Kapitel 29

"Meine Loyalität?", wiederholte ich verwirrt.

"Warum hättet ihr meine Loyalität überprüfen wollen?"

 Mein Gehirn arbeitete auf Hochturen, aber keiner der Gründe, die mir einfielen klangen plausibel. Ich war weder ein potentielles Mitglied der Königsgarde, noch hatte ich mich irgendwie verdächtig verhalten.

"Zu wissen, wo eure Loyalität liegt, war für uns wichtig, da wir euch brauchen, um die Legenden der Magie zu besorgen."

Nach seinen Worten entrollte der König ein Pergamentstück und deutete auf die Abbildung, welche darauf zu sehen war. Ich lehnte mich vor, um sie besser in Augenschein nehmen zu können. Ein gebundenes, relativ unscheinbares, altes Buch war darin abgebildet.

"Ich verstehe immer noch nicht. Warum solltet ihr meine Hilfe benötigen, um ein einfaches Buch zu besorgen?", murmelte ich ratlos.

Generalin Naobi mischte sich ein.

"Das ist nicht einfach irgendein Buch. In ihm stehen die Anfänge der Magie beschrieben, ihre Entwicklung und vermutlich noch andere Dinge, die zu gefährlich waren, um sie zu veröffentlichen. Die Legenden der Magie verschwanden schon vor Jahrhunderten auf mysteriöse Weise. Wahrscheinlich wäre es für alle besser, wenn sie auch verschwunden bleiben würden."

Ihre Worte klangen ziemlich unheilvoll und ihr verkniffender Blick war auf mich gerichtet, als würde sie mich warnen wollen.

"Die radikale Gruppe der sogenannten Befreier, welche Prinzessin Jade und dich entführten, ist uns nicht unbekannt. Schon seit einigen Jahren bauen sie ihr Netzwerk aus und werden stärker. Wir vermuten, dass es ihr Ziel ist die Königsfamilie zu stürzen und eine neue Regierung aufzubauen", übernahm Hauptmann Belan das Wort. "Als Prinzessin Jade entführt wurde, haben sie die Auslieferung der Legenden der Magie anstelle von Lösegeld verlangt."

"Und dadurch haben sie einen entscheidenden Fehler gemacht."

Die Stimme des Königs klang grollend als er das Pergament wieder zusammen rollte.

"Sie wissen nicht, dass das Buch gar nicht in unserem Besitz ist. Und das sollte auch möglichst so bleiben. Sollten sie das Buch in die Hände bekommen, werden sie nicht mehr so leicht aufzuhalten sein."

Eine bedrückende Stille trat ein. Ich räusperte mich.

"Das ist ja alles schön zu wissen, aber was hat das ganze denn nun mit mir zu tun?"

Der König legte das Pergament zur Seite und rollte ein anderes größeres aus auf dem das Königreich abgebildet war.

"Im Gegensatz zu den Befreiern wissen wir, wo die Legenden der Magie zu finden sind. Und zwar auf dem Nordberg, geschützt durch eine Barriere, welche den Magiern vermutlich nicht nur die Magie, sondern auch die Lebenskraft entzieht, da beides miteinander verbunden ist. Menschen hingegen können die Barriere vermutlich ohne Schwierigkeiten durchqueren. Und da kommt ihr ins Spiel."

Überrumpelt lehnte ich mich zurück.

"Ihr wollt also, dass ich einen eisigen Berg besteige, in der Hoffnung dort irgendwo im Nirgendwo ein Buch zu finden, das nur von einem Menschen erreicht werden kann, um es dann hierher zu bringen?", fasste ich das, was ich erfahren hatte zusammen.

Die Fassungslosigkeit war mir wohl deutlich anzuhören, denn nun meldete sich zum ersten Mal Prinz Cyrian zu Wort.

"Das Buch befindet sich sehr wahrscheinlich im Eispalast, welcher vor drei Jahrhunderten erbaut wurde, als ein König mit ähnlichen Kräften, wie Declans auf dem Thron saß."

Irgendwie ließ diese Information alles noch absurder erscheinen. Der König beugte sich vor.

"Niemand wird euch zwingen diesen Auftrag anzunehmen. Doch leider ist es nun mal so, dass nicht viele Menschen die richtige Ausbildung haben, um die Wanderung auf den Nordberg zu überstehen. Deshalb ließ ich euch in den Palast holen. Ich wollte sichergehen, dass ihr die richtige Wahl seid. Denn unter gar keinen Umständen darf das Buch in falsche Hände geraten."

Seine Miene wurde etwas weicher.

"Doch nachdem ihr Prinzessin Jade gerettet habt, bin ich überzeugter den je, dass ihr die richtige Wahl wärt."

Erst jetzt wurde mir bewusst, wie bedeutsam dieser Auftrag wäre, sollte ich ihn annehmen. Und auch wie viel Vertrauen der König und seine Geschwister in mich setzten. Die Macht des Buches schien groß genug, um ihre Regentschaft zu zerstören. Ich seufzte und schüttelte den Kopf.

