Kapitel 4
THOMAS
Eine gute halbe Stunde später machte mir Mike die Tür seiner riesigen Altbauwohnung auf. Seine Augen weiteten sich bei meinem Anblick.
„Thommy, du siehst echt scheiße aus.", sagte er und ich lachte auf.
„Ach echt? Is mir noch gar nicht aufgefallen.", bemerkte ich sarkastisch.
„Geh in mein Zimmer und leg deine Sachen auf die Couch, ich hab sie dir schon ausgezogen. Ich hol Eis aus der Küche, Creme und Pflaster." Er war einfach der Beste. Wir waren seit dem Kindergarten beste Freunde und immer, wenn es in den letzten Jahren Probleme mit meinem Vater gegeben hatte, hatte ich zu ihm kommen können.
„Wissen deine Eltern, dass ich da bin?"
„Nein." Mehr musste er nicht sagen und mehr musste ich nicht wissen. Wie so oft würden wir morgen früh sagen, dass ich besonders früh gekommen war, um ihn für die Schule abzuholen. Seine Eltern behandelten mich, wie einen zweiten Sohn. Es tat gut, wenigstens ab und zu in einer funktionierenden Familie zu sein. Ich wurde hier stets mit offenen Armen empfangen und sogar auf Familienausflüge mitgenommen.
Als Mike mit einem Eisbeutel, Pflastern und Creme wiederkam, saß ich auf der Couch, die Mike sich extra für mich in dem ausziehbaren Modell gekauft hatte, weil er der Meinung gewesen war, so oft, wie ich bei ihm schlief, könnte ich nicht immer nur auf der schmalen Couch, oder auf dem Boden schlafen. So eine Art Freund war er. Er setzte sich neben mich. Durch reichlich Übung, war dieses Verarzten zur Routine geworden.
„Das brennt jetzt vielleicht ein bisschen.", warnte er und ich nickte. Ich wusste, dass es brennen würde. Das tat es immer. Als er fertig war, drückte er mir den Eisbeutel in die Hand und ich hielt ihn mir ans Auge.
„Was ist passiert?", fragte Mike jetzt und sah mich fast schon mitleidig an.
„Heute war ein Fünf-Bier-Tag.", sagte ich und er nickte verständnisvoll.
„So schlimm war es schon lange nicht mehr." Ich nickte.
„Aber das eigentlich Schlimmste daran ist, wenn das so weiter geht und er unser, vor allem mein, ganzes Geld nur für Alkohol und Zigaretten auf den Kopf haut, können wir uns die Miete nicht mehr lange leisten. Wir wohnen zwar in einem der billigsten Wohnviertel, aber trotzdem wird uns die Wohnung nicht hinterhergeworfen.", sagte ich besorgt und Mike sah mich an.
„Wie bezahlt ihr das überhaupt alles?"
„Mein Vater bekommt etwas durch meine Mutter, ich bekomme ungefähr nochmal die Hälfte davon und das Kindergeld, was mein Vater jetzt noch gut ein Jahr bekommt, ist nochmal ein bisschen. Das ergibt dann genau die Summe, die komplett für die Miete jeden Monat draufgehen. Mit dem Geld aus dem Café kaufe ich dann ein und regle alles andere. Das Gehalt von meinem Vater ist ja quasi nichts."
„Wenn es mal knapp wird...", fing Mike an, doch ich schüttelte den Kopf. Er hatte in den vergangen Jahren so viel für mich getan. Das konnte ich beim besten Willen nicht annehmen. „Thomas, ich meine es ernst.", sagte er und ich nickte langsam.
„Ich weiß das zu schätzen." Mike winkte ab.
„Immer. Das weißt du." Ich stand auf, kramte eine Jogginghose von Mike aus seinem Schrank und zog sie an.
„Was wirst du mit dem Mädchen machen. Sie scheint Charakter zu haben, wenn sie dich so anschnauzt." Er wollte mich vom Thema ablenken. Ich hatte gewusst, dass er nicht locker lassen würde.
„Naja, wir hatten schon in der ersten Stunde zusammen Unterricht. Mir ist mein Notizbuch heruntergefallen und es ist mir nicht aufgefallen. Sie hat es aufgehoben und es mir wieder gegeben. Ich hab sie eventuell ein bisschen angeschnauzt.", sagte ich kleinlaut und Mike lachte.
„Na dann hast du es auch verdient, du Vollidiot.", lachte er und ich grinste.
„Schuldig im Sinne der Anklage." Mike kriegte sich immer noch nicht ein, was mich ebenfalls zum Lachen brachte. Als wir uns wieder beruhig hatten, drehte sich Mike auf die Seite und brummte ein gute Nacht in meine Richtung.
„Gute Nacht.", flüsterte ich in die Stille der Dunkelheit des mir mehr als nur vertrauten Zimmers, bevor auch ich die Augen schloss und einschlief.
