Blaue Katzenaugen fixierten mich. Ich erstarrte. Auf dem Ast über mir räkelte sich ein weißer bengalischer Tiger der Prinzessin. Er riss den Mund auf und gähnte. Die großen, weißen Zähne blitzten auf. Es schien als würde er mich auslachen. Ich wagte es nicht einen Muskel zu bewegen. Er richtete sich auf und sprang vom Ast, genau vor mich. Ich Widerstand der Versuchung zurück zu weichen. Der Tiger war so groß, dass er mich ohne Mühe nieder ringen könnte. Träge begann die große Raubkatze mich zu umkreisen. Ich drehte mich mit ihr. Jeden Moment rechnete ich mit einem Angriff.
"Nahla", ertönte ein Ruf nicht weit von hier.
Der Tiger spitzte die Ohren und wandte sich in die Richtung aus der der Ruf gekommen war. Auch ich schaute in diese Richtung ohne die Raubkatze dabei aus den Augen zu lassen. Die Prinzessin tauchte auf dem Weg auf. Überrascht blieb sie stehen.
"Das habe ich nicht erwartet", murmelte sie.
Sobald der Tiger die Prinzessin erblickte, verlor er jedes Interesse an mir, gab seine Lauerstellung auf und trottete zu der Prinzessin. Ich sah ihm nach. Die Prinzessin trug ausnahmsweise kein Kleid, sondern eine Hose. In einem schlichten jadegrün fiel sie locker an ihr herab, sodass es schon wieder fast wie ein Rock aussah. Zarte Stiefel mit hohen Absätzen ließen ihren Aufzug weicher wirken. Das Oberteil war bauchfrei mit langen Ärmeln. An ihren Handgelenken klimperten Armbänder. Ihre Haare waren offen und wurden nur von einem goldenem Netz aus ihrem Gesicht gehalten. Ich hatte mir noch nie Gedanken gemacht, was Prinzessinen anzogen, wenn sie nicht in der Öffentlichkeit unterwegs waren. Jetzt hatte ich die Antwort.
"Entschuldige", sagte die Prinzessin, "du bist Mariko, richtig?"
Ich nickte.
"Mein Name ist Jade und das", sie deutete auf die weiße Raubkatze, welche um ihre Beine strich, "ist Nahla, eine ausgezeichnete Jägerin."
Als hätte die Tigerin sie verstanden, schmiegte das Tier seinen Kopf an die Hand der Prinzessin. Die Prinzessin ignorierte das.
"Eigentlich weiß sie, dass sie keine Menschen jagen darf."
Die Tigerin, Nahla, gab ihre Schmeicheleien auf und schlich davon. Ich sah ihr nach bis sie zwischen den Büschen verschwunden war. Dann wandte ich meine Aufmerksamkeit der Prinzessin zu.
"Entschuldigt, ich wusste nicht, ob der Garten betreten werden darf. Ich nahm es nur an, weil das Tor offen war."
Die Prinzessin nickte.
"Meine Mutter hat den Garten zu ihren Lebzeiten angelegen lassen. Es sollte ein Ort für jedermann werden, wo man sich treffen und entspannen konnte. Nach ihrem Tod kamen nur noch meine Geschwister, ich und der Gärtner hier her."
Ich hatte nicht erwartet, dass die Prinzessin so offen sein würde, vor allem einer Fremden gegenüber.
"Würdet ihr mich ein Stück begleiten?", bat mich die Prinzessin.
Sofort wurde ich misstrauisch. Prinzessin Jade war also nicht ohne Grund so freundlich. Sie wollte etwas von mir. Bis jetzt hatte sie mir aber keinen Grund gegeben abzulehnen. Also nickte ich nur und schloss zur Prinzessin auf als diese sich umdrehte und den Weg weiter ging.
"Ihr fragt euch sicher, warum ich euch so viel erzähle", begann die Prinzessin als hätte sie meine Gedanken gelesen.
