(14) Des Mörders Auftritt
Mit quietschenden Reifen hält der Leihwagen mitten vor dem gigantischen Becken, wo sich schwarze Wellen an die Hafenmauer drücken. Es plätschert und nur das gelegentliche Aufblinken der vielen Kräne bringt Licht an den Pier. An der Seite stehen hunderte von bunten Containern.
Es ist kalt, der Wind peitscht ihnen den unangenehmen Fischgeruch entgegen, als sie das Fahrzeug verlassen. Beide bewaffnen sich und sehen sich suchend nach der Frau um.
In der Ferne ertönt eine Schiffshupe und plötzlich ein Klappern, das direkt von den Containern kommt.
„Los!"
Gina und Jackson beeilen sich. Sie huschen durch die engen und dunklen Gassen zwischen den aufgetürmten Containern, halten die Waffen aufrecht und suchen alles ab.
„Sie ist nicht hier", flüstert Baley enttäuscht.
„Sie muss hier sein. Teilen wir uns auf."
„Das halte ich für keine gute Idee."
Sie zögert beklommen.
„Nur so haben wir eine Chance sie zu finden. Er hat sie garantiert in seiner Gewalt."
Gina verdreht mit einem unguten Gefühl die Augen, hört aber auf Jackson und geht in eine andere Richtung weiter. Sie würde gerne rufen und hastig umher rennen, aber nun ist Vorsicht angesagt. Sie darf ihre Position nicht verraten, denn eines ist sicher: der Mörder ist auch hier.
Es ist still, bis auf das gelegentliche Pfeifen des kühlen Abendwindes. Gina macht sich Sorgen um David. Sie will ihn nicht alleine lassen. Alles ist so komisch. Sie spürt eine Falle.
Im nächsten Moment glaubt sie diese auch schon gefunden zu haben.
An einem roten Container, der ganz unten in einem Turm steht, sind kleine schwarze Kabel zu erkennen. Sie sind um den Türgriff geschlungen und laufen an der Seite und über den Boden bis hin zu ein paar Paletten. Vorsichtig geht Gina näher heran und sieht in den Stapel. Ganz unten lugt etwas schwarzes hervor.
„Ach herrje", rutscht es ihr heraus und schnell zückt sie ihr Handy, um Jackson zu informieren.
„Wo sind Sie?", fragt sie als er den Anruf annimmt.
„Irgendwo...zwischen Containern", meint er mit einer Spur Schalk in der Stimme. Wie kann er jetzt so unbeschwert sein?
„Ich habe eine Türbombe an einem Container gefunden. Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass Sandra da drin ist?"
„Sehr hoch", antwortet er nach einer Pause. „Bleiben Sie an Ort und Stelle und ja nichts anfassen."
Gina denkt nicht im Traum daran.
Tatsächlich findet Jackson sie in dem Labyrinth und schaut sich neugierig die Verkabelung an.
„Sagen Sie nicht, Sie sind auch noch Sprengstoffexperte."
Er schüttelt leicht den Kopf. Derweil behält sie die Umgebung im Auge und gibt ihm Deckung.
„Anscheinend kennt er sich nicht nur mit der Anatomie von Menschen aus, sondern auch mit der von Bomben", erklärt Jackson nach einer intensiven Untersuchung der Bombe. Nur traut auch er sich nicht diese anzufassen.
„Wir brauchen Verstärkung."
„Ist schon unterwegs", meint Gina und zeigt ihm die Nachricht an Markus, welche sie schon direkt nach Ankunft am Hafen geschickt hat.
Jackson nickt zufrieden und tritt von der Bombe zurück. Er geht um den roten Container herum und klopft vorsichtig gegen die Außenwand.
„Sandra? Sind sie hier?"
Er klopft noch einmal gegen die Wand. Er will nicht auf die Tür klopfen und mit der leichten Vibration seiner Schläge die Bombe auslösen. Wer weiß, wie das Ding funktioniert. Im Augenblick wirkt es noch ziemlich tot, aber das kann sich jederzeit ändern.
Selbst auf einem Friedhof ist es lebendiger. Vielleicht ist die Frau bewusstlos und kann ihm nicht antworten. Er wartet noch einen Moment und horcht.
Beide Ermittler zucken erschrocken zusammen, als in der Nähe jemand laut schreit.
Das klingt definitiv nach einer Frau. Sie zögern nicht lange und rennen los. Dabei laufen sie wieder zwei unterschiedliche Wege.
Jackson hat sich genau die Richtung gemerkt und kommt als erstes in einer heller beleuchtete Gasse. Dort auf dem feuchten Boden sitzt eine junge Frau. Sie hat die Beine angewinkelt und hält sich den Hals.