•••••••
Am nächsten Morgen standen wird früh genug auf, sodass unsere Geschichte realistisch und glaubwürdig war.
„Ma, Paps, Thommy ist da!", rief Mike durch die Wohnung, nachdem ich fertig angezogen, mein Gesicht wieder halbwegs hergestellt und Mike einigermaßen wach war.
„Thomas?", fragte sein Vater aus der Küche und ich rief ein ‚Guten Morgen!' zur Begrüßung. Seine Mutter kam in den Flur und lächelte, als sie mich sah.
„Komm her, lass dich drücken. Du wirst ja auch immer größer!", sagte sie erstaunt, als sei das nicht das normalste der Welt.
„Er ist immer noch kleiner als ich!", rief Mike aus seinem Zimmer und streckte den Kopf aus der Tür.
„Ja, einen Zentimeter!", sagte ich vorwurfsvoll, lachte dann aber selbst.
„Mike, beeil dich, wir wollen frühstücken. Hast du schon was gegessen?", fragte seine Mutter und ich schüttelte den Kopf. Meine letzte Mahlzeit war mein Frühstück am gestrigen Tag gewesen. Ich hatte definitiv Hunger. „Ich habe sogar die Pancakes da, die du so gerne magst.", sagte seine Mutter grinsend und zog mich mit in die Küche. Diese Frau war einfach die Beste. Mike folgte uns schnell in die Küche, während er sich noch das T-Shirt über den Kopf zog.
„Hallo Junge. Schön das du da bist.", sagte sein Vater und ich grinste.
„Frank, stellst du bitte noch einen Teller auf den Tisch.", sagte Mikes Mutter und er stand auf und kam ihrer Bitte nach. Es war so schön zu sehen, dass dieses ganze Prozedere auch ohne Schreien funktionierte. Mike und ich setzten uns an den Tisch, während die Pancakes im Toaster warm wurden.
„Thomas, was hast du mit deinem Gesicht gemacht?", fragte seine Mutter jetzt erschrocken und sah mich an. Ich hatte mich schon gefragt, wann ihr das auffallen würde.
„Ich bin gestern nach der Schule mit dem Fahrrad gegen eine Laterne gefahren.", sagte ich und sah Mike an.
„Ja, ich war dabei. Gestern sah er viel schlimmer aus.", sagte er und wir lachten. Diese Taktik funktionierte immer. Sobald wir über eine Situation lachten, lockerten wir damit die Stimmung auf und Mikes Mutter war nicht mehr ganz so besorgt. „Hast du Creme drauf gemacht?", fragte sie und ich nickte.
„Sonst wäre es viel blauer.", sagte ich und sie lächelte.
Die Pancakes schossen aus dem Toaster und sie stellte sie uns, getränkt in Ahornsirup, vor die Nase. Bereits beim ersten Bissen schmolz ich dahin und schloss die Augen. Frühstück bei dieser Familie war einfach großartig.
„Sabine, du bist die Beste!", sagte ich laut und Mikes Mutter drehte sich um.
„Ich weiß.", grinste sie und wir lachten.
„Wäre es ok, wenn Thommy ein paar Nächte bei uns schläft?", fragte Mike vorsichtig. Seine Eltern durften keinen Verdacht schöpfen.
„Na klar. Weiß dein Vater Bescheid?", fragte Frank und ich nickte, womit ich die beiden zum ungefähr einhundertsten Mal anlog. Dankbar sah ich Mike an, der wissend nickte und sich dann wieder seinen Pancakes widmete.
•••••••
In der Schule angekommen trafen wir uns noch kurz vor Unterrichtsbeginn mit Julian und Artur. „Junge, was ist mit deinem Gesicht passiert." Ich sah Artur an und Julian riss die Augen auf.
„So schlimm schon wieder?" Zur Antwort nickte ich.
„Können wir etwas machen?", fragte Artur, doch ich schüttelte den Kopf.
„Wir müssen das langsam mal irgendjemandem sagen. Das geht jetzt schon viel zu lange so.", bemerkte Julian besorgt und ich sah zu Boden.
„Früher hatte ich es nie gewollt, weil meinem Vater dann das Sorgerecht entzogen worden wäre und ich im Heim gelandet wäre, oder so. Jetzt bin ich fast achtzehn. Auf das eine Jahr kommt es jetzt nicht mehr an.", sagte ich in der Sekunde, als die Klingel ertönte. Wir verabschiedeten uns und gingen zur ersten Stunde.
Authors note: So viel zum Thema "Beste Freunde" zwischen Thomas und Mike.
Ich hoffe, ihr mögt die beiden genauso gerne, wie ich haha
Lots of love
TPWK
Lou
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Ich hoffe, euch hat das Kapitel gefallen.
Ich wünsche euch ein schönes Wochenende.
lots of love
TPWK
Lou
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