Kapitel 16

Ich folgte Kian ins Innere der Magierschule.

"Weißt du was für einen Unterricht deine Schwester jetzt hat?", fragte Kian mich.

Ich zuckte mit den Schultern.

"Keine Ahnung", antwortete ich ihm.

Er stöhnte genervt.

"Und wie sollen wir sie dann finden?"

"Vielleicht kann ich euch helfen."

Überrascht wandte ich mich zu der Treppe vor uns, auf deren oberen Absatz ein älterer Mann aufgetaucht war. Er trug seine weißen Haare lang und offen. Sein Bart war geflochten und mit Perlen verziert. Kluge Augen blitzten hinter seiner Brille auf.

"Meister Aoidh", sagte Kian und klang dabei genau so überrascht wie ich mich fühlte.

"Es ist eine Ehre Sie persönlich kennen zu lernen."

Kian verbeugte sich. Ich hatte keine Ahnung wer dieser Mann war, aber offenbar war er wichtig genug, dass Kian ihm Respekt entgegen brachte. Der Mann kam die Stufen hinunter. Für sein Alter bewegte er sich sehr geschmeidig.

"Du bist von der Garde des Königs", stellte er fest.
"Wie ist dein Name und was führt euch hierher?"

Kian richtete sich wieder auf und warf mir einen vorwurfsvollen Blick zu, weil ich mich nicht verbeugt hatte. Aber ich kannte diesen Mann nicht und keiner hatte mir vorher gesagt, wie ich mich zu verhalten hatte.

"Mein Name ist Kian Leroy und ich bin im Auftrag des Königs hier", plusterte Kian sich auf.

"Eigentlich", mischte ich mich ein, "suchen wir nur meine Schwester. Ich wollte sie gerne besuchen, wenn das möglich wäre."

Blaue Augen richteten sich auf mich.

"Und du bist?", wollte der Mann wissen.

Ich räusperte mich.

"Mariko Young und wer seid ihr?", fragte ich wirklich neugierig.

Kian schnappte erschrocken nach Luft, als hätte ich eine ungeheuerliche Frage gestellt. Ein Schmunzeln breitete sich auf dem Gesicht des älteren Mannes aus.

"Man nennt mich Meister Aoidh und ich leitete diese Schule", antwortete er mir bereitwillig.
"Eurem Namen nach ist eure Schwester Arwen Young. Habe ich recht?"

Verblüfft nickte ich.

"Ich weiß nicht, wo genau sie jetzt Unterricht habt. Aber wir können in den Innenhof gehen und auf sie warten. Dort kommen alle Schüler nach ihrem Unterricht lang."

"Das klingt gut", stimmte ich zu.

Er lächelte.

"Dann folgt mir."

Er drehte sich um und schritt voran, an der Treppe vorbei. Ich beeilte mich aufzuholen. Wir kamen an mehrere verschlossene Türen vorbei hinter denen ich Klassenzimmer vermutete.

"Kennt ihr alle Schüler mit Namen?", fragte ich Meister Aoidh. Er schüttelte den Kopf.

"Dazu sind es zu viele. Aber ich hatte eine sehr interessante Begegnung mit eurer Schwester. Ihr Name ist mir im Kopf geblieben."

Das klang sehr rätselhaft. Aber ich fragte nicht weiter nach. Solange es nichts Dramatisches war, hatte Arwen das Recht eigene Geheimnisse zu haben. Wir traten durch einen Torbogen nach draußen. Von außen war nichts dieses Innenhofes zu sehen gewesen. Überdachte Gänge verliefen an den Seiten des quadratischen Platzes. Aus allen Richtungen verliefen Wege in die Mitte zu einem Springbrunnen. Dazwischen lagen Rasenflächen mit Bänken. Meister Aoidh steuerte auf eine von ihnen zu.

Mit einer Handbewegung bedeutete er mir Platz zu nehmen. Sobald ich saß, setzte er sich neben mich. Ich achtete darauf noch Platz für Kian zu lassen, aber dieser sah aus als würde er sich eher den Arm abhacken, als sich neben mich zu setzen. Ich zuckte nur mit den Schultern.