Jackson sieht Blut an ihrer Hand herunter tropfen. Sofort ist er bei ihr, kniet sich neben sie und drückt mit seiner immer noch verbundenen Hand auf die Wunde.
„Schon gut, das wird wieder", tröstet er sie. Es ist keine tiefe Wunde. Sie wird nicht sterben. Trotzdem zittert sie und steht unter Schock. Ihre Augen huschen unruhig hin und her und ihre blonden Haare sind verschwitzt vom Laufen.
Der Angreifer hat definitiv auf ihn gewartet, sonst hätte er ihr früher etwas getan. Jackson sollte sie so finden.
„Sandra nehme ich an?"
Sie nickt schwach, bringt keinen Ton hervor. Sie hat unglaubliche Angst.
„Haben sie etwas gesehen?"
Wie alt ist sie? Eine Studentin vielleicht?
Sie hat keine Tasche bei sich.
„Mein Name ist David, ich bin von der Polizei. Keine Angst, ich beschütze Sie."
Sandra will etwas sagen, kann aber nicht. Sie ist zu verängstigt und starr vor Schreck.
David holt sein Handy aus der Manteltasche und ruft einen Krankenwagen. Er gibt Sandra sein Taschentuch und sagt sie solle ganz fest auf die Wunde drücken. Sie hält nicht mehr lange durch.
Im selben Moment kommt Baley dazu, die in der Zeit die Umgebung abgesichert hat.
„Haben Sie etwas gesehen?", fragt David jetzt seine Kollegin. Diese schüttelt bedauernd den Kopf und kümmert sich um Sandra.
Es ist so merkwürdig. Warum hat er sie nicht gleich getötet? Wieso hat er sie nur verletzt und dann hier liegen gelassen? David dreht und wendet die ganzen Fragen in seinem Kopf, aber er kann sich keinen Reim darauf machen.
Nur sagt ihm sein Bauchgefühl, dass das noch nicht alles war. Der Mörder hat sie nicht ohne Grund an diesen Ort gelockt.
Er dreht sich um und auf einmal wird es ihm klar. Als er das Symbol auf einem der Container erkennt. Es ist von Swanson. Schnell sieht er auf das Handydisplay. Zwölf Uhr. Während ihm ein kalter Luftzug über die Wange streichelt, dreht er sich langsam zur Seite. Dort in der Dunkelheit, zwischen den Containern lauert er.
Es stimmt der Ort, es stimmt die Zeit.
Noch bevor er nach seiner Waffe greifen kann, schnellt eine behandschuhte Hand aus den Schatten und in der nächsten Sekunde drückt sich eine blitzende Klinge in seine Seite. Er drückt gegen die Hand und hält seinen Gegner auf Abstand. Er hört den Mann schwer Atmen, der sein Gesicht unter einer angemalten Maske verbirgt.
„Jackson!"
Gina springt auf und zielt auf den Angreifer. Dieser zieht die Klinge zurück und haut ab in die Dunkelheit. Gina schließt auf ihn, sobald er von David ablässt, doch trifft nur zweimal die metallene Wand des Containers.
„Verfolgen Sie ihn!", sagt David bestimmt und hält sich die Hand an die Wunde. Seine Kleider färben sich rot und in dem Chaos fängt er Sandras besorgten Blick auf.
Sie kauert immer noch am Boden und starrt ihn entsetzt und ängstlich an.
Gina kommt schon zurück.
„Er ist mir entwischt. Sorry!"
David flucht innerlich und merkt wie ihm schwindelig wird. Auch wenn der Schmerz gedämpft ist, er ist keine Wachsfigur. Sein Körper wird schwächer und will der Verletzung nachgeben. Fast automatisch werden seine Beine weich und er fällt auf die Knie.
„David!", ruft Gina erneut nach ihm und schenkt ihm einen sorgenvollen Blick.
In der Ferne nähern sich Sirenen. David kann sich darauf nicht mehr konzentrieren. Etwas anderes dringt an sein Ohr. Ein leises und gleichmäßiges Piepen.
„Hören Sie das?", fragt er an Gina gewandt, die sich ihren Mantel ausgezogen hat und ihn auf seinen Bauch drückt.
Auch sie hält kurz inne und horcht.
„Fuck!", entschlüpft es ihr voller Grauen.
Sie springen gleichzeitig auf. Gina zieht David auf die Beine, weist ihn an selbst auf die Wunde zu drücken und hilft anschließend Sandra.
„Laufen Sie!"
