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Liebe ist grauenhaft. So und nicht anders sollten die berühmten Romane und kitschigen Romanzen von irgendwelchen Autoren anfangen, damit den jungen Mädchen da draußen nicht unnötigerweise Hoffnungen gemacht werden und sie bis an ihr Lebensende auf den hübschen Prinz und sein weißes Ross, gegebenenfalls auch ein schöner Audi, warten. Denn bevor dieser auftaucht, müssen einige Hürden überwunden werden, die das gläserne, kleine und sensible Herz einer Frau überhaupt nicht überstehen wird.

Ich würde lügen, wenn ich sagen würde, ich hätte bereits meinen Traumprinzen gefunden und würde glücklich verlobt in einer Zwei-Zimmer-Wohnung mit ihm gemeinsam leben, denn dieser hatte sich netterweise in seinen schönen Audi gesetzt und war kurze Zeit später auf und davon. Jetzt stehe ich allein in der ebenfalls grausamen Welt, mit einem gefundenen, aber verschollenen Traumprinzen. Und ich würde auch lügen, wenn ich sagen würde, dass mein gläsernes, kleines und sensibles Herz dies heil überstanden hat, nein. Es liegt zertrümmert und in kleinste Stücke zerbrochen neben meinem mit Schnaps gefüllten Shotglas, welches meinem Herzen wohl einen kleinen Besuch abstatten wollte.

"Olivia, du solltest heim. Es reicht für heute", höre ich Joey sagen, der vor mir an der Bar steht und mir einen besorgten Blick zuwirft, während er mit einem rosa karierten Geschirrtuch seine frisch gespülten Biergläser abtrocknet.

Ich lache hysterisch auf und winke ab. "Ach Quatsch, mir geht es gut."

Joey seufzt und stellt das Glas auf den Thresen, um einen kleinen Handbesen zu holen. "Dann schaffst du es auch bestimmt, die Scherben zu beseitigen, oder?", fragt er und grinst dabei leicht. Ich nicke und greife nach dem knallroten Stiel des Besens. Er beobachtet mich amüsiert bei meinen verzweifelten Versuchen, die nassen Scherben in den Behälter zu bekommen.

"Das ist jetzt wirklich nicht mehr lustig, gib schon her", meint er schließlich und kommt zu mir. Währenddessen sammelt sich eine kleine Menge an Gästen vor der Kasse, die nun wegen meinem kleinen Unfall eine kurze Zeit auf ihre Rechnung warten müssen.

Joey ist einer dieser Barbesitzer, die lieber alleine in ihrer Bar arbeiten und dafür sicher wissen, dass alles richtig läuft. Eigentlich ist Joey keiner dieser Barbesitzer, die wirklich Barbesitzer sein sollten.

Joey Wildorff war, mit mir, einer der besten Schüler des Jahrgangs. Während ich ihn immer für seine Intelligenz und seinen Ehrgeiz bewundert habe, hat er mich nur als lästiges Ding gesehen, die ihm die Show zum nächstmöglichen Zeitpunkt stehlen will. Wir beide haben dann schließlich die High School mit einem überaus guten Durchschnitt und dem Wunsch nach einem Studium verlassen. Er wollte in Richtung Medizin gehen, während für mich immer etwas mit Architektur oder Literatur in Frage kam.

Und nun stehen wir beide hier, er hinter dem Thresen in einer alter, heruntergekommenen aber durchaus gemütlichen, eigenen Bar und ich, arbeitslos und als sein treuster Stammkunde.

"Ich rufe dir ein Taxi, mit dem du nach Hause kommst. Für heute ist Schluss", meint er und setzt einen Blick auf, der keine Widerrede duldet. Wie ein kleines Kind mache ich einen Schmollmund und lasse mich auf den Barhocker nieder.

Ich beobachte Joey beim Abkassieren der Leute, die Leute beim Geld auf den Tisch knallen und die Gläser beim Glänzen. Kurze Zeit später betritt ein Kerl mittleren Alters die Kneipe und sieht sich nach mir um.

"Ich soll jemanden abholen", sagt er zu Joey und dieser nickt wissend, bevor er mit dem Finger auf mich zeigt. "Die Dame mit der roten Bluse auf dem Barhocker dort. Die Rechnung geht auf mich, ihre Adresse habe ich ihnen bereits genannt."

Völlig hilflos sehe ich die beiden an, doch Joey beruhigt mich. "Dein Taxi."

Seufzend packe ich meine Jacke und laufe schwankend auf den Fahrer zu. "Wissen Sie, ich will eigentlich nicht heim, aber der Typ dort ist einfach nur ein verdammter Spaßverderber", sage ich beleidigt und laufe Richtung Ausgang. Ich höre die Schritte des Fahrers kurze Zeit später hinter mir.