"Wem oder was verdankt eure Schwester euren Besuch?", fragte mich Meister Aoidh.

Ich wandte mich zu ihm.

"Das ist eine lange Geschichte. Kurz gesagt, zwingen mich unglückliche Umstände im Palast zu leben. Ich habe Arwen versprochen sie einmal mit hinzunehmen."

Seine Augen funkelten.

"Lange Geschichten sind meistens die besten. Habt ihr etwas dagegen mir mehr zu verraten? Ihr kommt von der Militärakademie oder irre ich mich?"

Er nickte zu meinen Katanan.

"Das stimmt", antwortete ich, "am Tag meiner Abschlussprüfung gab es ein Attentat, in das ich verwickelt wurde. Ich musste mit in den Palast um eine Zeugenaussage zu machen. Und jetzt bin ich hier."

Meister Aoidh lächelte.

"Zagros ist eine schöne Stadt, wenn ihr vor habt noch länger zu bleiben, empfehle ich euch sie unbedingt anzuschauen."

Vermutlich hatte ich gar keine andere Wahl als noch länger hier zu bleiben. Zumindest so lange bis der König Zeit für mich fand.

"Ich werde euren Rat beherzigen", versprach ich ihm.

Ein Gong ertönte und in sekundenschnelle füllte sich der Innenhof mit Magierschülern. Meister Aoidh stand auf.

"Dann werde ich mich mal verabschieden. Solltet ihr jemals Fragen oder Probleme haben, scheut euch nicht zur Magierschule zu kommen. Ihre Türen stehen stets offen für Fragende und Suchende."

Mit dieser kryptischen Äußerung verließ er uns. Kian sah ihm ehrfürchtig hinterher.

"Mariko", ertönte ein Ruf.

Ich drehte mich um und sah meine Schwester mit freudestrahlendem Gesicht auf mich zu kommen.

"Ich habe dich gar nicht erwartet. Was machst du hier?"

Sie ließ ihre Tasche zu Boden fallen und umarmte mich. Ich drückte sie an mich.

"Ich dachte wir könnten den Tag zusammen verbringen. Wenn du möchtest, zeige ich dir auch noch den Palast."

Sie lachte.

"Machst du Witze? Natürlich möchte ich den Palast sehen."

Es tat so gut ihre unverfälschte Freude zu sehen. Es war fast wie früher als wir noch unzertrennlich gewesen waren.

"Ich habe noch zwei Stunden Unterricht, wenn du möchtest, frage ich die Lehrer ob du dich mit hineinsetzen darfst. Sie haben bestimmt nichts dagegen."

"Gerne", erwiederte ich.

Es tat gut, dass sie so viel Zeit wie möglich mit mir verbringen wollte.

"Soll ich deine Tasche tragen?", bot ich ihr an und nahm sie bevor Arwen protestieren konnte.

Überrascht schnaufte ich.

"Wie viele Bücher sind denn hier drin?", fragte ich scherzend und schlang den Riemen über meine Schulter.

Arwen wurde rot.

"Dort sind noch einige zusätzliche Bücher drin."

Also nicht nur die Schulbücher.

"Hast du Sorge, dass du im Stoff nicht mitkommst?", fragte ich sie während wir losgingen.

"Nein, das ist es nicht. Ich finde es nur faszinierend mehr zu erfahren über den Ursprung der Magie, wie sie funktioniert und so."

Das fand ich verständlich, wenn ich Magie hätte, würde ich mir diese Fragen wahrscheinlich auch stellen.

"Interessant, ich frage mich nur wie du es schaffst jeden Tag diese ganzen Bücher zu schleppen. Ich finde sie ja schon schwer."

Ich tat als würde ich taumeln. Arwen warf mir nur einen ungläubigen Blick zu.

"Quatsch, wahrscheinlich spürst du das Gewicht nicht mal."

Ich grinste sie nur an. Sie lächelte zurück.

