(7) Besucher unerwünscht
Er kann es ja verstehen. Sie ist misstrauisch, weil er in einer absolut ungünstigen Position gefunden wurde. Dabei hat er das Opfer bloß retten wollen.
Mr. Feng hieß der Tote. Das hatte Jodie noch in der Nacht herausgefunden. Er war halber Chinese und lebte mit seiner Familie schon einige Zeit in der Stadt. Auf den ersten Blick hatte er - wie alle anderen Opfer auch - ganz unschuldig gewirkt. Doch keiner von ihnen war es.
Es hat David viel Aufwand und Zeit gekostet die Verbindung unter den Toten zu finden. Doch wer außer ihm ist fähig so gründlich nachzuforschen und um so viele Ecken herum nachzudenken? Die Antwort ist: Niemand. Er hält sich selbst für über die Maßen kompetent.
Leider führt die Spur im Netz zu keinem besonderen Hinweis. Auch wenn sie heraus finden würden, wann und wo die Waffen gekauft worden waren, würde sie das noch lange nicht zum Mörder führen. Es gibt keine Aufzeichnungen und die ID im Netz hat die Ermittler bloß zu einer falschen Fährte geführt.
Nur hat David sich nicht auf die Spuren des Mörders konzentriert, sondern auf die Opfer selbst. Jeder von ihnen war mit dem Internet vertraut, insbesondere mit dem Dark Web.
Dort hat David sich abends intensiver umgeschaut. Es sind die IDs der Handys oder der Computer der Opfer, die ihn nicht in Ruhe gelassen haben. Bei seinen Nachforschungen ist eines auffällig gewesen: sie haben alle die gleichen Seiten besucht. Es handelt sich dabei um illegale Einkäufe auf dem Schwarzmarkt. Weitestgehend handelt es sich dabei um Drogen. David gehört nicht zur Drogenfahndung. Er würde auch eine Teufel tun diese einzuschalten.
Es reicht schon, wenn Detektive Baley ihm gelegentlich auf den Leim geht.
Diese hat sich zu sehr auf den Mörder konzentriert. Kein Wunder, dass ihre Spurensuche in einer Sackgasse geendet hat.
Jedenfalls hat David sich auf die Droge konzentriert und so herausgefunden, dass es einige illegale Verkäufer in der Stadt gibt. Im Netz werden lediglich die Treffen arrangiert. Die Opfer haben sich mindestens dreimal mit einem Dealer getroffen und sich eine neue sehr starke Droge besorgt. Leider ist auch die junge Schülerin dieser neuen Droge zum Opfer gefallen.
David hat es nicht gewusst. Er hat es mehr geahnt, wo sich Feng beim dritten Mal mit dem Dealer hat treffen wollen. Und zwar ist es der gleiche Ort, wie bei zwei der anderen Opfer.
Er ist David durch seine hohe Aktivität mit dem Dealer aufgefallen. Leider auch dem Mörder. Für den Ermittler ist es unwahrscheinlich, dass der Dealer ihn umgebracht hat. Warum soll er sich seiner Geldquelle entledigen?
Doch hat der Mörder sich auf einen bestimmten Dealer konzentriert und genau dessen Kunden zum Opfer gemacht.
Jackson würde sich den Dealer wohl einmal genauer ansehen.
Da gibt es nur noch ein Problem: Gina Baley.
Sie hängt ihm am nächsten Tag an den Versen. Er kann gerade alleine auf die Toilette gehen, ansonsten ist sie ständig in seiner Nähe. Sie muss ihm echt schwer misstrauen. Soll sie ruhig.
Nachdem er ihr seine Beweggründe erklärt hat, ist sie zwar immer noch skeptisch, zeigt sich aber vorerst entspannter. Doch kann David sie um keinen Preis davon abhalten ihn zu diesem Drogenkartell zu begleiten.
Dadurch hat er das Privileg mit ihrem Auto fahren zu dürfen. Es ist angenehmer als die U-Bahn oder den Bus zu nehmen.
„Haben Sie kein Auto, Detektive?", fragt sie und betätigt den Blinker, als sie an einer Ampel stehen und auf Grün warten.
„Nein."
„Warum nicht? Ich weiß, dass Sie sich eines leisten können."
„Woher wollen Sie das wissen?"
