(27) Endlich ein Team

David sieht sich im Flur des fünften Stockwerks um. Er zählt die Wohnungstüren und stellt fest, dass es links und rechts vom Treppenhaus jeweils sechs Wohnungen gibt. Wenn er richtig gezählt hat vorhin, dann gehören jeweils drei Fenster zu jeder Wohnung.

Das heißt es muss eine Wohnung auf der linken Seite sein. Er bleibt mitten im Gang stehen, schließt die Augen und ruft die Bilder in seinem Gedächtnis auf. Dazu stellt er sich ein 3D-Bild von den Wohnungen vor, passend zum Ausblick aus den Fenstern.

Vor der äußersten Wohnung stehen Bäume. Hohe Tannen die einen Ausblick hinaus unmöglich machen. Sie scheidet aus. Die rechte Wohnung zeigt zwar eine Aussicht auf die Stadt, aber der Winkel stimmt nicht. Die Hochhäuser verdecken die freie Sicht auf den Fernsehturm. Also bleibt nur die Wohnung in der Mitte.

Als er die Augen wieder öffnet, steht Gina genau vor ihm. Er tritt abrupt einen Schritt zurück.
„Ist Ihnen nicht gut?"
„Doch, ich konzentriere mich nur."
„Sie sehen blass aus, Detektive."
„Ja, weil Sie mir Kopfschmerzen bereiten, Baley. Halten Sie sich bitte hinter mir."

Gina hält ihre Waffe fest und schleicht hinter David her. Dieser klingelt ganz mutig an einer Wohnungstür. Er gibt ihr ein Zeichen sich zurück zu halten.
Sie nickt und im nächsten Moment öffnet sich die Tür einen Spalt breit.

„Was ist?"
„Hallo!", grüßt David so unglaublich freundlich, dass Gina ihn mit großen Augen anstarrt. Er schafft es auf einmal eine völlig andere Person zu werden.
„Ich wohne seit kurzem einen Stock unter ihnen. Leider habe ich meinen Schlüssel für den Keller verlegt. Ich müsste dringend mal in die Waschküche. Könnten Sie mir vielleicht aushelfen?"

Was für eine dumme Ausrede. Das durchschaut der Typ doch sofort. Gina will sich den Mann aus der Wohnung unbedingt ansehen, aber sie hört auf David. Wenn er ihr sagt sich zurück zu halten, dann nicht nur um sie zu schützen.

Zu Ginas Überraschung knurrt es nur unangenehm hinter der Tür. Da ist jemand absolut genervt. Trotzdem spielt er mit.
„Warten Sie hier", sagt die helle Stimme. Wie alt mag er sein? Dreißig?
Die Tür schließt sich und David sieht zu ihr.
„Er will abhauen, nicht wahr?"
Sie nickt nur bestätigend und schenkt ihm ein bedauerndes Nicken.

David stöhnt selbst genervt, zückt unter seinem Mantel seine eigene Waffe hervor und tritt die Tür ein. Das alte Holz gibt sehr schnell nach und gleich fällt sie quietschend aus den Angeln.
Ginas Bein tut nur beim Hinsehen weh. Sie hat echt nicht geahnt wie stark er ist.

David ist schon in der Wohnung, als ihm plötzlich etwas entgegen fliegt. Er sieht nur etwas dunkles und ruft Gina zu. Diese bleibt neben der Tür und wendet sich schützend ab.
Im Flur knallt etwas gegen die Wand. Funken sprühen auseinander.
Als Gina hinsieht erkennt sie einen schwarzen Fleck an der Wand, Rückstände einer kleinen Explosion.

Schnell eilt sie in die Wohnung und sieht David noch gerade aus dem Fenster klettern.
„Warten Sie!"
Schon ist er weg. Gina eilt zum Fenster und sieht ihn weiter unten eine Feuerleiter hinab klettern. Erleichtert steigt sie hinterher. Der Verdächtige hat einen geringen Vorsprung, aber nichts was man nicht einholen könnte.

Also jagen die Ermittler ihm nach über den kurzen Rasen, an den Häusern vorbei. Er rennt über die Straße, an einigen Büschen und Bäumen vorbei, biegt in eine Querstraße ein und hastet weiter. Er lässt die wenigen Häuser hinter sich und kommt ein paar Blocks weiter zu einer alten Fabrikhalle.