Die Frau gehorcht trotz Verletzung und rennt um ihr Leben. David würde gerne schneller laufen, aber diese verfluchte Stichwunde hindert ihn daran. Er hasst es, wenn sein Körper nicht funktioniert. Er kann ihn nicht richtig kontrollieren und nun ist er auch noch angeschlagen.
Gina merkt, dass er nicht mithält und lässt sich zurück fallen. Wie dumm von ihr. Sie sollte abhauen.
Das Piepen kommt von überall. Sie können dem nicht entkommen.
In letzter Sekunde hat Gina einen Einfall. Sie zieht Jackson an den Containern vorbei, während das Piepen immer lauter wird. Sie laufen angeschlagen Richtung Pier.
Er sieht das Wasser und sofort versteht er ihren Gedanken.
„Springen Sie, wenn Sie leben wollen", sagt Gina aufgewühlt zu Sandra. Diese zögert kurz und springt hinab ins Wasser. Zur gleichen Zeit geht hinter ihnen alles hoch. In letzter Sekunde zerrt Gina David am Mantel über den Rand und fällt mit ihm ins Wasser, bevor die Explosion sie treffen kann.
~
Die Kälte erschlägt sie, macht sie steif und ungelenk. Sandra schwimmt panisch zur Oberfläche. Das Wasser ist so dunkel. Trotzdem erkennt Gina die leichte Blutspur, die sich im Wasser verteilt. Es schmeckt nach Fisch. Mühselig schwimmt Gina an den Rand und sucht verzweifelt nach Jackson.
Sie sieht wie Sandra zu einer Leiter schwimmt. Das gibt ihr Zeit nach ihm zu suchen. Er ist nicht aufgetaucht.
Panisch taucht Gina erneut unter und sucht im Wasser alles ab. Er ist verletzt. Wenn er nicht schwimmen kann, wird er ertrinken.
Endlich sieht sie seine Silhouette und hastet auf ihn zu. Er treibt regungslos unter Wasser. Sie flucht innerlich und beeilt sich ihn zu erreichen. Sie packt ihn unter den Armen und schwimmt an die Wasseroberfläche. Sie stellt sicher, dass sein Kopf über Wasser bleibt und schwimmt angestrengt auf die kleine Leiter zu. Sandra ist schon wieder an Land geklettert, kauert dort völlig erschöpft und starrt auf das gigantische Feuer, während sie sich immer noch die Hand an den Hals hält.
„Helfen Sie mir!", schreit Gina zu ihr rauf.
Sandra kriecht zum Beckenrand und beugt sich mit ausgestreckter Hand zu Gina. Zusammen schaffen sie es irgendwie den leblosen Mann an Land zu ziehen. Die Lichter der nahenden Fahrzeuge erhellen die feuchte Straße. Doch Gina stellt panisch fest, dass ihr Partner nicht atmet. Blut verteilt sich auf dem Boden. Ihre Jacke ist auch verloren.
„Nein, bitte nich!"
Sie schnieft und beugt sich klitschnass über ihn. Ihre Hände pressen sich auf seinen Brustkorb.
„Na los doch...lassen Sie ihn nicht gewinnen, Jackson!"
Sandra kniet hilflos neben ihr und betet, dass er aufwachen würde.
Gina hält seine Nase zu, legt ihren Mund auf seinen und haucht Luft in seine Lungen. Immer noch keine Reaktion.
Erneut drückt sie auf seinen Brustkorb. Immer wieder und wieder. Zwischendurch beatmet sie ihn. Er rührt sich nicht.
Sie hat Angst. Sie will nicht, dass er stirbt. So will sie ihren Partner nicht verlieren. Sie flucht lautstark und hört selbst dann nicht auf, als die Sanitäter eintreffen und einige Streifenwagen um sie herum halten.
Das Feuer brennt lichterloh, als seine Brust kurz bebt und Jackson mit einem Mal sämtliches Wasser aus seinen Lungen hustet.
Er dreht sich zur Seite und spuckt es auf den Boden.
Erleichtert nimmt Gina Abstand und kämmt sich die nassen Haare aus dem Gesicht. Erst jetzt merkt sie wie doll sie friert. Ihr ganzer Körper zittert, doch nicht nur wegen der Kälte. Um ein Haar wäre Jackson direkt vor ihren Augen gestorben.
Die Sanis kümmern sich um ihn und versorgen seine blutende Wunde. Er ist totenbleich und sieht nur ziemlich müde auf sie, als man ihn auf die Trage legt und zum Krankenwagen bringt.
Markus ist bei ihr und legt ihr von hinten eine Decke über die Schultern. Doch Gina bemerkt ihn kaum. So starrt sie in die hellbraunen Augen, die auf ihr ruhen, bis sich die Türen schließen und der Krankenwagen mit Blaulicht abfährt.
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