Kapitel 27
HANNAH
„Danke.", sagte er und ich nickte nur. Er verzog seinen Mund zu einem halben Lächeln und verließ mit mir zusammen den Laden. Die Stimmung zwischen uns war angespannt. Wir hätten einfach getrennte Wege gehen können und schon wären wir das Problem los gewesen, doch keiner von uns rührte sich und wie wir da so, verloren wie wir waren, in der Mall standen und damit vermutlich hunderten Leuten im Weg standen, die sich mühevoll an uns vorbei drücken mussten, achtete ich ungewollt nur auf ihn.
Auf seine blond braunen Haare, die in einem strubbeligen Wirrwarr von seinem Kopf abstanden. Auf seine blauen Augen mit den braunen Sprenkeln darin, die von angedeuteten Schatten untermalt wurden, da man entweder immer noch oder schon wieder eine Feilchen sehen konnte. Auf seine Nase, die sich immer lustig bewegte, fast wie die eines Kaninchens, wenn er etwas zerkaute und auf der ein langer Kratzer von links nach rechts über seinen Nasenrücken verlief. Auf seine Lippen, die so rosarot und relativ voll waren, dass ich mich unwillkürlich fragte, ob sie sich wirklich so weich anfühlten, wie sie aussahen, auch, wenn sie immer noch aufgeplatzt waren. Auf seine so markanten Wangenknochen, die sich immer bewegten, wenn er nachdachte und die seine Gesichtsform perfekt unterstrichen, auch wenn auch sie durch kleinere Hämatome und Kratzer geschmückt wurden. Und wie ich ihn so anstarrte, wurde mir klar, dass er das Selbe tat. Seine Augen hafteten an mir, als seien sie festgeklebt und seine Wangenknochen bewegten sich, als müsse er etwas mit seinem Kiefer zermahlen.
Thomas fluchte, ließ die Tüte mit seinem Einkauf fallen, trat auf mich zu und zog mich in eine Umarmung. Ich wusste nicht, wie mir geschah, bis er mich noch enger an sich drückte und sein geschundenes Gesicht in meine Haare presste.
„Es tut mir leid.", sagte er und wiederholte es an die dreißig Mal, bis ich meine Arme auch um ihn schlang. Ein paar Minuten lang standen wir noch so da. Mitten im Mittelgang der überfüllten Mall und ignorierten die genervten Beschimpfungen der anderen Menschen um uns herum. Doch schließlich lösten wir uns von einander und ich musste eine Träne unterdrücken, die sich aus meinem Augenwinkel schleichen wollte. Nicht, weil er mich losgelassen hatte, sondern weil ich ihm verzeihen wollte. Ich wollte vergessen, was er mir ein paar Wochen zuvor im Schulflur gesagt hatte. Ich wollte ihn nicht verlieren.
„Ich hoffe du weißt, wie sehr du mich verletzt hast.", sagte ich vorwurfsvoll und er atmete laut aus.
„Ich weiß.", flüsterte er und sah mich fast schon schmerzverzogen an. Warum redete er nicht erst mit mir? Warum stieß er mich von sich, ohne mir überhaupt die Chance zu geben ihm zu beweisen, dass es eben nicht besser für mich war, wenn ich mich von ihm fern hielt. Das Schweigen zwischen uns wurde immer länger, doch ich wollte nicht wieder die Erste sein, die sprach. Er hatte sich das Ganze selbst versaut und er musste sich da selber wieder rausziehen. Mike hatte gesagt, er sei glücklicher in meiner Nähe. Wie konnte er diese Nähe dann so einfach und so schnell wegwerfen, wenn sie ihm ach doch so gut tat?
„Es tut mir leid. Ich hatte meine Gründe, aber mittlerweile zweifle ich daran, dass es eine gute Idee war.", sagte Thomas nun und ich konnte mir ein Schnauben nicht verkneifen.
„Na, ich hoffe doch, dass du deine Gründe mittlerweile hinterfragst, es war nämlich eine beschissene Idee, mir diesen ganzen Müll an den Kopf zu werfen, du Idiot.", sagte ich eine Idee zu laut, denn selbst die Menschen, die auf der anderen Seite des Geländers neben der Treppe nach oben standen, drehten sich erschrocken zu uns um. Thomas fing an zu grinsen.
„Warum lachst du denn jetzt, du Idiot. Ich versuche gerade ersthaft sauer auf dich zu sein, Dummkopf." Doch Thommy grinste einfach weiter und irgendwann musste auch ich anfangen zu lächeln. „Aber Thomas, ich meine es ernst. Du hast mich wirklich verletzt. Und du wusstest ganz genau, wie sehr du mich damit verletzten würdest."
„Es tut mir leid. Es tut mir unglaublich leid. Ich hatte gedacht, nach der Sache mit meinem Vater, dass es besser für dich wäre, wenn ich mich von dir fern halte. Aber es bringt mich um zu wissen, was ich dir alles gesagt habe. Und noch schlimmer ist es, dass es nicht mal ansatzweise gestimmt hat. Nichts von dem, was ich gesagt habe. Vor allem, dass ich meinem Vater zugestimmt habe. Das ist fast noch schlimmer, als alles andere."
„Willst du mir vielleicht erklären, was das mit deinem Vater war?", fragte ich vorsichtig. Thomas schwieg lange, bevor er antwortete.
„Lass uns das woanders machen.", sagte er und so griff er mit der einen Hand nach seinem Einkauf, der immer noch auf dem Boden lag und mit der anderen Hand nach mir, um mich mit sich zu ziehen. Wir liefen die Treppe nach oben auf das Dach, eine große, grün bewachsene Terrasse mit Blick auf ein paar Gehege im angrenzenden Zoo, sowie auch auf den Ku'damm. Wir setzten uns auf eine der Bänke und packten unser Essen aus, während Thomas begann zu erzählen.
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