Gina rennt so schnell sie kann. Vor ihr bleibt ihr Partner auf einmal stehen. Sie holt ihn ein und schaut ihn fragend an.
„Warum zögern Sie?"
„Er will uns dort hinein locken. Also nichts mit hineinstürmen."
„Ich sollte nach einem zweiten Eingang suchen."
Er nickt einverstanden.
„Seien Sie bitte vorsichtig."
Gina zögert kurz und muss schmunzeln. Seine plötzliche Fürsorge ist echt ungewohnt. Obwohl er ja eigentlich ständig auf sie aufgepasst hat.

„Keine Sorge, falls etwas ist melde ich mich. Ich hab' Sie schon auf Kurzwahl."
Zur Bestätigung dieser Aussage hält sie grinsend ihr Telefon hoch.
David starrt sie einen flüchtigen Moment seltsam an.
„Ich fühle mich geschmeichelt", antwortet er dann und Gina bemerkt einen Funken Belustigung in seinen Augen. Dann wendet er sich ab und geht auf das offene Tor der Halle zu.
Sie bleibt immer noch grinsend draußen und geht ums Gebäude herum.

Es fühlt sich auf einmal so gut an mit ihm zu arbeiten. Er ist wie ausgewechselt und Gina genießt ihre Arbeit. Trotzdem darf sie sich nicht ablenken lassen. Sie konzentriert sich auf ihre Umgebung, hält die Waffe vor sich und wandert an der Mauer entlang.



~



Die vielen Maschinen werfen unheimliche Schatten in die Halle. Der gekennzeichnete Weg im Innern ist nicht beleuchtet. Alles ist dunkel und David rechnet jeden Moment damit angefallen zu werden. Er weiß, dass es eine Falle ist. Er weiß nur nicht wann sie zuschlagen wird.

Ihm ist nicht wohl dabei Gina alleine zu lassen, aber noch schlimmer wäre es sie hier drinnen zu wissen. Leider hat die Frau ihn komplett durchschaut. Wie macht sie das bloß? Sie kann absolut in die Menschen hinein schauen. Er sollte es ihr nicht verübeln. Immerhin ist sie genauso offen lesbar für ihn. Das hat er lange nicht mehr erlebt: Einen Partner zu haben, der nicht nur Verständnis zeigt, sondern auch verlässlich ist.

Nach Jahren hat er endlich wieder das Gefühl nicht allein zu sein. Gina gibt ihm das Gefühl ein Mensch zu sein. Außer Laureen, hat das bisher keiner getan. Deshalb findet David Gina nicht mehr so nervig.

Ein leises Geräusch weckt seine Aufmerksamkeit. Er ist nicht mehr alleine.
Wo ist der Mistkerl?
David dreht sich einmal um sich selbst, schaut über sich und findet absolut nichts.
Immer wieder hört er seltsame Geräusche aus der Fabrikhalle.

„Sie haben verloren, Genie", sagt eine junge Stimme aus dem Hintergrund. Die Worte hallen von den hohen Wänden wieder.
Sein Gegner fühlt sich zu sicher. Das bedeutet er plant etwas.
„Komm raus, du Feigling!", ruft David laut.
Wieder fliegt ihm etwas entgegen. Schnell sucht David sich Deckung, bevor die Minibombe ihn treffen kann.
Es kam von rechts. Schnell verändert er seinen Standort und sucht den rechten Teil der Halle ab. Leider kann der Typ sich auch bewegen.

Immer wieder huschen sie nur knapp aneinander vorbei. David hört manchmal seine Schritte. Doch wann immer er denkt ihn eingeholt zu haben, bleibt er alleine zwischen den Geräten stehen.
Also wartet er auf den nächsten Angriff, ohne sich zu bewegen. Er schließt die Augen und hört zu.

Ein dumpfes Geräusch dringt an sein Ohr. Etwas, dass er zuvor nicht gehört hat. Der Mistkerl will Zeit gewinnen.
David folgt dem leisen Piepen bis in die hinterste Ecke. Unter einem eingeschlagenen Fenster steht ein metallener Tisch, der einen Kasten trägt. David braucht ihn nicht zu öffnen, um die enthaltenen Bombe zu sehen.

Langsam geht er rückwärts und sucht den Ausgang. Das Tor ist verschlossen. Er hat ihn eingesperrt.
War zu erwarten. Er will das ganze Gebäude hochjagen. David sucht nach einem weiteren Ausgang aus der Halle. Eine Treppe führt nach oben. Er landet im ersten Stock und geht durch eine Glastür in eine Art Büro. Hier wäre er auch nicht sicher vor der Bombe. Trotzdem muss er weiter. Der Typ muss auch irgendwie raus gekommen sein.