"Wen hast du da eigentlich mitgebracht?", fragte Arwen und wandte sich zu Kian um, der leicht hinter uns lief.

"Das ist Kian", stellte ich ihn vor.

"Kian, das ist meine Schwester Arwen."

Er schaute finster.

"Was du nicht sagst", murmelte er.

"Seid ihr zusammen?", fragte Arwen ohne Scheu.

Kian fielen vor Schreck fast die Augen aus dem Kopf, sodass ich lachen musste.

"Nein, sind wir nicht", versicherte ich ihr.

"Er sollte nur mitkommen, um uns zu beschützen."

Sie krauste die Nase.

"Um dich zu beschützen, meinst du wohl. Schwebst du etwa in Gefahr?"

Ihr Blick war scharfsinnig und der Tonfall in ihrer Stimme ernst. Ich zögerte. Einerseits wollte ich sie nicht beunruhigen, andererseits konnte ich sie auch nicht anlügen. Mir kam wieder der fünfzackige Stern in den Sinn. Es gab eindeutig Leute, die wollten das einfache Menschen so wenig Rechte wie möglich hatten.

"Der Hintergrund des Attentats wurde noch nicht aufgeklärt. Bis dahin möchte der Palast kein Risiko eingehen. Aber ich bin mir sicher, dass es nicht gegen mich persönlich gerichtet war."

Ihr gefiel meine relativ wage Antwort nicht, aber sie ließ es so stehen.

"Habt ihr Einzelzimmer oder müsst ihr euch eins teilen?", fragte ich, um sie wieder zum Reden zu bringen.

"Das konnten wir uns aussuchen. Ich teile mir ein Zimmer mit Eilis. Sie hat jetzt anderen Unterricht als ich. Aber vielleicht sehen wir sie nachher kurz, wenn ich die Tasche in mein Zimmer bringe."

Arwen klang als würde sie sich gut mit dem anderen Mädchen verstehen. Ich hoffte, sie fand hier auf der Schule einen genauso guten Freund wie ich ihn auf der Akademie in Jaron gefunden hatte. Wir erreichten eine offene Flügeltür. Arwen ging vor, Kian und ich folgten. Wir betraten einen hellen Saal.

Die Decke war ziemlich hoch und mit Malereien verziert. Die Fenster waren bogenförmig. Am außergewöhnlichsten war das eingesetzte Glas. Es war nicht glatt, sondern gebrochen, sodass die Sonnenstrahlen ein außergewöhnliches Muster auf den Boden malten. Tische und Stühle waren nicht wie üblich hintereinander aufgestellt worden, sondern bildeten eher einen lockeren Halbkreis.

Einige Schüler saßen schon auf ihren Plätzen. Neugierig schauten sie zu uns. Arwen ging zu einer Frau, die an der Seite saß und ein Buch laß. Sobald sie Arwen bemerkte, schob sie ein Lesezeichen zwischen die Seiten, klappte das Buch zu und stand mit einem Lächeln auf. Arwen sprach kurz mit uns und deutete zu Kian und mir. Die Frau nickte. Arwen lächelte und kam dann wieder zu uns.

"Professorin Glyn hat nichts dagegen, dass ihr in ihrem Unterricht sitzt. Sie bittet sogar darum, dass ihr euch genauso frei äußert wie die anderen Schüler."

Ich runzelte die Stirn. Das klang so anders wie normaler Unterricht. Arwen bemerkte meine Verwirrung.

"Professorin Glyn hat eine besondere Art zu unterrichten. Ihr werdet es im Laufe der Stunde bemerken."

Ich warf einen kurzen Blick zu Kian. Er schien genauso skeptisch zu sein wie ich, vor allem nach Arwens merkwürdiger Aussage. Sie führte uns zu einem Tisch am Rand und rutschte zur Mitte durch. Ich setzte mich neben sie und nach kurzem Zögern nahm auch Kian neben mir Platz. Langsam trudelten alle Schüler ein. Als ein erneuter Gong ertönte schloss Professorin Glyn die Tür und trat vor die Schüler.

