(8) Geheimnisse über Geheimnisse

Gina grinst nur verlegen und hat alle Hände voll zu tun, den schwankenden und blinzelnden Kollegen aufrecht zu halten.
„Er verträgt viel, aber das Zeug haut ihn um", erklärt sie lächelnd.
„Ich glaube eher, ihr habt uns verarscht. Ihr seid Schnüffler!", brüllt der große Mann und der Türsteher will schon auf sie losgehen.
Gina reagiert schnell. Sie drückt Jackson zurück auf den Stuhl und tritt gleichzeitig zur Seite aus nach dem kantigen Typen.

Dieser schwankt stöhnend rückwärts und kracht gegen einen Schrank. Der nächste Angreifer will sich auf sie stürzen. Nur ist Gina kleiner und schneller. Sie bringt die vollgedröhnten Muskelpakete mit Leichtigkeit aus dem Gleichgewicht. David ist ziemlich außer Gefecht. Also muss sie sich irgendwie alleine durchsetzen. Sie hat ja schon geahnt, dass das nicht gut ausgeht.

Wie kann er auch einfach so eine völlig unbekannte Droge ausprobieren?
Ist er wahnsinnig oder einfach nur lebensmüde?
Im Augenblick kann sich Gina keinen Kopf darum machen.
Der Blonde rappelt sich wieder auf und rollt bedrohlich auf sie zu. Gina hebt die Fäuste in ihrer Kampftechnik und hält ihn geübt auf Abstand. Der nächste kommt von hinten. Wunderlich ist nur, dass keiner von ihnen eine Waffe zückt. Das einzige, was der Türsteher von zuvor heraus holt, ist ein Taschenmesser.

„Jackson!", ruft sie ihren Kollegen. „Reißen Sie sich mal zusammen, Jackson!"
Dieser reagiert sofort. Augenblicklich ist er auf den Beinen und entwaffnet den Mann. Gina muss sich beherrschen ihn nicht gleich wieder anzubrüllen. Wie lange hat er noch den Benommenen spielen wollen? Sie schenkt ihm bei nächster Gelegenheit nur einen vorwurfsvollen Blick und konzentriert sich dann wieder auf die sechs Gegner.

Sie werden mit der Zeit irgendwie immer fitter. Höchste Zeit zu verschwinden, denkt sie sich. Jackson ist wohl der gleichen Ansicht, denn er kommt der Tür immer näher. Gina findet ihn höchst eigenartig. Was bezweckt er bitte mit dieser kleinen Showeinlage?

Zumindest hat er einen ziemlich kräftigen Schlag drauf. Leider nützt die starke Faust ihm nicht mehr viel, als sie auf den Flur kommen. Ein Dutzend bewaffneter Männer kommt ihnen die Treppe rauf entgegen.
„Oh-oh."

„Sie sprechen mir aus der Seele", antwortet Jackson und dreht auf dem Absatz um. Er überrascht Gina ein weiteres Mal, als er ihre Hand nimmt und in die entgegengesetzte Richtung eilt. Dort haben sie auch Hindernisse zu bewältigen. Einige leicht bekleidete, aufgetakelte Frauen weichen ihnen sprunghaft aus und machen auch den Verfolgern Platz, die inzwischen ohne Rücksicht auf Verluste das Feuer eröffnen.
Zum Glück wird niemand verletzt.

„Haben Sie eine Ahnung wo Sie hinrennen?"
Natürlich gibt ihr Jackson keine Antwort.
Sie laufen durch die schmalen Flure des Gebäudes, suchen sich Deckung, wenn nötig, und sehen zu möglichst schnell außer Schussweite zu kommen.
„Sie sind verrückt!", ruft sie beim Laufen. „Einfach verrückt!"
„Nicht verrückter als Sie, Detektive Baley. Oder warum sind Sie nochmal hier?"
Er hat einen Punkt, nur würde Gina das nicht jetzt mit ihm diskutieren.

Ihre Halbstiefel klappern stumpf über die Steinstufen nach unten. Noch immer zieht Jackson an ihrem Arm.
Er weiß wohl genau wohin er läuft, als ob er den Gebäudeplan in seinem Kopf hätte. Gina lässt sich von ihm kommentarlos aus dem Gebäude führen. Nur als einer ihrer Verfolger ihnen zu nahe kommt, müssen sie sich trennen und Schutz suchen. Wildes Herumballern kann ihnen den Kopf kosten.

„Baley!", ruft er nur knapp, als sich einer der Muskelprotze von hinten auf sie stürzen will.
Sie regiert dank der Warnung rechtzeitig und tritt ihm mit voller Wucht in den Bauch.
„Erinnern Sie mich daran, nie wieder Ihren Mist mitzumachen ohne wenigstens eine Waffe dabei zu haben", meckert sie und prustet etwas angestrengt während sie für einen Hakenschlag ausholt und dem Zweiten die Waffe aus der Hand schlägt.