"Das liegt daran, dass ich auch Fragen an euch habe. Ich hoffe, dass ihr euch entscheidet sie mir zu beantworten, wenn ich im Gegenzug auch etwas von mir preisgebe", fuhr sie fort.
Ich war verblüfft.
"Mein Leben ist nicht besonders interessant, Prinzessin. Ich wüsste nicht, was ich euch großartig erzählen kann."
Die Prinzessin lachte leise.
"Glaubt mir, jeder im Palast hat inzwischen von euch erfahren und will zumindest ein bisschen mehr wissen."
Ich zuckte nur mit den Schultern.
"Ich weiß wirklich nicht, was ich euch erzählen soll. Die letzten zehn Jahre habe ich in der Akademie gelebt, davor im Haus meines Vaters. Meine Mutter ist gestorben als ich noch ganz klein war. Ich erinnere mich nicht an sie. Ich habe eine Halbschwester Arwen. Ihre Mutter ist die Lieblingsfrau meines Vaters."
Es war nicht ungewöhnlich, dass mein Vater mehrere Frauen hatte. Diese Tradition war weit verbreitet. Obwohl es auch Ausnahmen gab. Soweit ich mich erinnerte, hatte der vorige König nur eine Frau gehabt und war ihr bis zum Lebensende treu geblieben.
"Arwen ist nur zwei Jahre jünger als ich. Sie wurde auf der Magierschule hier in Zagros aufgenommen. Ich hatte vor, sie in den nächsten Tagen besuchen zu gehen und ihr, wenn es erlaubt ist, den Palast zu zeigen."
Ich verstummte, weil ich nicht mehr wusste, was ich noch erzählen konnte.
"Das klingt als würdet ihr euch sehr nahe stehen", schloss die Prinzessin.
Tatsächlich hatte es eine Zeit gegeben, in der wir unzertrennlich gewesen waren. Mit meinem Fortgang hatten wir uns aus den Augen verloren. Ich machte mir nichts vor. Das lag vor allem an mir. Selbst wenn wir von der Akademie aus frei bekommen hatten, waren meine Besuche Zuhause selten gewesen.
"Warum seid ihr auf die Akademie gegangen? Ich an eurer Stelle hätte wahrscheinlich eine Ausbildung angefangen oder wäre studieren gegangen."
Viele hatten mich das gefragt, auch mein Vater. Es gab renomierte Universitäten auch für Menschen. Ich war der Frage stets ausgewichen, weil der Grund mir heute noch Alpträume bescherte.
"Es kann sehr gefährlich für Menschen in einer Welt voller Magie werden ", begann ich vorsichtig.
Ich wollte nicht zu viel von mir verraten, aber die Prinzessin hatte irgendetwas an sich. Mein Gefühl sagte mir, dass ich ihr vertrauen konnte.
"Vor allem, wenn man von Magiern umgeben ist", setzte ich noch hinterher.
Dann schwieg ich. Ich hatte mich entschieden auf die Akademie zu gehen, um nie mehr hilflos zu sein, um mich wehren zu können. Zu diesem Zeitpunkt war das mein einziger Wunsch gewesen. Ich schüttelte die düsteren Erinnerungen ab.
"Wie nahe steht ihr euren Brüdern?", wechselte ich das Thema und wandte mich zu Prinzessin Jade um.
Erst jetzt bemerkte ich, dass sie mich die ganze Zeit beobachtet hatte und vermutlich auf weitere Erklärungen meinerseits gehofft hatte. Aber sie sagte nichts zu meinem Themawechsel, sondern lächelte einfach nur.
"Ich denke näher könnten sich Geschwister nicht stehen", antwortete sie.
"Wir tragen die gleiche Bürde. Das schweißt zusammen."