"Mal abgesehen davon, dass diese Nummer ein bisschen zu groß für mich ist, bin ich momentan auch nicht in der körperlichen Verfassung, um auf den Nordberg zu steigen."

Demonstrativ deutete ich auf mein Bein. Erstaunlicherweise antwortete Prinz Rune.

"Ihr wärt nicht allein bei dieser Mission. Ein Trupp der besten Soldaten würde euch begleiten und es hat auch noch Zeit bis euer Bein verheilt ist. Außer uns sechs in diesem Raum weiß niemand, wo sich die Legenden der Magie befinden."

Nachdenklich trommelte ich mit den Fingern auf den Tisch.

"Ich werde es mir durch den Kopf gehen lassen, aber bis mein Bein nicht wieder vollständig verheilt ist, werde ich keine Entscheidung treffen."

Ich verkniff mir den Kommentar, dass es leichter wäre jemand Passenden für die Mission zu finden, wenn den Menschen mehr Möglichkeiten geboten werden würden. Zum Beispiel auf die Militärakademie zu gehen. Aber das wussten sie vermutlich selbst. Der König nickte.

"Dann sei es so. Das Treffen ist hiermit beendet. Lady Young, ich würde gerne nochmal mit euch persönlich reden."

Verwundert blieb ich sitzen. Die anderen verließen nach und nach den Raum. Hauptmann Belan nickte mir noch aufmunternd zu bevor er ging.

"Wie kann ich euch helfen?", wandte ich mich an den König sobald sich die Tür hinter den anderen geschlossen hatte.

Er kam um den Tisch herum und setzte sich auf den Stuhl neben mir. Seine Nähe machte mir Angst und war zugleich berauschend. Er war mir so nahe, dass ich die Schwielen an seinen Händen sehen konnte. Hände, die mir zweifelsohne in sekundenschnelle das Genick brechen konnten. Nicht, dass ich das erwartete. Mit diesen Händen konnte er bestimmt viel erfreulicheres tun als nur zu töten. Ich stoppte meine Gedanken, bevor sie in eine Richtung gingen, wo sie nichts zu suchen hatten.

"Lady Young, ich würde gerne erfahren, ob ihr wisst, was meiner Schwester während ihrer Zeit bei den Befreiern wiederfahren ist?"

Ich blickte in sein Gesicht und sah darin einen ungebändigten Zorn, der nur durch genauso tiefe Sorge gebändigt wurde. Ich spürte, wie meine Gesichtszüge weich wurden.

"Eure Majestät, ich fand Prinzessin Jade erst kurz vor unserer Flucht. Ich weiß nicht, was sie davor erleiden musste. Aber selbst wenn ich es wüsste, seid ihr sicher Prinzessin Jade würde wollen, dass ihr dies erfahrt?"

Angespannt ballte er die Hände zu Fäusten.

"Ich bin ihr Bruder und ihr König, wenn sie mir nicht vertrauen kann, wem dann?"

Seine wütende Frage war an mich gerichtet, aber ich wusste, dass er sie auch sich selbst stellte. Kurz überlegte ich wie weit ich gehen konnte, um ihm verständlich zu machen, was Prinzessin Jade jetzt brauchte und kam zu dem Schluss, dass ihre Heilung wichtiger war, als zu vermeiden, dass der König wütend wurde.

"Ihr habt in meinen Erinnerungen gelesen. Ihr wisst, was mir damals wiederfahren ist."

Mein Themenwechsel verwirrte den König sichtlich. Er zog die Augenbrauen zusammen, wartete aber ab, was ich als nächstes sagen würde. Mir war nicht wirklich wohl dabei, dass Thema anzusprechen. Aber es würde ihm helfen besser zu verstehen.

"Nach diesem Vorfall fühlte ich mich unglaublich machtlos. Angreifbar. Und ... und ich hatte das Gefühl jeder könne mit mir machen, was er wolle..."

Meine Stimme brach als alte Bilder in meinem Kopf aufstiegen. Ein grinsendes Gesicht, dass spöttisch mit der Zunge schnalzte und dann einen Befehl gab, dem ich nicht entkommen konnte.

"Was hat euch geholfen?", fragte der König mit fast schon sanfter Stimme und holte mich damit zurück in die Gegenwart.

"Ich schwor mir nie wieder hilflos zu sein und entschloss mich auf die Militärakademie zu gehen, damit ich lernen konnte, wie ich mich verteidigte."

Ich seufzte.

"Es verdrängte die Albträume nicht vollständig. Aber zumindest hatte ich eine Aufgabe, auf die ich mich konzentrieren konnte."

Ich sah dem König fest in die Augen.

"Der beste Weg eurer Schwester zu helfen ist, ihr das Gefühl der Hilflosigkeit zu nehmen."

Er nickte bedächtig.

"Würdet ihr euch eventuell auch bereit erklären mit ihr zu reden? Sie möchte weder mir, noch Cyrian oder Rune erzählen, was ihr bei den Rebellen", er sprach das Wort aus als würde es ihn anwiedern, "angetan wurde."

