(1) Eine Leiche im Regen
Detektive Gina Baley geht über den glänzenden Asphalt auf dem sich schon fast ganze Seen gebildet haben, die sämtliche Lichter in der Umgebung reflektieren. Es ist ein buntes Farbenmeer auf dem Boden und über ihr an den Häusern einer unruhigen Stadt.
Das Wasser fällt in Sturzbächen aus dem nachtschwarzen Himmel und durchweicht ihre Kleider. Ihr Mantel wirkt schon nicht mehr hellbraun sondern Kakifarben so nass ist er.
Noch hat sie keine nassen Füße. Es wird aber nicht mehr lange dauern, wenn das so weiter regnet.
Ihre Stiefel tragen leichte Absätze und machen ein leises Geräusch beim Gehen.
„Entschuldigung", sagt sie zu den schaulustigen Passanten am Rande und bittet sie auszuweichen.
Sie wirft einen Blick auf ihre Armbanduhr. Es ist kurz nach Zehn Uhr abends. Vor einer halben Stunde hat man sie zum Tatort gerufen.
Sie erreicht das Absperrband und nickt den zwei Beamten in Uniform zu, die sogleich die Bänder anheben und sie durchlassen.
„Guten Abend, Detektive Baley", grüßen sie freundlich.
„Der Abend mag alles sein, aber ganz sicher nicht gut, Officer."
Was sollte es auch schon gutes haben komplett durchnässt im Regen zu stehen und sich einen verstorbenen Mann anzusehen?
Die Forensik ist schon bei der Arbeit, wobei es schwierig sein wird alle Spuren zu lesen bei dem Regen.
Gerichtsmedizinerin Jodie ist dabei mit ihrer Kamera tausende Fotos von dem toten Körper zu schießen.
Gina geht zu ihr hin und betrachtet das Opfer. Schon wieder ein Messer, welches dem Mann in der Brust steckt. Genau da, wo sich das Herz befindet. Ganz präzise getroffen. Wieder hat der Mörder ihm vorher die Kehle durchgeschnitten. Das Muster bleibt gleich. Es handelt sich also um den selben Mörder. Ein Nachahmungstäter ist auszuschließen.
„Oh", sagt Jodie und hebt den Kopf als sie Detektive Baley sieht, „Du bist ja schon da."
„Ja, ich war in der Nähe als der Anruf kam. Was haben wir denn?"
„Ein männliches Opfer zwischen Vierzig und Fünfzig würde ich schätzen."
„Kannst du es nicht genau sagen?"
Jodie schüttelt den Kopf.
„Er hat keine Papiere bei sich."
„Kein Führerschein, keinen Ausweis, nichts?"
Sie schüttelt wieder den Kopf.
Auch Jodie kleben die rotbraunen Haare am Kopf und sie blinzelt gegen die vielen Wassertropfen an.
Ihre Jeans und Bluse sind durchweicht. Darüber trägt sie bloß eine dünne Polizeiweste mit der Aufschrift „Forensisches Team". Sie trägt selten bei der Arbeit eine Jacke. Auch wenn ihr kalt ist, sagt sie immer das würde sie behindern.
Mit den behandschuhten Händen deutet sie vorsichtig auf die blutige Klinge in der Brust des Toten. Er liegt fast kerzengerade auf der Straße. Seine Augen schauen noch in nachzuempfindender Panik nach oben. Als wäre sein Mörder noch immer da und würde sich über ihn beugen.
Zum Glück ist er schnell gestorben. Eine gute Sache hat die Klinge in seiner Brust: Er musste nicht leiden. Doch warum macht der Mörder das? Er hätte ihm einfach die Kehle aufschlitzen und weglaufen können.
„Es ist das selbe Muster wie bei den anderen beiden. Erst hat er ihm die Kehle aufgeschnitten und dann gezielt sein Herz durchbohrt, als wollte er ihn von seinen Leiden erlösen."
„Ich glaube nicht, dass es ihm dabei um Erlösung ging. Wer sowas tut, handelt nicht aus Mitleid. Es ist wohl eine Botschaft. Fragt sich nur ob an uns oder jemand anderen."
„Keine Ahnung", antwortet Jodie schulterzuckend und kommt zu ihr herüber. „Ein wirklich kniffliger Fall. Und wieder hat der Täter keine Spuren hinterlassen. HQ ist der Meinung wir sollten Hilfe bekommen."
„Hilfe? Glauben sie nicht ich könnte das auch alleine schaffen?"
„Ich glaube an dich, Detektive, aber sie wollen unbedingt ihn herholen."
„Ihn?", fragt Gina verwundert und schaut ihre Kollegin an.
„Detektiv Jackson."
Ginas Augen hätten wohl groß werden müssen. Jeder andere hätte wohl so reagiert, aber sie weiß nicht einmal von wem ihre Kollegin spricht. Also legt sie nur verwirrt den Kopf schief.
„Im Ernst Detektive, du solltest mal die Zeitung lesen."
Sie hebt tadelnd den Finger und wirft einen schwärmenden Blick gen Himmel.
„Jeder kennt doch den außergewöhnlichen und begabten Detektive Jackson, der bisher noch jeden Fall gelöst hat."
„Er ist ein Unsymp", sagt Officer Brian mit einem bösen Blick.