"Schön, dass ihr alle zum Unterricht erschienen seid. Heute beschöftigen wir uns mit einem ganz besonderen Thema. Unsere Gesellschaft liebt es die Welt zu teilen, in gut und böse, arm und reich, Magier und Mensch. Wenn es diese Unterteilungen nicht gäbe, wie würde unsere Welt dann aussehen?", begann sie ihren Unterricht.

Für einen Moment herrschte Stille. Dann ertönte aus der hinteren Reihe ein spöttisches Schnauben. Ich wandte mich um. Ein dunkelhaariger Junge lehnte mit verschränkten Armen auf seinem Stuhl. Seine ganze Aura drückte eine Aggression aus, die andere Menschen dazu veranlasste sich von ihm fernzuhalten. Professorin Glyn ließ sich davon nicht einschüchtern.

"Ja, Wace? Möchtest du etwas dazu sagen?"

Der Junge schnaubte noch einmal.

"Nein, weil es sinnlos ist darüber zu diskutieren."

Er kippte seinen Stuhl nach hinten und balancierte lässig auf den zwei Stuhlbeinen.

"Inwiefern ist das sinnlos?", bohrte Professorin Glyn nach ohne sein Verhalten zu kommentieren.

Mit einem lauten Rums landete der Stuhl wieder auf dem Boden.

"Weil wir alle, egal ob Mensch oder Magier, immer alles und jeden in Schubladen stecken und verurteilen."

Er machte eine kurze Pause, um das Gesagte wirken zu lassen.

"Das was Sie genannt haben sind nur Begriffe für das, was in unseren Köpfen vorgeht. Gäbe es sie nicht würden wir trotzdem nicht aufhören die Welt zu unterteilen."

Die Schüler hatten den Schlagabtausch zwischen dem Jungen und Professorin Glyn gespannt verfolgt.

"Kann es nicht auch positiv sein diese Unterteilungen zu haben?"

Überrascht sah ich Arwen an, die diese Frage gestellt hatte. Professorin Glyn wandte sich zu ihr.

"Wie genau meinst du das?", fragte sie interessiert.

Arwen fühlte sich sichtlich unwohl nun im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit aller zu stehen. Aber sie setzte sich gerade hin und hohlte tief Luft.

"Gäbe es diese Unterteilungen nicht würden wir keine Unterschiede sehen. Dabei können uns genau diese Unterschiede weiter bringen. Was der eine nicht kann, macht der andere. Wenn wir voneinander lernen würden, könnte das unsere Gesellschaft viel stärker machen, ein Geben und Nehmen."

"Mir gefällt dein Gedanke, möchte sich jemand dazu äußern?" Professorin Glyn wandte sich einem anderen Mädchen zu, dass sich meldete.

Sichtlich erleichtert nicht mehr reden zu müssen, lehnte sich Arwen zurück. Ein Knarzen erregte meine Aufmerksamkeit und ich wandte mich zu dem Jungen um. Er schien mit seinem Blick Arwen durchbohren zu wollen. Als ich mich umdrehte, wanderte sein Blick zu mir. Er schenkte mir ein spöttisches Lächeln und schüttelte dann verächtlich den Kopf ehe er sich abwandte. Ich beugte mich zu Arwen.

"Macht dir der Junge Probleme?", fragte ich flüstern.

Verwirrt sah sie mich an bis ich mit dem Kopf nach hinten nickte.

"Du meinst Wace?"

Ich nickte. Sie schüttelte den Kopf.

"Nein, er hält mich nur für naiv und kindlich."

Ihre Stimme klang resigniert.

"Dummkopf", murmelte ich, was ihr ein schwaches Lächeln auf die Lippen zauberte.

Ich stupste sie mit der Schulter an.

"Lass dir von ihm nicht die Laune verderben und vergiss nicht, dass du heute noch den Palast sehen darfst."

Wie erhofft leuchteten ihre Augen diesmal vor Freude richtig auf. Zufrieden lehnte ich mich wieder zurück und lauschte dem Rest von Professorin Glyns Unterricht.

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top