibt es nichts zu verzeihen, Prinzessin. Ich bin selbst noch etwas unsicher auf den Beinen." Sie senkte den Blick auf meinen Krückstock.

"Konnte der Heiler euer Bein nicht vollständig heilen?", fragte sie mit rauer Stimme und zum ersten Mal schien es als würde sie etwas fühlen. Als sie mir in die Augen blickte, wusste ich auch was es war. Schmerz. Schmerz und Schuld erfüllte ihr Gesicht.

Ich ließ den Arm des Königs los und trat selbstsicher einige Schritte nach vorne ohne mich zu sehr auf meinem Krückstock abzustützen. Den Schmerz, der daraufhin in meinem Bein hoch fuhr, ignorierte ich.

"Der Heiler war der Meinung das Ergebnis wäre besser, wenn ich der Natur freien Lauf lasse. Deshalb werde ich wohl noch ein paar Wochen mit diesem Ding hier herumlaufen", erwiderte ich betont locker und hob meinen Krückstock zu Verdeutlichung an. Sie nickte, sah aber nicht sehr überzeug aus. Dann deutete sie auf den Sessel, der ihr gegenüberstand.

"Setzt euch doch, Lady Young. Dann können wir uns ein wenig unterhalten." Sie richtete den Blick auf den König.

"Du wirst hier nicht mehr gebraucht, Bruder." Es schien nicht so als würde der König ihr die harschen Worte übel nehmen. Stattdessen strich er noch einmal der Raubkatze über den Kopf bevor er sich mir zu wandte.

"Ich werde Madox schicken, er soll vor der Tür auf euch warten und euch auf dem Weg zu eurem Zimmer begleiten. Zögert nicht seine Hilfe anzunehmen." Die letzten Worte waren bestimmend und hätten mich wahrscheinlich geärgert, doch nach unserem Gespräch wusste ich, dass er sich wirklich nur sorgte und sich verantwortlich fühlte. Also nickte ich nur, woraufhin er den Raum verließ.

Ich wandte mich wieder seiner Schwester zu, die uns beobachtet hatte, konnte aber nichts aus ihrer Miene lesen. Ich ging zu dem Sessel, der ihr gegenüber stand. Die große Raubkatze, welche davor lag, richtete sich auf und schüttelte sich bevor sie den Weg für mich frei machte. Ein wenig nervös ging ich an ihr vorbei, bevor ich mich in den Sessel fallen ließ. Meinen Krückstock lehnte ich an die Sessellehne, bevor ich mich der Prinzessin zu wandte. Diese hatte ihre Hände im Fell des Tigers vergraben, der vom König wieder zu ihr gekommen war. Ihr Blick war auf mich gerichtet. Ihre Miene war angespannt.

"Also Lady Young, hat mein Bruder euch geschickt, damit ihr mich befragen könnt? Wahrscheinlich hat er euch genau gesagt, was er wissen möchte. Ich bin überrascht, dass ihr euch dazu überreden lassen habt. Ich hatte euch willensstärker eingeschätzt."

Ihre harten Worte trafen mich überraschend. Damit hatte ich nicht gerechnet und ich überlegte einen Moment was ich darauf antworten sollte.

"Euer Bruder hat mich gebeten mit euch zu reden. Aber es war allein meine Entscheidung, ob ich zu euch komme oder nicht. Und ob ihr es glaubt oder nicht, ich wollte sowieso nach euch sehen." Sie schnaubte abwertend.

"Ihr müsst mir nicht glauben und ihr müsst mir auch nichts erzählen, wenn ihr nicht möchtet", betonte ich, "aber ich sage die Wahrheit."

Sie sah immer noch nicht überzeugt aus.

"Warum habt ihr mich gebeten zu bleiben, wenn ihr mich doch eigentlich gar nicht hier haben wollt?", fragte ich sie, weil ich nicht verstand, warum sie mich dann nicht zusammen mit ihrem Bruder rausgeworfen hatte. Sie atmete aus und ihre Schultern senkten sich fast unmerklich.

"Declan wird beruhigter sein, wenn er denkt ich rede mit jemanden über..." sie zögerte.

"...das was mir zugestoßen ist", beendete sie schließlich den Satz. Sie senkte den Blick.