„Ich habe Sie nicht gebeten mitzukommen."
Da ist es wieder. Ihm passt es gar nicht sie dabei zu haben und er lässt keine Gelegenheit aus ihr das zu sagen. Trotzdem empfindet Gina es als wichtig ihm zu folgen. Ihr Misstrauen ihm gegenüber zwingt sie dazu.

„Mein Wagen steht auf der anderen Seite."
„Den holen wir später", gibt er beim Laufen zurück.
So rennen sie auf die nasse Straße an einigen staunenden Menschen vorbei. Nur können die Verfolger hier draußen nicht mehr einfach das Feuer eröffnen. Deshalb geben sie sehr schnell die Verfolgung auf und ziehen es vor unter zu tauchen. So schaffen Gina und David es unbemerkt in den Seitengassen zu verschwinden und mit einem großen Umweg zum Auto zurück zu finden.
Gina findet es leicht gewagt, aber ihren Wagen in dieser Gegend stehen zu lassen, scheint ihr noch gewagter.

Zehn Minuten später biegt sie auf den Highway ein und rauft sich die dichten Haare. Sie blickt flüchtig in den Rückspiegel und entdeckt leichte Schweißperlen des Schreckens auf ihrer Stirn. Ihre dunklen Pupillen wirken größer als sonst und sie stellt fest, dass der leichte Rougeton vom Vormittag längst verflogen ist.

Ein Blick zu ihrem Kollegen bringt sie zum Kopfschütteln. Abermals verkrampft er sich auf dem Sitz, wirkt aber nicht aus der Ruhe wegen der vorherigen Situation, die beinahe schief gelaufen wäre. Das schlimmste dabei ist, dass es ihnen überhaupt nichts gebracht hat.

„So eine dumme Aktion!", schimpft sie und schlägt aufs Lenkrad. „Was dachten Sie sich eigentlich dabei einfach in ein Drogennest hereinzuplatzen, völlig unvorbereitet und dann noch dieses Zeug auszuprobieren?"

Sie wettert fünf Minuten immer mal wieder vor sich hin und erwartet nicht einmal eine Reaktion von Jackson. Dieser lehnt sich an die Tür und reibt sich die Stirn. Er hat bestimmt Kopfschmerzen von der Droge.
Es herrscht Stille im Auto, nachdem sich Gina wieder gefangen hat. Erst nachdem sie vor dem Revier anhalten und sie den Wagen halbwegs gerade auf dem Parkplatz abgestellt hat, findet Jackson seine Sprache wieder.

„Es war nicht nutzlos, Detektive."
„Wie bitte?", fragt sie verwirrt, weil sie nicht mehr mit einer Antwort gerechnet hat.
„Diese Aktion eben, war nicht ohne Erfolg."
„Ach ja? Und was haben wir erreicht? Außer ein paar blaue Flecken, meine ich."
Er richtet sich auf und löst den Sicherheitsgurt.
„Hover war dort."
Gina zuckt mit der Augenbraue und wendet sich ihm komplett zu, um ihr Interesse zu signalisieren.

„Woher wissen Sie das?"
„Auf dem Tisch standen sechs Gläser, vermutlich alle mit dieser Droge versehen, und es lagen sechs Jacken über den Stühlen. Der Mann vor der Tür hatte seine noch an und er wirkte nicht gerade high, also muss noch jemand im Raum gewesen sein, den wir nicht gesehen haben. Oder er hat den Raum kurz vor unserem Eintreffen verlassen."

Sie wirkt skeptisch und hält es für Zufall, weil viele Leute in dem Haus gewesen sind.
„Ein Schreibtisch stand in der Ecke, auf dem ein angeschalteter Computer stand. Als ich noch auf dem Stuhl saß, habe ich einen flüchtigen Blick darauf riskiert und die Seite vom Dark Web wieder erkannt, sowie den Benutzernamen. Es war Hover. Vermutlich ist er schon untergetaucht und wird sich nie wieder dort einloggen. Trotzdem muss er dort gewesen sein."

Nun staunt Gina. Das alles hat er gesehen - noch dazu in benommenem Zustand - sie aber nicht. Sie ist viel zu sehr auf die anderen Männer konzentriert gewesen. Sie kann gut Spuren suchen, aber solche Sachen entgehen ihr, wenn sie nervös ist.
„Außerdem wussten sie bereits von Fengs Tod. Sie wissen also, dass jemand ihren Kunden, insbesondere Hovers Kunden, auf der Spur ist. Das wird sie in Zukunft vorsichtiger machen. Erst recht nach unserem Besuch."