Ich konnte mir vorstellen, dass ihr Leben viel komplizierter war als meins und eigentlich gar nicht verglichen werden konnte. Doch die Prinzessin sah nicht so aus als wäre sie unglücklich.
"Allerdings", setzte sie an und krauste die Stirn, "ist es manchmal gar nicht so einfach das einzige Mädchen zu sein. Sie lassen mir alles durchgehen und selbst, wenn ich etwas Dummes mache, sind sie nicht streng. Erst wenn es um meine Sicherheit geht, hört der Spaß auf. Dann schließen sie sich zusammen und ich komme nicht gegen sie an."
Sie seufzte.
"Ich habe es schon lange akzeptiert und oft bin ich auch ihrer Meinung, aber durch ihre bestimmende Art habe ich manchmal den Drang einfach aus Prinzip zu widersprechen."
Ich nickte verstehend. Das konnte ich mir ziemlich gut vorstellen. Den Rest des Weges schwiegen wir. Der Garten öffnete sich und der Palast tauchte hinter den Bäumen auf. Der Pfad führte zu einer Tür, die in den Palast führte.
"Sieht aus als wäre meine Pause vorbei", bemerkte die Prinzessin.
Sie drehte sich zu mir um.
"Es hat mich gefreut dich kennen zu lernen. Fühl dich frei so oft wie du möchtest her zu kommen. Nahla wird dich nicht noch einmal belästigen."
"Vielen Dank", sagte ich höflich, "ihr habt mir eine große Ehre erwiesen."
Ich glaubte nicht, dass die Prinzessin jedem so viel über sich verriet. Ich verbeugte mich leicht. Die Prinzessin winkte ab.
"Euer Leben ist eindeutig interessanter als meins."
Sie wandte sich um.
"Ach, bevor ich es vergesse..."
Die Prinzessin drehte ihren Kopf zu mir und lächelte mich an.
"Ich hoffe ihr verzeiht meinem Bruder. Er ist manchmal etwas ungestüm, trägt sein Herz aber auf dem rechten Fleck."
Sie zwinkerte mir zu. Bevor ich etwas erwidern konnte, drehte sie sich um und verschwand im Palast. Es raschelte rechts von mir. Die Tigerin trat aus dem Gebüsch, schaute mich einmal kurz an und schlüpfte dann durch die Tür in den Palast bevor sie zu fallen konnte. Ich schüttelte den Kopf und machte mich dann auf den Rückweg. Diese Begegnung war mehr als seltsam gewesen.
Ich verließ den Palastgarten, überquerte den Hof und stellte mich an den Rand, um den trainierenden Soldaten zu zuschauen. Maede und Arjan schienen sich gut eingegliedert zu haben. In einer kurzen Pause standen sie bei den anderen Soldaten und lachten mit ihnen. Nur einer schien darüber nicht sehr glücklich zu sein. Kian Leroy stand etwas abseits. Er hatte den Kampf gegen Maede gewonnen, sie aber zum Anfang unterschätzt. Mit finsterem Gesichtsausdruck beobachtete er Maede und Arjan.
Das Training ging weiter. Auch wenn er weder mit Maede, noch mit Arjan trainierte, hellte sich seine Miene nicht auf. Aber außer, dass er schlechte Laune verbreitete, tat er nichts. Der Tag verging ereignislos. Ich aß wieder in der Küche Abendbrot und ging dann auf mein Zimmer. Zur Sicherheit kontrollierte ich, ob meine Katana noch da waren und legte mich dann ins Bett. Ich hatte mich viel zu schnell an das bequeme Bett gewöhnt. Ohne irgendwelche Probleme schlief ich sofort ein.
Der nächste Tag versprach interessanter zu werden als ich gedacht hätte. Am Morgen hatte ich beschlossen meine Schwester zu besuchen. Eigentlich hatte ich Hauptmann Belan nur gesucht, um nach dem Weg zur Magierschule zu fragen. Stattdessen hatte er mir eine Begleitung aufs Auge gedrückt, eine sehr schlecht gelaunte Begleitung.
