Kapitel 1


HANNAH 

Es war Anfang September und die Schule hatte bedauerlicher Weise wieder angefangen. Ich hatte die letzten paar Wochen wirklich genossen. Keine nervigen Leute um mich herum. Keine Anrufe. Keine lästigen Kommentare von irgendjemandem zu allem was ich tat. Es war toll gewesen.

Meine Eltern hatten sich in den Kopf gesetzt, in die Berge zu fahren. Ich hatte die Idee, drei Wochen irgendwo im Nirgendwo zu verbringen auch wirklich gut gefunden. Wir waren zwar in einem Hotel gewesen, allerdings ohne WLAN. Für mich war das kein Problem gewesen. Ich hatte mir meine komplette Musik auf meinem Handy heruntergeladen und hatte Tag ein, Tag aus auf dem Balkon gesessen, die Sonne genossen, Musik gehört und gelesen.

Für meinen Vater war dieser Umstand ein riesiges Problem gewesen. Seine Arbeit war einfach alles für ihn. Sie war ihm heilig. Ich konnte mich an keinen einzigen Urlaub erinnern, in dem er nicht mindestens alle zwei Tage angerufen worden war und für mindestens einen Tag wieder in die Arbeit musste, weil er ja ach so wichtig und unverzichtbar war. Die Tatsache, dass ihm so viel an seiner Arbeit lag, störte mich nicht einmal. Aber der Fakt, dass er keine Gelegenheit verstreichen ließ, mir das unter die Nase zu reiben, kotzte mich gelinde gesagt an.

Noch dazu hatte er sich zwar fast jeden Tag darüber beschwert, dass ich nur bei jedem vierten Ausflug mitkam, aber meine Bücher lasen sich ja schließlich nicht von selbst. Und genau das war das Problem. Die Sommerferien waren seit einer Woche vorbei. In den Ferien gewöhnte ich mir einen gewissen, nicht schulgeeigneten Schlafrhytmus an, der wirklich problematisch war, wenn sich die Ferien dem Ende neigten.

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Also saß ich jetzt hier, in der ersten Stunde und schlief fast ein. Ich legte meinen Kopf seitlich auf meine Arme auf dem Tisch ab und schloss die Augen. Dabei fiel mir ein Gesicht auf, das mir bekannt vorkam. Ich konnte mich aber nicht mehr an seinen Namen erinnern.

Er saß auf dem Drehstuhl, ein Bein über das andere geschlagen, mit der Kapuze auf dem Kopf und malte in einem Buch. Oh Gott, wie viel würde ich darum geben, zu wissen, was er da schrieb. Verträumt sah ich in seine Richtung und sofort strafte ich mich in Gedanken dafür. 'Denk nicht mal dran!', schrie die Stimme in meinem Kopf und obwohl ich wusste, dass sie Recht hatte, konnte ich einfach nicht anders.

Wir hatten zusammen Mathe. Montag. In der ersten Stunde. Welcher Vollidiot hatte sich das denn bitte ausgedacht. Ich meine, hallo? Mathe. Montag. Um acht Uhr morgens. Das war doch nicht normal. Das widersprach doch bestimmt irgendeinem Menschenrecht. Das musste es einfach. Auch wenn das frühe Aufstehen mich umbrachte, für diesen Anblick konnte ich es heute ertragen. Meine Güte! Was war bloß in mich gefahren? Ich kannte ihn nicht und schmachtete ihn an, als sei er der Mittelpunkt meines Universums.

Ich durfte meine Prinzipien nicht über Bord werfen, verdammt! Keine Gefühle mehr! Ganz einfach. Keine anderen Pläne oder Vorsetze hatte ich. Nur diesen einen: keine Gefühle. Das Problem mit Gefühlen war nämlich, dass man viel zu schnell verletzt werden konnte, wenn man fühlte. Mir war es in letzter Zeit einfach zu oft passiert, dass ich gefühlt und geliebt hatte und am Ende fallen gelassen wurde, wie eine heiße Kartoffel. Dafür hatte ich einfach keinen Nerv mehr. Ich hatte eine einzige Freundin und dabei sollte es auch bleiben. Also stopp. Bevor ich jetzt ein Loch in ihn bohrte, richtete ich meinen Blick wieder an die Tafel.