"Der Wagen steht dort, Miss", stoppt er mich und zeigt dabei in die entgegengesetzte Richtung. Alles, was ich hervorbringen kann, ist nur ein jämmerliches 'Oh'. Ich kratze meinen letzten Stolz zusammen und laufe mit erhobenen Haupt in die richtige Richtung.

Er hält mir sogar netterweise die Autotür auf und hilft mir dabei, mich hinzusetzen, ohne mir den Schädel an jeder Ecke anzuschlagen. Und dann sitze ich dort, auf dem Beifahrersitz eines Fremden, wie ein mickriges Häufchen Elend. Es ist ungewohnt, wieder mal in einem Wagen zu sitzen, denn mein spärliches Arbeitslosengeld erlaubt mir keinen Wagen und somit muss ich alle meine Wege seit einem Jahr zu Fuß antreten.

Mein Taxifahrer steigt ebenfalls ein und fährt schließlich los. Die Lichter meiner kleinen, mickrigen Heimatstadt, die ich bis jetzt gerade mal zwei Mal in meinen zwanzig Lebensjahren verlassen habe, ziehen an mir vorbei. "Übrigens liegen im Handschuhfach Kotztüten, falls Sie welche brauchen."

Ich lache auf und winke ab. "Nein nein, das habe ich mir abtrainiert. Vollkommend geldverschwendend, wenn das gute Zeug wieder ausgekotzt wird", meine ich und tief, irgendwo ganz tief in mir drin, fange ich an, mich zu schämen.

Er nickt nur verwirrt und ich bemerke, dass wir uns meiner Wohngegend nähern. Der Kilometerzähler zeigt 7 Dollar an und ich komme zu dem Entschluss, dass ich dieses Mal die Kosten übernehme.

"Ich bezahle übrigens, sie können die Rechnung auf mich ausstellen", informiere ich den Kerl. Er sieht mich stutzig an. "Mister Wildorff hat gesagt, er bezahlt es."

Energisch winke ich ab. "Hören Sie, es ist meine Fahrt. Ich bezahle."

Er hält vor meinem Haus und ich krame nach meinem spärlich befüllten Geldbeutel. 8 Dollar und ein paar Zerquetschte hat es zu bieten und nach dem Verlassen des Wagens muss ich mich wohl oder übel mit den Zerquetschten zufrieden geben.

Eine Weile dauert es, bis ich schwankend und von Schwindel gepackt meinen Schlüssel aus der Jackentasche kramen kann und dann endlich im Treppenhaus stehe. Meine Wohnung befindet sich glücklicherweise im Erdgeschoss, weshalb mir das elendige Treppensteigen erspart wird.

Ich öffne meine Haustür und schmeiße meine Jacke unachtsam auf den Boden. So etwas wie Ordnung gibt es bei mir schon lange nicht mehr, was wohl auch daran liegt, dass ich mit der nervigen, russischen Hausfrau, die meine Mutter sich engagiert hat, aufgewachsen bin.

Ich tapse in mein dunkles Bad und schalte das Licht an. Ich sehe mich, aber ich sehe schon lange nicht mehr aus wie ich.

Schnell schminke ich mich ab und lege mich schließlich in mein Bett, welches auch mal wieder frisch bezogen werden sollte. Alles dreht sich, selbst mit geschlossenen Augen und ich fühle mich wie in irgendeinem überteuerten, total kranken Fahrgeschäft.

Seufzend komme ich zu dem Entschluss, dass aus Schlafen heute noch nichts wird und sehe mich in meinem vom Mondlicht leicht erhellten Zimmer um. Mein Blick fällt auf den dunkelblauen, mit einer Staubschicht bedeckten Bilderrahmen, welches das Bild meines Abschlussballs zeigt. Ich, mit einer wunderschönen Frisur und einem rosanen Kleid und Tyler, wie immer gutaussehend und in einem Anzug.

Tyler. Unfair, wenn selbst der Name des Traumprinzen so perfekt klingt.

Man hat mir auch nach seinem plötzlichen Verschwinden Hoffnungen gemacht und gemeint, er würde wieder auftauchen. Und nach einer kurzen Zeit wurde gesagt, ich solle es vergessen und mich den neuen, guten Dingen widmen.

Doch selbst nach 378 Tagen, nicht das ich die Tage zählen würde, wache ich nachts auf, weil ich von ihm träume.

Ein gebrochenes Herz, oder auch bekannt als Liebeskummer. Verbunden mit der Definition 'wenn eine geliebte Person, mit der man die besten Erinnerungen hatte, zur Erinnerung wird'.

Liebeskummer ist unfassbar rücksichtslos und unverschämt, das ist es. Es hat mich nämlich nicht gefragt, ob ich einverstanden damit bin, dass es auftaucht und Tyler zur Erinnerung wird.

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Irgendwie bin ich zufrieden, aber auch unzufrieden. Ich weiß nicht, was ich davon halten soll.

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