"Ich bin der Garde des Königs beigetreten, um mein Land und den König zu beschützen, nicht um das Kindermädchen für irgendjemanden zu spielen", regte Kian Leroy sich auf.
Dabei war Hauptmann Belan gar nicht mehr hier, um seine Beschwerde zu hören. Ich wusste nicht, warum der Hauptmann ausgerechnet ihn ausgesucht hatte, aber er ging mir jetzt schon auf die Nerven.
"Dann bleib halt hier. Du darfst dich nur nicht beim Faulenzen erwischen lassen", erwiederte ich und ging einfach los.
Diesmal hatte ich meine Katana umgeschnallt, immerhin würde ich das Palastgelände verlassen. Auch wenn ich zum Schutz sogar jemanden an der Seite hatte. Trotz seines offensichtlichen Widerwillens folgte Kian mir. Wir überquerten den Schlosshof bis zum Tor. Zwei Wachen standen davor, eine öffnete für uns eine kleine Nebentür. Ich bedankte mich höflich und trat nach draußen und obwohl ich nicht wirklich eingesperrt gewesen war, fühlte es sich an als würde ich zum ersten Mal seit Tagen wieder frei sein.
Für einen Moment hielt ich inne und schaute zu der Stadt, dessen Straßen sich vor uns ausbreiteten. Die Menschen waren auf der Straße. Händler hatten ihre Stände aufgebaut. Während die Erwachsenen ihre Ware aussuchten, spielten die Kinder zwischen ihnen. Zagros war die Königsstadt. Damit war sie nicht nur die größte, sondern auch die meist besuchte. Alleine hätte ich mich wohl verlaufen. Kian stapfte an mir vorbei.
"Dann komm", brummte er.
Ich folgte ihm in die lärmende Stadt. Staunend sah ich mich um. Hier war alles so viel größer und beeindruckender, als ich gewohnt war, die Häuser und Straßen, der Markt, die Menschenmengen. Ich musste aufpassen Kian nicht aus den Augen zu verlieren. Er lief durch die Straßen ohne sich einmal umzusehen, und dass obwohl er sehr wohl Aufmerksamkeit in seiner Uniform erregte. Vor allem die Kinder blieben wie angewurzelt stehen, wenn sie ihn sahen und schauten bewundernd zu ihm auf.
Wir liefen eine ganze Weile und überquerten sogar eine Brücke, welche über einen Kanal führte. Das Wasser sah wunderbar klar aus. Es war ein sehr romantischer Ort. Ich sah mehrere Blumenhändler und viele Pärchen, welche am Wasser entlang spazierten. Schließlich erreichten wir unser Ziel. Nicht weit vom Kanal stand ein altes, steinerndes Gebäude. Im Gegensatz zu den anderen Häusern war es flach und gedrungen, dafür aber ziemlich lang und breit. Zwei Säulen trugen das Vordach. Wir stiegen drei Stufen hinauf und an den Säulen vorbei. Kian trat an die verzierten Flügeltüren und legte seine Hand auf etwas, dass wie ein Drachenkopf aussah.
Ich runzelte die Stirn und wollte ihn schon fragen, was das sollte als der Drache plötzlich die Augen aufschlug. Ich erstarrte. Das Holz schien plötzlich lebendig zu werden. Leuchtende Linien breiteten sich über die ganze Tür auf. Nach einem kurzen Moment schloss der Drache die Augen wieder und das Leuchten verblasste. Ein Knarren ertönte und die Holztüren schwangen wie von selbst auf.
"Was war das?", fragte ich und trat neben Kian.
Verblüfft schaute ich ins Gebäudeinnere. Kian warf mir einen abschätzigen Blick zu.
"Nur jemand mit guten Absichten kann die Magierschule betreten", erklärte er großspurig.
Dann trat er ein.
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