„Das wird auch den Mörder dazu bringen seine Opfer anders auszuwählen."
„Mit Sicherheit."
Gina stöhnt genervt.
„Übrigens, woher wussten Sie von dem zweiten Ausgang, Detektive?"
„Meinen Sie wirklich ich gehe absolut planlos in die Höhle des Löwen?"
Gina bildet sich ein eine Spur von Schalk in seinen Augen zu erkennen.

„Vielleicht. Ich werde nicht ganz schlau aus Ihnen, Jackson. Sie müssen zugeben, dass Ihr Verhalten sonderbar ist."
„Warum? Nur weil ich nicht so vorgehe wie andere? Ich habe meine eigene Art zu arbeiten..."
Er kommt nicht weiter, denn Gina unterbricht ihn:
„...ohne Rücksicht auf Verluste."
Wieder dieser Funken Belustigung in seinem Gesicht.
„Ich lebe riskant, Baley. Sie sollten nicht mit mir abhängen."
Er steigt einfach aus und Gina beeilt sich ihm ins Gebäude zu folgen.
„Ich wüsste auch was besseres mit meiner Zeit anzufangen."

„Warum gehen Sie mir dann auf die Nerven?"
Es schwingt ein leicht gereizter Unterton aus der Frage hervor.
„Weil ich ihnen nicht traue, Detektive. Sie stürzen sich in solch ungewöhnlichen Dinge herein, Sie wissen mehr über diesen Fall als alle anderen und solche Schuss geladenen Situationen wie eben lassen Sie völlig kalt, aber auf dem Beifahrersitz meines Autos werden Sie blass. Ich fahre nicht wie der Henker und besoffen bin ich auch nicht. Was mich wieder zu der Frage führt: Warum vertragen Sie Drogen so gut?"

All das sprudelt förmlich aus ihr heraus. Dieser Mann ist kaum älter als sie, so scheint es jedenfalls, trotzdem weiß er so viel mehr und benimmt sich eigenartig.
„Sie wurden mit blutigen Händen an einem Tatort gefunden."
Er bleibt plötzlich stehen und dreht sich zu ihr um.
„Weil ich versucht habe ihm das Leben zu retten", rechtfertigt er sich.
„Woher wussten Sie wo der Mord geschehen würde? Durch das Dark Web kann man vielleicht die Opfer herausfinden, aber die Orte sind absolut willkürlich."

„Schon wieder ein Irrtum", grummelt er ernst.
„Dann sagen Sie es mir."
Er antwortet nicht und lässt sie stehen. Wie immer weicht er ihr aus, wenn er keine Lust hat ihr zu antworten.
Jackson weiß definitiv etwas, was andere nicht wissen und er will nicht darüber reden.
„Ich kann Sie auch wegen Behinderung der Ermittlungen melden", meint sie ganz selbstbewusst.
Wieder bleibt er stehen, nur diesmal dreht er sich nicht um. Gina glaubt ihn zu haben.

„Wenn Sie schlau genug sind, Detektive, dann lassen Sie das. Ich fürchte mich nicht vor ihren Drohungen."
Natürlich nicht. Ihn schüchtert auch gar nichts ein.
Gina ist erstaunt, als er erst weiter gehen will und sich dann noch einmal zu ihr umdreht.
„Ach ja, was das Auto betrifft...", er zögert und sieht fast schon verlegen zur Seite. „...ich...hasse Autos einfach", erklärt er knapp und geht weiter.

Beinahe hätte sie darüber gelacht und ihm nicht geglaubt, aber es ist so banal, dass es wohl stimmen muss. Nur erklärt es nicht, warum er die Droge so einfach weggesteckt hat. Er bleibt einfach ein Mysterium für Gina.
„Warum können Sie mir nicht einfach normal antworten?"
„Weil Sie mich nerven."

„Das sagten Sie schon", antwortet sie und folgt ihm immer noch bis in die Büroräume.
„Hören Sie, Detektive, ich bin ihnen keine Rechenschaft schuldig. Ich will nichts über mich preisgeben. Betrachten Sie es einfach als Absicherung. Schließlich bewegt sich ein Mörder um uns herum."
Nagut er ist vorsichtig. Offenbar traut er auch niemandem - so wie sie. Trotzdem ist er schwierig und Gina hofft den Fall schnell lösen zu können, um ihn möglichst bald wieder loszuwerden.

Er ist extra aus der nördlichen Behörde zu ihnen geschickt worden. Warum weiß Gina nicht. Sie ist erpicht darauf den Fall alleine zu lösen.

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