Immer wachsam schleicht er durch die Dunkelheit und findet hinter den leeren Büros eine weitere Treppe. Tatsächlich führt sie wieder aus dem Gebäude. Als ob es so einfach wäre, denkt er bei sich.
Trotzdem geht er langsam die Stufen hinunter.

Er rechnet schon damit, dass die Tür verschlossen ist.
Zu seiner Verwunderung ist sie das nicht. Er drückt sie auf und geht in die Helligkeit, als plötzlich eine Hand von der Seite auf ihn zu rast.
David reagiert schnell, wehrt den Angriff mit der Metallstange ab und will auf seinen Gegner zielen, der ihm die Waffe aus der Hand tritt.
Er greift David erneut an, zusätzlich mit der anderen Hand.
Auch diesen Angriff wehrt der Detektiv gekonnt ab.

Der junge Mann ist stark, stellt er fest. Er ist trainiert und wagt es immer wieder sich auf den Polizist zu stürzen. Er kann ihm nichts anhaben. Seine Schläge fühlt David nicht. Er hält seinen Arm so fest, dass er jaulend aufschreit. Tränen bilden sich in seinen Augen. Trotzdem tritt er David mit seinen hellen Schuhen.
Das macht ihm gar nichts.

Der Junge kann nicht mehr und sinkt unter Schmerzen auf die Knie.
„Was sind Sie für ein Monster?", schreit er wütend und verzweifelt.
„David!"
Gina kommt zu ihm gelaufen und zückt augenblicklich ihre Handschellen.

„Wir müssen hier weg, Gina."
„Sekunde noch."
Sie bindet dem Jungen die Hände auf den Rücken und nennt ihm seine Rechte.
„Ich habe eine Menge Fragen an Sie, Mistkerl."
Damit zieht sie ihn kräftig auf die Beine und David nickt ihr lobend zu.
„Alles Okay?", fragt sie auf dem Weg zum Auto.
Ein erneutes Nicken von ihm, dann dreht er sich wachsam zum Gebäude um.

Selbst nachdem sie den Bombenbauer im Auto verstaut haben und David sich zum gefühlt hundertsten Mal umdreht, passiert nichts.
„Was ist?"
„Es war eine Bombe dort drin."
Gina zuckt erschrocken.
„Was! Ich rufe die Jungs von der Sondereinheit."
David dreht sich zum Auto und starrt den Gefangenen an.
Er blickt ihm nur missmutig entgegen und räkelt sich angestrengt unter den Fesseln.

„Es war kein Timer, nicht wahr? Sie hätten einen Auslöser drücken müssen, sonst wären Sie ebenfalls drauf gegangen."
Der Typ verzieht nur das Gesicht. Das gibt David nur Bestätigung.
„Haben Sie ihn durchsucht?"
Gina nickt natürlich.
„Er hatte bloß ein Handy und dieses Ding bei sich."
Sie hält ihm ein kleines schwarzes Gerät entgegen, was sehr schwer nach einem Zünder aussieht. Es ist nicht größer als ein Telefon.

„Heißt das, wenn er darauf gedrückt hätte, wären Sie jetzt ein Häufchen Asche?"
David nickt.
„Sie vermutlich auch."
„Puh!"
Sie sieht erleichtert aus.
„Ganz ehrlich, ich bin froh, dass Sie ihn vorher geschnappt haben."
„Von wegen...Er hat auf mich gewartet. Außerdem wäre es Ihnen vermutlich leichter gefallen ihn aufzuhalten. Ich wollte es Ihnen nur ersparen."
„Weil Sie mal wieder auf mich aufgepasst haben", erklärt Gina.
„Nein, ich wollte auch mal glänzen", erwidert er grinsend.

„Sie glänzen doch ständig. Ich wollte ihn so sehr erwischen, doch da war mir leider ein blöder Zaun im Weg. Er hat mich aufgehalten."
„Schon gut, Baley. Sie haben ihm ja die Handschellen angelegt."
„Trotzdem bekommen Sie die Lorbeeren", murrt sie gespielt beleidigt.
Er muss sich etwas das Lachen verkneifen.
„Ich sag einfach, dass Sie ihn gefasst haben", meint er und wendet sich ab von ihr, um ins Auto zu steigen.
„Das will ich nicht. Ich verdiene mir meine Lorbeeren schon noch. Ganz sicher sogar."

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