„Ach Sie sind doch bloß neidisch, weil er so erfolgreich ist. Er hat bisher jeden Fall gelöst", betont Jodie abermals.
„Wirklich jeden?", fragt Gina skeptisch nach.
Jodie nickt eifrig.
„Er ist ausgesprochen intelligent."
„Was findet ihr Frauen an dem? Der kann zwar seine Arbeit gut machen, aber darüber hinaus ist er absolut herzlos."
„Herzloser als diese Leiche wohl kaum", bemerkt Gina nüchtern und sieht bedauernd auf den toten Mann am Boden. Er verdient Gerechtigkeit. Ganz gleich wer ihr dabei helfen wird den Fall aufzuklären.
Gina nimmt sich die Zeit den Mann noch einmal intensiv zu untersuchen. Außer seiner Kleidung ist nichts besonderes bei ihm zu finden. Er ist vom Regen durchnässt. Es würde etwas dauern seine Identität herauszufinden.
Gina hockt noch bei ihm, als sie den Kopf in den Regen hebt und an den Häusern hinauf blickt. Sie sieht leider nicht einmal Verkehrskameras und die Häuser werden auch nicht überwacht. Der Mörder hat definitiv von dem toten Winkel gewusst. Er hat sich diesen Ort für sein Verbrechen ausgesucht.
Beim ersten Mal hatte es noch willkürlich gewirkt, aber nun ist der dritte Mord auf die selbe Weise geschehen und Gina sieht noch nicht die Verbindung zwischen den einzelnen Opfern. Sie haben sich nicht gekannt, haben keine Gemeinsamkeiten oder sind sich jemals über den Weg gelaufen. Also warum hat der Mörder sie ausgewählt und nach welchen Kriterien?
Der Mann hat keine Brieftasche bei sich. Hat der Mörder sie an sich genommen? Es passt nicht in sein übliches Schema. Bei seinen vergangenen zwei Morden hat es nicht den Anschein eines Raubmordes gehabt.
Das erste Opfer ist ein junges Mädchen, eine Schülerin gewesen. Sie hat noch ihre Brieftasche und sämtliches Geld bei sich gehabt. Ebenso wie Opfer Nummer Zwei. Ein junger Mann, um die Dreißig. Ein Sportler, noch in seinem Fussballdress hat man ihn im Wald gefunden. Nur was würde ein Sportler in einem Wald am anderen Ende der Stadt machen, wenn er doch gerade so gut bei sich in der Nähe trainieren könnte?
Jedenfalls hat er eine Tasche bei sich gehabt, mit seinen persönlichen Sachen darin. Auch ihm hat man nichts gestohlen. Also warum fehlt bei dem dritten Opfer die Brieftasche?
Vielleicht hat er sie von Anfang an nicht bei sich gehabt.
Um das heraus zu finden, müsste Gina seine Wohnung untersuchen. Doch wie, wenn sie nicht einmal seine Daten kennt?
„Ach gib mir ein paar Stunden im Labor mit ihm, dann kann ich dir sagen wer er ist", sagt Jodie grinsend und hält ihr zuversichtlich einen Schirm entgegen. Na toll, der würde ihr jetzt wohl auch nichts mehr nützen.
Trotzdem nickt Gina dankend und entfernt sich von dem Toten. Nachdenklich schlendert sie zurück und verlässt die abgesperrte Zone. Die wenigen Leute gaffen noch und tuscheln. Manche äußern ihre Ängste, manche zeigen ihr Unverständnis.
Auch Gina wird niemals verstehen, wie ein Mörder denkt. Was bewegt die Leute dazu solche grausamen Dinge zu tun?
Sie geht noch etwas weiter und sucht die Umgebung ab. Eigentlich weiß sie nicht, was sie zu finden hofft. Die Brieftasche? Spuren vom Mörder? Sie wird keine finden. Der Mörder ist gut. Er hat bisher nirgendwo Spuren hinterlassen. Das wäre auch zu einfach. Nur wurmt es Gina, dass sie ihn noch nicht gefasst hat. Drei Morde innerhalb zwei Monaten ohne jegliche Spur ist schon heftig.
Sie seufzt und geht noch weiter.
Ihre Schritte werden lauter, die Geräusche vom Tatort leiser. Die Straße zieht sich noch um eine Kurve. Einige Meter weiter sieht sie die Straßensperre. Es ist zwar nur eine Seitenstraße ohne viel Verkehr, aber trotzdem sollen hier gerade keine Autos lang.
Gina bleibt stehen und blinzelt durch den Regen. Sie hat das Gefühl beobachtet zu werden. Sie ist kaum vom Tatort entfernt. Niemand schaut in ihre Richtung als sie weitergeht. Trotzdem ist das Gefühl noch da. Sie will schon umkehren und die nähere Umgebung weiter absuchen, aber dieses unheimliche Gefühl beobachtet zu werden verschwindet nicht.
Sie schaut über sich. Links von ihr steht ein unbeleuchtetes Einfamilienhaus umgeben von einer hohen Mauer. Große Büsche ragen noch darüber hinaus, ebenso ein breiter Balkon, der kaum von dem vorstehenden Dach überdeckt wird. Doch Gina hält den Atem an, als sie die dunkle Gestalt eines Mannes dort oben erkennt.
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