In seinen Augen sah ich die pure Mordlust. Ich konnte ihn verstehen. Wäre Arwen entführt worden, wäre ich auch auf Rache aus.

"Ich kann gerne versuchen mit ihr zu reden. Ich weiß nur nicht, ob es etwas bringen wird."

Ich hatte sowieso vorgehabt sie aufzusuchen, um zu sehen, wie es ihr nach unserer Flucht ging. Ihr hohes Fieber hatte mir einen ziemlichen Schrecken eingejagt. Aber das würde ich dem König sicher nicht auf die Nase binden. Nickend stand ich auf.

"Ihr werdet mich zu ihr führen müssen. Ich bin mir nicht sicher ob ich ihr Gemächer finden würde. Und es wäre mir ziemlich unangenehm, wenn ich mich ein weiteres Mal verlaufen würde."

Bei der Erinnerung an das letzte Mal als ich mich verlaufen hatte, verzog ich das Gesicht. Das ganze hatte in einer Katastrophe geendet. Diesmal würde es hoffentlich anders laufen. Die Mundewinkel des Königs hoben sich leicht, als er zweifelsohne auch an den Vorfall dachte.

"Glaubt mir, meinem Bruder hat es nicht geschadet mal in die Schranken gewiesen worden zu sein", sagte er und erhob sich.

Ich musste mich zwingen bei seiner Größe nicht zurück zu treten. Es war nicht so, dass er mich ängstigte. Aber seine kräftige Gestalt war respekteinflössend. Gerade mit einem Gesichtsausdruck, der vollen Gehorsam forderte. In diesem Moment hatte er diese Miene zum Glück nicht aufgesetzt.

"Kommt ich bringe euch zu meiner Schwester."

Er ließ mir den Vortritt, hielt sich aber stets neben mir, um mir die Türen aufzuhalten. Wir durchquerten den leeren Thronsaal und verließen ihn wieder. Die Wachen verbeugten sich als der König vorbei schritt.

"Leben in diesem Schloss nur ihr und eure Geschwister?", fragte ich und versuchte mich mit der Frage auch von den Schmerzen in meinem Bein abzulenken.

Der König musterte mich einen Moment lang und schien genau zu sehen, wie sehr es mich anstrengte zu laufen. Aber glücklicherweise verkniff er sich jeden Kommentar.

"Die meiste Zeit im Jahr schon. Zur Ballsaison beherbergen wir aber auch oft einige Adlige für mehrere Monate. Eigentlich sollte sie vor einigen Wochen beginnen."

Er brauchte nicht extra zu erwähnen, dass die Ballsaison durch die Entführung der Prinzessin verschoben worden war. Wir waren bei den Treppen angelangt. Ich verzog das Gesicht. Warum musste dieses Schloss auch aus so unendlich vielen Stufen bestehen? Ich quälte mich die ersten Stufen hoch, als der König vor mich trat und mir den Weg versperrte. Verwirrt schaute ich ihn an.

"Lady Young, soweit ich mich recht entsinne hat der Heiler euch geraten das Bein möglichst nicht zu belasten. Bei meiner Bitte hatte ich nicht bedacht, dass ihr euch noch schonen solltet. Würdet ihr mir erlauben euch zu tragen, damit euch der Weg so zumindest etwas erleichtert wird?"

Verblüfft schaute ich ihn an. Damit hatte ich jetzt nicht gerechnet. Sein Angebot war sehr verlockend, vor allem wenn ich daran dachte die Treppen später wieder hinunter zu steigen. Allerdings hasste ich es Hilfe von anderen anzunehmen. Zumal ich ja schon noch laufen konnte, nur halt langsamer als gewöhnlich.

"Vielen Dank für das Angebot, aber ich denke ich werde es schon noch schaffen diese Treppe hinauf zu kommen", antwortete ich und lächelte um meine Ablehnng etwas abzumildern.

Trotz meiner Worte rührte sich der König vor mir nicht.

"Wollt ihr dass ich Ärger mit dem Heiler bekomme?", fragte er und verschränkte die Arme.

"Was?" Ich runzelte die Stirn. Warum sollte er Ärger mit dem Heiler bekommen.

Der König lehnte sich etwas zu mir nach vorne. Seine blaugrauen Augen blickten direkt in meine.

"Wenn sich die Heilung eures Beines verzögert, nur weil ich euch überredet habe durch das Schloss zu laufen, wird der Heiler nicht zögern mir die Schuld zu geben."

Ich lachte leicht auf. "Ihr seid der König, ihr habt nichts vor dem Heiler zu befürchten."

Gleich darauf biss ich mir auf die Lippe, da ich so frei heraus gesprochen hatte. Doch der König schien nicht verärgert, ganz im Gegenteil. Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich sagen meine Antwort amüsierte ihn.

"Wollt ihr es wirklich darauf ankommen lassen?"

Ich funkelte ihn an. Es sah nicht so aus als würde er sich in nächster Zeit vom Fleck bewegen.

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top