7

Wir gingen nicht mehr weg. Wir tranken noch mehr Pinnchen und noch mehr Captain Cola und schliefen irgendwann einfach auf Jennas Couch ein.

Am nächsten Morgen bekam ich die Quittung. Heftige Kopfschmerzen zogen sich durch meine Schläfen über meinen Kopf und mir war kotzübel. Es ging mir wirklich beschissen und zum ersten Mal seit so langer Zeit fühlte ich mich lebendig. Zum ersten Mal fühlte es sich wieder richtig an, am Leben zu sein.

Ich schlug die Augen auf und blickte Jennas Wände an, die über und über mit ihrer Kunst behängt waren. Dann dachte ich an die leeren Wände in meinem Zimmer. Vielleicht sollte ich dort etwas aufhängen. Bandposter, Erinnerungsfotos. Vielleicht ein paar von Jennas Bildern. Ich könnte sie fragen, ob ich eines haben könnte, denn ihre Kunst war wirklich schön.

Plötzlich sprang Jenna auf.

„Los geht's!", rief sie noch im Halbschlaf, dann ließ sie sich auf die Couch zurücksinken.

„Ich glaube, inzwischen ist es etwas zu spät", lachte ich, was meinem schmerzenden Kopf nicht gerade gut tat. Doch das war mir egal. Ich fühlte mich viel zu gut, das alles fühlte sich viel zu richtig an, als dass mich Kopfschmerzen und ein bisschen Müdigkeit wirklich belasten konnten. Ich hatte mich schon viel schlimmer gefühlt, als jetzt. Seelenqualen waren schlimmer, als jeder körperliche Schmerz.

„Mist", murmelte Jenna lachend und vergrub ihren Kopf in den Couchkissen. „Wie spät ist es?", kam ihre gedämpfte Stimme aus den Kissen. Ich zog mein Smartphone hervor um auf die Uhr zu schauen und sah die verpassten Anrufe und Nachrichten meiner Mutter. Sie machte sich bestimmt Sorgen um mich, aber das war mir egal. Als ich sie gebraucht hatte, war ich ihr immerhin auch egal gewesen.

„Erst neun", antwortete ich Jenna und packte mein Handy wieder weg. Sei stöhnte und vergrub ihren Kopf noch tiefer in den Kissen.

„Ich sollte noch tief und fest schlafen", hörte ich ihre gedämpften Worte unter den Kissen hervor kommen.

„Es läuft wohl nicht immer so, wie man sich das vorstellt", lachte ich und registrierte erst was ich gesagt hatte, nachdem die Worte meinen Mund schon verlassen hatten.

„Das stimmt." Ich nahm Jennas Antwort nur im Hintergrund wahr. In diesem Moment war ich viel mehr damit beschäftigt, in mich hinein zu horchen. Begann ich gerade damit, mein Leben zu akzeptieren? Mit der Vergangenheit abzuschließen? Ich wollte es gar nicht glauben, aber es fühlte sich tatsächlich so an, als wenn die Wunden anfangen würden zu heilen.

Jenna kam unter den Kissen hervor. „Ich schlage Filme und gammeln vor", ließ sie mich wissen, während sie umständlich ihren Laptop aufklappte.

„Ich bin dabei."

Jenna suchte Housebunny aus dem Internet, was sich als wirklich lustiger Film über ein ehemaliges Playboybunny herausstellte, das nun die Hausmutter einer Studentenverbindung wurde. Wir machten es uns mit Decken, Kissen und Wasser auf der Couch gemütlich und versuchten über unseren Kater hinwegzukommen. Als es uns am Nachmittag nach weiteren Filmen besser ging, bestellten wir Pizza. Meine Mutter versuchte mich in dieser Zeit noch mehrere Male anzurufen, aber ich stellte mein Handy auf stumm und ignorierte sie. Es ging mir endlich mal richtig gut, das wollte ich mir nicht von ihr kaputt machen lassen.

Als die Pizza da war, aßen wir sie gemütlich auf der Couch bei einem weiteren Film und zum ersten Mal machte mir das Essen wieder Spaß. Zuhause würde ich gerne auf jegliche Mahlzeiten verzichten, wegen der schrecklichen Atmosphäre, die zwischen meiner Mutter und mir am Tisch herrschte. Ständig versuchte sie mich auszufragen und an meinem Leben teilzuhaben. Sie wollte einfach nicht wahr haben, dass ich ihr niemals würde vertrauen können. Daran war sie selbst schuld.

Aber mit Jenna gab es all diese Probleme nicht. Sie akzeptierte mich wie ich war, sie mochte mich sogar. Sie war die beste Freundin, die ich seit Jahren hatte. Vielleicht die beste Freundin, die ich je gehabt hatte und dafür war ich ihr unglaublich dankbar.

Nach dem Essen ging es schon fast wieder richtig gut.

„Spielst du mir was vor?", fragte ich Jenna und zeigte auf das Klavier.

„Gerne", lächelte Jenna. Sie schälte sich aus ihrer Decke und setzte sich auf den Hocker. „Irgendwelche Wünsche?", fragte sie, aber ich wollte mich überraschen lassen. Nach kurzer Überlegung begann sie zu spielen.

Carry on my wayward son, there'll be peace when you are done...", begann sie mit klarer Stimme zu singen, nachdem sie das Intro gespielt hatte. Es folgte ein wunderschönes Lied über einen jungen Mann, der innerlich aufgewühlt war, sich aber äußerlich nichts davon anmerken lassen wollte. Einen jungen Mann, der niemals aufgeben sollte.

Jenna spielte noch ein paar weitere Lieder nach dem ersten und versuchte sogar, mir Klavier spielen beizubringen. Natürlich war sie in der kurzen Zeit damit nicht erfolgreich, aber Spaß machte es auf jeden Fall.

Heute war ein guter Tag, um am Leben zu sein. Vielleicht wurde es wirklich besser. Mir war eines klar: Es wäre wirklich schade, wenn ich diesen Tag nicht erlebt hätte. Wenn ich gegangen wäre, bevor ich diese schönen Stunden erlebt hatte. Wäre es nach mir gegangen, würde ich jetzt nicht mehr leben und das wäre wirklich traurig.

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top