„Sie haben wohl eine ähnliche Gehaltsklasse, wie ich. Vielleicht nur geringfügig mehr. Sie haben eine tolle Wohnung, zumindest nachdem was ich davon erahnen konnte. Trotzdem sind Sie bescheiden. Also warum haben Sie keinen Wagen?"
„Geht Sie das etwas an?", brummt er ablehnend.
Diese Frau ist ihm einfach etwas zu neugierig. Wegen ihm soll sie doch mitkommen, aber er würde keinen Smalltalk mit ihr halten. Er interessiert sich nicht für sie.
„Sie sollten echt mal drüber nachdenken. Erleichtert das Leben."
Er ignoriert sie einfach und zieht es vor zu schweigen, bis sie die etwas unansehnlicheren Viertel der großen Stadt erreichen.
„Also hier möchte ich nicht einmal begraben sein."
„Wenn Sie zu lange hierbleiben, könnte das Ihr Grab werden, Baley."
Sie verdreht die Augen.
„Ach Ihres aber nicht?"
Er schüttelt kaum merklich den Kopf und stützt diesen anschließend auf den Arm. Er hat schon wieder so schlimme Kopfschmerzen. Er kommt einfach nicht zur Ruhe. Abschalten kennt sein Gehirn nicht. Außer wenn er schläft. Doch bis er mal den erholsamen Schlaf findet, dauert es immer sehr lange.
Gina parkt den Wagen in einer unauffälligen Straße, drückt den Knopf für die Zentralverriegelung und folgt David schnellen Schrittes. Es ist merkwürdig sie bei sich zu haben.
„Wissen Sie überhaupt, wie er aussieht?
„Nein, aber ich kenne seinen Nick."
Der Dealer benutzt im Dark Web das Synonym Hover. Wirklich passend, wie David findet.
„Wie stellen Sie sich das vor? Einfach rein gehen und nach ihm fragen?"
„So ungefähr."
Sie bleibt entsetzt stehen.
„Der riecht doch sofort Ihre Marke."
David packt üblich den Stier bei den Hörnern.
Also stapft er tapfer voran ins rustikale Gebäude und weicht den passierenden Leuten aus. Die Männer gucken ganz böse und stellen ganz sicher ihre Mutmaßungen an.
Als sie nach oben kommen, dringt laute Musik zu ihnen durch. Die Flure sind schwach beleuchtet und stickig. Es wird stark geraucht und das nicht nur Nikotin.
Bei einer Razzia würden die Anwesenden echt alt aussehen. Doch dafür ist David nicht hier. Er sucht den Dealer. Wahrscheinlich würde der Mörder nicht nur einen Dealer im Auge behalten. Trotzdem ist Hover ihre einzige Spur. Naja so ganz stimmt das nicht. David weiß von einer weiteren. Nur kann er Baley nichts davon sagen. Es passt ihm ganz und gar nicht, dass sie ihn bewacht. Er ist kein Psychopath. Er weiß ziemlich genau, wo der nächste Mord stattfinden wird.
„Was wollt ihr denn hier? Ihr seht nicht aus wie Kunden", motzt sie ein gut gebauter Türsteher an. Hinter ihm befindet sich ein stickiger Raum mit fünf Personen. Sie alle haben Joints in der Hand.
„Und wenn wir doch Kunden wären? Wir wollen euer Zeug ausprobieren. Es soll der beste Stoff auf dem Markt sein."
David hofft, dass Baley seinen Bluff nicht durch einen seltsamen Kommentar oder ähnliches zerstören würde. Sie muss mitspielen.
„Ich weiß nicht, was du meinst, Schnüffler. Verzieht euch, solange ich noch freundlich bitte."
David lässt sich so schnell nicht verjagen.
„Ach komm schon, ich rede von...", er beugt sich vor und flüstert ihm etwas ins Ohr.
Der Mann wirkt immer noch misstrauisch, verzieht das Gesicht und glotzt beide Ermittler lange an, während er unaufhörlich auf seinem Kaugummi herum kaut. Wobei man das eher als Schmatzen bezeichnen kann.
„Woher weißt du davon?"
„Ich denke Hover ist schon eine Weile auf dem Schwarzmarkt bekannt. Er hat so einige Freunde. Zum Beispiel Feng."
Weiß der Mann, dass Feng tot ist? Dann hätte David schlechte Karten.
„Feng ist einer unserer treusten Kunden. Er hat noch nie Schnüffler zu uns gebracht. Wenn ihr Feng kennt, geht das in Ordnung."