Wie ich nun feststellen musste, war das auch bitter nötig, denn die halbe Tafel war vollgeschmiert mit Formeln und Notizen, die wir dieses Jahr alle behandeln würden. Ich beeilte mich, die Handschrift der Lehrerin zu entziffern. Mein Kugelschreiber raste über das Papier und hinterließ in immer gleichbleibenden Abständen kleine Lücken in der Tinte. Nebenbei wurde die ellenlange Rechnung an der Tafel erklärt und ich versuchte verzweifelt, soviel davon aufzunehmen, wie nur irgendwie möglich war.

Als ich fertig war, sah ich mir meine Notizen an, die überraschender Weise sogar ziemlich ordentlich geworden waren. Ich sah aus dem Augenwinkel erneut zu dem Jungen hinüber und bemerkte, dass er mich ebenfalls anstarrte. Oh shit! Ok, unauffällig verhalten. In nahm den Stift in die Hand und schrieb den Anfang von Sunflower Vol.6 auf meinen Block. Daneben kitzelte ich eine ziemlich scheußlich aussehende Sonnenblume.

Das Schreiben machte die Situation immer noch nicht besser. Erneut erlaubte ich mir einen kurzen Blick in seine Richtung, nur um festzustellen, dass er mich immer noch ansah. Der Schatten eines Grinsens huschte über sein Gesicht, bevor er den Blick von mir abwendete. Was war das denn gerade gewesen? Als es klingelte, packte ich mein Zeug so schnell wie möglich ein, damit ich dem Gedränge, das gleich an der Tür stattfinden würde, entkommen konnte.

Der Junge dachte sich anscheinend das Selbe, als er sich den Weg in Richtung Lehrerpult nach vorne kämpfte. Während er sich durch die Reihen nach vorne quetschte und dabei zwangsweise auch an mir vorbei kam, fiel ihm ein Buch aus der Tasche und mir direkt vor die Füße.

Ich hob es auf. Es war schwarz. Auf dem Einband stand ein Name. Beziehungsweise hatte er da einmal gestanden, denn mittlerweile war er verwischt und von Farbe bedeckt. Anscheinend war es eine Art Skizzen- oder Tagebuch. Ich drehte es in meiner Hand. Die Rückseite war frei. Ich sah zum Lehrerpult, vor dem der Junge mittlerweile stand. Ich ging auf ihn zu, was allerdings eine Weile dauerte, da sich um die zwanzig Leute an mir vorbeidrängten. Ich räusperte mich.

„Entschuldigung.", fing ich an und tippte ihm auf die Schulter. Er drehte sich zu mir um.

„Das hier ist dir aus der Tasche gefallen.", sagte ich und sein Blick wanderte zu meiner Hand, die ihm sein Buch entgegenstreckte. Seine Augen weiteten sich erschrocken.

„Finger weg!", schnauzte er und riss es mir aus der Hand. Anscheinend war ihm der Inhalt ziemlich wichtig.

„Ich hab's nicht gelesen. Oder angeguckt. Was auch immer drin steht. Ich wollte es dir nur geben und freundlich sein. Das nächste Mal lass ich es dann einfach liegen.", sagte ich schnippisch, drehte mich um und ließ ihn stehen. Ich wollte nur nett sein. Kein Grund mich direkt so anzufahren. Mittlerweile bereute ich es, ihn die ganze Stunde über so angestarrt zu haben.

Ich kramte in meiner Tasche nach meinem Kalender. Ich blätterte durch die Seiten und öffnete meinen Kursplan. Als nächstes hatte ich Erdkunde. Ich machte mich auf den Weg zu dem Raum, der eine Etage über mir lag. Das Treppenhaus war wie gewöhnlich brechend voll. Die Personen nach mir schoben mich nach oben, wodurch ich den Arsch des Typen vor mir im Gesicht hatte. Super, danke dafür.

Ich machte drei Kreuze, als ich endlich in der richtigen Etage war und zum Unterrichtsraum hetzten konnte, da die Pause in einer Minute...die Klingel ertönte. Na gut, da die Pause zu Ende war.

Ich aalte mich durch die Tür und stellte erleichtert fest, dass unser Lehrer auch noch nicht da war. Ich sah einen guten Platz in der zweiten Reihe: alleine und am Fenster, besser konnte es gar nicht sein. Ich stellte meine Tasche auf den Boden, holte Block und Stift aus meiner Tasche und setzte mich hin.

Authors note: Ja, das erste Kapitel ist noch extrem langweilig, ich weiß. Die nächsten haben mehr Inhalt, versprochen. Ich hoffe, es gefällt euch trotzdem.

Lots of love
TPWK
Lou

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