Wut brodelte in meinem Bauch. Nicht auf die Prinzessin, sondern auf die Leute, die für ihren Zustand verantwortlich waren. Ich konnte mir wahrscheinlich nicht mal im Ansatz vorstellen, was sie ertragen hatte. Ich lehnte mich im Sessel zurück, bevor ich noch was Unangebrachtes sagte.

"Dein Bruder sorgt sich um dich. Und ja, es würde wahrscheinlich helfen mit jemanden zu reden, aber solange ihr nicht dazu bereit seid, wird euch niemand dazu zwingen, Prinzessin."

Ich wusste nur zu gut, dass man manche Geheimnisse am liebsten mit ins Grab nehmen würde. Bei meinen Worten schaute sie auf und schüttelte ungläubig den Kopf.

"Dann kennt ihr meine Brüder schlecht. Sie werden mich drängen alles zu erzählen und alles nochmal zu erleben."

Sie erschauderte und ihr Blick verlor den Fokus als sie in ihre Erinnerungen gezogen wurde. Die Raubkatze vor ihr knurrte und rieb ihren Kopf an der Prinzessin, als wüsste sie mit welchen Monstern die Prinzessin kämpfte. Die kleine Bewegung brachte Prinzessin Jade wieder zurück. Ihr Blick klärte sich.

"Mag sein, dass eure Brüder hartnäckig sind, aber das seid ihr auch. Ihr seid stark genug ihnen nicht nachzugeben und selbst zu entscheiden ob und wann ihr euch öffnet", erwiederte ich mit Überzeugung in der Stimme. Die Prinzessin, welche ich kennengelernt hatte, ließ sich nicht so leicht unterkriegen.

Doch bei meinen Worten lachte sie nur freudlos.

"Ihr überschätzt mich. Ich bin nur eine schwache, verweichlichte Prinzessin, die Bedrohungen nichts entgegensetzen kann. Ich konnte mich nicht verteidigen, war hilflos. Ich. bin. ein. Schwächling", fauchte sie.

"Dann tut etwas dagegen. Ihr verschanzt euch hier in eurem Zimmer, wollt niemanden sehen und mit niemanden sprechen. Meinetwegen. Aber wenn ihr euch wirklich schwach und hilflos fühlt dann tut etwas dagegen." Meine Antwort kam unmittelbar und war in einem genauso harten Ton gesprochen, den die Prinzessin genutzt hatte.

Sie lehnte sich vor und ich sah Wut auf ihrem Gesicht.

"Und was soll ich bitte tun? Ich bin keine Kriegerin so wie ihr. Niemand hat mir beigebracht zu kämpfen. Meine Ausbildung beinhaltete Politik, höfische Konversation und Tanz. Wie soll mir das bitte nützen?" Ihre laute Stimme klang nicht mehr wütend, sie klang hoffnungslos. Ich holte tief Luft.

"Auch Wissen ist Macht. Das solltet gerade euch bewusst sein. Und auch wenn ihr keine militärische Ausbildung erhalten habt, könnt ihr zumindest lernen euch zu verteidigen. Dazu müsstet ihr aber zumindest die Kraft finden euch aus dem Tief in euren Gedanken rauszubewegen. Verkriecht euch nicht nur in eurem Zimmer, sondern geht draußen spazieren, kommt wieder zu Kräften." Ich schlug einen harten Ton an.

"Ich gebe euch eine Woche. Dann erwarte ich, dass ihr gesund genug seid, damit wir mit dem Selbstverteidigungstraining beginnen können."

Ich nahm meinen Krückstock und stand auf. Die Prinzessin schaute mich ungläubig an.

"Prinzessin Jade, natürlich könnt ihr nicht von heute auf morgen jahrelanges Training aufholen. Aber wir können euch zumindest so gut vorbereiten, dass ihr dem nächsten Angreifer, der es wagt Hand an euch zu legen, ordentlich Schmerzen zufügen könnt."

Meine direkten Worte zauberten ihr ein schwaches Lächeln auf die Lippen.

"Eure Zuversicht ist ansteckend. Nun gut, Lady Young, ihr habt mich überzeugt. Ich wage den Versuch." Eine Last fiel von meinen Schultern. Ich konnte reden so viel ich wollte, wenn die Prinzessin nicht in sich selbst den Willen gefunden hätte zu kämpfen, hätte ich nichts an ihrer Situation ändern können. Ich erwiederte ihr Lächeln.

"Seid darauf gefasst, dass ich keine Gnade kennen werde."

Sie strafte die Schultern und funkelte mich an.

"Darauf zähle ich."

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