David nickt zufrieden und der Muskelprotz tritt beiseite. Gina folgt David langsam und blickt sich wachsam um. Soll sie ruhig.
„Sie wollen den Stoff. Sind Freunde vom Feng", erklärt der Türsteher auf Russisch an seine fünf Kollegen. David tut so, als würde er das nicht verstehen.
„Feng? Der hat den Löffel abgegeben", antwortet ein großer Mann mit Bart. Er sieht hart und stemmig aus. Ebenso wie seine Freunde. Wer von ihnen ist wohl Hover? Ist er überhaupt hier?
„Davon haben sie nichts gesagt. Vielleicht wissen sie es nicht."
„Die sind Bullen, du Idiot."
Gina beugt sich leicht zu ihm vor und flüstert an sein Ohr:
„Die sehen nicht gerade kooperativ aus."
„Wer von euch ist Hover? Feng sagte mir, ich solle nur mit ihm Geschäfte machen."
Die Männer sitzen an einem runden Tisch auf Holzstühlen und blicken irritiert und argwöhnisch in die Gesichter ihrer Gäste.
Alle von ihnen tragen recht dunkle Kleidung und haben alle die modischsten Haarschnitte; Seiten Undercut und oben mit Gel zurück gekämmt.
„Wenn er den Namen kennt, kann er vielleicht doch von Feng geschickt worden sein", meint der Kleinste von den fünf.
Die Situation ist sehr angespannt. Ein falsches Wort und es würde eine Schiesserei ausbrechen.
„Seid ihr Bewaffnet?"
David hebt die Arme, sodass man ihn durchsuchen könnte. Das tut der Türsteher auch gleich, doch er findet nichts.
David ist zwar mutig, aber nicht so dumm mit Polizeiwaffe und Marke in einem Drogennest herumzulaufen.
Gina hält sich zurück, als man sie ebenfalls durchsucht.
Nachdem klar ist, dass die Gäste unbewaffnet sind, bricht zwar nicht gleich das große Vertrauen aus, jedoch bietet man ihnen jeweils einen Stuhl an. Die Geschäfte sind eröffnet.
David beobachtet die Männer, wie sie ihren wertvollen Stoff holen und ihnen zum probieren geben. Gina lehnt dankend ab und gibt die Ehre an Jackson ab, der den Schein waren muss. Wenn er nicht so tut, als wäre er abhängig, dann würde das ein kurzes Vergnügen werden.
Es ist keine Droge, die man einfach durch die Nase einsaugen oder schlucken kann. Sie wird auch nicht gespritzt. Sie ist in ihren Getränken. Ein Pulver, welches sich in Flüssigkeiten vollständig auflöst, keinen Geschmack hat, aber dafür eine intensive Wirkung. Natürlich will man ihm eine geringe Dosis anbieten. Man fürchtet David würde nicht viel vertragen.
Das stimmt ja auch. Ein einziger Schluck aus dem länglichen Glas bringt ihm einen fürchterlichen Schwindel. Alles um ihn herum wird unscharf und Worte hören sich an wie die fremden Laute eines Aliens.
Er räuspert sich angestrengt und versucht sich sein Unbehagen nicht anmerken zu lassen.
„Ist es zu stark, Detektive?"
Diese Frage hallt in seinem Kopf. Er wundert sich über die Ansprache des blonden Typen. Bestimmt hat er etwas anderes gesagt. Trotzdem stellt sich David vor, wie sein Gegenüber aufsteht und ihn grimmig anstarrt.
„Er hat dir Grüße ausrichten lassen", sind die nächsten undeutlichen Worte. Seine Stimme wird immer dunkler. „Er wird dich töten, David Jackson. Er wird dich töten. Du kannst ihn nicht fangen."
David schüttelt den Kopf und versucht normal zu erscheinen. Zwecklos, er kann nicht einmal richtig sehen.
Auf einmal verspürt er einen Ruck an seinem Arm. Jemand schüttelt ihn und bringt ihn auf die Beine.
Alles andere um ihn herum wirbelt durcheinander. Es wird lauter, doch für David ist alles so weit weg. Der Schwindel bringt ihm Übelkeit. Wie würden nur Personen mit üblichen Suchtverhalten darauf reagieren? Würden sie das Zeug besser vertragen?
Es ist sehr gefährlich und sollte sofort konfisziert werden. Bei höherer Dosierung könnte es einen Erwachsenen besinnungslos machen.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top