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Genau so sehr, wie ich mir gewünscht hatte, dass diese Sommerferien nie enden würden, hatte ich mir geschworen, dass dieses Mal alles anders werden würde. Vielleicht sogar noch mehr. Es war ein warmer Morgen im Spätsommer, als ich vor meiner neuen Schule stand. Meine Handflächen waren nass und in meinem Magen breitete sich dasselbe mulmige Gefühl aus, dass ich früher jedes Mal verspürt hatte, wenn ich vor der Klasse stand. Wenn ich versuchte den Tag irgendwie zu überstehen, zwischen all den Gemeinheiten, die ich über mich ergehen lassen musste.
Diesmal würde das anders werden. Ich schluckte, atmete tief ein und straffte die Schultern.
Selbst wenn du's hier scheiße findest, sagte ich mir, Es sind nur noch zwei Jahre. Das ist machbar.
„Guten Morgen", riss mich plötzlich eine helle Stimme aus meinen Gedanken. Erschrocken wirbelte ich herum und entdeckte ein Mädchen, das wenige Schritte von mir entfernt stand und mich freundlich anlächelte. Sie hatte langes braunes Haar, strahlende Augen und sonnengebräunte Haut.
„Guten Morgen", antwortete ich ein wenig unsicher und sah mich um. War wohl Gewohnheit.
„Bist du neu hier?", fragte sie und lächelte weiter. Ich nickte bloß, woraufhin das Mädchen nach meinem Handgelenk griff und mich hinter sich herzog. „Ich bin Jenna", stellte sie sich vor, während sie mich bereits ins Schuldgebäude schleifte. „Ich zeig' dir alles."
„David", erwiderte ich nur, weil mir nichts Besseres einfiel. Ich wusste nicht recht, was ich von dieser Situation halten sollte. War das etwas Gutes? Oder wollte sie mich vorführen.
„Du bist wirklich süß, David", lachte Jenna und ihre fröhliche, ausgeglichene Art wirkte sogar auf mich ein wenig ansteckend. Verrückt.
Jenna zeigte mir den Vertretungsplan, die Toilette, das Lehrerzimmer und schließlich das Sekretariat, wo ich hinmusste, um meinen Stundenplan abzuholen.
„Vielleicht sehen wir uns ja später in einem Kurs. Ich würde mich freuen!", verabschiedete Jenna sich und zwinkerte mir zu, ehe sie sich abwandte und den Gang hinunterlief. War ich zu geschädigt von John und seiner Clique oder war sie etwas zu freundlich?
Bevor ich mir darüber weitere Gedanken machen konnte, rief die Sekretärin mich zu sich.
Die ersten beiden Stunden, Mathe, vergingen ereignislos. Die Schüler schauten mich zwar fragend an, ließen mich aber weitgehend in Ruhe. Vielleicht war es nicht die schlauste Taktik, sich alleine an den letzten Tisch im Klassenraum zu setzen, aber ich fühlte mich wohler, wenn ich etwas Abstand zwischen mir und den anderen hatte. Schien sie auch nicht zu stören, zumindest hörte ich keinen dummen Kommentar. Vielleicht waren sie zumindest höflich genug, sich leise über mich lustig zu machen.
Ich sollte aufhören, mir solche Gedanken zu machen. Noch hatte mir keiner hier was getan, also sollte ich es auch nicht heraufbeschwören. Ruhe bewahren, abwarten.
Als es zum Unterrichtsende klingelte und ich gerade meine Sachen zusammenpackte, traten plötzlich zwei Jungs an meinen Tisch.
„Hi", sagte der eine und ich sah auf.
„Ehm... hi", erwiderte ich unsicher und blickte zwischen den beiden hin und her. Der Blick, mit dem sie mich bedachten, war undefinierbar.
„Ich bin Jonah und das hier ist Rick", stellte der eine sich und seinen Kumpel vor. Rick nickte mir zu und ich tat es ihm gleich. Was wollten die beiden von mir?
„David", erwiderte ich und war überrascht, dass meine Stimme sich nicht halb so verloren anhörte, wie ich mich fühlte. Anscheinend hatte es doch etwas gebracht, dass ich mir selber Mut zugesprochen hatte.
„Willkommen an der Schule", sagte Jonah und hielt mir mit einem plötzlichen Lächeln seine Hand hin. Noch immer misstrauisch schlug ich ein, während mein Herz schon fast schmerzhaft gegen meinen Brustkorb pochte. Jonah ergriff meine Hand mit festem Griff und zog mich an sich heran, sodass unsere Schultern gegeneinander schlugen. Rick folgte seinem Beispiel. Wollten die beiden meine neuen Freunde werden? Oder würde ich gleich den ersten Spruch gedrückt bekommen?
Bevor ich in die Verlegenheit kam, irgendwie reagieren zu müssen, forderte ein Lehrer uns auf das Schulgebäude zu verlassen und nach draußen an die frischen Luft zu gehen. Als wäre es ganz selbstverständlich, gingen Rick und Jonah neben mir her. Ich sollte versuchen mich zu entspannen. Vor zwei Stunden hatte ich mir noch gesagt, dass diesmal alles anders werden würde. Besser! Das würde nicht funktionieren, wenn ich schon Angst bekam, sobald mich jemand ansprach. Souveränes Auftreten war ein wichtiger Punkt, wenn ich nicht wollte, dass wieder auf mir rumgehackt wurde. So souverän wie Jenna, die gerade mit einem breiten Lächeln über den Schulhof auf mich zukam.
„David!", begrüßte sie mich fröhlich und umarmte mich fest. Etwas überrumpelt erwiderte ich ihre Umarmung. Sie löste sich wieder von mir und umfasste mit ihren Händen meine Oberarme. „Na, wie waren deine ersten beiden Stunden?"
„Okay", erwiderte ich überfordert. Jonah und Rick waren neben mir stehen geblieben und starrten Jenna an. Erst jetzt schien auch sie die beiden Jungs zu bemerken.
„Oh", entfuhr es ihr und ich sah Missbilligung über ihr Gesicht huschen. „Hallo", sagte sie mit einem leicht säuerlichen Unterton zu den beiden, dann ließ sie mich los. „Sind das deine neuen Freunde?"
„Ähm..." Was sollte ich sagen? Ich kannte die beiden doch gar nicht. Wie sahen sie das? Jede Antwort könnte die falsche sein und meinen Untergang bedeuten. Ich wollte nicht wieder das Opfer sein, wollte nicht wieder von allen gemieden und beleidigt werden. Was, verdammt noch mal, war die richtige Antwort? Zum Glück sprach Jenna schon weiter, während meine Handflächen schon wieder klatschnass waren und mein Magen zu schmerzen begann.
„Wie auch immer. Wir sehen uns vielleicht später." Das breite Lächeln hatte ihr Gesicht verlassen und sie hob nur noch kurz die Hand zum Abschied, ehe sie wieder davon ging.
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